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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 21.12.2008

Predigt zu Lukas 1:46-55, verfasst von Ralf Hoburg

Lobgesang zwischen Krise und Hoffnung

Mitten in einer Krise sich zu freuen fällt nicht leicht. Die Prognosen sind düster. Die Adventszeit ist in diesem Jahr überschattet von den bedeutungsschwangeren Worten einer Weltrezession und deutlich wahrnehmbaren Konjunktureinbrüchen als Folge der Bankenkrise des Herbstes des Jahres 2008. Was auf die Menschen hierzulande und auch andernorts zukommen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Liest man aufmerksam die Berichte im Politik- und Wirtschaftsteil der Zeitungen kann man hinter den rhetorischen Nebelschwaben den Eindruck von Orientierungslosigkeit gewinnen. Das Szenario der kommenden Monate ist offen. Es kann so ausgehen oder auch anders kommen. Sich zu freuen fällt also nicht leicht in diesen Tagen.

Und dennoch ist spürbar Advent als wäre nichts geschehen. Ein paar winterliche Tage hat der Norden schon gesehen. Mindestens einmal gab es schon das obligatorische Schnee-Chaos auf den Straßen. Im Harz war die Schneedecke fest, so dass an den ersten Adventswochenenden „Ski und Rodel" gut war... Wenn Winter kommt, ist der Advent nah. Die modernen Zeichen für Weihnachten waren indes schon ab Herbst sinnenfällig da, weil Aldi, Plus und Lidl partout nicht abwarten konnten und vor lauter adventlicher Vorfreude die Nürnberger Lebkuchenherzen schon Ende September in die Regale platzierte. Die Vorfreude wird immer früher! Und ehrlich gesagt konnte ich der Empfehlung der Bischöfin Margot Kässmann in meinem Herzen einfach nicht Folge leisten, die als „Päpstin" von Hannover wie jedes Jahr trotzig die Parole ausgab: „Advent fängt am 1. Dezember an"... Mit ganzer kindlicher Vorfreude wurde ich zum „frommen" Konsumenten und naschte einfach in der Vorwegnahme des Reiches Gottes Ende September ein Nürnberger Lebkuchenherz. Die Vorfreude auf Weihnachten bricht sich eben auf seine Weise jedes Jahr neu Bahn. Das Spektakel nimmt seinen Lauf und so stellt sich unser Denken je näher das Fest des Heiligen Abend kommt auf den Aspekt der Freude ein. Bei dem einen so - bei dem anderen ganz anders!

 

I.

Bekenntnis zur Freude

Die Adventszeit ist voller Symbole und Zeichen der Vorfreude. An der Szenerie ist nun wirklich alles bis ins Letzte bekannt und der Engel bildet das Hauptsymbol des Advent. Würden sie jetzt die Augen schließen, es würden sofort altbekannte Bilder aus ihrer Kinder-zeit vor ihrem inneren Auge erscheinen. Bei alledem prägt die hoffnungsvolle Erwartung auf das eigentliche Geschehen die biblische Komposition der Weihnachtserzählung. Vor das Eigentliche - die Geburt des Heilandes Jesus von Nazareth in der Krippe von Bethlehem (Lk 2) - platziert der Evangelist Lukas verschiedene Ankündigungen und Bekenntnisse, die das Wunder der Geburt des Gottessohnes unterstreichen sollen. Es geht nicht nur um die Geburt eines irdischen Königs, sondern um die Geburt Gottes, der als sterblicher Mensch zur Welt kommt. Im Zentrum steht bei Lukas wie in keinem anderen Evangelium das Geschehen um die werdende Mutter Maria. Die Verheißung, dass sie als sterbliche Frau den Sohn Gottes gebären wird, wird ihr selbst durch den Engel Gabriel verkündigt. Berühmt ist die künstlerische Darstellung von Caravaggio aus dem Jahr 1608, auf der der Engel zärtlich das Haupt Marias berührt. Und wer denkt nicht sofort an das „Ave Maria" von Franz Schubert, das millionenfach die Adventszeit musikalisch begleitet. Maria - das ist in der christlichen Tradition eine besondere Frau, als Jesu leibliche Mutter ist sie auch in einer bevorzugten Stellung zu Gott.

