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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 16.11.2008

Predigt zu Matthäus 13:44-52, verfasst von Claus Oldenburg

Wenn wir vom Himmel reden wollen, muss das notwendig in Bildern geschehen, weil wir natürlich kein genaues Wissen über diesen Ort haben.

             Auch Jesus spricht in Bildern vom Himmel - oder vom Himmelreich. Oder in Gleichnissen. Es gleicht...

             Die drei Gleichnisse, die ihm im heutigen Text zugeschrieben werden, sind sehr charakteristisch für die Art und Weise, wie das Himmelreich in der Evangelienliteratur beschrieben wird. Das Charakteristische ist, dass sich der Tonfall zwischen Freude und Drohung hin- und herbewegt. Und die Bilder sind im übrigen außerordentlich irdisch, sehr konkret und direkt, alltäglich. Die Bilder streben nach unten.

             Aber genau dies tun die Himmelbilder der Kultur gerade nicht. Wir sind Kinder einer religiösen und zivilisatorischen Tradition, die enorme Massen von Himmelbildern hervorgebracht hat, aber sie scheinen nicht durch die Evangelien und Jesu Gleichnisse über diesen Gegenstand angeregt zu sein - was in der Tat äußerst merkwürdig ist, wo doch der biblische Text sozusagen das Grundbuch der christlichen Welt ist.

             Ich erinnere an die Tradition der Malerei, in der sich die Himmelbilder bekanntlich in den höheren Sphären bewegen, und ich verweise auf die dichterische Tradition, in der die Worte ebensfalls nach oben streben.

             Im Zusammenhang unseres Gottesdienstes sind die sprachlichen Bilder aus der Liedtradition wohlbekannt, und ich verweise auf Grundtvig, der von einer "Burg, so prächtig und groß,/ mit Freuden in goldenen Sälen / so freudevoll auf ewige Zeit / wir dort mit Freunden im Licht sprechen". Oder auf Broson, der sich darauf freut, "in der großen, weißen Schar" zu stehen, die dem Herrn Lob singt. Oder auf Kingo, der dem Himmel entgegensieht, "der allein voller Seligkeit ist", denn der Gegensatz zwischen Trauer und Freude ist dort aufgehoben.

             Die Himmelbilder der Kultur streben physisch aufwärts oder vorwärts. Mit vorwärts meine: ich auf das Ende der Welt hin, wo diese Welt vom "Leben der künftigen Welt" abgelöst werden wird.

             Es handelt sich natürlich um eine recht abwechslungsreiche Weise, den Himmel zu beschreiben, und es bedarf kaum großer Einsicht in das Sprachliche oder das Religiöse, um nicht sehen zu können, dass der Dichter seine eigenen Sehnsuchtsbilder macht und sie auf den himmlischen Zustand projiziert - wenn man es ein wenig grob sagen will, dann hält Grundtvig "Freundschaftstreffen" in seinem Himmel, Brorson schwingt sich hinauf in die himmlische Landschaft, weg von dieser sorgenvollen Welt, und Kingo leidet unter den Gegensätzen, dieser dialektischen Spannung in der Welt, die von einer vollkommenen Harmonie abglöst werden soll.

             Das Thema "Himmel" lässt sich also bis ins Unendliche abwandeln, aber mir fällt auf, dass dieser ganze Fächer von Vorstellungen oder Phantasien über das Himmlische, den wir vor allem aus Malerei und Dichtung kennen, überhaupt nichts zu tun hat mit den Gleichnissen, die wir im überlieferten neutestamentlichen Text vorfinden.

             Das muss damit zu tun haben, dass die Quelle der Himmelbilder unserer Kultur eher ein Rest der mittelalterlichen Welt als der antiken Welt sind - und der faktischen Logik, die in dem mittelalterlichen Weltbild lag als einem genauen Spiegel nicht nur der Sinne von Menschen sondern auch ihrer Gefühle.

             Wir sagen doch noch immer, dass die Sonne "aufgeht" und dass sie "untergeht"; denn das ist es, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, - und im Übrigen kommen wir ausgezeichnet damit zurecht, dass es physisch betrachtet doch die Erde ist, die sich bewegt, während die Sonne stillsteht.

