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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Altjahrabend, Silvester, 31.12.2008

Predigt zu Lukas 12:35-40, verfasst von Matthias Riemenschneider

I. Einleitung:

Liebe Gemeinde,

heute Abend stehen wir an der Schwelle vom alten zum neuen Jahr. Solche Schwellenzeiten sind besondere Zeiten in unserem Leben. Zeiten, in denen wir nachdenklicher sind als sonst, aufmerksamer, und vielleicht auch ein bisschen sensibler und dünnhäutiger.

Vieles, was im „alten" Jahr gewesen ist, wird manchen gerade heute besonders vor Augen stehen. Die schönen Erlebnisse, die guten Zeiten, die wohltuenden Begegnungen. Aber auch Schmerzen und Verlust, Ärger oder all das, was wir am liebsten mit dem alten Jahr hinter uns lassen möchten.
Die eine oder der andere von Ihnen denkt vielleicht auch schon an das, was im neuen Jahr kommen wird, hoffnungsvoll oder gleichgültig, sehsüchtig oder ängstlich.

Und jetzt sind wir hier, in diesem Gottesdienst, mit all unseren Gedanken und Gefühlen. Wir lassen die letzten Stunden dieses Jahres verstreichen. In aller Ruhe warten wir, bis es zwölf wird, bis die Glocken läuten und die Böller krachen, bis das alte vergeht und das neue Jahr beginnt. Wir warten bis die Zeit kommt, um die Schwelle zu überschreiten. Das Warten auf das Neue hält uns wach.

Vom Warten und Wach bleiben handelt auch unser Predigttext:

Predigttext: Lk 12, 35 - 40:
35Lasst Eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen
36und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herren warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.
37Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.
38Und wenn er kommt, in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie.
39Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.
40Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint."

 

II. Zeit ist vergehende Zeit:

Warten und nicht schlafen, dass wird hier von Menschen erwartet, dass sie den besonderen Moment nicht verpassen, an denen ihr Herr wieder nach Hause kommt. Es muss schon etwas besonderes sein, das es sich für sie lohnt, aufzubleiben.

Warten und Wachen, das können wir sehr unterschiedlich erleben. Die Zeit kann uns lang werden und quälen, wenn wir nachts im Bett liegen und den Stundenschlag der Kirchturmuhr mitzählen, auf den verspäteten Zug warten oder im Stau auf der Autobahn stehen.

Warten und Wachen kann auch ein sehr frohes und erwartungsvolles Warten bedeuten. ‚Wievielmal muss ich noch schlafen bis das Christkind kommt?', so fragen Kinder, die es kaum noch erwarten können. Oder wenn Eltern auf ihre erwachsenen Kinder warten, dann bestimmt die Vorfreude auf diese Begegnung die Vorbereitungen.

Im Warten und Wachen erfahren wir die Zeit sehr unterschiedlich. Wir können Zeit als quälend langsam vergehende, als geschenkte oer als zielgerichtete Zeit erleben.

Das Vergehen der Zeit  wird uns am ehesten bewusst, wenn wir innehalten, wenn wir den Rhythmus, der unser Leben bestimmt, anhalten, wenn wir vielleicht auch zu einer Bilanz kommen.

Einer Bilanz für unser privates Leben. Wie haben wir das vergangene Jahr genutzt? Was lief gut und woran erinnern wir uns mit Freude? Was macht uns auch in der Erinnerung noch traurig? Haben sich unsere Wünsche erfüllt? Haben wir die Ziele erreicht, die wir uns selber gesteckt haben?

Diese Zeit zwischen den Jahren ist eine besondere Zeit, gerade nach der Hektik, der wir oft in der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest erliegen. Haben wir auch sonst oft keine Zeit, jetzt haben wir sie. Und wir erleben sie als eine gefüllte Zeit, gerade weil nicht soviel passiert. Oder besser: weil wir selber bestimmen, was passiert.

Die Menschen sollen auf ihren Herrn warten, sagt Jesus in seinem Gleichnis. Doch er erzählt nichts darüber, wie sie ihre Wartezeit verbringen!

