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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliger Abend, 24.12.2008

Predigt zu Lukas 2:1-14, verfasst von Wolfgang Ratzmann

Predigt zur Christvesper 2008 über Luk 2, 1-14 (15-20) -  nach einem Krippenspiel

Erläuterungen:

Ich bin in diesem Jahr von zwei verschiedenen Gemeinden angesprochen wurden, die einen Prediger zur Christvesper suchten, und zwar von einer Leipziger Stadtgemeinde und von einer kleinen Dorfgemeinde nördlich von Leipzig, die schon zur Kirchenprovinz Sachsen gehört.

In der kleinen Dorfgemeinde war während der DDR-Jahre die alte Dorfkirche verfallen. Schon lange fanden in ihr keine Gottesdienste mehr statt. Die wenigen Gemeindeglieder wurden vielmehr zu den Gottesdiensten in den Nachbardörfern eingeladen, die miteinander eine Kirchgemeinde bilden. Aber im Ort formierte sich einige Jahre nach der Wende eine Initiativgruppe, die zunächst dafür sorgte, dass im vorigen Jahr das Dach der Kirche gedeckt wurde. Erstmalig wurde 2007 in der notdürftig beräumten Kirche wieder eine Christvesper gehalten. Das halbe Dorf war auf den Beinen, um dieses Ereignis mitzuerleben. Die kleine Kirche, innen vielleicht einem Stall noch ähnlicher als einer Kirche, konnte die große Gemeinde nicht fassen. Ich bin gespannt, wie sich das Gebäude und die Gemeinde über ein Jahr hinweg entwickelt haben.      

In beiden Kirchgemeinden ist es üblich, dass im Mittelpunkt der Christvespern ein Krippenspiel steht. In der Dorfgemeinde ist es ein sehr schlichtes Spiel, das vor allem von Kindern dargeboten wird („Kinder an der Krippe", von Anne-Christin Langenbach). In der Stadtgemeinde wird ein größere Spiel (das „Seligenthaler Krippenspiel 2000") aufgeführt, gespielt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In früheren Jahren habe ich oft einen Satz aus dem Krippenspiel herausgegriffen und in der anschließenden Predigt erläutert. Die Predigt konnte man dabei als eine Art Vertiefung des Spiels verstehen. Durch die Verschiedenartigkeit der Spiele und durch die Aufgabe, die Predigt für das Internet zur Verfügung zu stellen, verbot sich diese Form. Die Predigtidee, nach dem wichtigsten Wort der Weihnachtsgeschichte zu suchen, verdanke ich einer Predigtmeditation von Alexander Deeg, in der das Lutherzitat aufgeführt ist (Göttinger Predigtmeditationen, PTh 97, H. 11 2008, 48-55).

Ich rechne in beiden Christvespern mit vielen Gottesdienstbesuchern, die nur einmal im Jahr kommen und deren Kenntnisse von biblischen oder kirchlichen Zusammenhängen gering sind. Für die Predigt ist nicht viel Zeit, weil der Raum kein langes Bleiben zulässt (so in der Dorfgemeinde) bzw. weil das Krippenspiel relativ lang dauert. Dennoch will ich versuchen, die biblische Weihnachtsbotschaft so zuzusprechen, dass sie heute verstanden werden kann und dass sie dabei nicht ihre Substanz einbüßt.

  

Liebe Gemeinde!

Was ist in der Weihnachtsgeschichte, die wir gehört und im Spiel gesehen haben, eigentlich das wichtigste Wort?

Ob es die Worte sind, in denen von den Mächtigen damals berichtet wird: von Quirinius, dem Statthalter Roms, und seinem Kaiser, dem mächtigen Augustus? Doch die sich so mächtig vorkommen, sind doch nur Randfiguren in dem Geschehen.

Ob es die Tatsache ist, dass ein junges Paar Mühe hat, ein Dach über dem Kopf zu finden, um ein Kind zur Welt zu bringen? Doch solche Verhältnisse gibt es - leider - immer wieder in unserer Welt, in immer neuen Variationen.

Ob es die Hirten sind mit der Engelerscheinung, die sie erleben? Ob es das Kind ist, das die Hirten in der Krippe finden? Das alles bildet ja die Mitte der Erzählung. Ohne Maria und Joseph, ohne die Hirten, ohne das Jesuskind gäbe es diese Geschichte nicht.

Und dennoch - so hat es Martin Luther, der Reformator, einst gesagt: Das wichtigste Wort in der Weihnachtsgeschichte ist das kleine Wörtchen: „Euch". Der Engel sagt es zunächst den Hirten und mit den Hirten auch uns heute: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren!" Dreimal taucht es auf, das wichtige „Euch". Und die Hirten trauen dieser Botschaft und gehen los nach Bethlehem, das Kind zu sehen, das auch für sie geboren wurde.

