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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 07.12.2008

Predigt zu Lukas 21:25-36, verfasst von Claus Oldenburg

Das Motiv des Advent ist in der "Ankunft" enthalten - oder richtiger mit diesem Text: in der Wiederkunft, also in Jesu Wiederkunft.

             Wie ich letzten Sonntag, als wir in die Zeit des Advent eintraten, habe sagen können, sind diese Sonntage auffällig in ihrer Variation des Gottesbildes.

             Letzen Sonntag war es der sanftmütige "König der Ehren", der auf einem Esel reitend in die Herzen kam, Ihm gegenüber aber stand der "König der Ehren", der mächtig im Krieg ist - und dann ist es ja nicht mehr so weit her mit der Sanftmut.

             Heute ist es offensichtlich die Ankunft des Weltenrichters, der sich auf der Wolke "mit großer Macht und Herrlichkeit" darstellt, ein großartiges Phantasiebild - oder richtiger: eine Vision - die der große (dänische Theologe und Philosoph) Lögstrup sicher "die kosmische Wende" nennen würde, also die Umwälzung der Welt. Und ihre Inszenierung ist nicht ohne dramatische Energie.

             Insofern wir alle rational denken und dementsprechend die Prognose als eine direkte Fortschreibung der Erfahrungselemente benutzen, auch wenn die Prognose selten in Erfüllung geht, erscheint diese Vision - vorsichtig ausgedrückt - recht weitschweifig. Der Skeptizismus hat dann leichtes Spiel, denn die Phantasie scheint allzu phantastisch, und unter dem Gesichtswinkel der Wahrscheinlichkeit wird man gewiss lächeln, wenn eine deratige mathematische Logik so etwas überhaupt kann.

             Aber darum meine ich selbstverständlich trotzdem, dass die Vision sehr ernst zu nehmen ist,  und zwar um ihres mentalen Inhalts willen. Denn es scheut doch sowieso niemand davor zurück, sich das Ende dieser Welt vorzustellen.

             Die Tendenz unserer generellen Denkweise geht dahin, sich ein solches Ende negativ vorzustellen, bis ins Extreme negativ - d.h. wie ein Szenarium des Untergangs.

             Derartige Szenarien gibt es in großer Zahl, und und es hat sie immer gegeben. Und sie waren in der Regel - wie gesagt - negativ. Aber vielleicht fehlt es uns nur an Phantasie, uns das positive Ende vorzustellen. Das ist nicht undenkbar.

             De facto ist die Wiederkunft Jesu die einzige positive Vorstellung, wenn ich meine Geistesgeschichte unter diesem Aspekt recht kenne.

             Darum muss ich das Thema geistesgeschichtlich angehen.

             Die wirklich alten Religionsformen hatten kein Gefühl für Zeit, weshalb es weder Vergangenheit noch Zukunft gab. Die Zeit wurde nur als eine rhythmische Wiederholung wiedererkannt. Man nennt das Zeit der Demeter nach der römischen Fruchtbarkeitsgöttin, und dieser Zyklus war natürlich mit dem Rhythmus des Jahres verbunden, d.h. Aussaat, Wachstum, Ernte und Vergehen.

             In diesen alten Religionsformen war es die Aufgabe des Gottes, den Rhythmus aufrecht zu erhalten, und das Chaosdenken besagte, dass genau dieser Rhythmus zusammenbrach. Untergang war Hunger und Tod.

             Überträgt man diesen Gedankengang auf die innere Stabilität der entsprechenden älteren Gesellschaften, so war es die Aufgabe des Gottes, diese Stabilität zu sichern. Deshalb fielen religiöse und politische Macht zusammen, und der Gott wurde darauf verpflichtet, vor allem durch Opfer, Einhaltung der Rituale und Vorzeichen.

             Die Religion war absolut kein Glaubensanliegen, geschweige denn eine metaphysische Schleife über der Welt. Die Religion war die einzige Sicherheit, um Himmel und Erde in rechtem Gleichgewicht an ihrem Ort zu halten - und eben dadurch den Untergang zu vermeiden.

