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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 21.12.2008

Predigt zu Lukas 1:46-55, verfasst von Andrea Palm

Unser Predigttext ist ein Psalm aus dem Neuen Testament - von vielen Komponisten vertont, von vielen Chören gesungen! Das Magnificat, das Lied der Maria.


Liebe Gemeinde,

das Evangelium wird auf der ganzen Welt gelesen. Ich stelle mir vor, Lucy, die Flüchtlingsfrau aus dem Kongo, hört diese Verse. Lucy musste mit ihren Kindern ihr Dorf verlassen. Mit dem, was sie am Leibe trugen, kam sie nach vielen Strapazen im Flüchtlingslager an. Lucy weiß nicht, wie sie ihre Kinder und sich ernähren soll. Sie weiß nicht. wo ihr Mann und ihre Verwandten sind. Sie weiß nicht ob und wann sie je zurückkehren kann in ihr Dorf. Lucy ist erschöpft und heute schon froh um ein paar freundliche Worte, um relative Sicherheit und die wenigen Nahrungsmittel, die es im Lager für ihre Familie gibt. Eine Nonne im Lager liest die Verse der Maria vor. Was hört Lucy?

Sandra und ihr Mann leben von Hartz IV. Jochen hat zudem einen Ein-Euro-Job. Sandra hat gelernt, mit dem wenigen auszukommen. Sie kauft im Discounter ein und im Second-Hand-Laden. Solange wir gesund sind und zusammen halten, sagt sie, lassen wir uns nicht entmutigen. Aber Sandra und Jochen haben einen zwölfjährigen Sohn. 21 € sind für seine Kleider vorgesehen. Um 21 € kann man einen Zwölfjährigen nicht einkleiden. Wenn sie ihm wieder nur gebrauchte Schuhe und einen gebrauchten Anorak kaufen kann, zerreißt es Sandra das Herz.
Beim Wort zum Sonntag hört Sandra die Worte der Maria. Wie klingen diese Worte für sie?

Aber auch Jennifer im Eden Hotel in Dubai liest diese Verse. Jemand muss eine Bibel ins Zimmer gelegt haben.
Jennifer und ihr Freund haben um 8000 € die Unterwassersuite gemietet. Es ist, als lebe man in einem Aquarium, denn hintern den Glaswänden ist Meer und Jennifer ist umgeben von wunderschönen Fischen. Kevin, ihr Freund, ist eben von der Bar gekommen. Er flucht, denn die Finanzkrise hat ihn auch heute nicht wenig Aktien gekostet. Bald müssen sich die beiden für das Dinner am Abend umziehen, sie freuen sich auf lockere Gespräche mit all den Reichen und Schönen im Hotel. Aber noch ist ein bisschen Zeit und da entdeckt Jennifer die Bibel und blättert in ihr. Wie mögen die Verse der Maria auf sie wirken?

Das Evangelium wird auf der ganzen Welt gelesen. Aber wir hören auch Nachrichten, lesen Zeitung, schauen uns um. Wie passt beides zusammen: Die Worte der Maria, die Geschichten der Schönen und Reichen, der Flüchtlinge, derer, die in reichen Ländern zu den Armen gehören? Wo bin ich, die ich zwar niemals im Eden Hotel auch nur einen Kaffee trinken werde, aber doch mein tägliches Auskommen habe? Sind die Worte der Maria wahr? Sind sie nur ein billiger Trost? Gehören sie zum Flitter der Weihnachtszeit: ein schöner Glanz, aber billiges Material, nach den Feiertagen schnell wieder weggepackt?

Wer sind die Armen, die Niedrigen, die Hochmütigen, die Reichen, von denen Maria singt? Wer sind die, die Güter bekommen werden und wo sind die, die der Herr zerstreuen wird? Was haben Welt und Evangelium miteinander zu tun?

Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir uns die Maria, die diese Verse singt, genauer anschauen.

