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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahr / Jahreslosung, 01.01.2009

Predigt zu Lukas 18:27, verfasst von Heribert Arens

Texte: Lk 18, 27  und 1 Thess 5, 20

Auf Trümmern musizieren
Als im Jahr 1945 die Russen Wien eroberten, gaben die  Wiener Philharmoniker gerade ein Konzert. Man hörte die Geräusche der Bomber und der explodierenden Bomben. Sie unterbrachen ihr  Konzert nicht.  Dann machten sie eine Woche Pause, um anschließend ihre Konzerte wieder aufzunehmen.
Das ist für mich ein prophetisches Bild; in einem  Umfeld von Vernichtung und Zerstörung demonstriert es eine unbändige Lust zu leben, Lust auf Zukunft.  Auf Trümmern musizieren! Dem entspricht eine künstleri-sche Darstellung der Hoffnung, von der ich hörte. Der Künstler gestaltete die Hoffnung  als eine Gestalt, die auf Trümmern sitzt und auf der einzigen heil gebliebenen Seite einer Harfe ein Lied anstimmt. Prophe-tie drückt sich in diesen Bildern aus. Sie sprechen eine Sprache, die in einer Welt der Zerstörung Zeichen der Hoffnung verkündet.

„Verachtet prophetische Rede nicht!"  
Diese Aufforderung spricht der Thessalonischerbrief aus. Prophetische Rede! Gerade am ersten Tag eines neuen Jahres brauchen wir prophetische, zukunft-weisende Worte. Prophetie hat es mit Zukunft zu tun! In mir lebt eine Sehnsucht nach Zukunft! Ich möchte leben - ich möchte dass meine Lieben leben: Ohne Zu-kunft geht das nicht!  Propheten reden von der Zukunft und vom Leben. Wie tun sie das?

1. Propheten haben ein unbändiges Vertrauen in Gottes Möglichkeiten
Solches Vertrauen verkörpert die Jahreslosung (Lk 18, 27): Was für Menschen unmöglich ist, ist für Gott möglich. Dieses Wort des Lukasevangeliums spricht von den unerschöpflichen Möglichkeiten Gottes. Ohne diese Möglichkeiten wäre unsere Welt eine armselige Welt. Allerdings sind sie auch nicht einfach tagtäglich in unserem Alltag zu sehen. Der Alltag erzählt oft eher ein Lied von Trümmern - nicht  von Aufbau, von Dunkel - nicht von Licht, von Resignation - nicht von Hoffnung. Gott scheint nicht täglich Gebrauch zu machen von seinen unerschöpflichen Möglichkeiten. Er scheint mehr im Verborgenen zu wirken als offen-kundig. Er scheint mehr die Anfänge zu wirken als die Vollendung zu schenken.
Darum braucht es Menschen, die ein Gespür für diese Art von Gottes Wirken haben, die ein Vertrauen in Gottes Möglichkeiten haben - auch gegen den Augenschein, die eine ermutigende Lebensphilosophie haben: eben Propheten. Sie erfüllen den Dienst, dass Gottes Möglichkeiten nicht in Vergessenheit geraten, dass wir Menschen mit Gottes Möglichkeiten rechnen, auch wenn alle Anzeichen anderes zu verheißen scheinen. Die Jahreslosung braucht die Prophetie, damit sie nicht im Alltag untergeht. Schauen wir darum ein wenig weiter, wie Propheten denken und reden.

2. Propheten  stimmen auf Trümmern Lebenslieder an!

·    Ich erinnere an die sprechenden Bilder des Anfangs: Sie zeigen Trümmer und Zerstörung. Wer da Lieder anstimmt, verkündet: "Das Leben geht weiter, das Leben hat neue Chancen

·    Prophetenworte sprechen Israel in der Verbannung an, in einer Situation, die nicht nur Lebens- sondern auch Gotteskrise bedeutet. Das Volk war dem babylonischen Volk unterlegen. Im damaligen Weltver-ständnis hieß das auch: Die Götter der Babylonier sind stärker als der Gott Israels. Konnte Israel sei-nem Gott noch trauen? Dem verunsicherten Volk verkündet der Prophet mit Worten und Bildern: Ihr habt Zukunft, Gott will euch Hoffnung und Zukunft schenken.

·    Jesus begegnet vor den Toren der Stadt Nain einem toten jungen Mann. Er musste sterben, viel zu früh. Und seine Mutter, die er zurückließ, war dazu noch Witwe, er ihr einziges Kind. Trümmern! Und da kommt Jesus und verkündet: Da ist noch Leben drin! Er schenkt Zukunft.

·    Jesus begegnet dem „Fels" Petrus, der so schwach war und ihn gleich dreimal  verleugnet hat. Petrus sitzt auf den Trümmern seines zerbrochenen Mutes und auf den Trümmern einer durch Verleugnung zerbrochenen Beziehung. Auf diesen Trümmern schenkt Jesus ihm Zukunft: „Weide meine Schafe! stärke meine Brüder!"

·    Wie viele Menschen sitzen heute auf den Trümmern zerbrochener Beziehungen und Lebensentwürfe. Wer stimmt auf ihren Trümmern die Lebenslieder an, macht ihnen Mut, neu anzufangen? Für mich ist es ein prophetisches Zeichen, wenn Amtsträger und Gemeinden Menschen in diesen Situationen nicht ausklammern, sondern sie einbeziehen - in das volle kirchliche Leben. Gott sei Dank gibt es immer wie-der solche Zeichen - oft aus dem Geist des Gesetzes, nicht unbedingt aus seinem Buchstaben!

