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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 06.04.2007

Predigt zu Matthäus 27:31-56, verfasst von Johannes Værge

Karfreitag. Jesu Tod am Kreuz. Wie wenn sich in dem Bild die Unbarmherzigkeit dieser Welt, die Finsternis in der Welt und in uns konzentriert. Wie wenn sich hier all das Leiden sammelt, dem unschuldige Menschen ausgesetzt sind, all der tödliche Schaden, den wir einander zufügen.

             War das der Sinn, dass sich das Leben Jesu so entfalten sollte, dass es so hart endete? War das von vornherein so geplant?

             Als Jesus - nachdem Johannes der Täufer ihn getauft hatte und der Himmel sich öffnete und sich der Geist Gottes ihn auserwählte, ihn ernannte - als Jesus sein Wirken für Gott unter den Menschen beginnen, die Öffnung zu Gott hin sein sollte, mit der Vollmacht Gottes, da wurde er versucht. Die Versuchung in der Wüste. Die Versuchung, sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse vor Augen zu haben - was ihn daran hindern würde, völlig frei zu sein gegenüber anderen, ihn bremsen würde, ganz frei dazustehen, um für andere dazusein. Jesus sagte "nein" zu dem Versucher, "ja" zu seiner Aufgabe von Gott, "ja" zu seiner eigenen Unbeschütztheit.

             Es war keine Selbstverständlichkeit, in dem Sinne keine Notwendigkeit, dass Jesu Leben so war, wie es sich dann herausstellte. Er hätte "ja" zu dem Versucher sagen können. Dass es tatsächlich eine Versuchung war und nicht bloß ein Versuch, dem breiten Publikum etwas vorzumachen, wird deutlich durch Jesu heftige Reaktion, als der Jünger Simon Petrus bei einer späteren Gelegenheit versuchte, Jesus auf "bessere" Gedanken zu bringen, als seinem Leiden in Jerusalem entgegenzugehen, das Schicksal auf sich zu nehmen. Da war es die lockende Stimme des Satans, die Jesus wiedererkannte. "Geh weg von mir, Satan!" war seine starke Reaktion gegen Simon Petrus.

             Jesus war in dem Sinne nicht gezwungen, den Weg zu gehen, der dann tatsächlich sein Weg war. Er hätte es vorziehen können, vorsichtiger zu sein, die Pharisäer, die Schriftgelehrten und die führenden Leute am Tempel in Jerusalem nicht in dem Maße herauszufordern. Er hätte mit seiner Botschaft zurückhaltender sein können, seinen Wandel diskreter, mehr angepasst gestalten können, und er hätte sich an jenem Osterfest von Jerusalem fernhalten können, als die führenden Kreise ihre gesteigerte Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatten. Er hätte es vermeiden können, sich selbst so aufs Spiel zu setzen.

             Aber was hätte er den Menschen geben können, wenn er auf diese Art und Weise sich mehr wie wir anderen verhalten hätte, wenn er sich auch nur ein bisschen gebeugt hätte? Was wäre sein Erbe gewesen, wenn er sich auch nur ein wenig zurückgehalten hätte? Was hätte die Nachwelt überhaupt von Jesus von Nazareth im Gedächtnis behalten, wenn er auf die Konsequenz seines Lebens verzichtet hätte? Nichts, nehme ich an. Die Erinnerung an diesen Menschen irgendwo am Rande des Römischen Reiches wäre binnen Kurzem verschwunden. Einige Aussprüche, einige weise Sätze wären vielleicht niedergeschrieben und in Umlauf gebracht worden, aber etwas Entscheidendes, etwas, das Epoche gemacht hätte, wäre dabei nicht herausgekommen. Nur weil er sich selbst aufs Spiel gesetzt hat, den Weg ganz gegangen ist, seine Botschaft dem Prüfstein des Schlimmsten, das es gibt, ausgesetzt hat, nur darum ist seine Bedeutung so groß. Nur weil er nicht nachgab, sich nicht selbst schützte, wurde es Ernst - brachte es entscheidende Frucht. War es epochemachend.

             In der Zeit nach Jesus, in den Gedanken, die man sich in der Nachwelt über sein Lebensschicksal machte, entstand die Formulierung, dass Jesus mit seinem Tod für die Sünden der Menschen, für unsere Sünden bezahlte. Ein Verständnis von alten Opfervorstellungen her: Dass Jesus Versöhnung zwischen Gott und Menschen schuf, schuf Balance, indem er mit seinem Tod bezahlte.

             Ich glaube nicht, dass dies die richtige Art und Weise ist, dies zu formulieren. Ich glaube, dass dies eine verkehrte Art der Betrachtung der Bedeutung Jesu ist.

             Als ob Gott irgendwie seinen Tod gewünscht und geplant hätte. Als ob der Tod Jesu irgendwie in der Kränkung Gottes, im Zorn Gottes begründet gewesen wäre.

             Nein, sein Tod war durch den Zorn der Menschen verursacht. Es waren die Menschen und nicht Gott, die beschlossen, Jesus töten zu lassen. Es war die Selbstgerechtigkeit in uns Menschen, die sich entschied, ihn zu entfernen, ihn, der Gottes Vergebung verlebendigte.

             Es liegt tief in uns Menschen, dass wir die Rechnung aufgehen lassen wollen. Sie soll auf Gegenseitigkeit beruhen. Darum duldete man Jesu Haltung zu missglückten und verachteten Menschen nicht - d.h. seine Offenbarung der offenen Arme Gottes, der Öffnung auch für sie zum Reich Gottes. Sein Bild von Gott. Sein Niederreißen der Schranke zwischen Sündern und den sogenannten Gerechten. Es musste doch einen Unterschied geben! Seine Enthüllung der Heuchelei der Selbstgerechten duldete man nicht.

