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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliger Abend, 24.12.2008

Predigt zu Lukas 2:1-14, verfasst von Dieter Koch

„Zu Bethlehem geboren, im Stall ein Kindelein, gibt sich für uns verloren, gelobet muß es sein"(EG 8,4). Das ist kurz und knapp die weihnachtliche Botschaft. Doch warum Bethlehem? Was suchen wir an diesem Ort, was finden wir hier? Für den Glauben ist Bethlehem eine Erinnerungslandschaft, voll der Freude. Doch das konkrete Bethlehem heute ist eine vielfach zerrissene, in den Daumenschrauben der nahöstlichen Politik schwer heimgesuchte Stadt. Für den Glauben ist Bethlehem die Traumlandschaft der Gnade. Doch das konkrete Bethlehem einst war eine Stadt wie jede andere, zwar lieblich hingeschmiegt an einen Hügelrücken, mit fruchtbaren Feldern am Rande der Wüste, dabei aber genauso erfüllt von Leid und Schmerz, Glück und Liebe wie jede andere Stadt dieser Welt. Warum also Bethlehem? „Ein Ort in allen vier Winden, ein Ort mit Tauben und Blinden - Bethlehem. Ein Ort, so arm wie verloren, mit verschlossenen Herzen und Toren - Bethlehem. Ein Ort mit Gassen und Straßen, in denen Flüchtlinge saßen - Bethlehem. Ein Ort mit Spöttern und Frommen, ein Ort, wo wir alle herkommen - Bethlehem." So fasst der Dichter Rudolf Otto Wiemer den konkreten Ort Bethlehem, um fortzufahren: „Ein Ort, wo wir alle hingehen, das Kind in der Krippe zu sehen - Bethlehem. Ein Ort, wo wir knien auf der Erden: Gott will unser Bruder werden - Bethlehem."

Mitten in den äußerlich beschreibbaren Ort, mitten in das Gewimmel des Lebens, das auch diesen Ort erfüllt, mitten in das Walten der großen Politik, das Joseph mit seiner Frau zwingt, in die Heimatstadt zu reisen, um sich der Steuererhebung des Augustus zu stellen, mitten in das Erhabene und Lächerliche, das Banale und Großmaulige, mitten in das Schäbige und Vollmundige fällt das Licht einer anderen Welt: Gott selbst erwählt sich diese Stätte, um hier als Krippenkind geboren zu werden. Der Heiland der Welt, der König der Herzen beginnt hier seinen Weg, damit wir in ihm, Jesus - unser aller Bruder und Herr - zu Brüdern und Schwestern werden. Bethlehem, also doch der Ort, wo wir alle hingehen, das Kind in der Krippe zu sehen. Der Ort, wo wir knien auf der Erden: Gott will unser Bruder werden.

Das ist die Botschaft der heiligen Nacht. Lukas schenkt sie uns in der Kunst seiner so eindrücklichen wie wohltuenden Wortmalerei. Eine Geschichte, die mitten im großen Trubel beginnt und in tiefe Stille führt, in die erhabene Stille der Anbetung.

In der Stadt Davids wird der verheißene Messiaskönig geboren, aber alles geschieht auf der ersten Stufe irdisch, nüchtern, menschlich-allzumenschlich. Eine ganz normale Geburt. Die Wehen, die das Kind ans Licht drängen, die Freude der Mutter, wie sie das Kind sieht, es in Windeln wickelt und in eine Krippe legt. Die Freude über das neu geschenkte Leben überstrahlt die Hektik der Tage und die Bitterkeit der Armut. Kaiser Augustus hatte sie nach Bethlehem getrieben. Hochschwanger angekommen, finden sie keinen Ort für die Geburt. Unter Schafen und Ziegen, im Hinterhof wird Maria entbunden. Die große Politik weiß nichts von den Nöten der kleinen, der einfachen, der normalen Menschen. Der Kaiser denkt an die Steuererhebung und an die Militärpflicht, Gott gedenkt der Heimgesuchten, der Gebeugten und Bedrückten. Der Kaiser denkt in den Kategorien der Macht und des Erfolgs. Gott denkt in den Kategorien der Freude und der Versöhnung. Der eine denkt in den Begriffen der Ordnung, der andere lässt die Verheißung der Freiheit wehen.