             Aus demselben Grund waren Priesterschaft und Machtausübung zwei Seiten ein und derselben Sache. Und die Ausübung der Religion war gewissermaßen Sicherheitspolitik - mit einem modernen Wort - in dem Versuch, die Kräfte zu kontrollieren, die nicht zu kontrollieren waren.

             Die Form der Religion, die sozusagen Gott unter eine zeitliche Perspektive stellt, ist die Vorstellung von Jahve im älteren Teil des Judentums. Denn Jahve bewegt sich auf der Linie der Zeit und damit der Geschichte, und es ist Seine Kraft, die "das Land, darin Milch und Honig fließt", also das verheißene Land oder das heilige Land, erobern wird.

             Dieser Antrieb hat für das jüdische Stammesvolk bis heute gegolten und gilt weiterhin - ungeachtet sonstiger Ereignisse. Denn den Juden ist im Lauf der Geschichte viel geschehen, aber der Refrain ist immer gewesen: "nächstes Jahr in Jerusalem!"

             Die im übrigen klassische Untergangsstimmung, die die älteren Religionsformen und auch das Römische Reich beherrschte, wurde unter dieser Perspektive in ein Motiv der Erwartung verwandelt. Die Erwartung wird auch "Verheißung" genannt, ein Versprechen und ein Traum von der Erlösung.

             Aber es war weiterhin äußerst konkret, physisch und politisch. Aber die Zeit war als ein Teil der Religion erfunden, und in der Zukunft wartete das gewünschte Ziel. Hieraus entstehen die Messias-Erwartungen, die zu einem Teil des späten Judentums wurden, denn obwohl die Juden - mit gewissen politischen Modifikationen - in diesem berühmten und umstrittenen Land wohnten, waren die Erwartungen dennoch nicht erfüllt worden. Sie waren gefühlsmäßig nicht zufriedengestellt, denn die Wirklichkeit ist immer eine andere als das Ideal. Daher die Frustration.

             Das früheste Christentum hatten dieselbe Naherwartung vom Kommen des Messias, das in dieser Optik zur Wiederkunft Jesu und zum Anbruch des Reiches Gottes wurde.

             Auch dieses Versprechen wurde nicht eingelöst, aber dafür brachte das Christentum die Zeit als Phänomen in ein System, ein System, das wir noch heute benutzen.

             Nämlich einmal ein Anfang , auch Schöpfung genannt - eine Mitte der Zeit, die die Gegenwart des Sohnes Gottes in Zeit und Raum ist, - und dann einmal ein Ende, das zugleich das Welturteil und der Anbruch des Reiches Gottes ist. Rein zahlenmäßig haben wir die Zeit nach diesem Modell eingerichtet - und der Rest der Welt hat es auch getan, was etwas über unsere Stärke besagt, denn wer die Zeit beherrscht, hat das Sagen.

             Aber wir haben auch das Erleben des Gangs der Welt nach demselben mentalen Modell eingerichtet.

             Es ist das Modell der Wanderung - dass wir sozusagen auf dem Wege sind - nicht zum eiligeHeHeiligen Land, sondern zu einer ungekannten Größe.

             Die Bewegung der Zeit wurde gleichsam mit einer Spannung von Elektrizität geladen. Denn wohin bewegen wir uns?

             Diese Aussicht hat jedenfalls ein weltliches Modell - wenn nicht mehrere, und sie hat verschiedene religiöse Modelle.

             Das weltliche Modell sind vor allem die Untergangsszenarien, die in der öffentlichen Debatte hervorgehoben werden. Sie haben sich allein in der Zeit meines Lebens oft gewandelt, in den 1960'ern war es die Atombombe, die über die Welt entschied, und seitdem war es dann der drohende ökologische Zusammenbruch, heute konzentriert man sich auf Klimaveränderungen.