·    Vor einigen Jahren haben die „Ärzte ohne Grenzen" den Friedensnobelpreis bekommen - eine Aner-kennung die mich sehr gefreut hat. Sind doch die Ärzte ohne Grenzen Propheten auf den Trümmern des Lebens; sie arbeiten angesichts von Tod  und Zerstörung für das Leben.


2. Propheten sind Menschen, die "rückwärts blickend vorwärts schauen" (Fr. W. Weber)
So viele Menschen leben  ohne Erinnerung, vergessen die Erfahrungen von gestern und vorgestern. Sol-che Erinnerungen sind mehr als nostalgisches Träumen. Sie sind Bausteine für eine gute Zukunft, Quellen von Hoffnung und Mut.
Johann Baptist Metz, emeritierter Münsteraner Fundamentaltheologe, spricht sogar von „gefährlicher Erin-nerung"! Wenn das Volk Israel sich zusammensetzte und von den Großtaten Gottes erinnernd erzählte, wurde es stark - dann wurde es gefährlich für seine Feinde. Die Psalmen sind prophetische Lieder. Sie erinnern an Gottes Heilstaten in der Vergangenheit und schöpfen daraus Kraft für das Leben heute und morgen.
Jesus fordert seine Jünger auf:  „Erinnert euch doch!" Er möchte in seinen Nqachfolgern die Erinnerung als Quelle von Vertrauen und Mut, als Quelle von Zukunft wach halten.
Wir brauchen die Erinnerung so dringend, wie die Luft zum Atmen - um nach vorne zu schauen. Ich las einen Aphorismus: "Wartet nur, sagte der Krieg, ich komme wieder, ihr seid ja so vergesslich!" Wie sehr brauchen wir für die Zukunft der Welt die Erinnerung, damit sich die gleichen Todesspiele nicht wiederho-len. Wie sehr brauchen wir auch die Erinnerung an Mut machende Ereignisse nicht nur der Heilsgeschich-te, die auch heute Kraft schenken können. Wie gut kann denen, die heute in einer Beziehungskrise stec-ken, die Erinnerung an gute Zeiten tun, die heute Kraft schenken kann, gemeinsam ins Morgen zu kom-men. Prophetische Rede hält die Erinnerung wach, in der der Mensch rückwärts blickend vorwärts schaut.

3. Propheten sind Menschen, die im Keim die Frucht schon sehen

Der Inbegriff solch einer prophetischen Gestalt ist für mich Simeon:  "Nun lässt du, Herr, deinen Knecht in Frieden scheiden, denn meine Augen haben das Heil gesehen!" Diese Worte brechen aus ihm heraus an-gesichts eines Kindes. Ein Kind ist nur ein unscheinbarer Anfang. Simeon hatte die prophetische Kraft, in diesem Anfang das Ziel schon zu sehen, im Keim die Frucht.
„Im Keim die Frucht sehen" - solche Propheten wünsche ich mir auch heute, und es gibt sie auch: Eltern und Erzieher können Propheten für ihre Kinder sein: erspüren, wecken und fördern, was in den Kindern steckt, und es ermutigen - das ist Prophetie! Ich erinnere mich dankbar an einen Lehrer, der mir Mut ge-macht hat zu Wagnissen, die meinen Lebensweg entscheidend geprägt haben. Er war für mich wie ein Prophet, der im Keim die Frucht sehen konnte.
Ich denke an die Friedensarbeit in unserer friedlosen Welt. Sie lebt nicht von großen Erfolgen. Sie lebt von dem Mut, kleinste Schritte zu tun und zu vertrauen, dass es Keime des Friedens sind. Propheten, die im Keim die Frucht schon sehen, tun den ersten, kleinen Schritt, ohne den kein Weg beginnt.
Auch in der Kirche brauchen wir solche Prophetie, die kleine Ansätze zur Erneuerung, zur Vermenschli-chung, zur Evangelisierung sieht und ermutigt. Wer gleich die Weltkirche erneuern will, wird enttäuscht werden. Wer den Mut hat, kleine Anfänge dort, wo er lebt, zu wagen, „Orte der Erlösung zu schaffen" (L. Lehmann), wird erfahren, dass solche kleinen Anfänge wie Keime sind, die in sich die Kraft tragen, zur Frucht zu reifen.

Propheten 2009
„Was für Menschen unmöglich ist, ist für Gott möglich" - diese Jahreslosung aus dem Lukasevangelium wird zu einer Quelle von Kraft für das Jahr, wenn ich mich mit Mut und Vertrauen darauf einlasse. Damit sie im Gewoge des Alltags nicht untergeht braucht sie immer wieder auch die begleitende Prophetie, die mit hoher Sensibilität zum Vertrauen auf den in der Geschichte wirkenden Gott einlädt.
Ein solcher Prophet war Dom Helder Camara, der frühere Bischof der Diözese Olinda/Recife.  Mit einem Wort von ihm möchte ich meine Gedanken über die unerschöpflichen Möglichkeiten Gottes beschließen: s
"Sag Ja zu den Überraschungen, die deine Pläne durchkreuzen, deine Träume zunichte machen,
deinem Tag eine ganz andere Richtung geben -ja, vielleicht deinem Leben.
Sie sind nicht Zufall.
Lass dem himmlischen Vater die Freiheit,selber den Verlauf deiner Tage zu bestimmen."



P. ofm Heribert Arens
Hülfensberg/Eichsfeld
E-Mail: heribert_arens@huelfensberg.de

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