Vor kurzem war sie noch ein ganz normales Mädchen.
Sie hat gelernt, was eine Frau in Haus und Feld zu tun hat und sie hat im Elternhaus längst ihre festen Aufgaben gehabt. Von morgens bis abends musste sie mit anpacken, damit die Familie ihr Auskommen hatte. Man hat sich überlegt, dass Maria den Josef aus der Nachbarschaft heiraten könnte, keine schlechte Partie. Man hat über die Höhe der Mitgift verhandelt und über den Hochzeitstermin nachgedacht. Bei all dem hatte Maria nicht viel, vielleicht gar nichts zu sagen. Überhaupt hat sich niemand Gedanken gemacht über ihre Gefühle und Ansichten oder gar ihre Träume und Wünsche. Eine niedrige Magd, das war sie, Maria, so wie alle Mädchen aus der Nachbarschaft, damals, in Nazareth.

Die Geschichten der Bibel, die Psalmen, die Verheißungen, die kennt Maria, sie hat sie schon oft in der Synagoge gehört. Aber mit ihr hatten die nicht viel zu tun. Es waren die Geschichten der Vorfahren, der Helden, der Erlösten, der Sünder - aber es waren keine Geschichten von ganz normalen Mädchen und niedrigen Mägden. Jedenfalls hörte Maria es so: Mit ganz normalen Mädchen und niedrigen Mägden hat die Bibel, hat Gott eigentlich nichts zu tun.

Bis der Engel kam. „Du hast Gnade bei Gott gefunden", sagte er. Gott? Der große Gott beachtet niedrige Mägde?
Dein Sohn wird Sohn des Höchsten genannt werden? Sohn des Höchsten? Das ist doch der Messias? Er kommt? Er kommt als Kind? Er kommt als Sohn einer niedrigen Magd?

Als Maria das versteht, verschiebt sich ihr Bild von der Welt. Ihr Bild von oben und unten. Ihr Bild von dem, was normal ist. Ihr Bild von Gott.

Denn da geschieht ja einiges, was gar nicht möglich ist:
Gott ist auf Maria aufmerksam geworden? Auf sie, der noch nie jemand groß Beachtung geschenkt hat. Kann es sein, dass Gott schon immer auch niedrige Mägde angesehen hat? Kann es sein, dass Gott die Niedrigen, die Hungrigen, die, die nichts zu melden haben, die Gemobbten, die Entlassenen, die Verzagten, die Traurigen, die Erschöpften, die Ratlosen, die Einsamen, kann es sein, dass Gott die besonders mag? Womöglich schon immer Partei ergriffen hat für die, die eine Lobby besonders nötig brauchen? Auf einmal erinnert sich Maria ganz neu an die alten Geschichten: Ja, schon zu unseren Vätern hat er doch gesagt, dass ihm an den Niedrigen und Hilflosen liegt!

Die niedrige Magd sieht er an und schickt mit ihrer Hilfe der Welt den  Messias. Auf den haben Maria und ihre Leute schon lange sehnsuchtsvoll gewartet. Auf einen König. Einen, der mächtig ist und reich und schön, einen, der durchgreift und alles gut macht. Jetzt also wird er kommen? Und alles gut machen? Aber - was heißt das? Was ist denn gut?

Gut ist, wenn Marias Vater nicht einfach über seine Tochter verfügt, sondern fragt, was sie denkt und wie es ihr geht. Gut ist, wenn Lucy in Sicherheit ist, wenn sie ihre Kinder ernähren kann und ihr Land den Frieden erleben darf. Gut ist, wenn Sandra ein Auskommen hat, mit dem sie für die grundlegenden Bedürfnisse ihres Kindes sorgen kann. Gut ist, wenn Jennifer nach Hause fährt und die 8000 €, die sie zur Zeit täglich für gepflegte Langeweile ausgibt, verschenkt an die, die sie nötig haben.

Nun wird dieser Messias zwar kommen, weiß Maria, aber bis er herangewachsen ist, wird es noch lange dauern. Viele Menschen werden dazu helfen müssen, dass er groß und klug wird, dass er essen kann, gesund bleibt, lernen kann und einen Platz in der Welt findet. Die erste und größte Verantwortung wird sie übernehmen müssen. Sie, die niedrige Magd, das ganz normale Mädchen, soll Gottes Messias auf die Welt und ins Leben helfen. Ist das nicht eine verkehrte Welt?

