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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 30.11.2008

Predigt zu Matthäus 21:1-9, verfasst von Erik Fonsbøl

Jedes Jahr zur Osterzeit begab sich der römische kaiserliche Statthalter Pontius Pilatus von seiner Residenz am Meer bei Caesarea - der jungen Stadt, die nach Caesar benannt war - nach Jerusalem, um dort seinen alljährlichen Einzug zu halten.

             Es war ein Einzug mit Kolonnen von Pferden und Männern in Leder und Eisen. Es gab Fahnen und Posaunen - das gesamte römische kaiserliche Aufgebot an militärischer Macht trat auf - und das war denn auch der Sinn der Sache, dass Jerusalem, die Brutstätte so mancher Aufstände gegen die römische Macht, mit eigenen Augen sehen konnte, dass die gesamte militärische Macht bereit war. Die Menschen sollten sehen und begreifen, dass jede Form des Widerstandes hoffnungslos war.

             Und die Menschen standen da und schauten - stumm, vielleicht verdutzt, beeindruckt von dem kolossalen Machtaufgebot - aber auch mit insgeheim geballten Fäusten - zornig und ohnmächtig angesichts dieser hoffnungslosen Besatzung durch diese römischen Heiden, die nun schon fast 70 Jahre lang das jüdische Volk geplagt und ausgebeutet hatten, und jetzt fester denn je im Sattel saßen. Wie lange, Herr? Wie lange noch willst du dein Volk von diesen kriegswütigen Barbaren mit Füßen treten lassen? Und dann dieser sadistische Tyrann Pontius Pilatus, der den Tempelplatz durch seine willkürlichen Gemetzel an unschuldigen Menschen in ein Schachthaus verwandelt hat. Dort erschien er - zu Pferde - in seiner golden schimmernden Rüstung, mit federgeschmücktem Helm und rotem Umhang. Schnittig, siegreich, unbesiegbar...

             All dies ereignete sich am Westtor, wo der Weg von Caesarea nach Jerusalem ging. Auf der anderen Seite der Stadt, am Osttor, wo der Weg von Norden her in die Stadt führt, wurde an diesem sonnigen Frühjahrstag auch ein Einzug veranstaltet. Ein Einzug, der in vielen jüdischen Herzen unter Bauern und Sklaven und anderen braven Leuten aus der ärmsten Bevölkerung eine schwache Hoffnung weckte. Ein Prophet aus Galiläa hatte seinen eigenen Einzug genau auf diesen Tag gelegt - und was für einen Einzug, verglichen mit dem römischen an anderen Ende der Stadt! Auf einem Esel reitend - völlig allein - hielt dieser merkwürdige Mann seinen alternativen Einzug in der Stadt. Er hielt ihn gemäß dem Propheten Zacharias, der einst über Israel geweissagt hatte: Siehe, dein wahrer König kommt zu dir, sanftmütig und reitet auf einem Esel.

             Die Armen strömten herbei. Die Elite der Stadt - die vornehmen Familien, die Priester und Mitläufer der Römer befanden sich am anderen Ende der Stadt. Aber die Armen in Jerusalems East-end erlebten etwas, was sie nie wieder vergessen sollten. Sie erlebten einen Menschen, der es wagte, offen seinen Widerstand gegen die alles beherrschende Macht im Lande - ja, in der ganzen Welt - zu zeigen.

             Völlig ruhig - aber auch auf eine Art und Weise, die sie beeindruckte - und unerschütterlich saß er da auf seinem Esel in einem einfachen Gewand - ohne alle Pracht - geschweige denn Waffen - und dann doch so strahlend wie ein Feldherr in seiner vornehmsten Kluft. Er saß da auf dem Esel des Zacharias und leugnete damit direkt jegliche Bedeutung jenes anderen Einzugs in Jerusalem.

