Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach dem Christfest, 28.12.2008

Predigt zu Lukas 2:25-38, verfasst von Ondrej Prostredník

I.

Erwartungen, die Erfüllung von Erwartungen - das ist die herrliche Spannung, die Weihnachten eine immer wieder neue Anziehungskraft verleiht. Wer von uns lebt ohne Erwartungen? Wir alle haben viele und gewiss viele verschiedene Erwartungen: solche, bei denen wir vor allem an uns selbst denken, und solche für und an die Menschen, die uns umgeben.

Wer Kinder hat, weiß, wie sie schon mehrere Wochen vor Weihnachten in der großen Erwartung leben, dass sich ihre Weihnachtswünsche erfüllen. Und auch wenn wir in der Vorweihnachtszeit voll und ganz damit beschäftigt sind, die Erwartungen der Kinder nicht zu enttäuschen, so heißt das doch nicht, dass nicht auch bei uns Älteren, den Erwachsenen, das Herz voller Erwartungen ist.

Junge Menschen sehnen sich nach mehr Raum im Leben. Sie wollen diesen Raum nach ihren eigenen Vorstellungen selber gestalten. Sie erwarten mehr Verständnis vonseiten der Älteren, denn sie leiden darunter, in ihren Fähigkeiten ständig unterschätzt zu werden. Nicht weniger leiden sie daran, dass die Älteren an ihren alten Gewohnheiten hängen und ihnen die Stärke fehlt, diese aufzugeben, sich von ihnen frei zu machen.

Die Herzen der Verliebten warten auf Erwiderung ihrer Liebe, auf ihre Erfüllung. Sie wissen kaum mehr, wie sie die Flamme der Sehnsucht in ihrem Inneren klein halten können.

Junge Ehepaare warten oft sehnlichst auf die Geburt ihres ersten Kindes. Eltern wünschen und hoffen für ihre Kinder auf Lebensglück und -erfolg.

Die Herzen vieler älterer Paare warten auf eine Erneuerung ihrer Liebe. Sie entdecken nach und nach, dass sich in ihrem Zusammenleben langsam alles verliert, was sie früher verband.

Einsame Menschen, die ihre Nächsten durch den Tod verloren haben, hoffen in ihren Herzen auf neue Lebensgemeinschaft. Sie bedürfen neuer Lebensbegleiter und ersehnen sich neues Verständnis.

Die Herzen der Kranken warten auf Heilung, und nur mit Mühe lernt ein Schwerkranker, mit seiner Krankheit zu leben.

Die Herzen der zu Unrecht Verurteilten, diejenigen, deren Würde durch üble Nachrede, durch Betrug, Intrigen und Lüge verletzt wurde, warten auf Gerechtigkeit und den Sieg der Wahrheit.

Es ist gut, wenn unsere Herzen noch erwartungsvoll sind. Denn wo es Erwartungen gibt, dort wohnt auch der Glaube an ihre Erfüllung. Dort gibt es Leben, Bewegung, Energie. Wer keine Erwartungen mehr hat, der verurteilt sich selbst zum inneren, seelischen Tod.

 

II.

Unsere Erwartungen jedoch - sind sie überhaupt zu erfüllen? Welchen Sinn kann es haben, nach allen Enttäuschungen weiterhin Gutes zu erwarten? Was ermöglicht es in dieser Welt, was berechtigt dazu, positiv zu denken?

Der Spott, simple Idealisten zu sein, trifft uns rasch. Ist es da nicht besser, sich pragmatisch gleich auf die Seite des Negativen zu schlagen? Angemessener, immer nur auf das Schlechte gefasst zu sein und von allen erst einmal das Schlechteste anzunehmen? Müssen wir nicht in jedem eher den möglichen Feind sehen als einen Freund und ihm darum vorsorglich zunächst Verdacht begegnen?

Sind wir denn nicht verpflichtet, weit reichende Pläne machen, um uns vor unseren Feinden zu schützen? Und schafft es nicht Sicherheit, um sich eine Atmosphäre der Angst und der Rache zu verbreiten? Es sind wohl nicht wenige von der Richtigkeit eines solchen Weges überzeugt.

Die Tatsache, die wir zu Weihnachten feiern, die Geburt Jesu, weist uns einen anderen Weg. Der Predigttext erzählt von zwei Menschen, die ihr ganzes Leben in Erwartung verbracht und erst spät, in ihrem Alter, die Erfüllung dieser Erwartungen erlebt haben.

Wir haben von Simeon gelesen, dass er „wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm. Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen."

Die Prophetin Hanna hat die Tage ihres einsamen Alterns in Gebet und Fasten im Tempel verbracht. Fast ihr ganzes Leben war der Erwartung gewidmet. Aber schließlich ist ihr die Erfüllung ihrer Erwartungen widerfahren.

