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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach dem Christfest, 28.12.2008

Predigt zu Lukas 2:25-40, verfasst von Margrethe Dahlerup Koch

An der Schwelle zwischen dem alten und dem neuen Jahr feiern wir heute den letzten Gottesdienst des alten Jahres. Wir begegnen Simeon und hören seinen Lobgesang.

             Alle Namen haben eine Bedeutung. Simeon bedeutet "der, der hört". Im Sinne von "zuhören". "Höre, Israel, höre, der Herr, unser Gott ist ein einiger Herr." So beginnt das wichtigste jüdische Gebet und Glaubensbekenntnis. Glauben ist untrennbar mit dem Hören verbunden. Zu hören - ein Simeon zu sein, einer, der hört - bedeutet nicht nur, dass man seinen Gehörsinn gebraucht, sondern auch, dass man das, was man hört, annimmt. Dass man das glaubt, was die Ohren registrieren.

             Simeon hat gehört, dass Gott ihm verheißen hat, dass er nicht sterben wird, bevor er Messias Christus, den erwarteten Erlöser, gesehen hat. Und Simeon hat zugehört und seinen eigenen Ohren geglaubt. Geglaubt, dass gerade er auf der Schwelle zwischen dem Alten und dem Neuen stand. Er hat gewartet und gewartet. Darauf gewartet, dass die Zeit wechseln sollte. Dass der Gesalbte Gottes kommen würde. Simeons Leben war ein langer Altjahrsabend, an dem die Uhr fortgesetzt auf fünf Minuten vor zwölf steht.

             Simeon, der fromme Mann im Tempel von Jerusalem, hat einen noch älteren Namensvetter. Einen Namensvetter, an den uns Lukas vielleicht erinnern will, wenn wir den Namen hören.

             Denn der erste Simeon in der biblischen Erzählung befand sich in einem wichtigen Abschnitt seines Lebens auch in einer Warteposition. Auch er wartete auf seine Erlösung. Buchstäblich wartete er, der erste Simeon, darauf, gelöst - losgelassen zu werden.

             Wir müssen uns zurück in das 1. Buch Moses begeben, zur Erzählung von Josef und seinen Brüdern. Josef, der über die Tiefe des Brunnens, die Sklavenhändler, Potifar und das Gefängnis schließlich als Pharaos rechte Hand in Ägypte endet. Und hier, als reicher und vornehmer Ägypter, begegnet er seinen 10 älteren Brüdern wieder, die, durch Hungersnot gezwungen, nach Ägypten gezogen sind, um Korn zu kaufen. Sie können Josef nicht wiedererkennen, aber er erkennt sie wieder. Und um zu sehen, ob die Brüder noch immer dieselben sind oder nicht, tut Josef so, als ob er glaubte, sie seien Spione. Er wettert gegen die eingeschüchterten Männer, dass er diese Anklage (auf der die Todesstrafe steht) nur fallen lassen werde, wenn auch Benjamin nach Ägypten komme. Benjamin, der der Lieblingssohn des alten Vaters Jakob und nach dem Verlust von Josef dessen einziger Trost ist. Weil alle davon ausgehen, dass Josef tot ist, ist Benjamin nun der einzige noch verbliebene Rahelsohn. Der Eingeborene. Während die neun Brüder zurückkehren, um Benjamin zu holen, bleibt der zehnte Bruder als Geisel in Ägypten. Und sein Name ist Simeon.

             Simeon muss also als Geisel in Ägypten bleiben und auf seine Erlösung warten. Darauf warten, dass der Vater Jakob seinen Lieblingssohn von sich geben will. Nur das Erscheinen Benjamins kann Simeon die Freiheit wiedergeben.

             Und als das geschieht - als Jakob schließlich den Lieblingssohn ziehen lässt -, da wird die Geisel Simeon nach zahlreichen Verwicklungen endlich losgelassen und befreit.

             Ein Bruder ist nötig, um die Freilassung zu bewerkstelligen. Der Vater muss seinen geliebten Sohn schicken, bevor die Erlösung, auf die die anderen Brüder gewartet haben, Wirklichkeit werden kann.

             Das erfahren - hören und glauben - beide Simeons. Aber in Lukas' Erzählung von Simeon stecken zwei entscheidende Pointen.

             Lukas' Simeon bekommt im Tempel von Jerusalem das zu sehen, was er gehört hat: den Gesalbten des Herrn, den neuen Benjamin, den Lieblingssohn, den eingeborenen Sohn Gottes, des Vaters. Und dieses Gesicht bedeutet Freiheit - "nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren," singt Simeon in seinem Lobgesag der Befreiung, "denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen".

             Aber diese Erlösung ist mehr als eine persönliche Angelegenheit, die nur Simeon berührte. Nicht nur er, sondern die gesamte Menschheit wird befreit. Die Erlösung, die Simeon in dem kleinen Kind sieht, d.h. der Sohn, mit dem Maria und Josef kommen, ist "für alle Menschen". Das ist die eine der beiden Pointen bei Lukas. Simeons Lobgesang ist ein Echo des Lobgesangs der Engel in der Weihnachtsnacht: "Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird."