Ob sie gelangweilt und müde herumsitzen, sich über ihren Herrn ärgern und die Wartezeit einfach totschlagen?
Oder ob sie diese Wartezeit mit anderen Erledigungen vollpacken, jede Sekunde hektisch nutzen; das Essen für den nächsten Tag vorbereiten, schnell noch Holz für das Feuer spalten, herumrennen und sich vor lauter Aktivität keine ruhige Minute gönnen, um nur ja keine Zeit zu vergeuden.

Ob jemand die Zeit des Wartens als Wartenmüssen erlebt, als Zeit, die irgendwie rumgebracht werden muss, oder ob eine die Wartezeit bis zum allerletzten Moment ausnutzt: Bei beiden gilt das Warten als unnütze, vergeudete Zeit.

 

III Zeit als geschenkte Zeit erleben

Die zeit des Wartens kann auch eine gefüllte Zeit sein. Eine geschenkte Zeit, in der weder rastlose Aktivität noch öde Langeweile herrschen muss.

Ich denke zum Beispiel an einen Mann, der nach einer Operation am Bett seiner kranken Frau sitzt und wartet, bis sie aufwacht. Er sitzt nur da. Er tut nichts. Er spricht nichts. Und dennoch geschieht so viel in seinem Inneren. Erinnerungen an gemeinsam erlebtes werden wach, Empfindungen, die sich damit verbinden. Wartezeit, und dennoch eine äußerst intensiv erlebte Zeit.

Wir meinen oft, dass sich nur etwas tut, wenn wir aktiv etwas tun. Doch wer wartet, kann ausharren, ohne etwas tun zu müssen. Und man wird erfahren, dass sich auch dann etwas tut.

 

IV. Die Zeit hat ein Ziel:

Warten sollen die Menschen auf ihren Herren und wachen - so sagt Jesus. Wach sein ist viel mehr als nur nicht zu schlafen. Wach sein heißt mit allen Sinnen da zu sein, mit dem Kopf und mit dem Herzen, mit dem Verstand und den Gefühlen. Es bedeutet sensibel zu sein für sich selbst, für andere Menschen, für eine besondere Situation. Wer wartet ist offen für das, was kommt und verpasst es nicht. Wer wacht und wartet, ruhig und aufmerksam, lebt ganz in der Gegenwart und ist doch bereit für das, was kommen mag.

Offen zu sein, für das, was kommen mag - in diesem Gedanken liegt die Pointe unseres Textes aus dem Lukasevangelium, den wir heute am Silvesterabend bedenken. Die Zeit ist zielgerichtet. Wer intensiv Zeit erleben kann, wer warten und wachen kann, der erkennt: die Zeit hat ein Ziel.

Für Lukas ist das Ziel unserer vergehenden Zeit Christus selber. „37Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen."

Nicht mit Forderungen und neuen Aufgaben kommt der kommende Herr, sondern er selbst tut, was getan werden muss, damit ein Fest gefeiert werden kann. Es ist das Fest der erfüllten Gemeinschaft in der erfüllten Zeit mit der Freude des dienenden Herrn und der feiernden Mägde und Knechte, die nun handgreiflich erleben, wie ihr Herr für sie da ist. Der Vorschein dieses Festglanzes taucht die Zeit in ein neues Licht. Auch das Warten wird von diesem Vorschein in ein neues Licht getaucht, das geduldige und das ungeduldige, das leichte und das schwere Warten.

‘Aber was', so könnte man fragen, ‘was kann man mit Menschen machen, die die Zeit verschlafen, die gar nicht merken, dass eine besondere Festzeit angebrochen ist?'

Das Ziel der Zeit nicht zu kennen, ist vielleicht die wahre Vergeudung der Zeit. Im Wachen und Warten wird uns Zeit geschenkt, kostbare, aber auch begrenzte und unwiederbringliche Zeit. Man kann seine Zeit mit allerlei Aktivitäten füllen, wenn man das Ziel der Zeit nicht erkennt, dann ist das dennoch allemal verlorene, sterbende Zeit.

