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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 30.11.2008

Predigt zu Matthäus 21:1-9, verfasst von Werner Schwartz

Da steht der Adventskranz. Heute wird die erste Kerze angezündet, hier in unserer Kirche und bei Ihnen zu Hause. Eigentlich eine seltsame Sitte. Wir sind doch Tatsachenmenschen heute, gewohnt, kühl zu überlegen, sachlich zu denken und Zweck und Mittel zu kalkulieren. Eigentlich ein bisschen unsinnig, diese brennenden Kerzen. Elektrisches Licht ist viel heller. Was bringt eine Kerze schon an Helligkeit in einen dunklen Raum?

Wir sind Tataschenmenschen heute, und doch ärgern wir uns, wenn jemand so zu uns redet. Natürlich, es ist wahr: Das Licht, das aus der Glühbirne, aus der Neonröhre kommt, ist heller. Dagegen ist nichts zu sagen. Der Tannenbaum mit den elektrischen Kerzen passt gut zu unserer geschäftigen, vom Geschäft bestimmten Welt: Zur Ladenstraße, zu den Autos, den Plattenspielern.

Doch am Adventskranz wenigstens bleiben die Kerzen. Denn wir spüren: wer dieses Licht gegen jenes ausspielt, weiß noch nicht viel von Kerzen und ihrem Schein, von einer Wärme, die gegen die Kälte steht, vom Leben im Kerzenlicht und von der Faszination des Lebendigen, der flackernden Flamme. Er weiß noch nicht viel von Menschen, die mehr brauchen als nackte Tatsachen und Zwecke, die von Hoffnungen leben und sich nach Geborgenheit sehnen. Und wer täte das nicht?

Weihnachten kommt heran, die Botschaft des Friedens kündigt sich an, den Gott in unsere Welt hinein gebracht hat, obwohl es immer noch Feindschaft und Kriege gibt, obwohl immer noch Unfriede im Großen und im Kleinen herrscht.

Tatsachenmenschen haben es da leicht, zu lachen uns zu spotten. Nach wie vor Geschäfte mit Waffen, ein kühles Kalkulieren mit Abschreckung, Drohung, Angst, die den Frieden notdürftig sichern, ein zynischer Verweis auf Ungerechtigkeit, die besteht, solange es Menschen gibt. Vielleicht ist das realistisch. Aber kann das die ganze Wahrheit sein über den Menschen, über seine Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden?

Es ist nicht die Wahrheit, sagt unser Glaube. Da ist zum Beispiel das Bild, das unseren Predigttext zeichnet. Es recht bekannt, Jesu Einzug in Jerusalem.

Auch in dieser Geschichte gibt es manches, was Tatsachenmenschen stört: Der unbändige Jubel vor Toren der Stadt, diese ausgelassene, schreiende, jauchzende Menschenmenge die den, der da geritten kommt, in den Himmel hebt, ihm einen Empfang bereitet wie einem König. Viel sachlicher, vernünftiger scheint da die kritische Frage der Menschen in der Stadt: Wer ist der? Sie verlangen Rechenschaft, Begründungen, Beweise und misstrauen vorschnellem und vorlautem Hosianna. Sie wollen prüfen, bevor sie jubeln.

Noch eines stört: Der Esel. Dieses störrische Tier ist gerade gut, um Lasten zu tragen. Aber als Reittier? Es gibt bessere Reittiere, stolzere, königlichere. Das Pferd zum Beispiel. Wie es helleres Licht gibt, als das Licht von Kerzen. Und doch könnte ein Pferd den Esel nicht ersetzen. Denn der Esel trägt die Verheißung: Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig, und reitet auf einem Esel. Der Esel gehört dazu. Er trägt den, der die Verheißung erfüllt, mit dem Gottesreich des Friedens kommt, anbricht.

Eine seltsame Erfüllung ist das aber. Die Tatsachenmenschen jener Zeit merken nichts. Für sie ist alles ein kleines Spektakel am Rande, am besten übergeht man es, ohne es groß zu beachten. Einer, der auf einem Esel in die Stadt reitet, und ein paar Schaulustige, die ihn umjubeln. Der eigene Alltag wird nicht einmal gestört von diesen Vorfällen. Kein Römer kommt heraus aus der Stadt und wirft seine Waffen fort. Alle bleiben sie auf ihren Posten. Kein Schriftgelehrter, kein Pharisäer, kein Hoherpriester eilt herbei und gibt seine gesetzliche Frömmlichkeit preis. Alle bleiben sie dabei: Gott liebt die Tüchtigen und Ordentlichen, die, die so sind, wie unsereiner, die, die sich abmühen, die Gebote bis ins kleinste Tüttelchen zu erfüllen.

