Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 14.12.2008

Predigt zu Matthäus 11:2-10, verfasst von Peter Lind

"Advent" bedeutet, wie wir wissen, "Ankunft", und indem diese Zeit mit dem letzten Monat des Jahres zusammenfällt, enthält sie spannende Verheißungen all dessen, was im nächsten Jahr kommen mag. Aber das ist nur ein zusätzliches Gewürz im besonderen Geschmack und in der besonderen Stimmung der Adventszeit, denn die Adventszeit ist selbstverständlich per definitionem die Zeit, die zu Weihnachten hinführt; zu dem, der kommen wird, nämlich zu Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Und wie immer, wenn man sich darauf freut, dass etwas geschehen oder jemand kommen wird, entstehen Erwartungen.

             Wir haben sicher alle so manche mehr oder weniger konkrete Erwartungen in Bezug auf das kommende Jahr je nach den Plänen, die wir gemacht haben.Und wenn wir ganz allgemein die heutige traditionelle dänische Form der Feier von Weihnachten betrachten, dann gibt es die Erwartungen bezüglich der Geschenke - der Geschenke, die wir geben, und der Geschenke, die wir empfangen. Die Geschäftswelt rechnet damit, dass wir fünf Millionen Dänen in diesem Jahr elf Milliarden Kronen für Weihnachtsgeschenke ausgeben. Und das ist eigentlich gar nicht so unchristlich, wie es einem vorkommen mag, denn es steckt doch eine ausgezeichnete evangelische Pointe darin, Geschenke zu geben und zu empfangen; und doch war es gewiss deutlicher, worum es bei der weihnachtlichen Erwartung in Palästina vor rund zweitausend Jahren ging, als Weihnachten und seine Botschaft nicht in Glanzpapier, Heinzelmännchen, Weihnachtsmänner, Reklame, Vorweihnachtslunchs, Lebkuchen, Glühwein und Tannenzweige und vieles andere mehr eingepackt war, denn damals richteten sich die Erwartungen auf das, was kommen sollte, direkt auf den Messias, auf den Erlöser.

             Hier ging es um den Gesalbten Gottes, der kommen würde, um die alttestamentlichen Prophetien zu erfüllen; - beispielsweise die Prophetien von der Wüste, "die frohlocken und blühen, zu Oasen und Brunnquellen werden wird", wie es bei dem Propheten Jesaja in einem unglaublich erwartungsvollen Bild einer glücklichen, friedlichen und sorglosen Zukunft so eindrucksvoll hieß (Jes. 35). Es war dies eine enorme Erwartung, die während einer mehrere Jahrhunderte andauernden Besatzung und Unterdrückung durch wechselnde Großmächte nahezu zur Existenzgrundlage des jüdischen Volkes geworden war.

             Diese Erwartungen können uns heute Schwierigkeiten machen, wo Weihnachten einerseits zu einer festen, wiederholten Tradition ohne besondere Überraschungen geworden ist und andererseits, weil wir heute ein etwas realistischeres Bild von den Erwartungen an Christus haben. Mit unserer rückschauenden historischen Einsicht kennen wir ja die Fortsetzung der Geschichte nach Weihnachten und zunächst in den etwa 33 Jahren danach, und so werden unsere Erwartungen mit dem Evangelium von Jesus Christus in einen ganz anderen Rahmen gestellt, als es das Umfeld der Juden war.

             Es kann einem daher schwer fallen, sich ganz in diese erwartungsvollen Texte aus dem Alten und Neuen Testament einzuleben, die zu Weihnachten hinführen sollen. Denn wir wissen genau, was kommen wird; Weihnachten kann uns in dem Sinne nicht mehr überraschen mit seiner frohen Botschaft von einem Erlöser in Gestalt eines neugeborenen Kindes in der Stadt Davids, das Christus, der Herr ist. Das alles wissen wir eigentlich schon seit langem; und wenn man nicht imstande ist, alles zu vergessen und an dem Totaltheater des Kirchenjahres teilzunehmen und in atemloser, erwartungsvoller Spannung mitzuleben in der bunten Collage der Adventszeit von dem, der kommen wird, ja, wenn wir das alles nicht hinter uns lassen können, dann muss man die Erwartungen für den Weihnachtsabend anderswo suchen, z.B. im Weihnachtsmann und in den Weihnachtsgeschenken. Aber man muss dabei immer in Erinnerung behalten, dass diese traditionellen Adventszeit-Erwartungen Zeichen der wirklichen Adventserwartung sind; - dass unsere Erwartungen z.B. in Bezug auf die Weihnachtsgeschenke zu einer Art Bild für die Erwartungen hinsichtlich der Ankunft des Messias vor 2000 Jahren werden.

