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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest - 1. Weihnachtstag, 25.12.2008

Predigt zu Lukas 2:15-20, verfasst von Wolfgang Vögele

„Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Laßt uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war."

 

Liebe Gemeinde,

Krisen, Katastrophen und Gelassenheit: Genaue Beobachter des Zeitgeschehens haben sorgfältig registriert, was an diesem hektischen und verwirrenden Jahr 2008 so ungewöhnlich war. Allerorten waren drohende und bereits eingetretene Krisen wahrzunehmen, bei den Investment-Banken, bei der Wirtschaft, schnell auch bei der Politik. Aber den Alltag der Menschen hat das kaum erschüttert. Der Benzinpreis ist gesunken - also vermeintlich kein Grund zur Beunruhigung. Die Bankenkrise kann noch so schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen: ausgefallene Kredite, abgeschriebene und verlorene Fonds-Anteile. Trotzdem läßt sich jeder weiterhin sein Gehalt auf das eigene Girokonto überweisen. Auf der einen Seite reagieren die Medien auf die Bankenkrise mit der üblichen Mischung aus Hektik und Aufgeregtheit. Auf der anderen Seite erstaunt die Gelassenheit, mit der die Menschen sich nicht von ihrer gewohnten Tagesordnung abbringen lassen. Hektik und Gelassenheit passen nicht recht zusammen.

Und nun kommt auch noch Weihnachten dazwischen! Und Weihnachten eröffnet einen viel versprechenden Weg: hinaus aus dem Teufelskreis von privater Gelassenheit und öffentlicher Aufregung. Ich will Ihnen einen sanften Weg bahnen aus der schwierigen Gemengelage zwischen Gelassenheit und Unheilsprophetie, zwischen Langeweile, Gewöhnungseffekt und öffentlichem Theaterdonner.

Wer Weihnachten feiern will, begibt sich auf die Suche nach einem sanften Weg. Man muß genau abwägen, was einem Menschen da helfen kann. Ich bin mir sicher, das Einkaufs- und das Geschenkeweihnachten kann nicht helfen. Helfen kann nur diese einfache Erzählung, die sich weit abseits der Weltgeschichte in einem kleinen unbekannten Dorf mit dem Namen Bethlehem zuträgt. Ich suche einen sanften Weg heraus aus aller Aufregung und ich finde ihn in der unaufdringlichen und zarten Geschichte vom schlichten Zimmermann Josef und seiner gesegneten schwangeren Verlobten Maria. Machen wir uns also auf vom geschmückten Weihnachtsbaum über die sternenglänzende Fußgängerzone bis zu diesem von Kerzen beleuchteten Stall in Bethlehem.

Wer diesen Weihnachtsweg gehen will, muß sich vorbereiten. Wer sich vorbereitet, setzt eine Grenze zwischen Alltag und Fest. Den Alltag läßt er hinter sich, um einen neuen Weg zu gehen. Bei Vorbereitung denke ich nicht an überhastete Geschenkekäufe in der letzten Minuten, nicht an das Anstehen für die Weihnachtsgans am Marktstand und auch nicht an den Kauf eines Weihnachtsbaums am Samstag vor dem Heiligen Abend.

Nein, Weihnachtsvorbereitung fängt im Herzen, im Kopf und in der Seele an. Wer feiern will, braucht einen klaren Kopf und ein offenes Herz. Er braucht Vorsicht und Behutsamkeit. Dann kann er in weitem Abstand den Hirten nachfolgen und sorgfältig die Schlußfolgerungen aus ihrer Neugier bedenken. Er nimmt von ferne die nachdenkliche Jesusmutter Maria wahr und wundert sich über die Zustände ihres Herzens.