             Und soll sich der Mensch physisch und geographisch im Verhältnis zu Gut und Böse verhalten, dann sitzt der liebe Gott fortgesetzt - für die Sehweise des Gefühls - in seinem Himmel, während sich die Hölle, die Tiefe, unter der Erde und in den Kammern der Finsternis befindet.

             Die ganze traditionelle religiöse Erziehung, die auf jeden Fall bis Mitte des letzten Jahrhunderts gewirkt hat, hat diese Bilder des Oben und Unten im Bewusstsein eines jeden Kindes hervorgebracht und dem Kind eine Raumauffassung vermittelt, so dass es sich in der Welt hat zuhause fühlen können.

             Es gibt mentale Grenzen für das Bewusstsein, und sowohl gefühlsmäßig als auch sprachlich ist dieses alte Weltbild quicklebendig.

             Aber es ist nicht lebendig für das öffentliche - und offizielle - Denken, denn im Namen der Vernunft, der Physik und der Säkularisierung wurden sowohl Gott als auch der Teufel aus der Welt hinausgedacht, weshalb der Gegensatz zwischen Gut und Böse physisch entwurzelt - heimatlos - gemacht und die äußere Welt somit indifferent geworden ist - was für das Gefühl glücklicherweise nicht geschehen ist und nie geschehen wird, wie ja auch die Sprache nicht indifferent über die Welt reden kann.

             Die Bilder sind also Bilder der Zivilisation, genährt von einer Kirchlichkeit, die einst die geistigen und moralischen Maßstäbe für die Welt festlegte und den europäischen Menschen umschloss.

             Aber nun muss man hinzufügen, dass diejenige Macht, die im Spiel zwischen Erlösung und Verdammnis den Zugang zum Himmel und entsprechend zur Hölle verwaltet, eine Macht von ungeheuren Ausmaßen ist, denn man hat Zugriff - nicht auf den Glauben von Menschen - sondern auf ihre Gefühle. Und genau dies ermöglicht Kontrolle und Lenkung. Und führt zu Missbrauch. Alle Macht korrumpiert. Geistige Macht inbesbesondere - leider.

             Haben wir so gesehen überhaupt einen Zugang zu den Himmelbildern, die wir in den Evangelien besitzen? Ich meine, es ist schwer, denn wie kommt man um diese oben-und-unten-Bilder herum, die zu unserem kulturellen Erbe gehören, und dann wieder zu Himmelsvorstellungen, die so ausgesprochen irdisch sind?

             Wie ein Mann, der einen Acker kauft, ein Handelsmann, der eine Perle oder ein Netz voller Fische haben will, die dann sortiert werden in Speisefisch und Abfall?

             Nur das letztgenannte Bild oder Gleichnis tangiert die religiöse Vorstellungswelt als die drohende Gerichtsszene, in der die Engel Gottes am Ende der Welt die Bösen von den Gerechten trennen und im Feuerofen gut einheizen, ein Bild, das mich an die grauenvollen Bilder vom Jüngsten Gericht von Hieronymus Bosch und an Gaskammern menschlicher Erniedrigung erinnern.

             Wenn es einen Begriff gibt, der nicht nur diese drei Gleichnisse, sondern auch die Bilder der Kultur miteinander verbindet, dann ist es "Scheidung" oder "Entscheidung".

             Also: Einer will den Schatz haben, der in dem Acker verborgen ist, und folglich leert er alle seine Konten für den Kauf dieses Ackers.

             Oder ein Handelsmann investiert sein ganzes Vermögen in eine Perle.

             Oder ein Fang: wir nehmen nur die guten Fische - den Rest schmeißen wir weg.

             Und dann die Bilder der Kultur: eines Tages wird die Welt entschieden werden.

             Der Käufer des Ackers entscheidet sich. Der Kaufmann, der die Perle kauft, entscheidet sich. Die Fischer entscheiden sich. Gottes Engel tun es auch.

             Und eines Tages wird die Welt unterschieden werden, geschieden in Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte.

             Aber was ist das dann für eine Weisheit, in einem solchen Himmelreich angelernt zu sein, diese merkwürdige Aussage, mit der der Text endet? Dieses seltsame Bild vom Hausvater, der Neues und Altes aus seinem Vorrat hervorholt? Es mag sein, dass die Jünger es verstanden haben. Ich habe es nicht verstanden.

             Die Entscheidung ist nicht kalkulierend. Sie ist auch nicht rationell. Sie ist nicht durchschaubar oder voraussagbar.

