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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 09.04.2007

Predigt zu Lukas 24:13-35, verfasst von Ulla Morre Bidstrup

Bleibe bei uns, wenn der Tag zu Ende geht.

 Der gestrige Tag - Ostersonntag - war voller Morgenstimmung. "Wie die goldne Sonne prächtig / durch die schwarzen Wolken bricht" sangen wir  gestern, und wir sprachen von den phantastischen Ereignissen in der roten Morgensonne. Der Text von heute - Ostermontag - zeugt von kühler Abendstimmung. Sie können wir auch in B.S. Ingemanns Abendlied "Bleibe bei uns, wenn der Tag zu Ende geht" spüren, das wir heute zum Schluss singen wollen.

             Der heutige Text ist voller Motive beginnender Dämmerung. Der Tag geht zu Ende. Es herrscht Dämmerung um die beiden Wanderer - dieses aufkommende Grau, das alle Farben dämpft und das auch ihre Stimmung prägt. Sie sahen traurig aus, hören wir. Denn es sind zwei enttäuschte, desillusionierte und verwirrte Männer, die hier auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus sind. Sie gehören zum Kreis um Jesus. Sie sind ihm gefolgt und haben an ihn geglaubt. Ja, ihre Erwartungen, was er ihnen bringen würde, waren grenzenlos gewesen.

             Es kann einen an die Grenze der Verzweiflung bringen, wenn man nichts hat, woran man glauben kann. Aber es ist auch zum Verzweifeln, wenn man an etwas geglaubt hat, was es anscheinend nicht wert war. Der Weg der Enttäuschung nach Hause fällt schwer, wenn man so voller hoher Erwartungen von zu Hause aufgebrochen ist.

             Der Weg ist schwer für die beiden Jünger, für die jetzt alle Farben grau werden. Natürlich haben sie einander, um über all das zu reden, was in Jerusalem geschehen ist, aber zwei können wohl auch zu wenig sein, wenn man das Ganze unzählige Male besprochen hat. Sie leben also ein bisschen auf, als ein dritter Mann hinzukommt und sich ihnen anschließt. Und als sich herausstellt, dass dieser Mann keine Ahnung hat von all dem, was in Jerusalem geschen ist, bietet sich ihnen eine willkommene Gelegenheit, alles noch einmal von vorn zu erzählen. Diesen Drang zum Erzählen kennen wir alle.

             Sie erzählen alles und verhehlen nicht ihre Verwirrung: Einige der Frauen aus der Umgebung Jesu waren nämlich am Morgen desselben Tages draußen am Grab gewesen, und sie kamen zurück und erzählten, das Grab sei leer, und Engel hätten ihnen erzählt, dass Jesus lebe. Aber es gebe doch niemanden, der Jesus lebendig gesehen habe, stellen die beiden Wanderer fest und schütteln ratlos den Kopf, während die Dämmerung zunimmt.

             Aber jetzt ergreift der neu Hinzugekommene das Wort und erklärt ihnen, dass das, was geschehen ist, geschehen musste. Dass es genau das ist, was Mose und die Propheten über Christus vorausgesagt haben. Sie hören zu und sind wie gebannt von dem, was er sagt, aber ihr Gesichtsausdruck verrät eher intensives Nachdenken als eigentliches Verstehen.

             Als sie an das Ziel ihrer Wanderung, nach Emmaus, kommen, will ihr Begleiter anscheinend allein weitergehen, aber sie bitten ihn, bei ihnen zu bleiben, anstatt in der zunehmenden Dunkelheit allein weiterzugehen.

             In Emmaus setzen sie sich dann gemeinsam an den Tisch.

             Und dies ist die Szene, die wir heute von dem großen dänisch-schleswigschen Kunstmaler Emil Nolde geschildert sehen können. Durch den Emil Nolde, der die große Anerkennung genoss, dass Hitler seine Kunst gefährlich fand und verbot. Angeblich, weil sie "entartet" war, wie es im Sprachgebrauch des Dritten Reiches hieß. Denn Noldes Kunst war nicht streng realistisch und bestimmt nicht idealisierend, so wie es die Nazis am liebsten sahen.

             Nolde schuf später mehrere bekannte Bilder mit christlichen Motiven. Man findet die meisten davon in dem wunderbaren Nolde Museum in Seebüll südlich der deutsch-dänischen Grenze; aber das Bild, das ich hier meine, ist das erste Bild von seiner Hand mit einem christlichen Motiv. Und man muss sagen, dass Nolde später von Tradition und Realismus in der Wahl der Farben und der Komposition weitaus freier war, als es hier auf unserem Bild der Fall ist. Hier sitzen die drei Männer und hinter dem Mann zur Rechten stehen ihre Wanderstäbe, unten ganz weiß vom Staub des Weges. Des Weges von Jerusalem nach Emmaus. Der Tisch ist fürstlich gedeckt mit einem weißen Tischtuch und einer goldenen Kanne. So war der Tisch an jenem Tag in Emmaus gewiss nicht gedeckt, aber es sind natürlich nicht die geschichtlichen Umstände dieser Mahlzeit, die Nolde interessiert haben. Nein, das ist vielmehr ein ganz bestimmter Augenblick. Das Bild hält den Bruchteil einer Sekunde fest. Nämlich die Sekunde des Wiedererkennens: "Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn." Genau dieses "da" hat Nolde gemalt. Jesus nimmt das Brot, segnet es, und in dem Augenblick erkennen sie ihn. Und man sehe die beiden Männer. Im Text werden sie uns als zwei Männer in derselben Situation geschildert. Zwar erfahren wir den Namen des einen von ihnen - er heißt Kleopas, sonst aber wird kein Unterschied zwischen ihnen gemacht. Sie sind gleich ratlos.

