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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 21.12.2008

Predigt zu Lukas 1:39-56, verfasst von Thomas Ammermann

Maria aber machte sich auf ... und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und ... als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth ...rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! ... Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe...

46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den
Herrn, /
47 und mein Geist freut sich Gottes, meines
Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. / Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan, / der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht  / bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm /  und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron / und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern / und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit / und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, / Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrte sie wieder heim.

„Maria sprach: Meine Seele erhebt den           Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines
Heilandes; denn er hat ... große Dinge an mir getan..."

Liebe Gemeinde!

Was sich zunächst harmlos anlässt, wie der privat-poetische Glücksseufzer einer werdenden Mutter, steigert sich in wenigen Worten zu der stampfenden Hoffnungs-Hymne einer ganzen Bekenntnisbewegung: „...der da mächtig ist und dessen Name heilig ist ... Seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten..." - und explodiert schließlich in einem regelrechten Schlachtruf jener entrechteten Massen, die auf das Signal zur Erhebung gegen Unrecht und Unterdrückung warten: „Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen..."

Was für ein Aufbrausen...Geradezu eine Stichflamme aus Worten! Erhebend (im Wortsinn), doch nicht unbedingt erbaulich! Und alles andere als das (vom richtigen Leben) unbefleckte Zirpen jener keuschen Jungfrau, als welche Maria uns bis heute (und vor allem in der Weihnachtszeit) verkauft wird! 

Was hier anklingt, ist die Sprache der Psalmen! Die Sprache lodernder Herzen. Ein typisch orientalisches Feuerwerk der nur zu leicht entflammbaren Phantasie jener Unterdrückten, Gedemütigten, vom Leben Betrogenen aus dem Reich von „Tausend und einer Nacht", zu deren Entzündung ein Funke der Hoffnung genügt - oder des Glaubens. (Ein Hüpfer des noch ungeborenen Johannes im Bauch der Elisabeth zum Beispiel...) Und ein „Fünkchen Wahrheit" steckt bekanntlich in jeder noch so märchenhaften Geschichte...

Ein Psalm also. Schön und gut. (Vor allem schön!) Doch, so fragt der aufgeklärte Mitteleuropäer mit über 2000-jähriger Adventserfahrung, was sind solche Worte mehr - was können sie für uns mehr sein - als Wunschträume?

„...Maria sprach: ... Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn der Herr hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist...." - Sprache der Psalmen eben. Sprache der Phantasie! Aber - Hand aufs Herz - doch wohl kaum mehr als die verbale Schwangerschaftsgymnastik einer werdenden Mutter mit leicht überspannten Zukunftsvorstellungen, oder?!

Schließlich wartet die Welt bereits seit ca. 2000 Jahren darauf, dass der HERR jene großen Dinge tut, die da angekündigt werden. Andernfalls, möchte man einwenden, würden wir dieser Tage nicht mehr den Advent (wörtlich: Ankunft) begehen müssen, jene alljährlichen Wochen der ritualisierten Erwartung auf das Erscheinen eines „Prinzen aus dem Land von Tausend und einer Nacht", mit dessen Ankunft alles anders werden, die immer wiederkehrende Dunkelheit unter und zwischen den Menschen endgültig überwunden werden soll... Aber der kommt nicht! (Und wenn er heute käme, käme er - wie schon einmal - unter uns vermutlich nicht allzu gut an!)

Zugegeben, Jesus wurde damals wirklich geboren. Meinetwegen auch als König - zumindest vor Gott. Aber mächtig war er zeitlebens nicht. Von wegen: „Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind ... Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen..."

Von Gott mag man das ja bekennen können, doch sein Sohn kam, wie wir wissen, selbst als ein Niedriger zur Welt - in einem schäbigen Stall bei Bethlehem - und in „niedern Hüllen", wie es im Weihnachtslied (EG 14) heißt, blieb unser Heiland im Grunde auch bis zu seinem Ende, als „Loser" der so gar nicht märchenhaften Geschichte, am Kreuz...

Nein, sosehr die Psalmen-Poeten des antiken Orients es sich auch gewünscht haben mochten, dass endlich einer käme, ein guter Starker, der „die Gewaltigen vom Thron stoßen" und dem Regime ihrer Unterdrückung ein Ende bereiten möge... - so sehr wir auf- und abgeklärten Prosa-Pragmatiker uns (unserer 2000-jährigen Adventserfahrung zum Spott) im Grunde doch noch immer genauso verzweifelt danach sehnen, dass endlich einer kommt (oder etwas geschieht), um den heute wie allenthalben Rücksichts- und Skrupellosen machtvoll Einhalt zu gebieten (denn ein Fünkchen Wahrheit muss doch in jeder Geschichte stecken!)...: Auf den einen gerechten Mächtigen warten wir immer noch und immer wieder vergeblich! Und wer heute noch - oder wieder einmal - meint, den irgendwo oder irgendwie gefunden zu haben, der wird bald am eigenen Leib erfahren, dass Advent jenseits der Märchen von Tausend und einer Nacht für ihn nur die Ankunft einer neuen Enttäuschung bedeuten kann!

