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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 14.12.2008

Predigt zu Matthäus 11:2-6, verfasst von Lutz Meyer

Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zwei, und ließ ihm sagen:. Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen:. Gehet hin und saget Johannes wieder, was ihr sehet und höret; die Blinden sehen, und die Lahmen gehen; die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören; die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert.

Liebe Gemeinde,

„Bist du der, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?"  Hinter dieser Frage des Johannes aus dem Evangelium für diesen 3. Advent  steht eine ganz alltägliche Erfahrung. Da kennt man einen Menschen über Jahre, hat sich ein Bild von ihm gemacht, meint zu wissen wer er oder sie ist,  - und dann passieren Dinge, die nicht mehr ins Bild passen. Die Frage drängt sich förmlich auf, „Ist das noch der Mann, den ich mal geheiratet habe?" oder, „ist das noch die Kollegin, auf die mich seit Jahren verlassen konnte?"

Johannes ging es da mit Jesus nicht anders.  Er saß im Gefängnis, eingekerkert, weil er es gewagt hatte, den damaligen Herrscher wegen seines unmoralischen Lebensstils zu kritisieren. Im Gefängnis erreichten ihn die Nachrichten über Jesus. Er hörte, Jesus, zog durchs Land, heilte Kranke, aß mit den Zöllnern und Sündern (wie man die Menschen mit zweifelhaften Ruf in der Sprache der Bibel damals nannte), und predigte von einem Reich Gottes, das mit ihm, mit Jesus angefangen hatte.   

Johannes und Jesus, das waren zwei Männer, die sich seit Kindheitstagen kannten. Ihre Mütter waren Cousinen gewesen und später, als die beiden Jungen heranwachsen, verbindet sie eine tiefe Frömmigkeit, eine innige Beziehung zum Gott des Alten Testamentes. Gleichzeitig erleben sie, wie ihr Volk, dass ehemals so stolzes Volk Israel, das erwählte Volk, unter der Hand der römischen Besatzer unendlich leidet. Vergleichbar vielleicht dem Leiden der Palästinenser in Israel oder dem der Zivilbevölkerung im Irak heute.

Für Johannes war klar, das Leiden seines Volkes musste ein Ende haben. Und in Jesus, erkannte er den, der dem Leiden seines Volkes Israel ein Ende setzten sollte. So war  es ja vorausgesagt in den heiligen Schriften der Juden. So haben wir heute zu Beginn des Gottesdienstes im Wochenspruch gehört: „Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig". Das war die Hoffnung, die  Johannes hatte. Befreiung war nah, Gott würde jemanden schicken, der den Unterdrückern dieser Welt das fürchten lehren sollte.  Der, wie Johannes es selber ausdrückt, die „Spreu vom Weizen trennt" (Matthäus 3,1-12) und mit dem eine neue Zeit der Freiheit für die Opfer beginnen würde. Für Johannes war auch klar, dass Jesus der Messias, der Auserwählte Gottes war, der all das leisten sollte.

Kurz: Johannes wusste was von Jesus zu erwarten war. Er meinte ihn zu kennen. Jesus, das war der Freund seit Kindheitstagen, er würde den Römern das fürchten lehren, mit ihm würde sich Gott auf der Bühne der Weltgeschichte klar und gewaltig zurückmelden!

Erst als Johannes im Gefängnis sitzt, beginnen in ihm Zweifel hoch zu kommen. War das wirklich der Jesus, den er kannte, und von dessen Taten ihm seine Jünger berichteten? War Jesus wirklich der, der seinem Volk die Freiheit bringen würde?

Was er so hörte, sprach dagegen. Jesus hatte sich nicht zum Anführer einer Revolution gemacht, er war nicht gewaltig aufgetreten. Ganz im Gegenteil, irgendwo in der israelischen Provinz, sozusagen in einem strukturschwachen Gebiet, wanderte Jesus umher, er predigte, er heilte und er wandte sich den Menschen zu. Die Frage die Johannes stellt ist also völlig berechtigt. „Sag mal, bist du der der Kommen soll? Oder habe ich mich geirrt? Bist du doch nicht der, mit dem Gottes neue Welt endlich aufgerichtet wird?"

Wenn wir uns in diesen Adventstagen im Jahre 2008 nach Jesu Geburt wieder auf das Kommen des Heilandes vorbereiten, dann klingt mir diese Frage sehr aktuell. Schließlich können einem nach knapp 2000 Weihnachtsfesten  Zweifel kommen, ob das Kommen Jesu wirklich etwas verändert hat. Ist nicht fast 2000 Jahre nach Jesu Kommen die Welt die alte geblieben?  Noch immer leiden Menschen unter Menschen, noch immer gibt es Krankheit und Blindheit in der Welt - und wie es aussieht, wird sich das auch nicht so schnell ändern.  Feiern wir Weihnachten also, weil es halt so eine schöne Stimmung vermittelt und ganz gut in die dunkle Jahreszeit passt? Oder ist da wirklich mit Jesus aus Nazareth etwas ganz Neues in die Welt gekommen, was auch im 2008ten Jahr nach Jesu Geburt unserem Leben Sinn und Richtung geben kann?

Jesus gab den Jüngern des Johannes eine Antwort mit auf den Weg und er gibt sie denen unter uns, die mit Johannes fragen: „Jesus, wer bist du eigentlich? Was kommt da eigentlich Neues mit dir in die Welt?"  „Gehet hin und sagt Johannes, was ihr seht und hört; denn die Blinden sehen, und die Lahmen gehen; die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören; die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt". 