Über ein Meer getrennt, sind sie doch aneinander gekettet, der ferne Kaiser und der nahe Herr. Augustus im Palast, Christus im Stall. Was sie verbindet, ist Bethlehem, die Stadt Davids. Einst ging der König David aus Bethlehem hervor, ein Hirte, erwählt, Saul als König zu beerben. Mit ihm ging der Stern der machtvollen Herrlichkeit über Juda auf. Mit ihm verbindet sich aber auch die Tiefe des Gebets, der Perlenkranz der Psalmen. Die machtvolle Herrlichkeit zerbrach im Wüten der Geschichte, die Lieder, Klagen und Lobgesänge blieben. Die irdische Seite des Lebens zerbricht, die geistige Seite des Lebens sucht und mündet in Gott. Viele träumten von einem neuen Messias aus Davids Stamm, ein machtvollerer Herrscher als der fremde Imperator sollte hervorgehen, es war der ewig neue Traum von Macht und Geld. Geboren wird als der wahre Messias in Davids Stadt ein Bote der Güte und der Feindesliebe, ein Beter, ein Heiler, ein Liebender, erwählt zur Hingabe, bereit den Weg der Versöhnung bis ans Ende zugehen, bis ans Ende seines Kreuzestodes, auf dass ein für allemal der Geist der Rache gebrochen werde, und der Geist der Brüderlichkeit einkehre. Gott will unser Bruder werden - dafür steht Bethlehem. Das ist sein Ort in der Erinnerungslandschaft des Glaubens.

In der Stadt Davids wird - es ist die Stunde der großen Freude - der Heiland geboren. Im Engelswort und im Engelsjubel öffnet sich die innere Seite der Wirklichkeit. Geistige Geburt überstrahlt die natürliche Geburt. Auf der zweiten Stufe der Wahrnehmung tauchen wir ein in Gottes Wirken inmitten der Dinge. Zur Freude der Mutter tritt die Freude des Glaubens. Zur Nähe von Ochs und Esel tritt die Nähe Gottes. Er berührt die Herzen, er öffnet die Seelen. Er schenkt das Gebet, er macht bereit zur Versöhnung. Im Antlitz des Krippenkindes erstrahlt das Antlitz des menschenfreundlichen Gottes. Es ist die Stunde der Befreiung, die Stunde der Erlösung, die Stunde des Glücks: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Von nun an sind Gott und Mensch nicht mehr voneinander zu trennen, sind Gott und Mensch über die Brücke der Liebe fest miteinander verbunden. Es ist die Liebe, die von Gott her tröstend in unser Leben strömt, es ist die Liebe, die aus uns zu unserem Mitmenschen ströme, und ist und bleibt doch die eine untrennbare göttliche Liebe, die allein unserem Leben bleibenden Wert gibt. Die Erfahrung der Liebe Gottes ist der Wurzelgrund einer neuen Gemeinschaft, der Anbruch der Humanität.

