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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 06.04.2007

Predigt zu Matthäus 27:33-50, verfasst von Ronald Uden

Liebe Gemeinde,

Die Dramatik des sterbenden Mannes aus Nazareth hat das Christentum selbst gezähmt. Millionen von Kuzifixen, Tausende von Gemälden und die alljährlichen und immerwährenden Lesungen und Reden vom Gekreuzigten legen sich wie ein dämpfender Filter vor eine direkte Wahrnehmung der Ereignisse, die zur Entstehung der neuen Weltreligion Christentum geführt haben. Auch der zeitliche Abstand von nun fast 2000 Jahren rückt den Karfreitag gerade für die Erlebniswelt und das Zeitgefühl junger Menschen in eine unüberbrückbare Entfernung.

Ein zusätzliches Wahrnehmungshindernis für die Ereignisse des Golgatha-Karfreitags sind die Negationen dieser Berichte: ein junger, sich quälender Sterbender, primitiv pöbelnde Schaulustige, raue Soldateska und das Umfeld von Kriminellen. Kein Mensch würde sich selbst oder seine Kinder freiwillig diesen negativen Bildern und Strömungen aussetzen. Ironie, Spott, Schläge und Gewalt sind der Rahmen einer dämonischen Gegenwelt zum friedlichen Miteinander von Menschen, zu Liebe, Verständnis und warmen Gefühlen.

Zu allem Überfluss wirft das geschilderte Ereignis auch für glaubende und für nachdenkende Menschen nur unlösbare Fragen auf: Wieso erreicht die energiegeladene, auftrumpfende christliche Bewegung so einen Tiefpunkt, der eigentlich ihr Ende bedeuten muss? Warum trifft diese menschliche und persönliche Katastrophe ausgerechnet die Zentralfigur des Christentums, der kein ehrenvoller und würdiger Abschied zuteil wird? Und obendrein verlassen diesen offensichtlich die Glaubenskräfte, die ihn jahrelang durchs Leben getragen haben, mit dem Klageschrei: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Ich finde trotzdem einen Zugang zu Karfreitag, wenn ich zunächst das Wirkliche dieses Tages, dessen Szenario so gespenstisch unwirklich erscheint, zur Kenntnis nehme, zweitens das Besondere herauszufinden versuche und drittens dem symbolischen Gehalt folge.

 

1. Das Wirkliche des Karfreitags

Beschrieben wird in den Karfreitagsberichten jedes Evangelisten ein wirkliches Sterben. Unabhängig davon, welche unterschiedlichen Perspektiven die Verfasser in ihre Schilderungen eingebracht haben, und unabhängig davon, wie viele Überlieferungsschichten und theologische Interessen sich auf diese Berichte gelegt haben, der Karfreitag erzählt einen wirklichen Tod, die Hinrichtung eines jungen Mannes, dessen Herz und Seele für den Glauben an Gott und die Liebe zu den Menschen gebrannt hat. Hier ist jemand wirklich geschlagen worden, als er in die Nähe der Hinrichtungsstätte kam. Hier hat einer wirklich geblutet, als die Nägel durch seine Hände und Füße drangen.

Gerade in einer Welt, in der uns das Sterben durch Medienberichte täglich hundertfach begegnet, aber dabei seltsam entfremdet und seiner brutalen Wirklichkeit beraubt wird, gerade in der Medienwelt der seichten Unterhaltung ist die Feststellung, dass wirkliche Menschen damals wie heute auch am Karfreitag wirklich sterben, nicht banal, sondern notwendig.

Dabei lässt sich das Sterben eines Menschen weder verklären noch verniedlichen. Die Verklärung des Kreuzigungsgeschehens erfolgte erst viele Jahrhunderte nach den Originalereignissen. Der Bibeltext dieses Karfreitags verklärt nicht, sondern beschreibt Wirklichkeit direkt und ungekürzt mit drastischen Bildern: Durst, Schmerzen, Stöhnen, Schreie, Betäubung mit Galle und Essig - eine alttestamentliche Liedstrophe aufnehmend. Da ist nichts schön, da stirbt es sich nicht leicht, da werden auch für den Leser des dritten Jahrtausends Gefühle der Enttäuschung, Hilflosigkeit und Resignation wach.

Es ist wichtig, sich einen Augenblick lang den Emotionen dieses Bibeltextes auszuliefern, um nicht vorschnell Deutungen zu folgen, die das wirkliche Sterben relativieren und damit verdrängen und von uns fernhalten. Erst das bewusste Annehmen dieser Endlichkeit und Vergänglichkeit hat in der Kulturgeschichte des Christentums zu helfenden Ausgestaltungen im Umgang mit dem Tode geführt, zu Ritualen, Musik, Kunst und anderen Formen symbolischer Kommunikation, die dieses Ereignis kommunizierbar machen.

In anderen Kulturkreisen bis in vorgeschichtliche Epochen hinein wurde der Umgang mit Sterbenden und Toten oft sogar zum Auslöser von Religionsbildung und Daseinsbewältigung.

 

2. Das Besondere des Karfreitags

Im Text dieser Matthäusvariante der Jesus-Passion fallen manche Besonderheiten des Karfreitagsgeschehens sofort ins Auge. Dazu gehören vor allem die seltsamen Begleiterscheinungen der Kreuzigung. Eine mehrstündige Finsternis hüllt den Hinrichtungsort und das ganze Land in ein aschfahles Licht. Ein Beben erschüttert die Erde, so dass Erdspalten entstehen und Felsen platzen. Gräber öffnen sich und Tote sollen auferstanden und gesehen worden sein. Vieles an diesem Karfreitagsgeschehen ist für moderne Menschen nur schwer nachvollziehbar, aber neben dieser kosmischen Begleitmusik gibt es andere Besonderheiten, die den Karfreitag bis heute zu einem Tag machen, der Spannungen und Gegensätze aufbaut und vereint.