             In den beiden ersten Gleichnissen kommt die Entscheidung als ein Bild von innen her, indem der Mann von dem Gedanken an den Schatz im Acker und der Kaufmann von der einzigartigen Perle, die er unbedingt besitzten muss, besessen ist.

             Das kann ich verstehen, denn in einer solchen Besessenheit liegt eine gewaltige Kraft. Sie ist irrationell und gefühlsstark. Ich muss es, ich tue es, und ich handle danach. Und in der Erfüllung liegt eine Freude, die eine Freude des Himmels ist, der große Augenblick.

             Aber es wird nichts darüber gesagt, ob der Mann und der Kaufmann gut oder böse sind. Sie sind nur von etwas besessen.

             Die Szene mit dem Fischfang und dem Feuerofen scheint mehr geschäftsmäßig und kühl: wie die Fischer den Fang scheiden müssen, müssen die Engel Gottes am Ende der Welt die Menschenrechnung entscheiden.

             Ich meine, wir kennen die Besessenheit, wo eines wichtig ist. Wo eine Sache entscheidende Bedeutung erhält und sich auf einen setzt wie eine Leidenschaft, die nur eines will und alles andere aussortiert.

             Ist es dann auch so mit dem Gericht über die Welt?

             Ja, das muss man ja sagen. Es enthält eine Leidenschaft nach der Entscheidung.

             Von Seiten Gottes? Oder von unserer Seite?

             Da niemand von uns für Gott sprechen kann, können wir es aus seiner Sicht nicht entscheiden. Aber der Mensch hat ein Bild in sich von einer solchen Leidenschaft für die Entscheidung. Ich glaube, dass es eine Durchleuchtung von Menschen und der Welt ist, eine Abklärung - und damit auch eine Enthüllung.

             Dass die Wahrheit offenbar wird. Dass alles, was verborgen ist, an den Tag kommen wird.

             Und dies - so möchte ich dann persönlich sagen - dies muss das Himmelreich sein.

             Die Himmelbilder der Kultur spiegeln eine Bewusstseinsmacht wider, die im Spiel zwischen Erlösung und Verdammnis mit den Gefühlsbildern von Menschen schalten und walten konnte. Die Entscheidung lag außerhalb des Menschen.

             Heute sitzen diese Bilder innen in den Individuen und werden sozusagen zu persönlichen Spiegeln der Welt und des Universums. Dadurch erhält unsere Kultur einen gewissen narzissistischen Zug, die Kunst der Selbstbezogenheit, wo man in Wirklichkeit die Umwelt von sich ablegt, um sich auf seine eigene Einsamkeit zu konzentrieren und um gerettet zu werden durch die Aussage: Ich habe es gut gemeint.

             Wenn es so mit einem bestellt ist, ist man nicht im Himmelreich angelernt.

             Denn es fehlt einem jegliche Leidenschaft. Man begibt sich nicht auf Schatzsuche. Man setzt nicht für eine Perle alles aufs Spiel. Man nimmt als gegeben hin, dass man in den Himmel kommt - denn ist Gott vielleicht nicht gut? - und - noch mehr - habe ich es vielleicht nicht gut gemeint?

             Auf diese Weise enden wir alle im Himmel.

             Das ist sehr clever.

             Aber ich glaube nicht daran.

             Denn die Entscheidung ist immer gewaltig. Jede Entscheidung ist es.

             Dafür aber schwitzt, riecht und atmet die Entscheidung nach Leben, Fleisch und Puls.

             Das tut das Leben der künftigen Welt auch, so wahr Gott der lebendige Gott ist und nicht bloß eine begriffsmäßige Schleife über dem All, zur Beruhigung aller.

             Aber vielleicht ist die Pointe die, dass wir alle gern in Frieden mit uns selbst leben möchten.

             Dazu kommt man nur, wenn man sich mit der Wirklichkeit und ihrer

Entscheidung versöhnt, und - so im Himmelrich angelernt - neue und alte Dinge aus seinem Vorrat holen kann.

             Dass Gott dasselbe tut, angelernt vom Leben der Erde, und uns eine neue Geschichte gibt - weshalb das Leben der künftigen Welt nicht die Lösung ist, sondern die Zukunft im klaren Licht der Entscheidung.

 

Amen

 



Pastor Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col@km.dk

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