 

Das Euch sei das wichtigste Wort in der Weihnachtsgeschichte, sagt Luther. Und er meint damit, dass man die Geschichte von der Geburt in Bethlehem vielleicht anrührend oder lehrreich finden mag und dass man ohne sie eigentlich nicht Weihnachten feiern will, dass man aber dennoch das Wichtigste an ihr übersehen kann: das „Euch ist heute der Heiland geboren". Dir und mir - heute. Und in seiner drastischen Sprache fügt Luther hinzu: Selbst der Teufel könnte glauben, dass Christus in der Krippe zu Bethlehem gelegen hätte. Aber er würde eben nicht glauben, dass das für ihn - ihm zugute - geschehen sei.

 

Euch ist heute der Heiland geboren - dir und mir. Brauche ich einen Heiland, einen göttlichen Retter? Habe ich mein Leben nicht selbst im Griff? Hast du dein Leben, haben wir unser Leben - „im Griff"? In einer Zeitschrift las ich vor kurzem, es gäbe so etwas wie eine „Angstreligion" als neuen Glauben der gebildeten Mittelschicht in Deutschland. Ein  Angstglaube, gespeist von ernsten ökologischen und wirtschaftlichen Gründen, aber zugleich auch geschürt von einer Angstindustrie, die mit diesem neuen Glauben gute Geschäfte macht mit immer neuen Versicherungspolicen, mit einer Flut von Büchern und Filmen, in denen Katastrophen und Weltuntergänge mit immer neuen Farben gemalt werden. Eine Angstreligion, die auch in den Regierungen unserer Länder neue Anhänger gefunden hat. Das kommende Jahr werde ein Jahr schlechter Nachrichten, warnt selbst die Bundeskanzlerin. Brauchen wir einen Heiland? Brauchen wir etwa keinen Heiland?

 

„Fürchtet euch nicht", spricht der Engel zu den Hirten, „denn euch ist heute der Heiland geboren". Euch, uns, mir und dir zugute.

Das Kind in der Krippe kommt in eine Welt, in der es zwar viele verständliche Gründe gibt, sich zu fürchten. Aber es kommt, damit niemand mehr in einem Angstglauben leben muss, fixiert auf immer neue Horrormeldungen, sondern dass jeder im Vertrauen leben kann: im Wissen, dass inmitten vieler ungelöster Probleme dennoch Gott da ist, die große gute Kraft, hineingeboren in diese hoch problematische Welt. Und dass es sich lohnt zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Und dass es Sinn macht, im Kleinen oder Großen für diese Welt und ihre Zukunft zu kämpfen.

Dem Kind in der Krippe begegnen die Hirten, handfeste Leute, die Gott und religiöse Dinge aus ihrem Alltag ausblenden. Auch sie brauchen scheinbar keinen Heiland, keinen himmlischen Retter. Aber sie machen sich auf zu dem Kind von Bethlehem und begegnen in ihm dem lebendigen Gott: dem Gott, der so ganz anders ist, als sich das Menschen vorstellen, dem Gott, der ihnen so nahe kommt und der ein wirklicher Mensch, ein Baby wird, in Windeln gewickelt. Und diese Geburt verändert sie. Sie - die handfesten Leute - fangen an, über dem, was sie erlebt haben, Gott zu loben und zu preisen.

Das Kind in der Krippe kommt zu dir, jetzt in dieser Stunde. Das „Euch" ist das wichtigste Wort in der Weihnachtsgeschichte. Jetzt, beim Spiel der Kinder und Jugendlichen, bei den Liedern und Gebeten kommt es zu dir. Es will nicht nur im Stall von Bethlehem wohnen, sondern auch in deinem Herzen, dort, wo sich Angst und Sorge ausgebreitet haben mit den vielen Fragen, wie alles werden wird. Dort will es wohnen, die Sorgen zurechtrücken und dem Vertrauen Raum schaffen, dem Glauben, dass Gottes Liebe größer ist als du ahnst.  

„Euch", uns ist heute der Heiland geboren, Jesus Christus. Dir und mir. Deshalb können wir verändert von dieser Krippe weggehen wie einst die Hirten: mit Jesus im Herzen und einem Loblied für Gott auf den Lippen, überreich beschert von Gott noch vor unserer Bescherung zu Hause. Amen        

  



Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann

E-Mail: ratzmann@rz.uni-leipzig.de

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