             Ebenso wie man sich bei verschiedenen Fernsehsendungen im Trubel der Weihnachtszeit manchmal daran erinnern sollte, dass Weihnachten ja nicht nur von Engelchen und Weihnachtsmännern handelt, so müssen wir auch ab und an unsere Bilder und Traditionen gleichsam durchbrechen und darüber nachdenken, nicht nur wie wir Weihnachten feiern, sondern auch warum; was es eigentlich bedeutet, Weihnachten zu feiern? Und eine Weise, zum "ursprünglichen Weihnachten" zurückzukehren, besteht in dem Versuch, sich auf die Bedingungen der Adventszeit einzulassen. Aber nicht etwa so, dass man vorgibt, all seine Schulweisheit vergessen zu haben, und und so tut, als höre man jetzt zum allerersten Mal mit Staunen von Gottes Sohn als einem Kind in einer Krippe; sondern indem man gerade mit all seinem Wissen - und Glauben - zu verstehen sucht, was diese Dinge für mich heute bedeuten können.

             Da ist es dann gut und lehrreich, von Johannes dem Täufer zu hören, denn sicherlich kennen die Meisten von uns in irgendeinem Maß nicht nur den Zweifel des armen Johannes, als er in seiner Gefängniszelle sitzt und die vielen Gerüchte über Jesus hört; "stimmt das nun auch, oder müssen wir uns etwas anderes suchen, woran wir glauben können?"

             Johannes steht unter Druck von allen Seiten; sowohl durch seine Verantwortung als derjenige, der den Weg für Christus bereiten soll, als auch durch den Druck der Zeit. Er sitzt im Gefängnis des Vasallenkönigs Herodes Antipas und ist der Majestätsbeleidigung angeklagt, und er weiß, dass ihm kaum noch viel Zeit bleibt, bis er sterben muss. In der Situation muss man unweigerlich die Bilanz seines Lebens ziehen. Hat er sein Leben ordentlich gelebt? Hat er die Aufgabe gelöst, die ihm gestellt worden war? Zu der er geboren war? Wie sein Vater Zacharias bei seiner Geburt sagte: "Und du, mein Kind, wirst ein Prophet des Höchsten heißen, denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm seinen Weg bereiten..." Johannes hat die Ankunft des Messias vorbereiten sollen. Ein großer Teil seiner Erwartungen bestand in konkretem Handeln; - Menschen im Jordan zur Bekehrung im Glauben an die Vergebung der Sünden zu taufen, bis zu dem Tag, an dem Jesus zu ihm kommt und getauft wird. Damit beginnt Jesus, seine Aufgabe zu lösen, und Johannes kann die seine als beendet betrachten. Es geschieht wohl auch aus diesem Grunde, dass er sich die etwas selbsmörderische Aufgabe vornimmt, Moral und Lebensweise des Königs zu kritisieren.

             Aber es macht ja nichts, wenn er jetzt umgebracht wird; er hat ja getan, was er tun sollte.

             Aber als er allein in Finsternis und Elend des Gefängnisses sitzt, kommen ihm Zweifel. Hat er denn nun auch seine Aufgabe gelöst? Ist es auch Christus, dem er den Weg bereitet hat? Was wäre, wenn er sich geirrt hätte? Wenn Jesus gar nicht  der Messias ist, sondern wenn auch er nur ein Vorbereiter ist, ein Prophet, bis der richtige Messias kommt? Johannes hört in seiner Gefängniszelle die Gerüchte über Jesus, und aus irgendeinem Grunde beunruhigen sie ihn und lassen ihn zweifeln. So sehr, dass er durch seine Jünger eine Frage an Jesus stellen muss, um herauszufinden, ob er in Frieden und in der sicheren Überzeugung sterben kann, dass alles in Ordnung ist, oder ob sein Leben völlig nutzlos und missverstanden gewesen ist.