Für unsere Ohren ist dies weithin durch die immerwiederkehrende Vermittlung in der Advents- und Weihnachtszeit bekannt und kaum mehr einer Nachricht wert. Dass Maria die Mutter Jesu ist, zählt für uns zu den Voraussetzungen der Weihnachtserzählung. Es gehört zum alljährlichen Weihnachtsritual, neben der Weihnachtsgeschichte auch die Geschichte von Maria und Josef, aber vor allem den Lobgesang Marias (Lk. 1,46-55) zu lesen. Maria ist die „Mutter Gottes" - ja, das ist so - , das Eigentliche kommt aber erst ein Kapitel danach und etwas ungeduldig sind wir gespannt auf die eigentliche Weihnachtserzählung von den Hirten auf dem Felde, den Engeln, den drei Königen und im Zentrum dem Geschehen an der Krippe, in deren Mitte Jesus liegt. (Lk 2, 1-21)

Und mittendrin und als Vorbereitung auf das Eigentliche erscheint alles Geschehen zunächst auf Maria fixiert. Maria gilt als Vorbild des Glaubens und als Mutter der katholischen Kirche. Mit Ihrem Ja zu Gott hat sie Gott in sich Raum gewährt, hat ihn in sich wachsen lassen, hat sich von ihm einnehmen lassen. Gleichzeitig hat sie Gott ein menschliches Gesicht gegeben, hat ihn unter Menschen erfahrbar und erlebbar gemacht und damit den Mitmenschen geholfen, ihrerseits befreit und erlöst und damit richtig Mensch zu werden.

Maria: das ist die theologische Voraussetzung für die Geburt Jesu. Das Wundersame, ja geradezu provokative kommt dabei oft zu kurz. In der katholischen Tradition hat Maria eine besondere Stellung. Als Mutter Gottes ist sie Gegenstand der frommen Anbetung. Fast in einem Atemzug steht mit dem Prädikat der Gottesmutterschaft der Aspekt der Jungfräulichkeit Marias. Sie beruhte im 2. oder 3. Jahrhundert auf der Auffassung, dass nicht der irdische Ehemann Joseph, sondern Gott selbst der wahre Vater Jesu sei. (Lk 1, 35). In der Alten Kirche entstand ab dem 3. Jahrhundert der Marienkult. In ihm verehrt der christliche Glaube Maria in ihrer Funktion als Gottesgebärerin. Was ist also das Besondere oder besser das provokative an Maria?

Das Befremdliche an Maria und der Vorstellung, dass eine Frau Gottes Sohn gebiert, zeigt sich eher aus der Perspektive anderer Religionen. Liest man den Text mit den Augen des Judentums, so zeigt sich die Fremdartigkeit dieser Vorstellung. Fest verankert ist im jüdischen Glauben der Gedanke der Erwählung. JHWE erwählt das Volk Israel und JHWE erwählt Mose und die Propheten als Auserwählte des Volkes. In dieser Tradition steht dann das Bekenntnis Marias, das bei dem Evangelisten Lukas als Lobgesang tituliert wird, das in Aufnahme von 1. Sam. 2 von der Erwählung einer Magd aus der Niedrigkeit spricht. Maria ist als Mensch erwählt und steht damit in der Fortsetzung der Erwählung der Propheten wie Amos, Jesaja und Jeremia. Sie waren Werkzeuge in der Hand Gottes, durch die er an der Welt gehandelt hat. Sie sprachen und handelten stellvertretend für Gott. Und so repräsentiert der Gesang Marias diese prophetische Tradition. Ihr Bekenntnis zur Freude geht weit über die individuelle Freude einer werdenden Mutter hinaus. Die Freude ein Kind zu gebären wird im Lobgesang Marias zu einem visionären Lobgesang einer gerechten Weltordnung. Ihre Freude bringt zum Ausdruck, dass durch das, was Gott an ihr getan hat, er gleichzeitig als Gott in das Weltgeschehen nachhaltig eingreift. Das Fremdartige liegt nun allerdings im jüdischen Ver-ständnis darin, dass JHWE in seinem Handeln der Mittlerin Maria bedarf, um als Gott Mensch zu werden. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat es in einer Predigt zum Text, die er am 17. Dezember 1933 während seines Vikariates in London hielt, wie folgt ausgedrückt:

