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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 30.11.2008

Predigt zu Matthäus 21:1-9, verfasst von Christian-Erdmann Schott

Liebe Gemeinde,

aus dem weiteren Verlauf der Passionsgeschichte wissen wir, dass der Jubel - zumindest eines Teiles dieser Festpilger - auf einer Fehleinschätzung beruht. Diese Pilger jubeln, weil sie in Jesus einen politischen Hoffnungsträger sehen, einen Volkshelden, der die schon von den Propheten angefachte Hoffnung auf nationale Größe für Israel umsetzt, einen Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht anführt und Israel befreit. Es ist sehr gut möglich, dass es auch unter den Jüngern Anhänger dieser politisch-nationalen Hoffnung gegeben hat, zum Beispiel Judas. Judas gehörte ja dann auch zu denen, die sich in dieser Erwartung getäuscht sahen und sich von Jesus abwandten als sie merkten, dass es in eine ganz andere Richtung geht.

Dieser Verlauf, der vom „Hosianna" über den Stimmungsumschwung mit der Option des Volkes für Barrabas (und nicht für Jesus Christus) bis zum „Kreuzige ihn" geführt hat, gehört aber eigentlich mehr in die Passionszeit. Dort wird über den Einzug Jesu in Jerusalem an Palmarum gepredigt, dem Sonntag, der die Karwoche eröffnet und uns dann über alle Wendungen des Passionsgeschehens hinweg bis zum Tod Jesu am Kreuz begleitet.

Heute hören wir die Geschichte vom Einzug in Jerusalem als Evangelium zum 1. Advent. Dabei möchten wir uns als christliche Gemeinde, sozusagen in der Verlängerung dieser Geschichte, gern bei denen sehen, die den einziehenden Christus willkommen heißen und im Geist des Psalms dieser Woche mit Freude in den Ruf einstimmen: Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe! (Ps.24) Aber da ist die Frage, die schon viele gestellt haben und die sich angesichts dieser Geschichte, angesichts des unprätentiösen, schon ans Lächerliche grenzenden Erscheinungsbildes dieses Mannes auf dem Esel geradezu aufdrängt: Ist das wirklich „der König der Ehren"? Sieht ein „König der Ehren" so aus?

Bevor wir uns in die Kette der Begeisterten aller Jahrhunderte einreihen, möchten wir schon wissen: Warum ist sein Auftreten als Sohn Gottes in unserer Welt nicht ein strahlendes, herrliches, großartiges Ereignis, das in dieser Welt sichtbar und für jeden überzeugend-mitreißend Gottes Macht aufleuchten lässt und uns in seinen hellen Machtbereich hineinzieht? An dieses Ziel der Aufrichtung des Reiches Gottes in Herrlichkeit erinnern wir am kommenden Sonntag, am II. Advent. Aber warum hat sich diese Erwartung nicht von vornherein, bereits beim ersten Kommen Jesu in dieser Welt erfüllt? Warum müssen wir und mit uns alle anderen Menschen tagtäglich so viele Widerwärtigkeiten weiterhin ertragen? Hätte es nicht der Liebe Gottes entsprochen, die Welt in seinem Sinn radikal zu verwandeln und uns von diesen Übeln zu befreien?

Wir wissen, dass das die Anfrage ist, die bereits das Judentum an Jesus Christus gerichtet hat und mit der es bis heute die Ablehnung seines Messias-Anspruches begründet. Und was das Judentum offen artikuliert, ist vielen Christen als Anfrage keineswegs fremd. Es ist die alte Frage: Warum kommst Du so, wie Du kommst - arm, unscheinbar, ein König ohne ein greifbares, sichtbares Königreich?

Von allen Antworten, die ich auf diese Grundfrage des Christentums gefunden habe, hat mir am meisten die eingeleuchtet, die der Apostel Paulus im Galaterbrief formuliert hat: Als die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn....Das heißt: es war Gottes Wille, Gottes Ratschluss, zu diesem Zeitpunkt, in dieser Gestalt, in dieser Umgebung Jesus Christus erscheinen zu lassen. Hinter diesen Beschluss Gottes können wir nicht zurückfragen. Wir können es nur annehmen - im Glauben, dass er diesen Weg mit der Menschheit gehen wollte, damit wir die Kindschaft empfingen (Gal,4,4-5)., das heißt: damit wir in dem weiterhin bestehenden Zustand der Welt, im Rahmen ihres nicht aufgehobenen Soseins nicht verzweifeln und uns an die Gegebenheiten ausgeliefert fühlen, sondern wissen, wir sind und bleiben Kinder Gottes, des Schöpfers, dem auch die Zukunft gehört.

Die Stärkung dieses Kindschafts-Bewusstseins, des Glaubens an „Unsern Vater in dem Himmel", der, auch wenn wir es nicht sehen und erkennen, die Fäden in den Händen hält und uns nicht aufgegeben hat, ist die Mission des Gesandten, des Sohnes. Er hat die Menschen auf diese Beziehung angesprochen, er hat sie ermutigt, aus ihr Kraft, Vertrauen, Freiheit zu schöpfen und sich von den scheinbar unüberwindlichen Mächten Ungerechtigkeit, Tod, Angst, Lieblosigkeit nicht beherrschen zu lassen, sie nicht als letztgültige Wirklichkeiten anzuerkennen und so im alten System die herrliche Freiheit der Kinder Gottes (Röm. 8, 21) zu leben.

Die Geschichte vom Einzug in Jerusalem zeigt etwas von dieser Freiheit. Jesus weiß, dass ihm in Jerusalem der Tod droht. Aber er lässt sich davon weder abschrecken noch beirren. Er reitet dem Tod entgegen, von einem ängstlichen Zögern ist nichts zu hören. Er ist mutig, weil er hinter dem Leiden und hinter dem Tod Gott weiß. In seine Hand wird er fallen. Und er wird, nach innerem Ringen, in Gethsemane einwilligen in die (vorläufige) Weitergeltung der gegenwärtigen vom Tod bestimmten Weltordnung. Er hebt sie nicht auf, diese Ordnung, aber er lebt in ihr bis zu seinem physischen Ende wie ein souveräner Herr.

Dazu hat er die Menschen ermutigt und sie aus ihrer Angst, ihren Krankheiten, ihren gesellschaftlichen Zwängen, ihren religiösen Vorurteilen, ihrer Blindheit, ihrer Phantasielosigkeit herausgelockt und so bis heute nach- und weiterwirkend viele Wunder vollbracht und erreicht, dass Menschen in dieser alten Welt ihre Würde, ja sogar die Freude und die Begeisterung für das Leben mit Gott entdecken und wieder finden.

Wenn wir den Einzug in Jerusalem so verstehen, dann können wir uns in der Tat an die Seite derer stellen, die jubeln und sich freuen, dass er gekommen ist - der König der Ehren - und zugleich bitten, dass er auch heute zu uns, zu mir kommt, um mich hineinzurufen in diese einmalige herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

 Ach mache du mich Armen / zu dieser heil`gen Zeit /
 Aus Güte und Erbarmen, / Herr Jesu, selbst bereit. /
 Zieh in mein Herz hinein / Vom Stall und von der Krippen, /
 So werden Herz und Lippen / dir allzeit dankbar sein. (EG10,4).

Amen.



Dr. Christian-Erdmann Schott
Mainz-Gonsenheim
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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