Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach dem Christfest, 28.12.2008

Predigt zu Lukas 2:22-38, verfasst von Martin Schmid

Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen, wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn (2.Mose 13,2.15):"Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen", und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: „ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben" (3.Mose 12,6-8).

Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm. Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:

Herr, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren,
wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben dein Heil (Luther: deinen Heiland) gesehen,
das (den) du bereitet hast vor allen Völkern,
ein Licht zu erleuchten die Heiden
und zum Preis deines Volkes Israel.

Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird - und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.

Und es war ein Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuels, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte, und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

 

Liebe Gemeinde!

Die Zeit der Krippenspiele ist schon wieder vorbei. Die Hirten haben längst Mäntel und Hüte abgelegt. Vielleicht sind sie jetzt mit ihren Eltern beim Skifahren. Auch die Engel hatten inzwischen Zeit, die Weihnachtsgeschenke auszupacken. Und Maria und Joseph müssen nicht mehr ernst und sorgenvoll dreinblicken. Der Mesner hat die Futterkrippe weggeräumt. Nun wartet sie wieder ein Jahr auf ihren Einsatz. Und das Kind?

Nach dem hatten sich viele Hände ausgestreckt, solche, die ihm wohl wollten, und andere. Und nicht nur in Bethlehem sind Kinder bedroht. Zugleich ist da aber noch immer ein Nachhall der Weihnachtsfreude zu spüren. So könnte sich auch dieser Sonntag noch für ein Weihnachtsspiel eignen. Zumindest als „zweite Weihnachtsgeschichte" (Dieter Nestle) wurde unser heutiger Text schon bezeichnet.

Wir könnten das in der Predigt proben. Die Rollen bei diesem gedachten Spiel wären ein wenig anders als beim Krippenspiel. Maria und Joseph sind wieder dabei, aber die Hirten werden ersetzt durch einen Mann namens Simeon. Die Stelle der drei Weisen aus dem Morgenland wird jetzt eingenommen von einer Frau; auch sie ist weise, ist sie doch hoch betagt, und sie heißt Hanna. Auch Engel sind da. Man sieht sie nicht, doch zumindest Simeon und Hanna können sie hören und können in das Gotteslob einstimmen, das von dort her erklingt. Der Ort des Geschehens ist nicht Bethlehem, sondern die Heilige Stadt, und wir befinden uns nicht in einem Stall, sondern im Tempel. Auch ein Regisseur ist sichtlich am Werk, der die Fäden in der Hand hält. Bei diesem Spiel führt kein Geringerer als der Heilige Geist die Regie; man merkt es, obwohl man auch ihn ja nicht sieht. Und dann ist da noch eine ganze Gruppe. Das sind die Wartenden.

Und nun beginnt es. Maria und Joseph treten herein. Maria hat das Kind auf dem Arm: „Schon vierzig Tage sind vergangen seit seiner Geburt,  es ist Zeit, das Kind in den Tempel zu bringen." -Joseph nickt: „Ich besorge die Täubchen, das Opfer." Sie gehen zum Tempel mit dem Kind und den Täubchen. Maria schaut auf das Jesuskind: „Mein Kind!" denkt sie und sagt es vielleicht auch. Und Joseph denkt ähnlich, auch wenn er nichts sagt. Denn die männliche Erstgeburt gehört Gott. Doch wenn das Kind in den Tempel gebracht und wenn geopfert worden ist, dann gehört es den Eltern.

Jetzt aber steht auf einmal Simeon vor ihnen. Er streckt die Hände aus nach dem Kind. Er hat es auf seinen Arm genommen und spricht ein Gebet: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das du bereitet hast vor allen Völkern .." Und während er fortfährt, vielleicht singend: „Ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel", hören alle auf einmal den Gesang der Engel. Da segnet Simeon die Eltern. Es ist wie zum Abschied. Soll das Kind bei Simeon bleiben?

Nein, nun hat Hanna nach ihm gegriffen. Auch sie nimmt es auf den Arm. Wieder ertönt Engelsgesang. Man hört das Lied jener anderen Hanna heraus, Samuels Mutter, die zuvor so lange kinderlos geblieben war: „Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn, meint Haupt ist erhöht in dem Herrn.." Auch die Lieder von Mirjam klingen an und das Lied der Prophetin Debora:  „Lasst uns dem Herrn singen..", ja, „dem Herrn will ich singen.." - Hanna will jetzt wieder zurücktreten. Sie, die ebenfalls kinderlos blieb, kann sich an dem Jesuskind freuen, aber behalten kann auch sie es nicht. Wer nimmt es nach ihr?