„Was wird denn da gespielt, wo Maria die Mutter Gottes wird?
Wo Gott in der Niedrigkeit der Krippe in die Welt kommt?
Weltgericht und Welterlösung - das ist es, was hier geschieht.
Und das Christuskind in der Krippe selbst ist es, das Weltgericht und Welterlösung hält.
Es stößt die Großen und Gewaltigen zurück.
Es stürzt die Throne der Machthaber.
Es demütigt die Hoffärtigen.
Sein Arm übt Gewalt über alle Hohen und Starken
und er erhebt, was niedrig ist und macht es groß und herrlich in seiner Barmherzigkeit.
Und darum können wir an seine Krippe nicht treten wie an die Wiege eines anderen Kindes. Sondern wer an seine Krippe gehen will, mit dem geht etwas vor.
Der kann nur gerichtet oder erlöst wieder von ihr fortgehen.
Der muss hier entweder zusammenbrechen oder er weiß die Barmherzigkeit Gottes sich zugewandt.

Das Besondere der Offenbarung Gottes in Jesus Christus erfordert offensichtlich einer beson-deren Inszenierung. Maria ist ein Teil dieser Inszenierung, wohlvertraut und doch immer wieder sperrig und fremdartig.

 

II.

Freude als prophetische Vision

Betont die katholische Tradition vor allem das Faktum, dass Maria die Mutter Gottes ist, worin für jüdische Ohren durchaus eine Provokation steckt, lässt sich vor dem Hintergrund jüdischer Prophetie Maria durchaus als Prophetin beschreiben, die ihren Lobgesang mitten in die Krise hinein spricht. Und gemeint ist in der Perspektive des Evangelisten Lukas natürlich die Krise des jüdischen Volkes, das in der Zeit des römischen Kaisers Augustus unter dem Diktat des römischen Reiches zu leiden hatte. Maria wird somit unterdessen zu einer politischen Figur am Rande des friedlich romantischen Weihnachtsgeschehens. Dietrich Bonhoeffer weist in seiner Predigt zum Text der biblisch-reformatorischen Auslegung den Weg, indem er beschreibt, dass in Marias Worten die Auflehnung gegen die Ungerechtigkeit der Welt steckt. Und Bonhoeffer weiter: „Und das ist ja das Wunder aller Wunder, dass Gott das Niedrige liebt. ‚Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.' Gott in der Niedrigkeit - das ist das revolutionäre, das leidenschaftliche Adventswort. Zunächst Maria selbst, die Zimmermannsfrau. Sagen wir: die arme Arbeiterfrau, unbekannt, bei den Menschen unangesehen - nun aber gerade in ihrer Unansehnlichkeit, in ihrer Niedrigkeit bei den Menschen von Gott angesehen und ausersehen, Mutter des Weltenretters zu sein."

Maria weiss sich in ihrer Niedrigkeit erwählt und lobt Gott, der in seinem Handeln die Macht hat, die Verhältnisse umzukehren. Ganz in der jüdischen Tradition beschreibt Maria JHWE in seiner Barmherzigkeit. (Lk 1,50) Gottes Wesen ist die Gnade und die Kontinuität, die in der hebräischen Bibel an hervorgehobener Stelle gepriesen wird, wenn es in 2. Mose 3,14 heißt: „Ich werde dasein". Gottes Handeln an der Welt ist beständig von Generation zu Generation. Zugleich führt sein Handeln zur Krise der Welt. Denn er übt Gewalt mit seinem Arm (Lk 1,51) und er stößt die Gewaltigen vom Thron (Lk 1,52). Gottes Handeln ist eben auch Krise für die Welt. Wenn Gott also Maria zum Werkzeug in dieser Geschichte zwischen Gott und Welt macht, dann ist das - so schreibt Dietrich Bonhoeffer - nicht eine idyllische Familienangelegenheit, sondern es ist der Beginn einer völligen Umkehrung, Neuordnung aller Dinge dieser Erde.