             Im Gegensatz zu der uralten Untergangsstimmung sind diese Phantasien futurisch, und die Frage scheint zu sein: Wie lange Zeit haben wir noch? Sie macht das politisch-moralische Problem aus.

             Und im Gegensatz zu der uralten Untergangsstimmung sind diese Phantasien nicht im strengen Sinne religiöser Art, aber die Unbändigkeit ist doch religiös "geladen". Denn jetzt ist es die Menschheit, die ihr eigener größter Feind ist - kurz die Wirkung der Sünde. Denn in den Untergangsprognosen, die die Kultur stellt, sind wir selbst die Schuldigen. Wir steuern direkt auf den Untergang zu, auch wenn es bis auf weiteres in der 1. Klasse geschieht. Aber wir haben nur uns selbst einen Vorwurf zu machen, d.h. dem politisch-moralischen System.

             Und wenn ich mich in unserem Kulturkreis umsehe, kann ich eigentlich keinen Rest von Erwartung, von Hoffnung oder von Willen zum Überleben sehen. Die Selbstquälerei bestimmt die Tagesordnung des Ernstes mit der eingebauten Selbstverachtung, die darin liegt.

             Aber es ist doch nicht sicher, dass es sich so verhält. Es könnte ja sein, dass es so ging, - mit Verlaub - "wie der Pastor predigte".

             Als mentales Bild ist der heutige Text nämlich gar nicht so schlecht - auch nicht Grundtvigs Lied "Dein Haupt erhebe, o Christenheit".

             Denn das Bild enthält ein Vertrauen, dass durch Gottes Hand eine Umwälzung kommt, aber sie wird eine Läuterung des Menschen sein und eine Durchleuchtung der Welt. Die Bilder werden fallen, und wir werden alle klar sehen.

             Die Umwälzung trägt eine Erwartung in sich. Denn hinter ihr verbirgt sich das, was wir in diesem Raum "das Leben der künftigen Welt" nennen - eigentlich ein schöner und lauterer Ausdruck.

             Das heißt: Das Christentum hatte die Fähigkeit, das uralte, nahe Untergangsmotiv durch ein futurisches Bild zu ersetzen, das die Verheißung der Welt, die sich hinter dem mentalen Horizont verbarg, in sich enthielt. Also die Verheißung des noch Unbekannten. Das ist die Sprache des Heils.

             Mein geistiger Gesprächspartner Thomas Mann benennt diese Perspektive mit zwei Ausdrücken.

             Er nennt es die Fähigkeit des Christentums zur "Vergeistigung" - also die Fähigkeit, die Religion von ihrer physischen Bindung an die gesellschaftliche Macht und an die Institution, einschließlich ihrer Priesterschaft als Vormunde, zu befreien. Das Christentum konnte Bilder formen, die aus der Sicht des Menschen an sich befreiend und verheißungsvoll waren.

             Manns zweiter Begriff ist die Metamorphose, also die Verwandlung. Das bedeutet, dass die Gestalt, die wir kennen, in eine andere Gestalt verwandelt wird. Das Heil ist in dieser Perspektive gerade nicht eine Idealisierung oder Perfektionierung dessen, was wir kennen, sondern es ist eine Verwandlung von dem sozusagen Gewohnten in das Ungewohnte, vom Altbekannten in das Neue und Andersartige.

             Paulus sagt genau dasselbe, wenn er behauptet, dass "dies Verwesliche anziehen wird die Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit".

             Nach Thomas Mann enthebt die Vergeistigung und die Verwandlungsperspektive die Religion der Unkosten, die mit der Verwechslung mit der gegenwärtigen, physischen Welt verbunden sind. Die Verwechslung kann politisch opportun sein - unter vielen Aspekten - aber sie ist verräterisch gegenüber der Sehnsucht des Menschen, die das Gebet ist, dass "die Gnade Gottes mit uns allen sei" - und zwar auch am jüngsten Tag.

             Dasselbe Gebet ist de facto auch in Weihnachten und der Sehnsucht nach dem Frieden Gottes enthalten.

Amen



Pastor Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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