 

"Ich glaube auf meine Weise an Gott," hört man hin und wieder Menschen vorsichtig sagen. - "Nein, das ist allzu wenig," singen die Weihnachtsengel und Simeon. Es wäre allzu knauserig Gott gegenüber. Gott ist kein privates Erlebnis zu innerer Verwendung. An Weihnachten ging Gott in die Welt, weil die ganze Welt, alles Volk ihm gehört. Man kann Gott nicht so nach Bedarf zusammenstückeln. Gott ist Gott für alles Volk. Gott kann man nicht in der eigenen Hosentasche halten, mit Gott kann man es sich nicht in seinem eigenen kleinen Seelenleben gemütlich machen, als wäre Gott eine individuelle Wirklichkeit, die von Mensch zu Mensch genauso verschieden ist wie Fingerabdrücke oder DNA-Profile.

             Weihnachten - das Kind in der Krippe und heute in Simeons Armen - bedeutet, dass da etwas uns Gemeinsames ist. Unsere Wirklichkeit lässt sich nicht von Gott trennen. Gott ist kein Produkt, das wir selbst entwickeln, designen könnten oder zu dem wir uns vorfühlen könnten. Gott ist in der Welt. Und deshalb öffnet Simeon seinen Mund und singt und erzählt aller Welt von Gott.

             Und dann fügt Simeon noch etwas zu seinem Lobgesang hinzu, wovon die Engel in der Heiligen Nacht nicht gesungen haben. Nämlich dass die Erlösung und Befreiung, die das Kind für alles Volk ist und bedeutet, nicht von allem Volk angenommen, nicht von ihm gehört und geglaubt werden wird.

             Das Kind ist ein Zeichen, dem widersprochen wird, sagt Simeon. Das Heil des Herrn ist anders als erwartet. Denn Gott ist anders als erwartet.

             Es gehört ein Bruder dazu, damit der Gefangene und derjenige, der wartet, frei werden und weitergehen kann. Und der Bruder ist Gott selbst. Das ist die zweite, neue und entscheidende Pointe in der Erzählung des Lukas. Der Bruder, der in all das Unbewegliche, Festgefahrene und Alte die Freiheit, neuen Mut und neue Bewegung bringt, dieser Bruder ist Gott selbst. In Jesus gibt Gott sich zu erkennen. Als ein Bruder. Als einer von uns. Als das, was niemand erwartet hatte, und als das, was Gott nicht ist: Als ein Mensch. Und zwar als ein Mensch erbärmlichster Art: allein, ein Obdachloser, ein Arbeitsloser und am Ende auch Krimineller - er starb wie ein Rechtsbrecher.

             Jesus verkündete, dass Gott wie er ist: Der, der Sündern vergibt, der Verdammte annimmt, der Selbstzufriedenheit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten verurteilt und der in den Leiden aushält, wo niemand sein kann. Gott, so sagte Jesus, ist nicht bloß da, wo kein Leiden ist. Denn Gott ist in der Welt. Für alle in der Welt. Deshalb ist Gott auch dort, wo das Leid, die Angst und Leere offenbar sind.

             Das hatte bis dahin niemand gehört und geglaubt. Und es fällt uns auch heute schwer, es zu hören und zu glauben. Alle wir, die der Meinung sind, dass Gott es uns schuldet, seine Hand über uns und diejenigen, die wir lieben, zu halten. Auch uns fällt es schwer zuzuhören, wenn Gott sich weigert, Erfolgsgarant zu sein und uns ein langes und glückliches Leben zu verheißen. Dagegen verspricht uns Gott Begleitung durch alles andere, was wir durchmachen müssen. Und Gott stellt neue Anforderungen und gibt neue Möglichkeiten, wo die alten missbraucht und zunichte gemacht daliegen.

             Heute ist einer der letzten Tage im alten Jahr. Wir stehen auf der Schwelle zu einem neuen Jahr, das wir nicht kennen und von dem wir nicht wissen, was es bringen wird. Wir stehen hier mit all dem Alten, das wir bekommen haben, und mit dem, was wir mit uns tragen müssen, im Guten wie im Schlechten.

             Heute kann uns Simeon - er, der hörte und zuhörte -auf unserem Weg in das neue Jahr begleiten. Seine Worte können wir gebrauchen, um dem Alten Lebewohl zu sagen. Es gibt Hoffnungen und Träume, die sich nicht erfüllt haben und die wir hinter uns lassen müssen. Schmerzen und Entbehrungen, die wir mit uns tragen müssen. Aber wir können mit Simeon "fortgehen - in Frieden fortgehen". Denn auch wir haben das Heil Gottes gehört und gesehen. Jesus, unser Bruder und Sohn Gottes, ist hier gewesen. Wir sind befreit. Frei, in das Neue einzutreten, das wir nicht kennen. Mit Frieden für gestern und morgen.

Amen



Pastorin Margrethe Dahlerup Koch
Tim (Dänemark)
E-Mail: mdk(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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