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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliger Abend, 24.12.2008

Predigt zu Matthäus 1:1-25, verfasst von Katharina Roos

Seltsam sind die irdischen Umstände der Geburt des himmlischen Kindes. Seltsam ist auch der Bericht, den der Evangelist Matthäus im 1. Kapitel seines Werkes davon gibt. Kaum zu glauben, dass man ein Evangelium derart spröd beginnen lassen kann! Mit einer langen, langen Liste von Männernamen. Der und der zeugte XY, XY zeugte den und den. Der und der...usw., usw. So geht das bald eine Seite lang. Der Evangelist selbst sagt: über drei mal vierzehn Generationen. Von Abraham bis David, von David bis zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft und von da bis zu Jesus Christus. Nur kommt, wer versucht mitzuzählen, bei dieser Rechnung nicht wirklich mit. Und wenn man die Namen mit den beim Evangelisten Lukas genannten vergleicht, muss man feststellen, dass sie schon bei Jesu Großvater nicht mehr übereinstimmen.
Was für einen Reim soll man sich auf das alles machen? Nicht so ernst nehmen? Zumal in der heiligen Nacht einfach mit einem seligen Lächeln drüber schmunzeln? Im Grunde kann es uns hier und heute herzlich egal sein, wie die Vorfahren von Jesus alle hießen. Wir können die Namen eh nicht mehr einordnen.
Außer vielleicht Abraham, den Stammvater aller Glaubenden. Mit ihm hat es begonnen, vor Urzeiten, dass Menschen mehr suchten als das tägliche Überleben. Und dann kennen wir sicher auch David, den großen König Israels. ‚Der Messias wird aus dem Hause Davids kommen‘, so war es wiederholt von den Propheten geweissagt worden. Darum war dem Evangelisten der Nachweis wichtig, dass Jesus in direkter Linie vom König David abstammt. Seiner Messiaswürde steht zumindest von daher nichts entgegen.

Doch Moment - ganz so gerade ist die Abstammungslinie dann doch nicht. Schließlich ist Josef ja eigentlich gar nicht der Vater. Es heißt doch, Jesus sei mit Hilfe des heiligen Geistes von der Jungfrau Maria geboren. Was also soll die lange, lange Liste der Väter und Vorväter des Josef am Anfang des Evangeliums von Jesus, Mariensohn? Vielleicht ist das sogar das seltsamste an dieser Geschichte. Oder sollte der Evangelist Matthäus das mit der Jungfrauengeburt gar nicht so wörtlich gemeint haben? So jedenfalls hat er's aufgeschrieben (Mt 1, 18-25):

Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht:„Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben", das heißt übersetzt: Gott mit uns. Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

 

Zunächst einmal ist alles einfach merkwürdig und ungeklärt. Zumindest für einen Normalmenschen wie Josef. Maria ist halt plötzlich schwanger. So viel ist sicher. Und ebenso, dass er selbst nicht der Vater sein kann. Schließlich ist Josef ein ehrbarer und frommer Mann. Er hat sich den vorehelichen Regeln entsprechend verhalten. Wie es also zu dieser Schwangerschaft gekommen ist, bleibt Marias Geheimnis. Steckt eine Affäre, ein Seitensprung dahinter? Oder ist sie Opfer sexueller Gewalt geworden? Vielleicht gar durch die römischen Besatzungssoldaten? So etwas kam ja nicht selten vor.

Beim Evangelisten Matthäus bleibt Maria stumm. Und so ist Josef auf seine menschlichen Fantasien geworfen. Als Mann seiner Zeit wird er die Geschichte fast automatisch ihr anlasten. Was genau vorgefallen ist, interessiert da nicht wirklich. Sie, die Frau, hat sich entehrt dadurch, dass sie als Verlobte schwanger wurde, noch ehe sie in sein Haus übersiedelte. Er hätte nun alles moralische Recht der damaligen Welt, sie, die Treulose, an den Pranger zu stellen und fortzuschicken.

Josef aber, so heißt es, war fromm. Gott sei dank! Sein Empfinden für Gerechtigkeit ist tiefer gegründet als in der fragwürdigen patriarchalen Moral seiner Zeit. Er will seine Maria nicht durch einen Ehebruchsprozess der Schande preisgeben. Er will ihr eine öffentliche Demütigung ersparen. Aber Josef, der Gerechte, fühlt sich auch dem Gesetz verpflichtet. Was auch immer vorgefallen ist, eine Ehe kommt dem Gesetz nach nun nicht mehr in Frage. Das ist sein Zwiespalt. Seine Lösung: Er gedachte, sie heimlich zu verlassen.

Nur ist der Herr der Gerechtigkeit selten für Hintenrumlösungen. Und so kommt es des Nachts zu einer himmlischen Intervention. Ganz unaufdringlich, zart und flüchtig. Ein Traum ist es, der in Josef die Wende bewirkt. Viele hätten ihn im hellen Licht des Tages mit dem letzten Schlaf aus den Augen, aus dem Sinn gewischt. Aber so einer ist der fromme Josef nicht, gott sei Dank! Er schenkt seinem nächtlichen Traum Beachtung.

Wir wollen mal annehmen, dass der Traum nicht so spröd und theologisch daherkam, wie Matthäus das berichtet. Der Engel hält bei ihm eine kleine theologische Vorlesung, inklusive Schriftbeweis. Der wirkt zwar ein bisschen hingedreht. Schließlich sind Jesus (übersetzt kommt das ungefähr auf Gotthilf heraus) und Immanuel schon zwei verschiedene Namen.