             Aber auf Noldes Bild wird ein Unterschied gemacht. In der Sekunde des Wiedererkennens zeigt sich der Unterschied zwischen den beiden. Der Mann links sammelt seine Hände in Freude und Anbetung, und sein Gesicht bringt reine Liebe zum Ausdruck. Seine Augen sind groß und weit geöffnet, sie sind aufmerksam auf seinen Herrn und Meister gerichtet, der Mund ist leicht geöffnet - aus Verwunderung. Er hört zu, und er glaubt. Das ganze Gesicht ist von dem phantastischen Glanz erleuchtet, der von dem ausgeht, der sich als der auferstandene Christus erwiesen hat.

             Aber das Gesicht des anderen Mannes ist in einem ganz anderen Licht wiedergegeben. Bei ihm ist nur die Stirn wirklich von dem Lichtschein erleuchtet. Die trotzige Stirn. Seine Augen betrachten Jesus unter gerunzelter Stirn. Seine Hände halten sich an die Tischkanten. Denn niemand soll ihn zum Narren halten. Er hält angestrengt an der Tischkante fest, und die lauernde, abwartende Haltung seines ganzen Körpers drückt Skepsis und Zweifel aus. Jetzt soll man ihn nicht mehr zum Besten halten. Wüssten wir es nicht besser, könnten wir glauben, sein Name sei Thomas, aber der begegnet dem Auferstandenen erst am Sonntag.

             Der Text erzählt uns, dass Jesus im nächsten Augenblick für sie unsichtbar wurde, und wir können es fast ahnen auf dem Bild, wo der Schein des Lichts bis in die fernsten Ecken des Bildes gelangt und so die Dämmerung verdrängt. Und was geschieht danach - wenn Jesus ganz eins wird mit dem Licht und aus ihren Augen verschwindet? Ja, dann müssen sich ihre Augen und Blicke begegnen. Dann müssen sie einander direkt in die Augen sehen, und ich bin sicher, dass es dann der Mann rechts sein wird - der Zweifel und der Trotz -, der die Augen zuerst niederschlägt, denn sonst hätten wir heute keine Kirche.

 

Und auch Nolde will uns mit seinem phantastischen Gemälde der Sekunde des Wiedererkennens in Emmaus unsere Lage in der Begegnung mit Christus zeigen. Und sie besteht nicht darin, dass es einigen von uns ausschließlich wie dem Mann zur Rechten auf dem Gemälde geht, anderen wie dem Mann zur Linken. Nein, die Pointe muss sein, dass wir beide Seiten in uns vereinen. Dass sowohl der Glaube als auch der Zweifel auch in unserem Inneren mit zu Tisch sitzen, wenn wir dem auferstandenen Herrn begegnen, der ja gerade mitten unter uns gegenwärtig ist, wie es heißt, unmittelbar bevor wir an den Tisch des Herrn treten.

             Und das Bild ist wohlgemerkt ein Altarbild. Es schmückt den Altar in der kleinen, demütigen Kirche in Ølstrup im westlichen Jütland. Unter diesem Bild feiert man das Abendmahl - und unter diesem Bild setzt man sich auf eine Kirchenbank. Man kann sich denken, dass die Menschen in Ölstrup klugerweise immer mal wieder zwischen der rechten und der linken Seite wechseln...

 

Das Gemälde zeigt uns die Begegnung, bei der wir uns bewusst werden, wer mit uns ist. Uns bewusst werden, dass Er mitten unter uns zugegen ist, und zwar auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Zum Beispiel auf den staubigen Landstraßen unseres Lebens in zunehmender Dämmerung - enttäuscht, desillusioniert und verwirrt, weil alles so ganz anders gekommen ist, als wir gehofft und geglaubt hatten. Dann kommt er zu uns, setzt sich mit uns an den Tisch und gibt uns neue Kraft, neue Tage und neue Möglichkeiten in einer neuen und sicheren Gewissheit, dass er bei uns bleibt.

Amen



Ulla Morre Bidstrup
Molsvej 8B
DK-8410 Rønde
tel..: ++ 45 - 86 37 02 50
E-Mail: umb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

Text der dänischen Perikopenordnung


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