Bevor aber über die Distanz von 2000 Jahren Maria und die Hirten in den Blick kommen, müssen wir zunächst einmal aufräumen, neu ordnen und vergessen. Am Anfang von Weihnachten steht die bittere und entmutigende Erkenntnis: So vieles hat im vergangenen Jahr die Aufmerksamkeit gefesselt. Vielleicht standen Sie bei Ihrer Arbeit vor schwierigen Aufgaben und Projekten. Vielleicht haben Sie durch eine Krankheit die Zerbrechlichkeit des Lebens erfahren. Vielleicht haben Sie Streit und Auseinandersetzungen mit ihren Freunden erlebt. Vielleicht sind Ihnen Mißgeschicke passiert, die Sie nicht erwartet hatten. Dazu kommen all die politischen Ereignisse, die wir über Nachrichten und Fernsehen registriert haben: Der erste Farbige wurde ins Weiße Haus gewählt. In China kamen über 70000 Menschen bei einem Erdbeben ums Leben. Und die ganze Welt wurde und wird von einer umfassenden Finanz- und Bankenkrise erschüttert, die Unternehmen und Geldinstitute reihenweise in den Ruin trieb.

Weihnachten bedeutet: Das erste, was unsere Aufmerksamkeit fesselt, sei es das Private, das Berufliche, das Politische oder die Wirtschaft, ist nicht immer das Wichtigste. Weihnachten bedeutet: Dieses Leben, diese Welt, diese Nachrichten und dieser Alltag  rücken allesamt an die zweite Stelle. Weihnachten meint Aufräumen bei der eigenen Aufmerksamkeit: Umwertung aller Werte, die Tages-, Lebens- und Alltagsordnung wird zurechtgerückt. Nicht daß das alles bedeutungslos würde, aber es wird relativiert, an einen anderen Ort gesetzt.

Den steinigen und schwierigen Weg nach Weihnachten bestimmt eine ganz einfache Bewegung. Es handelt sich um nichts weniger als um eine Rückbesinnung. Wer verwirren will, beschleunigt. Wer Hektik macht, erzeugt Dummheit. Die geistliche Bewegung von Weihnachten ist eine ganz einfache: Sie rückt das kleine Kind in der Krippe in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wirklich alle, die Sterne, die Hirten, die Engel, Ochs und Esel, die Könige und sogar der böse Tyrann Herodes, Maria und Josef, sie alle staunen über dieses kleine Kind in der Krippe. Auf dieses Kind richtet sich die strahlende Botschaft der Engel und die Neugier der Hirten. Dieses kleine verletzliche Kind, das wenige Stunden nach der Geburt wahrscheinlich vor Erschöpfung schläft, es wird bewundert, bestaunt, beschenkt und besungen. Wahrscheinlich bekommt es von dem allem nichts mit. Auf den Punkt formuliert: Das Christkind ist wichtiger als der Christbaum.

Die Hirten verkörpern diese Haltung der Aufmerksamkeit und Neugier beispielhaft. An ihnen fällt mir auf, daß sie den wunderbaren Auftritt der Engel und der himmlischen Heerscharen mit einer Selbstverständlichkeit nehmen, die jeden Beobachter von heute überraschen muß. Die Hirten nehmen die Engel nicht als überirdische Erscheinung wahr, sondern in aller Schlichtheit als Botschafter Gottes. Kein Erstaunen über das himmlische Wunder, kein Erschrecken über die Nähe Gottes. Aufmerksam hören sie sich an, was die Engel zu sagen haben. Und das weckt keineswegs ihre Neugier auf das Übernatürliche. Sie warten nicht auf zusätzliche himmlische Zauberkunststücke.

Die Hirten haben das sofort verstanden: Sie machen sich auf die Suche nach dem Gott, der bei den Menschen wohnt. Sie suchen den Gott, der in einem schreienden Baby Gestalt angenommen hat. Das weckt ihre große Neugier. Wer Gott sucht, findet ihn nicht im Übernatürlichen und Wunderbaren, sondern er findet ihn von Anfang an im Leben eines Menschen. Er findet ihn in einem kleinen Kind in der Krippe. Dieses Kind unterscheidet sich nicht von anderen neugeborenen Kindern. Es ist vollständig machtlos, abhängig von seiner Mutter, die es stillend mit Nahrung versorgt. Es ist abhängig davon, daß die Eltern es warm anziehen, ihm Ruhe für ungestörten Schlaf verschaffen. Es ist abhängig davon, daß die Eltern es schützen und ihm eine Höhle der Geborgenheit errichten. Wie alle neugeborenen Kinder hat es seine ganze Zukunft noch vor sich, niemand weiß, in welche Richtung es sich entwickeln wird. Es trägt Hoffnungen und Sehnsüchte, nicht nur die der Maria; es trägt Wünsche und Aufgaben. Diese Wünsche sind ihm weder bewußt noch kann es sie mit seinen kleinen Händchen erfüllen.

