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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Altjahrabend, Silvester, 31.12.2008

Predigt zu Lukas 12:35-40, verfasst von Klaus Pantle

„Einmal muss das Fest ja kommen!" (Ingeborg Bachmann)

35 Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen 36 und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.
37 Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. 38 Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie.
39 Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. 40 Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.

1
Worauf warten wir? Und wie warten wir?

Paula übte das Warten. Sie hatten keine Kinderfreundschaft und waren nicht Spielgefährten. Sie hatten kein Liebesverhältnis und waren nicht einmal miteinander verlobt. René befand sich mit seiner Familie in der Sommerfrische in den Bergen, Paula war in der Stadt geblieben und wartete darauf, dass er sich für einige Tage von dort loseisen und kommen und sie treffen könnte. „Sie genoss indessen - mit einem tief beruhigten Gewissen - goldener Warte-Ferien." Dann und wann „zogen hochfliegende Federwölkchen der Bangnis über die Himmelsglocke". So federleicht und beschwingt das Warten sich anfühlte, so war das für sie doch mehr als ein vorläufiges Spiel: „mit Sorgfalt, ja Andacht sammelte sie hier einen in die Tiefe gestapelten Vorrat zarter, belebender Stoffe und Essenzen, mit welchem vielleicht durch ein ganzes Leben sie auszulangen hatte". Worauf sie wartete? Es hatte etwas zu tun mit ihren innersten Lebensinteressen und den Tiefen ihrer Zukunft und es überstieg bei weitem die konkrete Gestalt des jungen Mannes, von dem sie vieles aber beileibe nicht alles wusste. Von der Rechtsanwaltskanzlei, in der Paula arbeitete, wurde sie in dieser Sommerzeit nur halbtags beansprucht. Es fiel ihr deshalb schwer, ihrer Tante Therese, mit der sie zusammen lebte, begreiflich zu machen, dass der geplante gemeinsame Urlaub noch nicht angetreten werden konnte. Tante Therese wusste natürlich nichts von René, und so stellte Paula den gemeinsamen Urlaub stets in allernächste Aussicht und betonte doch zugleich, was im Haus vorher noch alles getan werden müsste. So „verwandelte sich unter ihrer Hand das an sich rein negative Faktum des Fehlens endgültiger Nachrichten von Seiten Renés in durchaus positive und in zahlreiche Einzel-Umständlichkeiten zerfallende Unternehmungen, wie etwa das Einkochen von Stachelbeeren." Dieses Spiel betrieb sie mit großem Vergnügen. Zwischen den verschiedensten Aktivitäten lag sie im Garten in ihrem Liegestuhl und dachte darüber nach, wie wohl als nächstes ihre gute Tante wieder zu beschäftigen sei? Paula wollte ihre letzten Tage in der Stadt unbedingt mit Renés bevorstehendem Aufenthalt so zur Deckung bringen, dass sie wenigstens einige Male mit ihm zusammen sein konnte: „und dieser Endzweck geschickter Anstalten blieb ihr unverrückbar vor Augen, sie hielt das unaufhörlich fest, wie man eine Zange zusammendrückt."
Als der Brief mit der Ankündigung seines Kommens und Ort und Zeit ihres Treffens im gewohnten Café endlich eingetroffen war, trat eine Art Umschwung ein. Paula lag oder saß jetzt weit bequemer in ihrem Liegestuhl. Mit der Tante war der Tag der Abreise terminiert. Jetzt konnte sie die Beschäftigungsspiele mit ihr sein lassen. „Nun genoss sie den Garten. Nun genoss sie das Warten; nun auch erst recht einen Spaziergang." Nebenbei freute sie sich auch, bald in die Ferien aufs Land zu kommen. „Die Sommertage jetzt, weiß, gold und rot, atmete sie tief ein, mit der Intensität ihrer Jahre, die immer drauf und dran sind, aus dem Leben so etwas wie ein Gedicht oder Kunstwerk zu machen". Paula wartete. „Es war oft wie ein süßer Schmerz, nichts weiter". „Eines ihrer Kleider war zwischen Violett und Lavendelblau. Sie trug es jetzt gern. Es war ihre Warte-Farbe." Sie genoss es, am Fluss entlang zu spazieren. Er kühlte ab und floss rasch vorbei. Sie liebte es, beim Abendbrot draußen neben den noch blühenden Rosen zu sitzen und frühmorgens alleine den stillen und noch nachtkühlen Garten zu betreten.
 (Heimito von Doderer, Die Strudelhofsteige, S. 217ff.)