Mit unerfüllten Erwartungen zu sterben, das ist eine schwere, unbeschreiblich schwere Last. Simeon stirbt anders. Seine Erwartungen wurden erfüllt. Er hat den neu geborenen Christus gesehen und ihn im Glauben empfangen als Trost für sein ganzes Volk. In ihm hat er den erkannt, der seine Erwartungen einlöst. So konnte er seinen Lobpreis, das „Nunc dimittis", anstimmen:

„Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern."

Die Begegnung mit Christus hat Hanna mit neuer Kraft erfüllt. Sie „redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten." Sie ging zu den anderen, die ihre Erwartungen mit ihr teilten, und verkündete das Ende ihres Wartens, sagte an, dass sich jetzt erfülle, was sie alle in gleicher Weise erhofften.

 

III.

Das Ereignis von Weihnachten ist der Weg zur Erfüllung unserer Erwartungen. Was heißt das? Was sollen wir tun?

Jesus ist geboren. Das ist ein Faktum, eine geschichtliche Tatsache, ein Erinnerungsdatum. Das Weihnachtsfest ist das wahrscheinlich am weitesten verbreitete Fest überhaupt. Es dringt immer weiter selbst in die nichtchristlichen Teile der Welt vor.

Auch in unseren Ländern wird wohl kaum ein anderes Fest so gefeiert wie dieses. Die Kirchen sind zu klein, um die Scharen der „Eintags-Christen" aufzunehmen. Selbst die, die der Kirche sonst eher fern stehen, kommen am Heiligen Abend, um dem Gefühl ihrer religiösen und kulturellen Zugehörigkeit Genüge zu tun.

Aber ist es dies, was wir zu Weihnachten feiern? Die Geburt einer Gestalt der Geschichte? Wäre das alles - es wäre zu wenig! Weihnachten ist vor allem anderen ein Anlass des Glaubens an Jesus Christus als den, der unsere Erwartungen erfüllt. Ein Grund, ihn so zu empfangen wie Simeon und Hanna, als den Retter in unserem Leben. Ein Anstoß, im Glauben zu begreifen, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist, der in diese Welt kam, um sie zu erlösen.

So hat ihn Simeon empfangen, und er erklärt dazu: „Dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele". Jesus ist der, den viele erwartet haben als Christus, den Messias, der kommt und Gerechtigkeit bringt. Auf ihn hofften nicht nur Simeon und Hanna. Johannes der Täufer hat seine Jünger zu Jesus geschickt und ihn fragen lassen: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?" (Mt 11,3; Lk 7,19)

In einer Welt, überfüllt mit Leiden, Verfolgung und Ungerechtigkeit, hat Johannes der Täufer den Messias verkündigt. Er erwartete ihn als einen strengen Richter jeden Unrechts, der sich aller Heuchelei im religiösen und öffentlichen Leben entgegenstellt. So hoffte Johannes - gleich wie das ganze Volk Israel mit dieser Erwartung gelebt hat.

 

IV.

Wie aber hat der Messias seine Erwartungen erfüllt? In einer Weise, wie wir es nicht erwarten würden.

Ja, sein Kommen bringt viele zu Fall. Sie werden gerichtet aufgrund all dessen, was an ihren Leben zu verurteilen ist angesichts ihrer Ungerechtigkeit. Der, den wir zu Weihnachten vor allem als ein wehrloses Kind wahrnehmen, ist wahrhaftig der Richter der Welt. Und er ist doch nicht nur das. Simeon spricht nicht nur über das Fallen, sondern ebenso vom Aufstehen. Die, die wegen ihrer Ungerechtigkeit fallen müssen, dürfen nun von neuem beginnen. Sie können, sie sollen aufstehen.

Christus bringt die Macht der Sünde zu Fall und setzt die Macht der Vergebung ins Recht. An die Stelle der bösen Gedanken hat er die guten gesetzt. Mit ihm und durch ihn weicht die Angst dem Vertrauen. An die Stelle der Verachtung des anderen tritt der Wille, ihn anzuerkennen. Nicht mehr Verdacht und Argwohn haben das letzte Wort, sondern der Wille zum Glauben.

Leben wir in solchem Glauben an Jesus Christus, haben wir eine unergründliche Quelle der Kraft gegen alle Enttäuschung. Ohne den Glauben bleibt das Leben ein Leben, angefochten von ständigem Zweifel, gequält von Misstrauen und Angst.

Christus ist geboren. Wir wollen uns nicht nur der Weihnachtsromantik überlassen, die unsere verhärteten Herzen erweicht. Lasst uns die Geburt des Erlösers feiern und ihn empfangen als den, der uns mit seiner Gerechtigkeit reinigt, der die Angst von uns fern hält und uns mit Vertrauen erfüllt!

Amen.



Mgr. Ondrej Prostredník
Univerzita Komenskeho v Bratislave
Evanjelicka bohoslovecka fakulta
E-Mail: prostrednik@fevth.uniba.sk

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