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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 14.12.2008

Predigt zu Matthäus 11:2-6, verfasst von Johannes Block

Wir feiern den 3. Advent. Die Vorfreude auf ein festliches Ereignis wird größer. Wir erwarten das Kommen des Sohnes Gottes. Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! (Mt 21,9) Mit Jubelrufen und Gesängen wird der Retter erwartet. Die Adventszeit ist immer auch eine Zeit des Singens und der Lieder. Die Adventslieder legen es uns in die singenden Münder: Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt - aber: Er kommt als ein Ärgernis! Der Predigttext moduliert das fröhliche Singen und die gute Stimmung: Aus Dur wird scheinbar Moll. Das Kommen des Sohnes Gottes als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerständigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Predigttext.

Ärgernis, Anstoß und Skandal

Ärgernis, Anstoß und Skandal - so viel Marktschreierei scheint zur redlichen Bibel und zur lichterfrohen Adventszeit gar nicht zu passen. Schließlich bereiten sich viele Kinder, Männer und Frauen auf das so genannte Fest der Liebe vor. Ärgernis, Anstoß und Skandal - all das scheint doch in plakativen Boulevardzeitungen oder in pikanten Talkshows besser aufgehoben zu sein. Ein Bundesminister hat eine außereheliche Affäre - das ist doch ein Ärgernis und darüber muss geschrieben werden! Eine Landesbischöfin reicht die Scheidung ein - daran lässt sich doch Anstoß nehmen und darüber muss gesprochen werden! Ein Universitätsprofessor handelt mit Doktortiteln - das ist doch ein Skandal und darüber muss gesendet werden!

Die ungezählten Talkshows im Welt umspannenden Fernsehen haben prominente Sendeplätze und finden ein Millionenpublikum. Bei aller Marktschreierei gehört gewiss auch einiges an Recherche und Fleiß dazu, einen Skandal aufzuspüren und journalistisch aufzubereiten. Ohne unser Informationsbedürfnis gäbe es sie nicht: die Meister der Talkshows in allen Programmen und auf allen Sendern.

Der ungekrönte König unter den Talkmastern ist Larry King. In den Vereinigten Staaten sendet Larry King seit fünf Jahrzehnten Talkshow um Talkshow, Interview um Interview. In zig tausenden von Gesprächen hat er sie alle befragt und durchleuchtet: Politiker und Prominente, Stars und Sternchen. Eigentlich waren alle very important persons bereits im Studio. Und doch gäbe es zwei Persönlichkeiten, die Larry King trotz der tausenden von Interviews ungemein gern befragen würde: Zum einen Abraham Lincoln, den amerikanischen Präsidenten zur Zeit der Sklavenbefreiung; und zum anderen - Jesus Christ!

Jesus Christus im Interview

Jesus Christus im Interview! Bei dieser durchaus amerikanisch durchtränkten Vorstellung muss ich erst einmal durchatmen. Die Idee eines Interviews mit Christus klingt nass forsch und unverfroren. Es ärgert mich, dass Jesus Christus wie irgendein Prominenter vorgeführt und befragt werden soll.

Und dennoch: Das Ärgernis und den Anstoß, den mir Larry King mit seinem Wunsch bereitet, will ich einmal aufnehmen. Vielleicht ärgert mich ja bloß, dass da jemand mein hochgestelltes, unantastbares Jesus- und Gottesbild gegen den Strich bürstet. Laufe ich insgeheim Gefahr, ein Jesus- und Gottesbild ohne Ärgernis und Anstoß vor mir herzutragen? Wird damit der, der da kommen soll, zu einer harmlosen Andachtsfigur, die nur das bringen und sagen darf, was ich selber hören will und mag? Davor bewahre uns der widerständige Klang am 3. Advent! Riskieren wir das Ärgernis und den Anstoß! Riskieren wir ein Interview mit Jesus Christus!

Es ist erstaunlich: So völlig aus der Luft gegriffen scheint die Idee des Larry King gar nicht zu sein. Denn der Predigttext selbst ist wie eine Art Interview aufgebaut: Auf die Frage Johannes' des Täufers gibt Jesus von Nazareth eine Antwort. Johannes der Täufer ist gleichsam der erste Interviewer in der christlichen Geschichte. Über seine Jünger lässt er Jesus fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?

Johannes der Täufer lässt deshalb über seine Jünger fragen, weil er selbst eingekerkert im Gefängnis sitzt. Er hat mit seiner Predigt der Buße Anstoß und Ärgernis bei König Herodes erregt. In der Todeszelle hört er von den Werken Christi. Er hört von der Heilung zweier Blinder (Mt 9,27-31), eines Gelähmten (Mt 9,2-8), eines Aussätzigen (Mt 8,1-4), eines Tauben (Mt 9,32-34); zu guter Letzt hört er von der Totenauferweckung eines Mädchens (Mt 9,18-26). Durch alle Ritzen des bedrückten Landes dringt die Kunde von einem Retter und Visionär. Die Menschen strömen herbei und hören seine Rede: Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden (Mt 5,3-4.6).