Auf den Gott der Poeten jedenfalls, der - im Sinne der Psalmbeter - die Welt gerechter und besser macht „mit starker Hand und ausgestrecktem Arm" können wir uns in dieser Hinsicht nicht verlassen... - Und sollen es auch, um Gottes Willen, nicht! Denn tatsächlich hat der anderes vor mit uns und dieser Welt!

Advent heißt Ankunft: Gott kommt! - Nicht irgendein mehrheitlich gewählter oder sich erwählt fühlender Mensch mit mehr oder weniger guten Absichten, Ideen und Manieren... 

Indes wird es vorerst wohl eine unerfüllte Hoffnung bleiben, wonach viele Menschen in dieser Welt - damals wie heute - dürsteten und dürsten: dass damit jene, die sich Herrschaft und Kontrolle über andere anmaßen und Unterwerfung fordern, statt Zuwendung zu geben, dass die hierarchisch, statt partnerschaftlich Denkenden, nur scheinbar am Wohl der Gemeinschaft, ganz sicher aber an ihrem eigenen Fortkommen Interessierten, endlich vom Thron ihrer Triumphe gestoßen und ihr Heer von freiwilligen oder versehentlichen Mobbern und Intriganten, Denunzianten, Verleumdern und all den „Hoffährtigen" jener wie unserer Tage zerstreut werden... - Nicht viel mehr, als ein Wunschtraum das, ein altes Märchen aus „tausend und einer Nacht in uns", mit dem sich zu allen Zeiten Menschen selbst zu trösten versuch(t)en, wenn sie im Kampf um Gerechtigkeit und das, was sie für das Gute hielten, zu Boden gegangen und die bittere Wurzel der Erniedrigung zu beißen bekommen haben, welche ja denen, die nicht mehr können, so üppig wächst im Humus jenes allzu erdigen Bodens der Tatsachen dieser Welt... - dem Friedhof aller Träume von einer besseren...!

Advent heißt: Gott kommt ganz anders! Äußerlich betrachtet wäre da zunächst kaum mehr zu erzählen, als die Geschichte von der Geburt eines Kindes in himmelschreiender Armut. („...Maria gebar ihren ersten Sohn und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge" heißt es bei Lukas (LK 2, 7).) ...Gewiss kein Stoff für Wunschträume!

Gott lässt keinen Zweifel daran, dass äußere Umstände wie Herkunft oder Vermögen, Macht oder Manieren in Blick auf das, worauf es bei ihm ankommt, keine Rolle spielen. Und doch kann von jenem „kleinen Licht aus Bethlehem" nicht weniger ausgehen, als ein zündend heller Funke gegen die Nacht und alle lähmende Dunkelheit in uns. Buchstäblich „am eigenen Leibe" sollen (und können!) das auch aufgeklärte und Demokratie geübte Mitteleuropäer erfahren. Vorausgesetzt, sie bleiben im Herzen entflammbar! Denn ein „Fünkchen Wahrheit" steckt in jeder guten Geschichte. ...Und ein Funke genügt, um Herzen zu entflammen! 

In diesem Sinne heißt Advent auch: Gott kommt wieder! - Aber, wie gesagt: ganz anders... ganz innen...

Fragen wir also einmal, wie wir uns das, die verheißene An- und Wiederkunft Gottes in der Welt, heute vorstellen können:

Maria sprach: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat ... große Dinge an mir getan...". Und sie wusste warum. Sie war schwanger.

Oder anders: Maria erlebte am eigene Leib, dass alles wirklich Neue, die große Veränderung und Verwirklichung aller Verheißung über dem Leben auf dieser Welt, dass Gottes großer Segen, im ganz Kleinen und tief innen seinen Anfang nimmt.

Gottes Ankunft geschieht im Kleinen: Mit einem kleinen Kind in einem Stall bei Bethlehem. Das Kind in der Krippe wird zum Abbild aller Veränderung im Namen der Liebe Gottes zu den Menschen „seines Wohlgefallens", wie es in der Weihnachtsgeschichte heißt. Und das Bild stimmt: So ein hilfloses Kleinkind verändert ja tatsächlich alles im Leben seiner Eltern... - Genau wie Gott im Leben derer, die mit der Hoffnung auf ihn „schwanger gehen".

Und weiter: So ein keines Kind gibt nicht weniger als die große Richtung an, in die das Leben und Streben seiner Eltern sich fortan bewegen soll: Zuwendung, Fürsorge, Zutrauen... - die Richtung Gottes mit den Menschen - ...und vermittelt zugleich den Grund, aus dem sie all das können (wieder und wieder): Liebe...

Gott liebt! Gott macht sich klein. Im physischen und im sozialen Sinne.