Da sind die Soldaten, Bewachung, Henker, ausführende Befehlsempfänger, vielleicht sind es Söldner, die teilnahmslos ihre Arbeit für Geld verrichten. Sie schlagen die Nägel durch den Körper des Verurteilten. Sie verlosen das wertvolle Obergewand und schreiben das Schild mit dem berühmten Schriftzug „INRI" - Jesus von Nazareth, der Juden König. Und ausgerechnet aus den Reihen dieser Männer, denen kein Mensch spontan emotionale Begabungen oder eine gesteigerte Sensibilität zuschreiben würde, tritt der erste Zeuge des Christentums hervor. Ein Offizier bekennt: es ist die Wahrheit, dass dieser der Sohn Gottes gewesen ist. In den Jesusgeschichten der Bibel gibt es so einen unglaublichen Spannungsbogen nur in der Karfreitagsschilderung.

Ein anderer Spannungsbogen wird in der Beschreibung der jüdischen Religion deutlich. Noch bevor der Nazarener stirbt, spielen die Schriftgelehrten und Ältesten als Vertreter des ansässigen Klerus ihre Überlegenheit auf kindische Weise aus. Sie spotten und lästern den aus ihrer Sicht andersgläubigen Jesus, weil sie sich ihrer Glaubensweise sicher sind. Nur sie dürfen beurteilen, was richtig und falsch ist, nur sie dürfen sich Gott und dem Allerheiligsten im Tempel hinter dem Vorhang nähern und der Oberste der Priester darf einmal jährlich ganz in den heiligen Bezirk eintreten. Nach der Kreuzigung am Ende der Ereignisse müssen sie verstehen lernen, dass der Vorhang im Tempel zerrissen und das Heilige für alle Menschen eröffnet wird.

Auch ein Spannungsbogen zwischen Männern und Frauen wird im Karfreitagsbericht aufgebaut. Soldaten, Priester und die Räuber als Mitverurteilte umschreiben eine Männerwelt, die das Klischee vom harten, brutalen oder starken Mann bedient. Aber nach dem Sterben des Gekreuzigten sind auf einmal Frauen dabei, sogar „viele Frauen, die von ferne zusahen". Und dann sind sie ganz nah am Kreuz, beim Leichnam und der Grablegung dabei.

Das Besondere des Karfreitags liegt neben den unerklärbaren Dingen darin, dass Spannungen vereint werden. Dieser Tag vereint die Soldaten mit dem ersten Zeugen des Glaubens, beschreibt den Spannungsbogen zwischen den Priestern und dem Heiligen, zwischen Männern und Frauen und bei Jesus selbst zwischen Glaube und Zweifel. „Er hat Gott vertraut" sagen manche, die seine Mission noch in Erinnerung haben. Jesus ist zu einem Vorbild und Inbegriff des glaubenden und religiösen Menschen geworden. Aber erst seit Karfreitag wissen die Menschen, dass der Zweifel an der Gottgegenwart, das Verlassenheitsgefühl und die unbeantwortete Frage nach dem Warum dazugehören. Die Gemeinschaft der Heiligen wird ab Karfreitag zur Gemeinde der Glaubenden und Zweifelnden.

 

3. Das Symbolische des Karfreitags

Die Symbolkraft des Karfreitags reicht über das historische Geschehen hinaus. Karfreitag ist kein Gedenktag, der dem verstorbenen Jesus ein ehrenvolles Andenken erweisen soll. Der Satz „wir werden dich nie vergessen" klingt sowieso eher nach einer hilflosen Floskel als nach persönlicher Ergriffenheit. Eigene Betroffenheit kann niemals durch Appelle oder Predigten induziert werden. Auch eine eindrucksvolle Karfreitagsrede ruft nicht automatisch bei Ihnen als Leser oder Zuhörer Betroffenheit hervor. Diese Schilderungen dramatischer Ereignisse kann man nach wenigen Minuten wie Staub von den Schuhen abschütteln.

Die Symbolkraft des Karfreitags kann sich nur entfalten, wenn sie sich mit dem Karfreitagsgeschehen unserer Tage verbindet.

Das Karfreitagsgeschehen heute besteht aus den verdrängten Katastrophen grausamer Verkehrsunfälle auf den Autobahnen. Da schreien Menschen, da wird geweint, so wird heute gestorben. Mitten in der anbrechenden Urlaubsfreude ist plötzlich ein Karfreitag da. Aber auch zuhause können sich Beziehungen in Partnerschaften oder in der Familie zu dunklen Karfreitagsstunden aufschaukeln. Gerade die freien Tage oder die Wochenenden sind für prädestiniert. Und in wie vielen Krankenhäusern mögen in dieser Woche Karfreitage angebrochen sein, Todesbotschaften verpackt in Laborwerten und ärztlichen Diagnosen.

Was tun Sie, was tue ich, wenn Karfreitag nicht nur der besondere Feiertag ist, sondern wenn der Karfreitag sich persönlich in meinem Leben abspielt?

Ich wünsche mir jetzt und dann die Symbolkraft des Karfreitags als begehbares Heiligtum und tragende Religion, die Glauben und Zweifel überspannt, die Veränderungen unter Menschen bewirkt wie bei den Soldaten am Kreuz, die Wärme und Zuneigung in die Nähe des Todes und der Gräber bringt oder die auch nur weinend und klagend bei denen ausharrt, für die persönlich der Karfreitag gerade angebrochen ist.



PD Dr. Ronald Uden
Universität Erlangen-Nürnberg
E-Mail: mail@ronald-uden.de

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