             Sie mögen mit der ganzen Maschinerie - mit all ihrer Macht, mit all ihren Pferden und Mannschaften auftreten. Recht bekommen sie nie. Sie können unterdrücken und töten, Gemetzel auf Gemetzel veranstalten - tausend Mal kreuzigen -, aber wahr wird ihr Vorhaben nie -, und deshalb sind sie zum Untergang verurteilt.

             Erst staunten sie. Dann jubelten sie, diese hoffnungslos unterdrückten Existenzen. Und sie tanzten um ihn und schnitten Zweige von den Bäumen und legten ihre zerschlissenen Kleider vor ihn als eine Huldigung - eine Huldigung an die Wahrheit, die plötzlich wie eine lebendige Hoffnung auftauchte. Dort saß er und war gegenwärtig und ritt daher - mitten in das Zentrum der römischen Macht - und wo sollte das alles enden? Die Stunde der Freiheit war vielleicht endlich gekommen. Gott hatte sich jetzt vielleicht endlich über sein Volk erbarmt, so wie er es immer getan hatte. Hosianna - gesegnet sei der, der kommt im Namen des Herrn...

             Jesu Einzug in Jerusalem war - genau wie derjenige des Pontius Pilatus - eine Demonstration, aber hier endet jeder Vergleich. Denn während das römische Heer die Macht von Waffen und Gewalt als Mittel zur Aufrechterhaltung des Friedens demonstrierte, demonstrierete Jesus Sanftmut, Demut, Gewaltlosigkeit als Mittel zum wirklichen Frieden. Und auf diese Weise demonstriert er eine völlig andere Auffassung vom Menschen und von der Gesellschaft - eine Vision, wenn man so will, von einer anderen Weise des Zusammenlebens. Ohne Gewalt - ohne Aggression - ohne Zorn. So wie sich die alten Propheten die Gemeinschaft im Geist Gottes vorstellten - eine Gemeinschaft, die auf Liebe und Barmherzigkeit gebaut war. Eine Gemeinschaft, in der das Schwert zum Pflug umgeschmiedet wurde.

             Utopie! höhnt der Römer, der nur eine Form der Kommunikation kennt, die wirkt, nämlich den Befehl, dem man aus Furcht gehorcht. Mit Recht. Das war die Haltung - ja, das war die Theologie, mit der man das römische Weltreich gebaut hatte. Die Theologie der Macht - das göttliche Recht zu herrschen, wenn man konnte. Das Recht der Übermacht, alles zu bestimmen. Es war kein Zufall, dass der Kaiser in Rom den Titel Sohn Gottes trug - und damit sein göttliches Recht auf uneingeschränkte Herrschaft über die ganze Welt unterstrich.

             Wir wissen, wie es den beiden Menschen erging, die an jenem Tag jeweils auf ihre Weise ihren Einzug in Jerusalem hielten. Pontius Pilatus wurde wenige Jahre später vom Kaiser in Ungnade wegen unnötiger Grausamkeit abgesetzt - und Jesus wurde fünf Tage nach seinem Einzug von den Römern gekreuzigt. Ein schneller und effektiver Sieg für die Römer, kann man sagen - jedenfalls kurzfristig. Man hörte später nicht sehr viel von diesem Jesus und seiner kleinen Prophetbewegung. Sie nahmen alle wie die Hunde den Schwanz zwischen die Beine, und noch einmal feierte die römische Besatzungsmacht einen Triumph und bestätigte die Haltung, die das Imperium geschaffen hatte. Rottet alles aus, was die Pax Romana, den römischen Frieden, gefährdet!

             Und nun sitzen wir heute dennoch hier am Adventssonntag - 2000 Jahre nach diesen folgenschweren Einzügen in die Heilige Stadt.

