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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 05.04.2007

Predigt zu Matthäus 26:17-30, verfasst von Eva Meile

Gründonnerstag ist der Tag der Dämmerung. In der Dämmerung mischen sich Licht und Finsternis, Tag und Nacht. Und je weiter man sich in das Land der Dämmerung hineinbegibt, desto mehr gewinnt die Nacht an Boden, und man kann große Angst bekommen. Man fürchtet, dass all das Gute und Schöne, was der hellichte Tag einem geschenkt hat, für immer verschwinden wird; und das Böse, das auch an den Tag gekommen war, wirkt in der Finsternis noch bedrohlicher. Wohl weiß man, dass es der Gang der Natur ist, dass wieder ein neuer Tag kommt, wenn die Nacht vorbei ist, aber dieses Wissen geht in der beklommenen Stimmung der Stunde der Dämmerung leicht unter; die Hoffnung ist in Gefahr, und das bedeutet, dass das Leben in Gefahr ist, denn ohne Hoffnung sterben wir Menschen.

             Am Abend des Gründonnerstag sind 13 Männer um den Tisch versammelt, um miteinander das Osterlamm zu essen. Eine Dämmerungstimmung hat sich unter ihnen verbreitet; das Fest und die Hosiannarufe des Palmsonntag verlieren sich im Dunkel, und der morgige Tag, Karfreitag, wirft schon seinen Schatten von Abschied über ihre Mahlzeit.

             Die Sprache der Seele hat ihr eigenes Wort für Dämmerung, es heißt Wehmut. In der Wehmut mischen sich Freude und Trauer, so wie die Dämmerung aus Tag und Nacht besteht. Und ebenso wie die Dämmerung in die richtige Finsternis übergeht, wo sich die Angst leicht einstellt, so wissen wir auch, dass die unbestimmte Wehmut, die die Jünger ergreift angesichts des merkwürdigen Wortes Jesu, dass er von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weihnstocks trinken werde bis an den Tag, an dem sie gemeinsam von neuem davon trinken werden im Reich Gottes - die Tristheit, die sie bei diesen Worten ergreift, geht im Laufe der folgenden 24 Stunden in Schrecken und Ratlosigkeit und Trauer über.

             Denn was sind sie ohne Jesus? Was soll aus ihnen werden? Der Mut verlässt sie jetzt schon, und es war gewiss schwierig für sie, den obligatorischen Lobgesang zu Ostern anzustimmen.

             Aber Jesus selbst? Immerhin ist er es doch, der durch den engsten und finstersten Tunnel muss. Er ist es, der leiden und sterben wird. Was empfindet er in diesen Stunden?

             Fürsorge empfindet er vor allem. Fürsorge für die 12 Männer, für die er nicht nur der Meister und Freund, sondern etwas noch Größeres gewesen ist, nämlich das Bindeglied zu Gott selbst. Es liegt ihm am Herzen, ihnen etwas zu geben, woran sie sich halten und woran sie sich wärmen können, wenn er fort ist. Und da bricht er das Brot und schenkt Wein in den Becher und sagt: Das ist mein Leib und mein Blut, d.h. das bin ich selbst, meine Liebe, die ich euch gebe.

             Natürlich ist das für sie rätselhaft. Sie sehen das Brot und den Wein. Ja, aber das ist ja bloß Brot und Wein. Und doch! Als sie seine liebevollen Worte und sein Versprechen hören, dass sie im Reich Gottes zusammen den Wein des ewigen Lebens trinken werden - ja, da ist es, wie wenn alles verwandelt wird, auch das Brot und der Wein. Vor allem aber die Stimmung. Es ist, wie wenn ein Licht in der Finsternis angezündet wird. Sie können es jeder auf seine Weise merken.