Da huscht der Regisseur zur Bühne. Er gibt der Hanna ein Zeichen. Und sie hebt das Kind in die Höhe, dass alle es sehen können. Schließlich kommen die Wartenden aus dem Hintergrund nach vorne geeilt. Sie blicken zu dem Jesuskind. Jetzt sind sie es, die freudig ihre Hände nach ihm ausstrecken. Doch auf ein Zeichen des Regisseurs gibt Hanna das Kind seinen Eltern zurück. Und da fällt der Vorhang.

Wenn das Spiel zu Ende ist, bleibt aber die Frage, was nun mit dem Kind wird und wem es gehören soll. Wer darf von ihm sagen „mein Jesus"?

Maria und Joseph dürfen das sagen. Maria hat ihn geboren. Und die beiden haben sich an Gesetz und Herkommen gehalten, die ihnen nun ein Anrecht geben auf Jesus.

Aber Simeon hat dieses Anrecht auch. Zwar kann er sich nicht aufs Gesetz berufen, dafür aber auf den Geist, der ihm die Verheißung zugeweht hat, er werde den Tod nicht sehen, ehe er nicht zuvor den Christus, den Gesalbten des Herrn gesehen hat. Und nicht nur sehen darf Simeon, sondern auch segnen. Die Eltern sollen im Segen bleiben, auch wenn da ein Schmerz ist, wie er sonst vom Hergeben kommt. - Auch zu Hanna gehört dieses Kind und zu allen, die unsichtbar hinter ihr stehen. Weil Hanna ´Prophetin´ genannt wird, sind das zuerst die Prophetinnen Israels, von denen man sieben namentlich kennt. Die werden durch Hanna vertreten, in deren Leben die Siebenzahl ja eine besondere Rolle spielt: sieben Jahre verheiratet, jetzt sieben mal zwölf, also 84 Jahre alt. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Jesuskind auch ein Kind der Prophetie des Alten Testaments ist und ein Kind des Bundes, den Gott mit den zwölf Stämmen des Gottesvolkes geschlossen hat. - „Mein Jesus" können diese alle jetzt sagen und „unser Jesus".

Aber da sind noch die Wartenden. Das sind solche, die auf eine Erlösung hoffen. Und sie gehören nicht bloß dem Gottesvolk Israel an. Denn das Kind soll nicht nur ein Licht sein für Israel, sondern auch für die Heiden. „Jesus gehört zu uns" - das strahlt hinaus auf alle Völker. -

Wenn die Leute sonst heimgehen vom Krippenspiel, dann unterhalten sie sich darüber, wer welche Rolle gespielt hat. „Der Bastian hat den Joseph gespielt.." - „..und die Heike Maria." - „Der Peter war ein Hirte.." - „..und die Steffi und die Katrin und die Julia waren Engel." Aber diesmal muss man sich nicht darüber Gedanken machen, wer was gespielt, sondern wer was bedeutet hat. Auf dem Nachhauseweg könnte es nun heißen: „Der Simeon bedeutet mehr als nur Simeon und die Hanna mehr als nur Hanna." - „Ja, sie sind eben die, die von Gottes Geist bewegt und in Gottes Bund eingeschlossen sind." Wenn es aber so ist, müssen wir damit rechnen, dass auch Maria und Joseph hier mehr sein sollen als nur schlicht die Eltern. Sie könnten Stellvertreter sein für alle, die Jesus gern daheim hätten bei sich und in ihrer Obhut.