Es gibt keine menschlichere Geschichte als die Weihnachtsbotschaft des Lukas. Sie kann unsere eigene Geschichte werden. Diese Geschichte holt uns aus der Hektik in die Stille, diese Geschichte holt uns aus dem Kampf der Interessen in das Geschenk der Gemeinschaft, diese Geschichte holt uns aus der Verachtung der Feinde in die Hochachtung für den Menschen. Diese Geschichte treibt weg von den selbstgeformten Götzen und führt uns hin zu dem lebendigen Gott. Keine Frage, diese Geschichte sucht nach einem Ort in unserem Leben. Bethlehem steht für den Ort Gottes in unserem Leben. Es liegt an uns, welches Bethlehem wir suchen und finden. Suchen wir die zerrissene Stadt, suchen wir den Konflikt der Interessen? Suchen wir die Taubheit und Blindheit der Herzen, den äußeren Glanz, den verlogenen Schein? Oder suchen und finden wir die Freude des Herzens, den Jubel der Versöhnung, das Glück der Gemeinschaft? Finden wir den Frieden, der mitten in uns anklopft und unter uns wachsen will, finden wir den Bruder und die Schwester und in ihrem Gesicht das Antlitz des Herrn!

(Wer heute nach Bethlehem geht, kann nicht übersehen, dass diese einst christliche Stadt zerrieben wird zwischen israelischer Militärmacht und palästinensischer Selbstverwaltung, wer heute nach Bethlehem geht, kann nicht übersehen, dass Christ-zu-sein in dieser Stadt inzwischen zu einer Lebensgefahr geworden ist, in der islamische Fanatiker Haß schüren und die Armut ihnen viele Mitläufer zutreibt. Wer heute an das irdische Bethlehem denkt, den erreicht ein tiefer Schmerz über die Friedlosigkeit dieser Welt und das Leid der vielen kleinen, einfachen Leute, die die Habgier der Großen bezahlen müssen.

Wer heute an Bethlehem denkt, der sieht aber auch vor sich die Geburtsgrotte mit dem Stern, darauf steht: Hier hat die Jungfrau Maria Jesus Christus geboren und dieser Stern bildet genau die innere Mitte der darüberliegenden Geburtskirche, eine der großen Reichskirchen, die Kaiser Konstantin im heiligen Land hat bauen lassen. Wer heute nach Bethlehem kommt, hat inmitten der Wunden und Heimsuchungen des Lebens die Chance, alles hinter sich zu lassen und Frieden zu finden, jenen Frieden, den nur Gott in die Herzen legen kann, den er aber in seinem Boten Jesus Christus versiegelt hat für uns auf alle Zeit. Wer heute nach Bethlehem kommt, der suche und finde wachen Herzens die göttliche Liebe in seinem lebendigen Wort Jesus Christus. Er sage mit dem Patriarchen Sophronius von Jerusalem: „Eine Glut göttlicher Sehnsucht/ im Herzen bergend, möchte ich kommen/ schnell nach Bethlehems kleiner Stadt,/ wo der Herr aller Herren geboren", um an heiliger Stätte zu tanzen. „In die Höhle möchte' ich gelangen,/ wo die jungfräuliche Herrin aller/ den Erlöser gebar den Menschen,/ der Gott und Mensch ist wahrhaftig. An die glänzende Platte,/ die Gott als Kindlein empfing, /die Augen, den Mund und den Scheitel/ drück ich, zu gewinnen den Segen")

Nur denke stets daran: Gottes Bethlehem in deinem Leben braucht keinen Ort auf der Landkarte, ausgewiesen nach Längen- und Breitengrad. Gottes Bethlehem ist der Ort, wo Gott dir geboren wird, wo du Gott neu entdeckst, der Ort, da der Friede dich berührt, die Stille dich beglückt, die Liebe sich dir schenkt und du zur Anbetung findest. Bethlehem, das ist dein Ort, wo du kniest auf der Erden und erfährst, stammelnd und jubelnd bekennst: Gott will mein Bruder werden. Der Ort, wo wir alle hingehen, das Kind in der Krippe zu sehen - Bethlehem. Der Ort, wo wir knien auf der Erden: Gott will unser Bruder werden - Bethlehem.

Zu Bethlehem geboren, im Stall ein Kindelein, gibt sich für uns verloren, gelobet muß es sein.



Pfarrer Dr. Dieter Koch
Stuttgart-Riedenberg
E-Mail: dieter-k-koch@web.de

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