             Beispielsweise Johannes. Er war so beklommen über die Andeutungen, die Jesus schon seit längerem über sein kommendes Leiden und seinen Tod geäußert hatte, denn Johannes fühlte sich ganz besonders mit Jesus verbunden und würde ohne ihn furchtbar einsam sein. Deshalb gab es ihm einen furchtbaren Stich ins Herz, als er verstand, dass nun die Stunde gekommen sei. Aber da hört er also Jesus plötzlich vom Wiedersehen im Reich Gottes reden - und er gewinnt seinen Lebensmut wieder. Er beginnt zu verstehen, dass Jesus so oft von sich selbst gesagt hat, dass er das Brot des Lebens war. Denn es ist offenbar genug, dass er solch einen ganz gewöhnlichen Bissen Brot seinen Leib nennt - und man fühlt sich erfüllt von seiner Liebe. Man ist nicht allein, man wird nie mehr allein sein. Jesus ist zu einem Teil von einem selbst geworden.

             Und Petrus! Die wirre Seele! Wie oft hatte er sich nicht geirrt und Jesus zur Verzweiflung gebracht. Er war und blieb eine unstabile Natur, und er wusste genau, dass er es nicht verdiente, dass Jesus ihn liebte. Aber an jenem Abend war es, wie wenn sich Jesu eigene Ruhe und Gefasstheit auf Petrus übertrug. Eben jetzt erlebte er einen gesegneten Augenblick, niemals mehr würde er einen Becher Wein mit den anderen Jüngern trinken, ohne sich an diesen Augenblick und alle die glücklichen Augenblicke zu erinnern, die sie mit Jesus erlebt hatten. Er war von Wärme und Dankbarkeit erfüllt, dass er fühlen durfte, dass er von Jesus zutiefst akzeptiert war - mit all seinen Fehlen und Schwächen. Und daran sollte sich also bis in alle Ewigkeit nichts ändern, so viel verstand Petrus von den feierlichen Worten, die Jesus da sprach.

             Und schließlich Judas. Wir wissen, es ist ihm seitdem schlecht ergangen. Es wird berichtet, dass er sich das Leben nahm aus Trauer und Scham darüber, dass er Jesus verraten hatte. Niemand weiß, was er in der Stunde seines Todes dachte und fühlte. Schlimm muss es um ihn gestanden haben, aber vielleicht ist es ihm durch sein Bewusstsein gegangen: ich war doch dabei an dem Tisch an jenem Abend, ich war dabei, als er das sagte. Als er sagte: Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Wer weiß, vielleicht galten die Worte - und das Blut - auch ihm, Judas. Er war der größte aller Sünder, aber jetzt war er so verzweifelt und voller Reue - er wagte kaum, den Gedanken zuende zu denken - aber konnte es dennoch nicht lassen: Vielleicht gibt es auch für mich eine Möglichkeit, vielleicht gibt es keine Sünde, die Jesu Blut nicht sühnen kann. Wenn man von Herzen bereut und um Vergebung bittet?

             Auch für Judas wurde die Erinnerung an das letzte Abendmahl vielleicht zu einem Licht in der bodenlosen Finsternis: Ich war doch dabei, als er die Worte sprach: Wir werden im Reich Gottes zusammen den Wein trinken.

             Johannes, Petrus, Judas - wir könnten auch unsere eigenen Namen an ihre Stelle setzen. Denn die Erzählung vom Gründonnerstag ist auch unsere Geschichte. Es ist die Geschichte, wie der Angsterfüllte und Einsame, der Feige und Flüchtige, der Treulose, der Verräter und der, der voller Scham und Schuldgefühl ist, kurz: wie jeder von uns in eine Gemeinschaft hineingenommen ist, für die wir uns nicht verdient gemacht haben und die nicht von unserem Willen und unseren Eigenschaften getragen ist, sondern einzig und allein von dem Willen und der Liebe Gottes.

             Gründonnerstag ist Ausdruck der Gemeinschaft von Sündern mit Gott. Er hält ein Mahl mit Zöllnern und Sündern, sagten die Leute verärgert über Jesus. Ja, er tat es bis zu allerletzt, er tut es heute.

Amen



Eva Meile
C.F. Richs Vej 2
DK-2000 Frederiksberg
Tel.: ++ 45 - 38 33 19 12
E-Mail: eva@meile.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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