Dennoch ist mit Jesus die Erfüllung der alten Sehnsucht nach Frieden, nach dem Ende des Streits und der Ungerechtigkeit gekommen. Er kam zu den Armen und zündete ihnen ein Licht der Hoffnung an. Selbst einer, der arm war, in einer Viehhöhle geboren, im Futtertrog niedergelegt, Zimmermannsohn, gar nicht königlich, einer, der durch die Lande zieht, ohne einen Platz, wo er sein Haupt niederlegt, angewiesen auf das, was andere ihm geben. Er zieht in Jerusalem ein auf einem Esel. Und doch ein Licht der Hoffnung, das manchen aufgeleuchtet ist: Sie erkennen, dass er es ist, mit dem die Freundlichkeit Gottes sich allen Menschen zuwendet. Das spüren die Menschen in seiner Umgebung. Er ist es, mit dem die Herrschaft Gottes beginnt, mit dem der Friede anbricht.

Er kommt zu den Ausgestoßenen, den Leuten am Rand, und bringt neuen Lebensmut mit. Denn er bringt ihnen den Frieden mit Gott, mit sich selbst und mit der Welt. Er zeigt ihnen die offene Tür aus ihrer Schuld und aus dem Teufelskreis der Ablehnung heraus. Er begegnet ihnen wie ein Mensch und hilft ihnen, daran wieder selbst zu Menschen zu werden, die wissen, dass sie wertvoll sind. Er zeigt ihnen, dass so der Weg zurückführt in die Gemeinschaft mit anderen Menschen.

Er kommt zu den Elenden, zu den Kranken, die ihren Mut verloren und sich mit ihrer Krankheit abgefunden haben. Er macht sie frei aus dieser Verstrickung, gibt ihnen das Vertrauen zum Leben und zu ihrem Schöpfer zurück und bringt sie so auf den Weg der Gesundung. Dieses Vertrauen heilt manche Krankheit, auch im übertragenen Sinn: Augen, die blind sind vor Hass, werden wieder sehend, denn sie lernen ihre Umgebung in Liebe zu sehen. Gefühle, die abgestorben sind, werden wieder lebendig. Der ganze Mensch wird neu und heil.

Das Geheimnis dieser verwandelnden Kraft: Jesu Sanftmut, sein Mut, sanft und barmherzig zu sein, bereit zur Vergebung, zum Neuanfang. Diesen Mut hat er. Dieser Mut ist die gelebte Liebe Gottes. Es ist nicht der Mut zur Nachsicht um jeden Preis, es ist nicht Konfliktscheu, das Bemühen, Frieden oder scheinbaren Frieden zu bewahren, koste es, was es wolle.

Im Gegenteil: Jesus erregt mit vielem, was er sagt, und etlichem, was er tut, Anstoß. Er stellt sich vielen und vielem entgegen. Im Anschluss an die Geschichte vom Einzug in Jerusalem wird bei Matthäus erzählt, wie Jesus die Händler und Geldwechsler aus dem Tempelhof vertreibt.

Jesus lässt es immer dann auf den Konflikt ankommen, wenn jemand Gott zu seinen eigenen Zwecken missbraucht. Wenn die Anständigen oder Frommen Gott ins Feld führen, um die weniger anständigen und frommen aus ihrer Gemeinschaft auszuschließen. Wenn im Namen Gottes Geschäfte gemacht werden. Aber Ziel im Konflikt ist nicht, den anderen zu vernichten, nicht einmal ihn zu besiegen, sondern ihm zu einem freien, menschenwürdigen Leben zu helfen.

Nun haben freilich Tatsachenmenschen auch weiterhin gut lachen. Jesus zieht als Bettlerkönig in Jerusalem ein. Ihm stehen Leiden bevor und das Kreuz. Wenn sein Reich des Friedens gekommen ist, dann ist es jedenfalls kaum erkennbar. Was nicht erkennbar, was verborgen ist, mit dem ist es wohl auch nicht weit her.

Doch der Einzug Jesu ist nicht rückgängig zu machen. Gott hat durch ihn unsere Welt verändert - und uns. Gottes Herrschaft lässt sich nicht aufhalten. Seine Liebe wird unsere Welt und unser Leben bestimmen, und am Ende wird sich dies für alle erweisen. Was mit Jesus geschehen ist, ist geschehen und ist noch gegenwärtig. Seither sind wir und die Welt anders geworden. Seither ist das Bild des Mannes gegenwärtig, der auf dem Esel reitend in Jerusalem einzieht, und der sanftmütige Friedenskönig wird recht behalten.

Es ist gut, dass es nicht nur das helle Licht der Glühbirnen und Neonreklamen gibt, nicht nur die Sprache der Waffen, nicht nur die Geste des Tretens nach unten und Duckens nach oben, nicht nur die Ellbogen derer, die sich durchsetzen.

Wir brauchen die Kerzen und den Esel, die Advents- und Weihnachtszeit mit ihren Liedern und ihrem Raum für Gefühle, damit sie uns daran erinnern: Tatsachenmenschen können zwar die Erde zertrampeln, aber Gottes Stern wirft Licht auf einen anderen Weg, auf den Weg der Sanftmut und der Liebe, auf den Weg, auf dem er kommt. Hosianna dem Sohn Davids. Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn.

Ob dieser Jesus es uns wert ist, dass wir ihm Kleider und Zweige auf den Weg legen, damit er auch in unserer Stadt einziehen kann?



Dr. Werner Schwartz
Diakonissen Speyer-Mannheim
E-Mail: werner.schwartz@diakonissen.de

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