Wenn ein neuer Präsident antritt, dann werden ihm auf allen Sendern und Kanälen Fragen gestellt: Wer bist du? Was ist dein Programm? Was lässt sich von dir erwarten? Ein Antrittsinterview jagt das nächste. Wenn wir auf unseren Predigttext blicken, dann hat scheinbar Johannes der Täufer diese Tradition des Antrittsinterviews begründet. Er führt gewissermaßen das exklusive Christus-Interview im Advent: Bist du es, der da kommen soll?

Die Frage im Interview

Verharren wir ein wenig bei den Fragen im Christus-Interview. Welche Fragen würden wir heute im Advent stellen, wenn wir dazu wie Johannes der Täufer die Gelegenheit hätten? Was wäre deine Frage?

Vielleicht lassen wir an dieser Stelle dem Amerikaner und König der Talkmaster Larry King den Vortritt. Wenn schon die Vereinigten Staaten als erste Nation den Mond betreten haben, dann wird ein Amerikaner gewiss auch für solch ein überirdisches Interview mit Jesus Christus ein Händchen haben. Möglicherweise würde Larry King folgende Fragen stellen: Verehrter Jesus, wie hast Du das damals mit dem auferweckten Mädchen gemacht? Gilt die Seligpreisung der geistlich Armen auch für das Weiße Haus? Könntest Du unseren Jungs, die in Afghanistan und im Irak zuschauen, einen besonderen Gruß übermitteln? Lieber Jesus, kommst Du, wenn Du kommst, immer noch ökologisch vorbildlich auf einem Esel geritten?

Locker und aufgeräumt könnte solch ein Christus-Interview verlaufen - unter der Schlagzeile: Larry King sprach noch vor seiner Ankunft mit dem Sohn Gottes! Aber an den Fragen merken wir, dass sich Jesus Christus nicht einfach am grünen Tisch interviewen lässt. Denn am grünen Tisch im Studio lassen sich Politiker und Prominente, Stars und Sternchen befragen - mit interessanten und weniger interessanten Fragen. Aber Christus lässt sich in diesen Fragen weder ergreifen noch begreifen.

Im Matthäusevangelium wird betont, dass Johannes der Täufer aus dem Gefängnis heraus seine Frage stellt. Wenn man im Dunkel sitzt, wenn es um das Ganze geht, wenn das Leben auf dem Spiel steht, dann kommt man zu Fragen, die Christus entsprechen. Das ist das Ärgernis, dass sich Christus nicht einfach an jedem Ort befragen lässt. Erst im Dunkel des Kerkers, auf Messerschneide, im bitteren Jammertal - dort wird man ermessen, was Christus bedeutet und welches Licht er in die Welt bringt. Das ist das Ärgernis, dass man die eigenen Tränen und das eigene Blut schmecken muss, um Christus zu begegnen. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.

Die Antwort im Interview

Auf eine jede Frage in einem Interview wird eine Antwort erwartet. Als die Jünger des Täufers dessen Frage überbracht haben, antwortet Jesus und spricht: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.

Auch die Antwort Jesu lässt sich nicht einfach am grünen Tisch eines Interview-Studios verstehen. Wir hören kein direktes Ja oder Nein. Wir bekommen keine Antwort, die man bloß abzunicken bräuchte, um zur nächsten Frage zu kommen. Das ist das Ärgernis, dass man Christus allein dann begreift, wenn man selbst zum Ohren- und Augenzeugen seines Wirkens wird. Sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht, antwortet Jesus. Das ist das Ärgernis, das man sich selbst mithineingeben muss in das Christusgeschehen. Hier gibt es keine Zuschauerplätze, auf denen man bequem gepolstert einem religiösem Schauspiel beiwohnen kann. Der, der da kommt in dem Namen des Herrn, der fordert unser Herz, unsere Entscheidung, unsere Traurigkeit und unsere Freude heraus.

Das persönliche Durchleben des Christusgeschehens lässt sich mit dem Singen von Liedern vergleichen. In der Adventszeit wird gern und häufig gesungen. Wer singt, kann das nicht aus einer Zuschauerhaltung heraus tun. Singen ist immer auch ein persönliches Geschehen und Ergehen. Es braucht die eigene Stimme, die eigene Körperhaltung, das eigene Hineinfühlen in den Text und in die Noten. Und manchmal kommt es vor, dass sich in bestimmten Kompositionen quere Töne und reibende Harmonien finden. Jetzt wird das Singen besonders anspruchsvoll und buchstäblich reizvoll. Denn nun muss man gegen die übliche Hörgewohnheit ungewohnte Töne singen und aushalten. Man muss gegen die alte Gewohnheit einen neuen Klang entdecken.