Liebe Gemeinde,

ich glaube, in Jesus Christus - geboren „in niedern Hüllen" und bar aller äußerlichen Symbole seiner Überlegenheit auch bis zum Schluss - kommt tatsächlich so etwas wie der Prototyp eines neuen Menschen zum Vorschein, des Menschen nach dem Ebenbild eines liebenden Gottes.

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt", soll er einmal gesagt haben. Als er vor Pilatus stand, gefragt nach dem Realgrund seiner Herrschaft. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt...!"

Und gerade deshalb kann dieser „Typ" (und kein anderer) die Welt auch wirklich und wirksam verändern - das heißt von sich selbst erlösen! Niemand anders als das kleine Kind in der Krippe und später der „Loser" - in meiner freien englischen Übersetzung ein Wort für „Erlöser" - am Kreuz!

Weil er nicht nach den irdischen Prinzipien von Herrschaft und Unterwerfung regiert, nicht reagiert auf den alten Mechanismus von Macht und Aufbegehren, Gewalt und Gegengewalt, sondern seinen eigenen Weg geht. Jesus Christus geht den Weg der Liebe, der Zuwendung zu den Menschen, des Vertrauens und der Wahrheit. - Oder wenn  Sie wollen: Der Poesie im Sinne der Psalmen und der Prosa dieser Welt zum Trotz!... 

...Und kommt prompt unter die Räder, stimmt!

Aber genau da ist ja sein Platz: Unter den Rädern, zwischen den Zahnrädern der allzu geölt laufenden, menschenverachtenden Hass- und Machtmaschinen dieser Welt. Sand im Getriebe! Stein des Anstoßes im Brot der Satten - „Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen", heißt es - aber zugleich Eckstein im Gedankengebäude all jener, die nicht bloß auf die Statik irdischer Institutionen und äußerlicher Machtentfaltung bauen mögen, auf „Ruhe und Ordnung", eine perfekte Verwaltung in sauberen Häusern ohne Leben und Lachen...

Denn Advent heißt dagegen: Jesus Christus - der neue Typ Mensch - kommt immer wieder! Das „kleine Licht aus Bethlehem" ist nicht mehr wegzudenken oder -zureden. In allen, die, der Prosa dieser Welt zum Trotz, poetisch denken (im Sinne der Psalmen), die träumen können - und nicht nur das - von einer Erneuerung der Herzen, einem Aufbruch von Innen, der Überwindung bedrückender Zwänge und neurotischer Zwanghaftigkeiten, falscher Autoritäten und angstvollen Kontrollgebarens, der Furcht, den Selbstzweifeln und und und..., ist er gegenwärtig.

Alle Jahre wieder kommt der Advent. Wieder und wieder kommt Jesus Christus bis an der Welt Ende. Bis End-lich alle Gott loben mit Leib und Leben!

Stichwort „Leib: ":...als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth ...rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! ... Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe...

Und" die werdende Mutter „Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes..."

Liebe Gemeinde,

mit der sehr menschlichen, Leib-haftigen Freude über ein Kind für das es sich (weiter) zu leben lohnt, beginnt alle Veränderung des Geistes. Das große Umdenken in der Welt. Denn dieses kleine Kind ist ein Zeichen der Liebe Gottes, Hinweis-Zeichen auf die Richtung, in die Gott all die Menschen „seines Wohlgefallens" zu gehen geheißt...

„... denn er hat große Dinge an mir getan... von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder!"

Gottes Ankunft geschieht im Innern: Mit einem kleinen Hüpfer des ungeborenen Johannes im Bauch seiner Mutter, der Maria zum Zeichen wurde; mit dem „Bauchgefühl" zweier Frauen, die plötzlich wussten: Jetzt ist die Zeit reif für eine Veränderung von Innen her!

Und darauf kommt´s an. Darauf allein. Denn alles wirklich Neue kommt von Innen! Gottes Advent kommt von Innen!

In diesem Sinne: Lassen Sie uns „auf- und abgeklärte Mitteleuropäer" nicht länger warten, dass „etwas geschieht", ein „guter Starker" aus der „neuen Welt" von „tausend und einer Nacht" den Frieden auf Erden bringt und Gerechtigkeit, „Erlösung" vom Joch der Finanzkrise etc.. Denn jetzt ist Advent. Zeit unserer Besinnung, unseres Umdenkens, unserer Abkehr von den alten Götzen äußerlicher Machtentfaltung. Zeit, nach innen zu blicken und die Macht des Vertrauens, der Phantasie, des Glaubens an die Liebe neu zu kultivieren, ...das „Kind in uns hüpfen" zu lassen!

Denn der Herr hat große Dinge an uns getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. (...) Seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. (...) Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern (...) in Ewigkeit.

Mehr als „ein Funken Wahrheit" steckt in dieser Verheißung und mehr als bloß ein wenig Erbauung: Stichflamme aus Worten! ...Loderndes Feuer der Veränderung! ...Bestechender Glaube!

Mögen auch Sie den dieser Tage „am eigenen Leib erfahren".

In diesem Sinne: Touchè, Gemeinde!

Amen.



Pfarrer Thomas Ammermann
Bad Mergentheim
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