2
Worauf warten wir? Worauf warten wir jetzt, heute, im Moment des Übergangs von einem Jahr zum anderen? Und wie warten wir?

Jeder Mensch hat seine eigenen, mehr oder weniger geheimen Hoffnungen und Erwartungen. Und er hat seine ganz privaten Ängste und Befürchtungen.
Ich vermute allerdings, dass die meisten Menschen auf positive Veränderungen in ihrem Leben warten, die wenige elementare Dinge betreffen. Ich warte darauf, dass sich etwas verändert hin zum Besseren. Ich warte darauf, dass ich nicht mehr so zusammen gepresst werde durch alle möglichen Anforderungen, dass ich häufiger durchatmen kann und Zeit finde, zum wesentlichen zu kommen. Oder: ich warte darauf, dass ich leben kann an einem Ort, der geschützt ist und offen zugleich. Ich möchte leben in einem Raum, in dem ich mich frei entfalten kann, ohne Sorge ums alltägliche Überleben, ohne Mauern und Grenzen, die mich einsperren und zwingen, etwas zu sein, was ich nicht bin oder sein will. Oder: Ich warte auf zwischenmenschliche Begegnung, die Erfüllung schenkt, die mir Wärme gibt und Freude, und das möglichst fest und unerschütterlich und dauerhaft.
Vermutlich gleicht sich auch die Art und Weise, wie viele Menschen auf all das warten. Manche Zeiten meines Lebens schlage ich einfach tot. Oft denke ich mehr an das, was nicht da ist oder an das, was als nächstes kommt, als dass ich bewusst wahrnehme und durchlebe, was ist. Ich sitze im Konzert und denke an die Pause. Ich spaziere an einem sonnigen Wintertag durch eine verschneite Landschaft, bekomme einen negativen Sachverhalt einfach nicht aus dem Kopf und überlege ständig, wie ich damit umgehen kann. Mir gegenüber sitzt eine Freundin und erzählt etwas, ich höre mit einem Ohr zu denke nebenbei dauernd an das, was ich als nächstes tun muss. Ich sitze im Gottesdienst und bin mit dem Kopf schon beim anschließenden Mittagessen. Ich lebe mit einem Menschen und stülpe ein Traumbild über ihn und ich erwarte, dass er so wird, wie ich es mir wünsche. So droht das Leben in einem ewigen Kreislauf des Wartens auf immer das Andere zu vergehen, ohne jemals irgendwie ans Ziel zu kommen oder wirkliche Erfüllung zu finden.

3
Worauf warten wir? Worauf können wir warten? Was ist uns verheißen? Und wie sollen, wie können wir warten?

Jesus malt dazu ein Bild:
37 Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. 38 Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie.

Einer wird kommen. Der kommen wird, wird der sein, der schon gekommen ist. Man wird ihn daran erkennen, dass er einlädt zum Essen und Trinken. Ja mehr noch, er wird ein Fest geben, zu dem alle, die auf ihn warten eingeladen sind. Wer kommt, kommt. Wer da ist, ist da. Wer teilnehmen möchte, kann teilnehmen. Der Herr selbst wird die Teilnehmenden bedienen und die Tischgäste damit ehren. Die Verhältnisse kehren sich um. Die keine oder untergeordnete Rollen gespielt haben, spielen jetzt die Hauptrollen. Und der Herr sagt: „Alles ist gut. Lasst uns feiern und fröhlich sein."
Ein himmlisches Festmahl können wir erwarten. Jetzt und dann. In jedem Moment kann es soweit sein. An jedem Ort kann sich uns der Raum dazu eröffnen. Einzig unsere Wachsamkeit ist gefragt - alles andere kommt einfach, kommt uns einfach zu, wird uns einfach geschenkt: Entlastung. Erfüllung. Seligkeit. Deshalb gilt:
35 Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen 36 und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.