Also: Alle, die hier auftreten, sind mehr, als sie sind. Sogar der Tempel ist mehr als der Tempel. Er hat sich geweitet für alle, die auf Gottes Heil warten. Aber das Kind! Was ist mit dem Kind, mit Jesus?  „Er ist das Heil" sang Simeon in seinem Lied „und das Heil aller Völker." Und er sagte: „Er ist auch der, an dem die Geister sich scheiden. Er führt den Schnitt herbei, den Riss, der schon durch die Seele der Maria geht und dann durch die Völker." Weil nicht jeder von ihm beseelt ist und keineswegs jedes Herz für ihn schlägt. - „Er ist Gott, aber verkleidet als Kind",  sagen die Theologen von ihm. Martin Luther zum Beispiel: In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut. Wir kennen das Lied, und haben vielleicht schon oft ganz fröhlich darüber hinweg gesungen. Es ist aber sehr zum Wundern. Denn da sagt dieser Theologe, und es ist ja nicht irgend einer, das Kind sei der verkleidete Gott! Gott selber spielt mit auf der Bühne des Lebens. Doch Gottes Spiel ist sein heiliger Ernst. Denn er macht es für uns, uns zuliebe, nämlich für unser armes, anfälliges, nicht immer sehr liebesfähiges, zuletzt vom Tod heimgesuchtes Fleisch und Blut. Ob man auch fragen kann, warum Gott so etwas macht? Wenn man dem Ton trauen darf, der über unserer Geschichte liegt - und man darf diesem Ton trauen! - dann macht Gott das aus Freude. Es ist Gottes Freude an seinen Menschen und seine Liebe zu uns.

Nun haben wir von allen gesprochen, die irgendwie zu dem Spiel um die zweite Weihnachtsgeschichte gehören. Nur nicht von uns. In Wahrheit sind wir natürlich längst mit einbezogen. Manche von uns stehen wohl mit in der Schar der Wartenden. Sie hoffen, dass Gott etwas löst bei ihnen oder in ihrer Gemeinde oder in ihrem Land, dass ein Knoten platzt, ein Problem seine Lösung findet, eine Befangenheit unter Gottes Einwirken endet. Andere stehen bei Maria und Joseph. Sie möchten Jesus für sich haben, ihn bewahren, sein Andenken pflegen. Andere sind eher bei Simeon und Hanna. Sie freuen sich mit ihnen und sind glücklich mit ihnen und lauschen mit ihnen auf den Gesang der Engel. So kann es nicht ausbleiben, dass auch uns der Regisseur, der Heilige Geist, ein wenig am Ärmel zupft: du musst dich bewegen, du musst einen Schritt tun, so wie Maria und Joseph das mussten und Simeon und Hanna. Du musst vielleicht auch etwas machen, was über Regel und Gesetz hinausgeht. Du musst am Ende gar an deiner Rolle, wie du sie verstehst, etwas ändern, an deiner Rolle als Mann oder Frau oder Vater oder Mutter oder Kirchgänger oder Konsument oder Hoffender oder Befürchtender. Oder du musst vielleicht in eine andere Rolle schlüpfen. Es kann sein, dass du ein Engel sein sollst für jemand. Oder dass du dich um Kinder kümmern sollst, hier oder anderswo. Das kann man sich nicht erlauben? Wenn aber sogar Gott sich erlaubt  hat, in die Haut eines Menschen zu schlüpfen, aus Zuneigung! - Ich bin bloß ein Mensch, wird man da einwenden. -  Nein, leicht ist es nicht, über den eigenen Schatten zu springen. Wir schaffen vielleicht nur einen kleinen Schritt. Doch das kann auch wertvoll sein, ein kleiner Schritt in fremden Schuhen oder ein paar Atemzüge in der Haut eines andern. Nur so aus Freude und Zuneigung...

Durch das Lesen von Büchern, so heißt es, verbessert sich die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Da muss sich diese Fähigkeit zum Laufen in fremden Schuhen und zum Fühlen in einer fremden Haut erst recht verbessern beim Lesen und Betrachten des heiligen Spiels, das Gott selbst auf die Lebensbühne gebracht hat. Seitdem es begonnen hat, ist nun auch Gott einer, der wartet: Er wartet darauf, dass wir mitspielen. Um das zu tun, müssten auch wir die Hände nach Jesus ausstrecken. Auch wir können ihn freilich nicht festhalten. Aber wir können dann spüren, wie nah er uns kommt. Und wie zugleich die Freude wächst am Spiel der Zuneigung. Gehört Jesus dann zu uns? Wir gehören zu ihm! Amen.



Pfarrer i.R. Martin Schmid
Fellbach
E-Mail: Mado.Schmid@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)