Mit anderen Worten, Jesus macht völlig klar, „mit mir kommt eine neue Zeit, mit mir baut Gott seine neue Welt, in der es kein Geschrei, keine Tränen und kein Sterben mehr geben soll. Doch ich mache das anders, als du Johannes, das erwartest. Bei mir sind keine großen gewaltigen Aktionen zu sehen. Ich marschiere nicht zum Jubel der Welt, ich entwerfe keine Reformpläne, mein Reich, das funktioniert anders.

Ich wende mich den Leidenden, den Zurückgesetzen, den Opfern persönlich zu. Das mache ich nicht mit großen Programmen oder Versprechungen von denen es genug in dieser Welt gibt. Nein, ich erneure die Welt", sagt Jesus,  „Mensch für Mensch!" Der Blinde sieht, der Lahme geht, der Aussätzige wird rein, der Taube kann wieder hören, und den Armen wird da Evangelium gepredigt." Ich erneure die Welt Mensch für Mensch!

Wenn ich Jesus richtig verstehe, dann kam er in die Welt, um der Welt damals und uns heute zu zeigen, das, was zählt, ist, wie wir als Menschen für Menschen da sind. Johannes hatte erwartet, dass Gottes neue Welt mit Jesus gewaltig kommen würde. So heißt es ja im Wochenspruch, denn siehe, der Herr kommt gewaltig. Doch Jesus sagt ihm und uns, das ist nicht seine Art die Welt zu verändern. So machen das die die Mächtigen, die Einflussreichen - aber nicht Jesus. Er verändert die Welt und stellt sie auf den Kopf.  Denn seine Macht ist die Stärke, die sich zeigt, wenn wir auf Macht verzichten uns den Menschen so zuwenden, so wie sie sind.

Ob  arm, ob einsam, krank, wunderlich, unangenehm, schön oder hässlich, ob im Dorf anerkannt oder am Randes stehend, übersehen und vernachlässigt, wichtig und gefeiert oder verachtet, Jesus sagt mir heute, sich den Menschen zuwenden, dass ist mein Weg, die Welt zu verändern. 

„Blinde sehen, Lahme gehen; Aussätzige werden rein, Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt.", das ist sicher  für sich genommen ein Anspruch, an dem wir uns nicht messen können. Unser Glaube ist in die Jahre gekommen. Die Ursprünglichkeit Jesu  ist uns durchschnittlichen Christen und Christinnen  2000 Jahre nach Jesus in gewisser Weise abhanden gekommen.

Doch worum es geht, ist, für den anderen, für die andere jetzt heute, da zu sein. Denn Gottes neue Welt beginnt ganz unspektakulär in den Taten der Nächstenliebe, die ich heute und morgen einübe.

Gottes neue Welt beginnt in der Art und Weise, wie ich heute Mittag mit meiner Frau, mit meinem Mann rede.

Gottes neue Welt beginnt wenn ich meinen Kindern, die schlechte Noten nach Hause bringen, nicht noch zusätzlich das Gefühl gebe, sie seien Versager

Gottes neue Welt beginnt, wenn ich mir Zeit nehme  und meine schwerhörige Großmutter im Altenheim besuche.

Gottes neue Welt beginnt, wenn ich mit den jungen Leuten, die auf der Straße rumstehen und nichts mit sich anzufangen wissen, spreche und helfe Möglichkeiten zu finden, dass sie von der Straße runterkommen.

Gottes neue Welt beginnt heute, wenn ich mich auf den Konflikt um die Elbvertiefung einlasse, wohl wissend, dass hier einfache Antworten nicht weiter helfen.

Gottes neue Welt beginnt, wo ich nicht „das Beliebige, sondern das Rechte tue und wage" wie es Diedrich Bonhoeffer mal gesagt hat.

Mit dieser Einsicht entlässt uns der Predigttext aus diesem Gottesdienst. Mit dieser Einsicht muss Johannes im Gefängnis umgehen lernen. Jesus kam nicht, um die Welt mit Gewalt zu verändern. Er macht uns vor, wenn du, wenn ich will, dass sich was verändert in dieser Welt, dann warte nicht auf gewaltige Programme, nicht auf den Messias, der alles richten wird - dann fange selber an.

Die Welt hat genug große Versprechungen gesehen, doch das Reich Gottes wächst durch mein und dein Zutun. Das ist eine recht unspektakuläre Einsicht, und sie läuft dem Sehnen von uns Menschen nach einfachen, schnellen und dauerhaften Lösungen für eine besser Welt zuwider. Sie fordert uns auf, den Kämpf den Alltags zu kämpfen, den alltäglichen Kampf um Gottes neue Welt aufzunehmen und die Kraft dazu täglich auf neue suchen und finden.

Jesus schließt seine Antwort an Johannes und lässt ihm ausrichten: „Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert". Mit anderen Worten, Jesus sagt, „Johannes, ich weiß, du hättest es gern anders, gewaltiger, größer und eindrucksvoller, du möchtest sehen wie Gott wirklich mit seiner ganzen Macht eingreift und sich die Dinge grundlegend verändern". - Doch so kommt der Gott, der uns in Jesus nahe kommt, eben nicht. Er kommt als Mensch für Menschen, er will jeden sehen und wahrnehmen, keine übergehen sondern Schritt für Schritt jeden in Gottes neue Welt einbeziehen. 

So will ich mich denn auch nicht ärgern an diesem Jesus, von dem ich lerne, Gott kommt! Er kommt nicht gewaltig, nicht so einfach, gradlinig und offensichtlich, wie ich es gerne hätte, aber er kommt! Er kommt alltäglich, hier und heute, durch mich zu meinem Nächsten und durch meinen Nächsten zu mir. 



Pastor Dr. Lutz Meyer
Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen (ELM)
Kirchliche Zusammenarbeit (Partnerschaftsarbeit)
Hermannsburg

E-Mail: l.meyer@elm-mission.net

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