Richtig zu warten scheint eine körperliche Angelegenheit zu sein. Die Hüften sind gegürtet. Ich bin ganz in meinem Körper. Nicht nur in meinem Kopf oder irgendwo sonst. Richtig „gegürtet" ist die Energie zentriert im Körperschwerpunkt. Ich kenne meinen Schwerpunkt und achte auf meine Mitte. In ihr ruhe ich, in heftigster Bewegung, in Erschütterung genauso wie in entspannten Phasen. Aus diesem Schwerpunkt heraus kommt alle meine Bewegung. Ich bin. Ich bin in der Gegenwart. Ich stehe fest verankert und zugleich beweglich auf dem Boden meiner Welt. Was mein Gleichgewicht stört, kann ich loslassen. Was mich aus dem Gleichgewicht bringt, kann ich abwehren.
Richtig zu warten scheint auch eine innere Angelegenheit zu sein. Die Lichter brennen. Die Erwartung, die Vorfreude auf das himmlische Fest hält mein inneres Feuer am Brennen. „Brannte nicht unser Herz?" Brennt nicht mein Herz vor Verlangen danach, dass das Warten auf Erfüllung bald zu Ende ist? Jesus, die Jünger, die Glaubenden sind Lichtträger in dieser Welt. Sie sind voll innerem Feuer, das diese Welt schon jetzt erhellt und erleuchtet. Nach der Dunkelheit ist Licht. Das gilt jetzt und dann. Das ist der Welt unter der Macht Christi eingeschrieben
Einmal wird das Fest ja kommen. Es ist uns verheißen und wir können dessen gewiss sein. Es gibt Wege über unsere Zweifel und Ängste hinaus. Es gibt Wege  aus den lebensverhindernden Belastungen unseres Alltags hinaus. Es gibt Wege aus den lebenszerstörenden Strukturen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung heraus. Es gibt Wege über die Brutalität und Schwärze des Todes hinaus. Jetzt und dann.
Einmal muss das Fest ja kommen! Der Traum, in dem Freiheit und Liebe, Wirklichkeit und Poesie ihren Zusammenklang finden, wird wahr werden. Dieser Traum wird wahr werden für die Welt und für mich persönlich. Und das Warten darauf muss keine langweilige und ermüdende, Angelegenheit sein.
Für Paula aus der eingangs zitierten Geschichte ist das Warten aufregend und zauberhaft. Es ist für sie eine aktive und zugleich hoch poetische Zeit. Das in der nahen Zukunft Erwartete prägt schon die Gegenwart und lädt sie auf mit Spannung und Energie. Es macht abenteuerlich, manchmal bang und taucht ihre Welt dann wieder in schönes und warte-farbiges Licht. Paula gelingt das Warten. Es ist für sie eine Zeit, in der sie hochgradig gegenwärtig ist und zugleich über ihre Gegenwart hinaus lebt.
Einmal muss das Fest ja kommen!
...
Platz unseren Bitten, Platz den Betern,
Platz der Musik, und der Freude!
(Ingeborg Bachmann, Lieder von einer Insel)

Aber Achtung, nicht vergessen: Ihr müsst das Fest auch wahrnehmen, die Einladung annehmen und die Chance zum Feiern ergreifen, wenn sie sich plötzlich und überraschend sich auftut - dann und jetzt!
Amen.



Klaus Pantle
Stuttgart
E-Mail: info@gaisburger-kirche.de

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