So geht von Maria als Mutter Gottes eine durchaus doppelte Provokation aus: Zum einen die Botschaft, dass sich Gott nicht so allmächtig zeigt, dass er unabhängig von einem Menschen seinen Sohn Jesus Christus in die Welt expediert... Gott kommt in gewisser Weise ganz ordentlich wie jeder andere Mensch zur Welt. Das ist schon eine Provokation an sich, wenn man sich die antike Götterwelt vorstellt. Der griechische Gott Zeus ist ungeboren, unendlich und unwandelbar. Der christliche Gott wird als Mensch geboren und verändert auch als Mensch die Welt. Zum anderen verkörpert Maria neben Johannes dem Täufer die jüdisch-prophetische Tradition. Ihr Lobgesang ist zugleich eine prophetische Vision.

III.

Die freudige Vision der Hoffnung

Die Freude in der Krise fällt nicht leicht. Mitten in der Krise kann man aber eine tiefere Form der Hoffnung entwickeln. Der Lobgesang der Maria wird damit zu einem Hoffnungstext mit einer klaren Vision für die Gegenwart. Es steht fest, wie ich es eingangs beschrieben habe: Die Prognose ist düster und die Zukunft könnte so oder so ausgehen.

Aber hat nicht auch die Krise der Wirtschaft etwas von dem gezeigt, was in Marias Lobgesang in den Worten von Psalmen beschrieben hat: nämlich die Hoffart und die Verkehrung des Sinnes der Herzen? Der Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der in diesen Tagen seinen 90. Geburtstag feiert, war schon vor zehn Jahren 1998 in einem Buch auf der „Suche nach einer öffentlichen Moral". In der Tradition biblischer Prophetie prangerte er die zwiespältige Rolle der Manager an und forderte von den Finanzinstituten Selbstdisziplin und Aufsicht. Und geradezu in Erfüllung geht doch in diesen Tagen die Vision im Lobgesang Marias, dass die „Reichen leer ausgehen". Das Geld der Reichen und der Nimmersätter wurde zu großen Teilen durch den Verfall der Aktien- und Börsenkurse erdrutschartig vernichtet. Hier ist keine Häme angebracht, sondern eine Empfindsamkeit vor der Weisheit biblischer Texte. Advent und Weihnachten weisen auf das Handeln Gottes hin. Wenn Gott auf die Welt kommt, dann verändert sich gewaltig was. Maria verkündigt uns die Vision von der Veränderung der Welt, wenn Gott die Gewaltigen vom Thron stürzt, die Niedrigen erhebt und die Hungrigen mit Gütern füllt. Das ist die freudige Vision, die von Weihnachten ausgeht, dass soziale Gerechtigkeit auf Erden sein wird.

Dietrich Bonhoeffer predigte über diesen Text 1933 - das war vor 75 Jahren - zu einer Zeit als die Welt zu brennen begann. Seine fragende Mahnung soll zugleich Frage an uns heute sein: „Ob dieses Weihnachten uns dazu helfen wird, noch einmal an diesem Punkt radikal umzulernen, umzudenken und zu wissen, dass unser Weg, sofern er ein Weg zu Gott sein soll, uns nicht auf die Höhen, sondern ganz wirklich in die Tiefen, zu den Geringen führt? Und dass jeder Lebensweg, der nur ein Höhenweg sein soll, ein Ende mit Schrecken nehmen muß." Mitten in der Krise sich zu freuen fällt nicht leicht. Aber die Krise mit der Hoffnung zu sehen, dass Gott mitten in der Welt ist, verändert den Blick, weil es uns auf das Wesentliche schauen lässt. Dass hat Maria uns wie auch Johannes der Täufer gezeigt.

Amen



Prof. Dr. Ralf Hoburg
Fachhochschule Hannover
E-Mail: Ralf.Hoburg@fh-hannover.de

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