Mit dem Einbruch des Neuen und Ungewohnten stehen wir vor dem letzten Ärgernis, das der Predigttext am 3. Advent auslöst. Denn der erwartete Retter bürstet unsere Erfahrungen gegen den Strich: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt. Es geschieht eine Umkehrung und Umwertung aller Dinge. Nichts bleibt beim alten. Wer die auf allen Nachrichtenkanälen verbreitete Finanzkrise verfolgt, hat erfahren, wovon ich spreche: Aktien sind auf einmal nichts mehr wert; sicher geglaubte Bankeinlagen bereiten Angst und Sorge; Finanzexperten sind mit ihrem Latein am Ende. Das ist das Ärgernis: Nichts bleibt wie es ist, und alles wird anders.

Wenn der kommt, der da kommen soll, dann erkennt man die Blinden und Lahmen nicht wieder, die Geistreichen und die Geistlosen, die Aussätzigen und die Tauben, die Erfolgreichen und die Erfolglosen, die Armen und die Reichen, die Hohen und die Tiefen, die Gottlosen und die Frommen. Das ist das Ärgerns, dass der Advent Gottes so ganz anders sein wird als man sich ihn vorstellt und ausmalt. Am Ende geschieht der Advent Gottes dort, wo man ihn zuallerletzt erwarten würde: Bei den Schmutzigen und Verpennten, bei den Taugenichtsen und Gelegenheitsarbeitern, bei den Schulabbrechern und Verpeilten. Der Advent Gottes macht aus Verlierern Gewinner und aus Traurigen Fröhliche. Das wird ein Singen und Jubeln sein! Und der Advent Gottes macht aus Gewinnern Verlierer und aus Fröhlichen Traurige. Das wird ein Heulen und Zähneklappern sein! Der, der da kommt, kommt als Anstoß und Ärgernis der Sicheren und Selbstsicheren. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.

Das heilsame, fruchtbare Ärgernis

Blicken wir auf unseren Predigttext zurück. Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt - aber: Er kommt als ein Ärgernis! Das Kommen Jesu als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerständigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte.

Manchmal gibt es das: Ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. An heilsamen, fruchtbaren Ärgernissen kann man wachsen und reifen - so wie man beim Singen an queren Tönen und reibenden Harmonien einen neuen Klanghorizont entdecken kann. Jetzt bricht durch alte Gewohnheit ein neuer Lebensgeschmack. Jetzt bricht mitten im alltäglichen Durchschnitt ein großer Advent auf. Ich denke an Christen in aller Welt, die sich im Kampf des Alltags ein neues Leben erstreiten.

In Indien leben Christen in der Minderheit. Zumeist gehören sie den unteren Gesellschaftsschichten an. Das hinduistisch geprägte Kastenwesen erschwert den gesellschaftlichen Kontakt und den sozialen Aufstieg. Doch Christen und Christinnen entdecken ihre Gottesebenbildlichkeit und ihre Menschenwürde. Selbstbewußt geworden, treiben sie Geschäfte und schließen Verträge - und das auch quer zum traditionellen Kastenwesen. Das ist das Ärgernis, das Christen in Indien auslösen: Niedrige erheben sich aus der Tiefe und Hohe werden von ihrem Gesellschaftsthron gestürzt.

In Brasilien wehren sich Kleinbauern und Landlose gegen das Großkapital und gegen Großgrundbesitzer. Man kämpft für eine alternative Agrarreform und für die Entwicklung von Kleinbetrieben. Und man kämpft gegen die Vertreibung vom Land und gegen die Errichtung eines Staudamms. Das geistliche Rückgrat der Proteste bilden die so genannten Romario de Terra. Das sind Prozessionen über Land mit großen Abschlussfeiern. Kleinbauern, Landarbeiter, Indianer und Landlose strömen herbei und streiten für ihr Recht. Und sie rufen: „Das Land gehört dem Schöpfer-Gott und die Konzentration in den Händen weniger stimmt nicht mit seinem Willen überein. Wie im Zeugnis der Bibel ergreift Gott Partei für die Kleinen, identifiziert sich mit ihnen und ist in ihren Geschichten und Kämpfen präsent. Auch in der Romaria macht Gott sich auf den Weg mit dem Volk." (Julio Cézar Adam) Das ist das Ärgernis, das Christen in Brasilien auslösen: Niedrige erheben sich aus der Tiefe und Hohe werden von ihrem Gesellschaftsthron gestürzt.

Gottes Advent ist ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. Gottes Advent ist ein Anstoß und Durchstoß. Nichts bleibt beim alten. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Matthäusevangelium.



Dr. Johannes Block
Institut Praktische Theologie
Otto-Schill-Strasse 2 / 04109 Leipzig
E-Mail: block@rz.uni-leipzig.de

Bemerkung:
Universitätsgottesdienst St.-Nikolai-Kirche Leipzig


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