             Das römische Weltreich ist längst verschwunden - die römischen Götter haben längst das Leben in dieser Welt verlassen und sind ins Museum gekommen - aber überall auf der Welt versammeln sich noch heute Menschen, um dem armen, sanftmütigen König zu huldigen, der damals auf einem Esel in Jerusalem einritt - und einen anderen Frieden demonstrierte - ein ganz anderes Leben - als das göttliche Imperium der Macht und der Gewalt. Und jetzt ist er es, der Arme, dem nur vier Tage in Jerusalem beschieden waren, seine Botschaft zu verkünden, ehe er schnell und effektiv von der Oberfläche entfernt wurde - jetzt ist er es, der "Sohn Gottes" genannt wird - "Friedensfürst" - "Erlöser" - alles Titel, die der römische Kaiser hatte. Jetzt ist er es, der von Millionen von Menschen auf eine Art und Weise und in einem Maße angebetet wird, wie es sich nicht einmal Kaiser Augustus in seinen maßlosesten Machtvorstellungen hatte träumen lassen.

             Und nun sollte man glauben, dass sich die Welt verändert hätte. Dass sich die Botschaft Jesu mit Liebe, Barmherzigkeit - mit sanftmütiger Demut, mit Frieden durchgesetzt hätte. Und die Welt ist besser geworden - jedenfalls für uns hier. Die Menschlichkeit gewinnt an Boden gegenüber der rohen Gewalt und Unterdrückung. Es gibt Toleranz und Freisinn.

             Aber Macht und Gewalt lassen sich nicht so einfach vom Thron stoßen - und noch immer ist es guter und göttlicher Ton, totzuschlagen, um sein Recht durchzusetzen. Noch immer blühen die Reiche der Macht und der Gewalt mit unüberwindlicher militärischer Macht. Es ist, als meldete sich der römische Geist immer wieder.

             Aber den unerschütterlichen kleinen, lächerlichen Gegensatz zum alleinigen Recht der Macht und Gewalt, den Jesus gründete mit seinem alternativen Einzug in Jerusalem und mit seiner Verkündigung der vier Tage, an denen er sich im Tempel frei bewegte - diesen Gegensatz gibt es immer noch - d.h. im Kleinen, und nicht immer in christlichem und krichlichem Gewand. Aber er entsteht allenthalben - und wenn wir ihn erleben, ergeht es uns wie den staunenden und jubelnden Zuschauern beim Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel. Ein lebendige Hoffnung wird in unseren Herzen entfacht - eine Hoffnung, dass kynische und gewalttätige Macht ihre Zeit haben mag, aber niemals das Recht der Wahrheit - und dass sie deshalb immer untergehen muss.

             Wie Gandhi einmal gesagt hat - und dieser Hindu ist vielleicht einer der christlichsten Menschen, die je gelebt haben: der gewaltlose Widerstand gegen die Unterdrückung ist immer unüberwindlich. Man kann uns foltern - man kann uns töten, aber nie kann man uns überwinden, denn ihre Sache hat von vornherein verloren - ihre ungerechte und unmenschliche Sache.

             Es ist eine unerschütterliche Hoffnung, dass das Gute und das Wahre - das Menschliche - am Ende immer den Sieg davontragen wird. Dass die Welt so ist, dass Unterdrückung und Ungerechtigkeit immer der Wahrheit weichen müssen - irgendwann. Wie hoffnungslos alles auch manchmal aussehen kann, so wird die Wahrheit, die Liebe, das Leben selbst doch den Sieg davontragen über alle Mächte des Todes und der Bosheit.

             Aber das Gute und das Wahre - das Menschliche - kann sich niemals ohne die Hilfe von Menschen durchsetzen - ohne unseren Einsatz, und deshalb stehen wir immer vor einer Wahl.

             Zwei Einzüge in Jerusalem fanden an jenem Tag vor vielen Jahren statt. Die Frage in dieser Adventszeit - ja, jeden Tag, den wir leben - ist die: Welchem von diesen beiden Einzügen wollen wir zujubeln?

 

Amen



Propst Erik Fonsbøl
Nørre Aaby (Dänemark)
E-Mail: ebf(a)km.dk

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