Ja, Maria tut mit ihrem Lied einen Blick in eine verkehrte Welt. In eine Welt, die anders ist, als unsere Erfahrung und unsere Gewohnheit annimmt. Da übernehmen die Kleinen, die Unauffälligen, die Niedrigen die Regie. Da möchte Gott, dass ganz normale Menschen seinem Sohn auf die Welt helfen und daran mitarbeiten, dass diese Welt besser wird. Und die Unersättlichen, die, die das Sagen haben, die Beneideten und Bewunderten, die müssen erfahren, dass sie nicht sie es sind, um die sich die Welt dreht.

Es fällt uns schwer diesem Blick, den Maria auf die Welt tut, zu trauen. Einerseits glauben wir gar nicht, dass es den Lucys und Sandras dieser Welt einmal besser gehen wird und andererseits finden wir es ja auch ein schönes Ziel, zu den Mächtigen und Vermögenden zu gehören. Aber wenn es nun so ist, dass nicht Gottes Welt die verkehrte Welt ist, sondern unsere Regeln und Erfahrungen? Ist vielleicht deshalb so vieles auf unserer Welt falsch, verkehrt, weil wir den falschen Wahrheiten trauen?

Gott sieht die Niedrigen an. Er lebt mit in den Flüchtlingslagern, er geht mit Sandra auf den Flohmarkt und liest mit ihr Stellenanzeigen. Aber er kennt auch uns, wenn unsere Ratlosigkeit, unsere Resignation und unsere Bequemlichkeit uns lähmen und auch Jennifer erbarmt ihn, als sie die Bibel jetzt weglegt und schnell in die Shoppingmeile des Hotels geht, um ein Kleid für die Party am Abend zu kaufen.  Gott sieht uns an in unserer Niedrigkeit und sagt: Gerade euch brauche ich! Ihr könnt Gutes bewirken. Ihr könnt der Welt genau das geben, was sie braucht: Liebe und Erbarmen und Mut und Zukunft. Tut das, was ihr vermögt: Zieht eure Kinder mit Liebe groß. Lernt und gebt eure Erfahrungen weiter. Backt Kuchen für einen guten Zweck und macht Besuche beieinander, betet, träumt und weint und lacht, spendet, wenn ihr Geld dafür habt, nehmt Geschenke voneinander an, singt und erzählt, helft und hofft und ermutigt einander, bleibt wachsam, seid mutig und zäh und achtet einander. Nicht Helden und Millionäre brauche ich für diese Welt, sondern Menschen wie ihr, die das, was ihnen aufgetragen ist, tun, so gut und so liebevoll wie sie können. Dient dem Leben und dem Frieden!

Aber lasst euch nicht verführen von denen, die nur ihr Geld mit euch machen wollen, die ihre Macht mit eurer Hilfe ausbauen wollen, die Krieg führen auf dem Rücken von Frauen und Kindern. Lasst euch nicht euren Mut wegnehmen. Lasst euch nicht für dumm verkaufen. Glaubt nicht, dass die Hochmütigen es sind, die auf dem Thron sitzen und dass die Reichen über allem stehen. Gott ist auf eurer Seite. Er verlässt euch nicht und er traut euch eine Menge zu.

Lucy, du bist nicht allein. Lass dir helfen und bleib stark.
Lass dich nicht klein machen, Sandra. Bleib deinem Anliegen treu.
Jennifer, du kannst mehr als Geld ausgeben und schön sein. Komm nach Hause, du wirst gebraucht!
Und ihr, Tanja, Dieter, Karl, Martha, Renate, Helmut, stimmt ein in Marias Lied und glaubt an Gottes Welt!

Amen

309,1-4        Hoch hebt den Herrn mein Herz




Andrea Palm
Täferrot

E-Mail: andrea-palm@t-online.de

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