             Es ist nicht besonders angenehm, sich in Einsamkeit mit solchen Gedanken zu befassen, aber diese Gedanken sind unumgänglich für den Menschen, der sich seiner Verantwortung gegenüber dem Leben bewusst ist. Habe ich mein Leben ordentlich gelebt? Habe ich die Aufgaben, die mir gestellt worden sind und die ich mir selbst auferlegt habe, gelöst? Oder ist mein ganzes Leben ein Missverständnis, und wäre es besser gewesen, wenn ich gar nicht erst geboren worden wäre? Bohrende Fragen, die wir uns wohl alle manchmal stellen und die unsere Familie, Freunde und Kollegen mehr oder weniger direkt für uns beantworten. Manchmal sind die Fragen so aufdringlich und beherrschend und beunruhigend, dass man sogar Professionelle, Ärzte, Psychologen, Psychiater, ja, vielleicht sogar einen Pastor, befragen muss, um eine Art Antwort zu bekommen.

             Aber der arme Johannes, er hatte keine Möglichkeit, mit einem Psychologen oder einem Pastor zu sprechen, und das hätte ihm in seiner Situation wohl auch kaum geholfen. Das Einzige, was - vielleicht - seinen Zweifel hätte beseitigen und ihn in Frieden und Abgeklärtheit seinem Tod hätte entgegensehen lassen können, wäre eine klare und eindeutige Antwort Jesu gewesen. Ein Ja, das ihn glücklich gemacht hätte, oder ein Nein, das ihn gewiss betrübt hätte, das ihm aber wenigstens die Wahrheit gesagt hätte.

             Eigentlich hätte Jesus, als ihm die Zweifel des Johannes klar wurden, Johannes besuchen und ein bisschen akute Krisenhilfe leisten sollen, aber das tut er nicht. Er antwortet nicht einmal klar auf Johannes' verzweifelte Frage, sondern verweist nur auf die alten Prophetien des Jesaja, und liegt da nicht obendrein auch eine gewisse Kritik an Johannes in dem letzten Satz: "Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert"? Armer Johannes! Keine Antwort, die seinen schweren Zweifel beseitigen kann; der Zweifel hat ihn wahrscheinlich bis zum allerletzen Augenblick geplagt, bis das Schwert des Henkers seinem Leben ein plötzliches Ende bereitete.

             Eigentlich ist das doch eine völlige Unterminierung von Weihnachten, dass Johannes die Frage stellt und keine klare Antwort erhält in den wenigen Tagen, bis wir die unglaubliche Behauptung hören werden, dass das kleine Kind in der Krippe derjenige ist, der kommen wird. Denn eine Sache ist, dass wir die existenziellen Zweifel des Johannes von uns selbst kennen - ob man sein Leben ordentlich gelebt und genutzt hat -; aber wir können ja auch seinen Zweifel hinsichtlich Jesus wiedererkennen. War dieser Jesus, der in Bethlehem geboren war, wirklich Gottes Sohn? Oder sind wir mit Millionen und Abermillionen von Menschen in den vergangenen zweitausend Jahren Opfer des größen Betrugs der Weltgeschichte gewesen? Wer kann nicht wie Johannes von Zweifeln geplagt sein?

             Und sollte man nicht wirklich hin und wieder seinen Glauben vom Zweifel plagen lassen, weil ein Glaube ohne den geringsten Zweifel sehr leicht in Fanatismus umschlagen kann? Muss der Zweifel nicht in Wirklichkeit ein unumgänglicher und notweniger Teil des Glaubens an Jesus Christus sein? Denn wir können und wir sollen unseren Glauben nicht auf Wissen und Beweise bauen; wenn es so wäre, hätte Gott uns sicherlich etwas handgreiflichere Dinge gegeben, zu denen wir uns zu verhalten hätten, als einige Worte und einen Geist. Auch die konkreten Zeichen in unserem Gottesdienst, die Taufe und das Abendmahl, sind ja eben nur Zeichen, die auf das Wort verweisen, zur Verkündigung des Evangeliums über Jesus Christus. Genau damit musste sich Johannes in seiner Gefängniszelle begnügen, und genau damit müssen wir uns hier 2000 Jahre danach begnügen: das Wort von der Erfüllung der Erwartung in Jesus Christus zu hören. Daran zu glauben und manchmal auch daran zweifeln zu können; aber hoffentlich immer mit der Erwartung und der Hoffnung, dass der Einzige, der uns die endgültige und wahre Antwort auf unseren Glauben und unseren Zweifel geben kann, dass dieser Einzige einst, wenn die Zeit gekommen ist, es auch tun wird.

             In Wirklichkeit ist es vielleicht gerade diese kleine, erwartungsvolle Hoffnung, die immer unser stärkster Glaube sein wird.

Amen

 



Pastor Peter Lind
Middelfart (Dänemark)
E-Mail: pli(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


(zurück zum Seitenanfang)