Aber ich will in der heiligen Nacht nicht so kleinlich sein. Und lieber dieser himmlischen Stimme noch ein wenig hinterherträumen.

Es spricht mich an, wie der Engel das Geheimnis der Schwangerschaft Marias lüpft und doch respektvoll in der Schwebe lässt. Was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist. Wer kann, mag das natürlich im Sinn der Jungfrauengeburt verstehen. Ich denke, Matthäus hat das so gesehen und hatte keine Schwierigkeiten damit. Heute mag das anders aussehen. Ich gebe gern zu, dass ich große Schwierigkeiten habe, im Wortsinn an die Jungfrauengeburt zu glauben. Und so bin ich dankbar, dass der Evangelist mir hier Freiheit lässt. Freiheit zur Interpretation.
Was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist. Was auch immer gewesen sein mag, wie es zu dieser Schwangerschaft kam, Josef wird aufgefordert, darin das Wirken des lebendigen Gottes zu glauben. Der auf krummen Wegen gerade gehen kann. Der eine zwielichtige, vielleicht auch schlimme Geschichte zum Beginn von etwas Heilvollem werden lassen kann. Ja, das ist schon zum Wundern, dass der große Gott die Geschichte seiner Menschwerdung derart unkonventionell beginnt!

Aber es hat Methode. Schließlich habe ich Ihnen vorhin im Blick auf den Stammbaum Jesu etwas vorenthalten. Unter all den vielen, vielen Männernamen sind auch vier Frauen als Vormütter Jesu erwähnt: Tamar, Rahab, Ruth und die Frau des Uria, Batseba. Nun muss man wissen, dass keine dieser Stammmütter den Konventionen entsprach. Alle vier waren Ausländerinnen. Und alle vier wurden unter merkwürdigen Umständen schwanger. Tamar sorgte mit List und Tücke dafür, dass ihr Schwiegervater Juda ihr ein Kind verschaffte. Die Kanaanäerin Rahab war eine mutige Prostituierte mit dem richtigen Riecher für die israelitischen Kundschafter. Ruth war eine moabitische Witwe und frei genug war, sich fern der Heimat erst an die jüdische Schwiegermutter und Freundin und dann an den starken Mann dieser jüdischen Familie zu binden. Und schließlich die schöne Batseba, die hatte eine dubiose Liebesaffäre mit dem König David und erkämpfte dann mit Esprit und Beharrlichkeit für Salomo, den zweiten Sohn aus dieser Verbindung, die Thronfolge.

Und dann als fünfte im Bunde Maria, die zur Unzeit schwangere. Sie passt in diese Reihe. Wenn der große Gott die Erde berührt, liebt er es, Konventionen zu sprengen. Und er liebt und wählt sich offenbar gern geistreiche Menschen, die sich - auch unter heiklen Umständen - nicht so leicht verunsichern und abschütteln lassen.

 

Dazu gehört zuletzt auch Josef. Er ist einer, der in seiner Gewissensnot die leise werbende Stimme des Engels hören kann. Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen... Und Josef, der Gerechte, schenkt dieser Stimme Glauben. Das ist wunderbar. Josef wagt es zu glauben, dass gerade hier, in diesem ganzen Scherbenhaufen seiner irgendwie von Anfang an verkorksten Ehe, dass da Gott zu finden ist. Ausgerechnet da. Und dass Gott ihm helfen wird, dieses sein Leben anzunehmen, egal was die Leute denken. Weil Gott es im Zweifelsfall wichtiger findet, dass die Liebe unter den Menschen geboren wird als dass dem Gesetz und der Moral Genüge getan wird. Und darum sagt der fromme und gerechte Josef „Ja" und steht zu seiner Maria mit dem Kind in ihrem Bauch.

Josef wagt sein mutiges Ja, weil er verstanden hat, welche Botschaft in diesem Kind steckt. Es heißt Jesus - Gott hilft. Genau. Wie verdreht auch immer die Umstände sind. Gottes Macht zu helfen, kann immer noch größer sein.

Und es heißt Immanuel - Gott ist mit uns. Genau. Wie schräg auch immer die anderen das finden, die keine Ahnung, nur Vergnügen am Skandal haben. Schwerer wiegt das für einen wie Josef: Gott ist mit uns. Das ist wahrlich wunderbar.

So gesehen ist der Unterschied zwischen den Namen Jesus, Gotthilf, und Immanuel völlig irrelevant. Was dagegen wichtig ist: Ob Menschen wie Josef; ob Menschen wie wir das glauben können: Gott hilft. Gott ist mit uns. Auch wenn die Umstände unseres Lebens verquer sind. Auch wenn vieles nicht glatt läuft. Auch wenn da manche Scherbenhaufen zu beklagen sind. Gott hilft. Gott ist mit uns. Immer noch und immer wieder. Denn seine Macht ist groß und er übt sie immer wieder überraschend anders aus als wir denken.

 

Und wie ich dem so nachträume, merke ich, dass ich den Evangelisten Matthäus für den seltsam spröden und unkonventionellen Beginn seines Evangeliums recht dankbar bin.



Pfarrerin Katharina Roos

E-Mail: katharina.roos@t-online.de

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