Das Warten auf den Herren ist ein sprachliches Bild, das das Wiederkommen des auferstandenen Jesus Christus beschreibt, und damit nichts anderes als den Beginn des Reiches Gottes. Deshalb heißt es in unserem Bibeltext, dass der ‚Herr sich selber schürzen wird und dienen wird'.

Warten und Wachen, es ist nicht vergeblich, sondern es wird sich erfüllen in dem Anbruch des Reiches Gottes. Mit diesem Ziel wird verständlich, was die gefüllte Zeit des Wartens bedeutet: Wartezeit ist Glaubenszeit. Nach altem biblischen Verständnis kann die Herrschaft Gottes erst dann beginnen, wenn die Menschen Gott anerkennen, ihn allein anbeten und seinen Geboten folgen. Und erst dann kann die Herrschaft Gottes wirklich beginnen.

Warten auf das Reich Gottes beinhaltet freilich ein Verständnis dieser Welt aus der Sicht des Glaubens. Eine säkulare Weltsicht, die „Zeit" lediglich als eine Möglichkeit versteht, sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen, hat dafür nur wenig Verständnis. Wenn unser Leben als ein Kontingent gleichmäßig verlaufender Zeit dafür verstanden wird, möglichst viel an Profit, an Freude und Glück zu erleben, bevor der Tod alles wieder in seinen großen Schlund des Vergessens schluckt, dann ist für das Verständnis einer erfüllten Zeit, die auf ein Ziel zuläuft, kein Platz.

Das Wachen der Menschen, die auf ihren Herren warten, ist eine höchst gefüllte und aktive Zeit. Es verändert den Alltag dieser Menschen im Kleinen wie im Großen. Wer bewusst mit seiner Zeit umgeht, aufmerksam auf sich selber und andere achtet, der wird sich nicht in einer uferlosen Aktivität verlieren. Und wer von dem Ziel seines Lebens weiß, dem wird wohl kaum das Schicksal anderer Menschen völlig egal sein.

Ich denke zum Beispiel an die vielen Einrichtungen der Diakonie hier in Waiblingen. Dort werden Menschen in den Grenzbereichen des Lebens nach Maßstäben der christlichen Nächstenliebe gepflegt und betreut, die oft einen Vorbildcharakter für andere haben. Oder ich denke an die Hospiz - Arbeit, die aus der Einsicht entstanden ist, dass es zu einem menschenwürdigen Sterben gehört, beim Abschied aus diesem Leben nicht allein gelassen zu werden.

Auch die Erklärung der Menschenrechte vor 60 Jahren hat viele Gedanken aufgenommen, die einem christlichen Menschenbild entsprechen.

Warten und Wachsam sein bedeutet aber auch, sich auf diesen positiven Beispielen nicht auszuruhen. In unserer Zeit weltweiter Informationen und Handelsbeziehungen sind auch unsere möglichen Aufgaben größer und weiter geworden. Wir können heute nicht mehr sagen, dass uns die Arbeitsbedingungen des chinesischen Arbeiters, der Überlebenskampf des kolumbianischen Kaffeebauern oder das Schicksal des thailändischen Mädchens in den Touristenvierteln Bangkoks nichts angehen. In vielen Dingen sind wir mit diesen Menschen enger verknüpft, als uns oft lieb ist.

Wenn die Menschen warten und wachsam sind, so erzählt Jesus, dann wird ihnen das auch gelohnt. Auf ihrem Warten liegt ein Versprechen. Wer wartet, darf auch etwas erwarten. Nicht, dass sich alles sofort und umstandslos erfüllt. Manches braucht seine Zeit. Vieles bedarf unserer Beharrlichkeit.

Warten und Wachen, es ist der Mühe wert.

Dieses Warten, wie wir es an Silvester einüben, es kann uns eine Hilfe für die Wartezeiten des Neuen Jahres sein. Nicht ungeduldig die Zeit zu vergeuden, sondern Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und zu erkennen, welche Aufgaben auch von uns bis zur Erfüllung der Zeit getan werden müssen.

37Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen."

Amen.




Pfarrer Matthias Riemenschneider
Michaelskirche Waiblingen
www.Michaelskirche.de
E-Mail: pfarramt-miki-west@t-online.de

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