Und die Hirten kommen in Scharen angelaufen, um sich dieses kleine Kind in der Krippe anzuschauen, um es zu bewundern und zu verehren. Sie bewundern und verehren beide: den winzigen unschuldigen Menschen und den neugeborenen Gott, der in der Krippe liegt, den Gott, der ein Mensch ist.

Und die Hirten staunen darüber: Sie haben diese Krippe wirklich gefunden. Die Botschaft der Engel hat sich als wahr erwiesen. Und Staunen und Neugier verwandeln sich in Begeisterung und Mitteilungsbereitschaft. Wer so etwas Großartiges und Wunderbares gesehen und erlebt hat, der muß es allen weiter erzählen. Der soeben erwachte Glaube an Gott, das kleine Kind in der Krippe, verwandelt sich in eine Offenheit, die Öffentlichkeit sucht: Kommt, sagt es allen weiter. Die Hirten kommen mit dem Weitererzählen kaum nach, immer wieder müssen sie diese Geschichte wiederholen. Und sie haben das Entscheidende genau erkannt. Dieses Kind ist nicht nur das Wunder eines neugeborenen Menschen. Dieses Kind ist zugleich ein Wunder, das Gott an den Menschen vollbringt.

Das kleine Kind in der Krippe führt die Hirten ins Offene, sie wenden sich anderen Menschen zu, um von ihrer Begeisterung etwas weiterzugeben. Es gibt jedoch auch den umgekehrten Weg: den Weg nach innen. Dafür steht in der Weihnachtsgeschichte die Mutter Jesu: Maria. Mir ist das einer der liebsten Verse in der gesamten Erzählung des Lukas: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen." Über Maria wäre viel zu erzählen. Und es wären erst einmal alle dicken Firnisschichten der Marienverehrung abzutragen, die aus ihr eine entrückte, unnahbare Übermutter gemacht haben. Maria bewegt die Worte der Hirten in ihrem Herzen. Das ist eines menschlichsten und am meisten verständlichen Worte der gesamten Weihnachtsgeschichte. Am Anfang dieser Herzensbewegung steht wie bei den Hirten das Staunen und das Verwundern. Maria weiß gar nicht genau wie ihr geschieht, weshalb der Engel gerade sie für die Geburt des Heilands ausgewählt hat. Wie bei den Hirten läßt der Erzähler Lukas offensichtlich einiges aus: Kein Wort verliert er über die Geburt, über Anstrengungen und Schmerzen der Wehen. Kein Wort verliert er über die Erleichterung, die Maria nach der Geburt empfand. Maria nimmt das alles auf, was sie erlebt, was sie sieht, was sie hört: die Verehrung, die die Hirten dem Kind entgegenbringen, den Gesang der Engel, die Geschenke der drei Weisen. Aber sie registriert das nicht nur, sie „bewegt" die Worte in ihrem Herzen. Sie nimmt das Weihnachtsgeschehen in ihr Herz auf: Gott ist geboren. Der Weihnachtsweg fängt dort an, wo dieser einfache Satz: Gott ist geboren in unseren Herzen angekommen. Ist er dort angekommen, dann läßt sich auch ganz einfach die vermeintliche riesige Distanz von 2000 Jahren überwinden. Gott ist geboren. Wer das mit dem Herzen verstanden hat, der verliert seine Aufmerksamkeit nicht mehr so schnell an das Erste, an das Schnellste, an das Aktuelle des Tages. Wer das mit dem Herzen verstanden hat, der gewinnt eine im wahren Sinne des Wortes kindliche Gelassenheit. Man kann das auch Glauben, Vertrauen, Gewißheit nennen, jeder wie er will. Auf diese Gewißheit kommt es an. Gott schenkt diese Gewißheit. Sie ist es, die uns allererst lebensfähig macht. Amen.



PD Dr. Wolfgang Vögele
Karlsruhe
www.Christuskirche-Karlsruhe.de
E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

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