             Im Auftakt zum Drama von Karfreitag, in der Erzählung vom Gebet Jesu im Garten Gethsemane vor der Gefangennahme, hören wir Jesus zu Gott beten, dass er vom Tod verschont würde - wenn der Wille Gottes ohne diese Konsequenz geschehen könne.

             Der Tod war nicht das Ziel für Jesu Weg. Er sollte nicht leben und wirken, um zu sterben. Sondern um Gott zu offenbaren.

             Ich kann das nur so verstehen, dass sein Tod nicht der Wille Gottes war. Sein Tod war das Ergebnis, das tragische und gelinde gesprochen bedenkenswerte Ergebnis, weil die Menschen die Offenbarung Gottes, Gottes Willen nicht ertrugen.

             Der Wille Gottes mit ihm war, dass er an die Menschen ausgeliefert sein sollte, dadurch bereit zu dem Leiden, das ihm daraus entstehen würde. Er sollte die Öffnung zum Reich Gottes in das Leben der Menschen einsetzen, sich ohne Vorbehalte ausliefern. Und das zog  die dunklen, lebenszerstörenden Kräfte an und enthüllte sie dadurch, die dunklen Kräfte, die wir von uns selbst kennen: den charakteristischen Zug, dass wir unserem abgestumpften "Gerechtigkeitsempfinden" Grenzen für die Vergebung ziehen - oder Grenzen dafür, wieviel wir einander gönnen. In Gedankenlosigkeit oder Abgestumpftheit töten wir so viel vom Lebendigen in einander, aus Verängstigung beschützen wir uns selbst - oder glauben wenigstens, uns zu beschützen, indem wir dem Leiden und der Finsternis in uns selbst gestatten, andere zu peinigen. Wir schaffen falsche Bilder von uns selbst. Wir können, in der Regel ohne dass es unser Wille wäre, einander - und damit uns selbst - verraten und im Stich lassen. - Weil wir selbst im Stich gelassen worden sind? Oder benutzen wir Erklärungen dieser Art länger, als gut ist - um die Verantwortung von uns zu schieben? Jedenfalls leben wir in eine Wirklichkeit gebunden, in der Verrat, Finsternis und Falschheit herrschen.

             Vieles könnte anders sein. Aber wir empfinden auch die Ohnmacht. Die Ohnmacht, ja.

             Gestern, Gründdonnerstag, hörten wir, wie Jesus bei seiner letzten Mahlzeit mit seinen Jüngern all das, was sein Leben bedeutete, in dem Brot und dem Wein sammelte, die er den Jüngern gab - und er bat sie, es an uns, so wie wir sind, weiterzugeben. Er sammelte all das Lebenspendende und Versöhnende, das seine Worte und Taten und seine Art zu leben bedeuteten, in dem Brot und dem Wein. Gewöhnlich drückt man das so aus, dass Brot und Wein dadurch verwandelt wurden. Aber zutiefst ist es wohl eher die Gemeinschaft um das Brot und den Wein, die verwandelt wurde, so dass es uns länger trägt, als wir uns selbst tragen können, so wie wir sind - so dass es über das Sichtbare hinausreicht, weit über das Sichtbare hinaus, tief hinein in das Reich Gottes, uns von da aus nährt als die, die wir sind.

             Heute ist es das Kreuz, das sich vor unserem Blick erhebt, und wiederum versammelt sich eine Kette von Bedeutungen in einem Bild. Wie wenn all das Leiden, dem unschuldige Menschen jetzt und jederzeit ausgesetzt sind, all der tödliche Schaden, den wir uns gegenseitig zufügen, wie wenn all das dort gesammelt ist, dort zum Ausdruck kommt. All das Leid, in dem wir keinen Sinn erkennen können. Jesu Tod am Kreuz - in diesem Bild sammelt sich die Unbarmherzigkeit dieser Welt, die Finsternis in der Welt und in uns.

             Aber wie die Gemeinschaft um das gewöhnliche, irdische Brot und den Wein verwandelt wurde, indem die Bedeutung von Jesu Leben in dem Brot und dem Wein vereint wurde, so wird auch das Leid in der Welt verwandelt, indem das Kreuz den Schmerz aller Menschen, die Sinnlosigkeit sammelt, indem das Kreuz die Macht der Finsternis in sich versammelt: Wir sehen vor unserem inneren Blick die Finsternis von dem Todesbaum weichen, in einem merkwürdigen Morgenrot von Gott bekommt er Knospen, grüne Blätter, Schößlinge... Eine merkwürdige, wunderbare Öffnung in der Dichte des Leidens.

             Karfreitag ist ein einzigartiger Schmerzenstag, Tag der Trauer, Tag der Sinnlosigkeit. Aber wir können es ertragen, dem in die Augen zu sehen, unsere Ohnmacht ertragen, unsere Verbundenheit mit dieser Tiefe der Finsternis in uns annehmen, weil etwas dahinter steht - von Gott. Es ist eine Passage, eine notwendige Passage; es ist nicht das Letzte. Wir warten, wir müssen auf das warten, was vom Ostermorgen an folgt: der Todesbaum setzt Knospen, grüne Blätter, Schößlinge.

Amen.



Johannes Værge
Callisensvej 2,3th
DK-2900 Hellerup
Tel.: ++ 45 - 33 14 10 91
E-Mail: johs.v@mail.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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