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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest - 1. Weihnachtstag, 25.12.2008

Predigt zu Lukas 2:1+3, verfasst von Rolf Wischnath

Die weihnachtliche Zählung

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. ... Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef ....."

Warum sollte er nicht zählen lassen, wo doch alle Welt wägt und rechnet in den  weltumspannenden Finanzmärkten? Warum sollte er - Caesar Octavianus Augustus, erster Alleinherrscher und Kaiser des römischen Weltreiches - nicht schätzen und gewichten, wie viel das Volk ausmacht und wie viel Dollars und Euros es herzugeben vermag? Ach, es war nie anders; Martin Luther etwa schreibt in einer Randbemerkung zu unserer Stelle: „Schetzen ist hie, das eyn iglicher hatt müssen anzeygen wieviel er vermocht am gutt ....."

Der Kaiser Augustus brauchte Geld, um seine Hauptstadt zu finanzieren. Aber vor allem benötigte er die volle Kasse, um seine Beamten und Soldaten auszurüsten und durchzufüttern und bei Laune zu halten. Seine Staatsordnung beruhte auf Bajonetten und sie war vor allem ein Niederknüppeln von Menschen, die ihren Mund aufmachten, eine Unterdrückung und Ausplünderung der kleinen, bitterarmen Leute mit dem zynischen Etikett „PAX ROMANA" (römischer Friede).

„Jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt", heißt es lapidar. Der Kaiser befiehlt und „ein jeglicher" (man bedenke: jedermann und jedefrau „in aller Welt") begibt sich angeblich widerspruchslos an den Ort, den er im Interesse der römischen Weltordnung einzunehmen hat. Ein Albtraum:

Die Menschheit bewegt sich wie eine riesige, millionengliedrige Marionette an der Hand eines einzigen Drahtziehers. Der Platz des einzelnen wird diktiert vom Regime des Geldes, sein Wert abgeschätzt und taxiert. - Es ist historisch zwar nicht belegbar, dass es eine solche, das ganze römische Reich - also, die damals bekannte Welt - umspannende „Schätzung" gegeben hat. Aber es hat umfassende Steuerschätzungen immer wieder gegeben in allen Teilen des römischen Reiches - und so auch im besetzten jüdischen Land. Und die konkrete Gestalt dieser Steuerauspressung mit einer derartigen Personen- und Besitzstandsregistrierung war geprägt durch ein Heer von zynischen Ausbeutern, Un­tertan­be­amten und lammfrommen, staatshörigen Religionsdienern, die „ihre Pflicht" tun und ihren Kaiser und seine Landpfleger beweihräuchern.

Ich las kürzlich, dass in einem Schauspiel, dessen Namen ich vergessen habe, die großen Gestalten der Geschichte, wie z.B. Platon oder Luther, nicht mit ihrem Namen, sondern bloß mit einer Nummer von ihren Gebietern gerufen werden, so wie Sklaven oder Gefangene. Schreckliche Folgen zeitigte die totale gezählte und zählbare Verfügbarkeit der Menschen etwa in den Konzentrationslagern, wenn Häftlinge nach einem Fluchtversuch durchgezählt und jeder Zehnte gehenkt wurde. Wie oft werden Erniedrigungen und Unfreiheit mit Redewendungen signalisiert wie: „Du bist doch bloß eine Nummer". Was für eine Widerwärtigkeit ist es, wenn Männer von Frauen als von Nummern reden, mit denen „mann" allenfalls „eine Nummer machen" könne. Und dass Menschen zur Nummer herabgewürdigt, lückenlos durchgezählt, erfasst, überwacht und somit beherrscht werden können, ist der unsägliche Nebeneffekt des elektronischen Fortschritt unserer Generationenzeit.

Man muss diese Form der „Schätzung" vor Augen haben, um zu begreifen, die Weihnachtsgeschichte ist wie ein Protestschrei gegen einen so abschätzigen, vornehmlich zählerischen Umgang mit Menschen, gegen die Erniedrigung des Menschen zur Nummer, zum Steuerknecht und -büttel, zum Sklaven der sog. freien Märkte. Die Geschichte von der Geburt Jesu ist auch zu Weihnachten 2008 die Auslegung des Wortes Jesu „Ihr könnt nicht zugleich Gott dienen und dem Mammon!" (Lukas 16, 13) - eklatanter Widerspruch gegen die Herabwürdigung so vieler Menschen - auch im nun von einer Rezession eingeholten Westen: Menschen, denen durch die wandernden Geldströme Arbeitslosigkeit und Ent­las­sun­gen zugunsten der Verlegung von Arbeitsplätzen in sog. „Billiglohnländer" signalisiert wird: Ihr werdet nicht mehr gebraucht, ihr seid lästige Nummern in der Statistik; Ihr fallt uns zur Last und auf Euch können wir, da Ihr nichts mehr einbringt, verzichten, - packt euch.

Wo so mit Menschen umgegangen wird, da steht die Menschlichkeit einer Gesellschaftsordnung auf dem Spiel.  Die sog. „Finanzkrise" dieses Jahres mit ihren unermesslichen Folgen gerade in den Ländern der Dritten Welt zeigt, dass Krise und Unmenschlichkeit im System stecken und nicht nur eine vorübergehende Schwächung einer ansonsten so erfolgreichen marktwirtschaftlichen Ordnung sind. Nein, die Wurzeln sind betroffen.

Gibt es eine Alternative? Es gibt sie so lange nicht, wie in dieser Gesellschaft schon allein diese Frage verboten ist oder mit dem Hinweis auf die gescheiterten sozialistischen Systeme vom Tisch gefegt wird. Es könnte die Kirche sein, die den Mut aufbrächte, die Frage zuzulassen und sich zu lösen aus den fatalen Bindungen an die Akkumulationen des Geldes und den Verbrämungen des Kapitalismus mit dem Adjektiv „sozial". Kann unsere Kirche das oder ist sie selbst gebunden im System.?

„Da machte sich auf auch Josef ..., - Die Weltgeschichte, von der auch der Mann Josef aus Nazareth mitgerissen wird, erfährt eine zeichenhafte Opposition. Lukas drückt das aus durch das Wort „Sich-Aufmachen". Es wird im Alten Testament gebraucht für die Wanderungen der Wallfahrer, die hinauf zum Berg Zion, nach Jerusalem, zum heiligen Ort Gottes und der Gemeinschaft des Bundes gehen. In der allgemeinen weltgeschichtlichen Bewegung des Geldes und der Ungerechtigkeit brechen zwei auf in diese Richtung, macht sich auf auch Josef aus Nazareth „mit Maria, seinem vertrauten Weibe ...." zu einer Reise, die auf den ersten Blick nur wie ein Mittrotten und Mitläufertum im Strom des kaiserlichen Befehls aussieht. Sie ist aber in Wahrheit ein Auf-machen des Teufelskreises, ein Hinaufgang und Aufbrechen der Menschen hin zu dem Gott, der nicht zählbar und käuflich ist und der den Bund der Gerechtigkeit mit seinem Volk eingegangen ist und ihn hält ewiglich und nicht preisgibt den Menschen, das Werk seiner Hände: „ .... und Maria gebar ihren ersten Sohn".



Prof. Dr. Rolf Wischnath
Gütersloh
E-Mail: rolf.wischnath@t-online.de

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