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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahr / Jahreslosung, 01.01.2009

Predigt zu Lukas 2:21, verfasst von Claus Oldenburg

Es ist eine alte dänische Redensart, dass man "in Jesu Namen in das neue Jahr geht".

             Unmittelbar mag das wie eine etwas zu fromme oder vielleicht superchristliche Redensart klingen, aber der Ausdruck birgt wohl die Realität in sich, dass die Jesusgestalt in der langen Geschichte der europäischen Zivilisation ein sehr bedeutsames symbolisches Gewicht besitzt - oder jedenfalls besessen hat.

             Das Symbol sammelt - im Gegensatz zum Diabolischen, das spaltet. Das Wort Diabolos wird in älterer griechischer Terminologie auch vom Teufel oder vom Dämonischen gebraucht.

             Wenn man also diese beiden Ausdrücke nebeneinander hält - oder sie einander gegenüberstellt -, dann tritt der Gegensatz zwischen der Kraft, die sammelt, und der

Kraft, die spaltet, ans Licht. Und dies ist klar eine Angelegenheit des Gefühls, und damit steht sie als solche außerhalb der Kontrolle der Vernunft. -

             Und nun der Text. Er mag uns kurz vorkommen und sogar inhaltsleer. Aber er ist in Wirklichkeit voller Bedeutung, wenn man sich wiederum zur Gestalt Jesu und zu der langen religiösen Tradition verhält, die die europäische Geschichte geformt hat.

             Das ganz Entscheidende im Text ist die Beschneidung Jesu.

             An sich ist es nicht spektakulär, denn Jesus war Jude, und kleine jüdische Jungen werden beschnitten, und so ist es seit urdenklichen Zeiten gewesen - oder genauer: seit den Tagen Abrahams.

             Aber es liegt eine sehr wesentliche Pointe darin, dass das frühe Christentum die Beschneidung abschaffte, und Urheber dieses mental-physischen Schritts war Paulus -das geht jedenfalls andeutungsweise aus dem heutigen Episteltext des Briefes an die Galater (3,23-29) hervor, den ich am Altar las. Aber das Problem ist sehr viel mehr komplex, als es dies kurze Zitat anzugeben vermag.

             In der unmittelbaren Optik des Paulus war der Mensch "unter dem Gesetz bewacht und eingesperrt", wie er sagt, jetzt aber ist mit Christus eine neue Freiheit eingetreten, und sie gilt für alle, ungeachtet ethnischer Herkunft, sozialen Rangs und Geschlechts - und man könnte sicher eine ganze Reihe von weiteren Unterschieden aufzählen, die damit aufgehoben sein sollten.

             Und das in Paulus' Augen Entscheidende ist, dass alles in dieser Welt sozusagen in der Christusfigur gesammelt werden kann - also noch einmal das Gewicht des Symbols.

             Und nun ist nicht die isolierte Jesusgestalt, also der irdische Jesus, die Hauptfigur, sondern der auferstandene Jesus mit dem Titel des Christus - das Wort bedeutet eigentlich "der Gesalbte", ist aber in jüdischem Zusammenhang der göttliche Königstitel.

             Denn Paulus hat Jesus nicht nach dem Fleisch gekannt, sondern er hatte Ihn in seiner berühmten Vision vor den Toren von Damaskus als den "Auferstandenen" kennengelernt.

             Und an diesem Punkt nimmt das Christentum seinen Angang.

             Es ist als eine Freiheit für den Menschen gemeint, für Paulus ausdrücklich als eine Freiheit vom Gesetz.

             Und was ist dann das Gesetz? Ja, unmittelbar ist es das Gesetz Moses, eine Norm und eine Reihe von Vorschriften für das tägliche Leben, die darin enthalten sind. Man könnte das Gesetz Moses  "Regel Gottes" nennen, kulturell, gewohnheitsmässig, strafrechtlich und politisch.

             Dieser Begriff vom Gesetz entspricht genau dem moslemischen Ausdruck "Scharia". Das ganze Problem lag und liegt in der Auslegung dieser Überlieferung, die in ihrem Wesen theokratisch, also gottesbedingt ist.

             Diese Verpflichtung auf das Gesetz, das im Prinzip sowohl Juden als auch Moslems gilt, wurde und wird physisch durch die Beschneidung markiert. Sie kann nicht zurückgenommen werden. Der Beschnittene gehört damit zum Bundesvolk - also zum Volk des Gesetzes oder "Volk des Buches", wie ein Moslem es wohl eher ausdrücken würde.

             Jesus war also auch verpflichtet.

             Aber für Paulus' Intellekt und Empfinden ist der Nutzen des Gesetzes auf eine Art betrüblichen Umstand des Dasein begrenzt, denn seine Funktion kann nur in der Aufrechterhaltung einer gewissen stabilen Ordnung und in der Erstellung eines moralischen Kodex bestehen, in dem zwischen Sünde und Nicht-Sünde, richtig und nicht-richtig sorgfältig und erkennbar unterschieden wird. Das alles ist nach Paulus ausgezeichnet und notwendig, aber das Leben des Menschen verlangt nach einer neuen Dimension, und sie ist in der Vorstellung vom "Reich der Liebe" enthalten. Auch das Reich kann blitzschnell zu einer Floskel werden, denn dann sollen wir bloß gut zueinander sein, aber derlei moralisierende Rüffel haben keine besondere Wirkung. Und sie haben sie nie gehabt.

             "Das Reich der Liebe" - oder Christi Gesetz, wie Paulus es auch nennt - besteht eher in der Erkenntnis, dass es Bereiche des Daseins gibt, die gerade nicht im Voraus oder im Nachhinein handfest reguliert werden können, sondern eine Reihe von Empfindungsregistrierungen enthalten, die sich frei bewegen, weil sie kommen und gehen.

             Es geht um das Gefühl des Menschen, und eben weil es nie rational begründbar ist, bewegen wir uns auf dem Feld der Irrationalität.

             Das Gesetz ist rational, denn es ordnet und reguliert.

             Gefühl ist irrational, eben weil es nicht ordnen oder regulieren kann, sondern seiner eigenen Logik folgt, wo Ergriffenheit unumgänglich ist.

             Und diese Ergriffenheit befindet sich sozusagen außerhalb der moralischen Logik. Deren nimmt sich das Gesetz an.

             Aber wie ist dann die Beziehung zwischen beiden?

             Man kann es vielleicht so beschreiben, dass die Lust zum Totschlagen auf ausgezeichnete Weise durch die Rede und Warnung des Gesetzes gehemmt wird.

             Und man kann es wohl auch so sagen, dass eine plötzliche und starke erotische Anziehung durch die eingebaute Kraft des Gesetzes gehemmt wird.

             Es gibt also tatsächlich zwei Reiche, die um die Herrschaft über das Leben von Menschen und das Leben der Gesellschaft wetteifern. Und sie sind auf gute dialektische Weise im Gleichgewicht zu halten. Denn sie können auch nicht ohne einander leben.

             Das Gesetz kann nämlich ein kalter Rüffel sein, und das Gefühl kann ein selbstzufriedenes Überkochen sein.

             Aber es ist das theologische und geistesgeschichtliche Verdienst des Paulus, dass er beide Reiche einbezieht und über ihre gegenseitige Verkettung nachdenkt.

             Und das geschieht in der Christusgestalt.

             Der Ausdruck, den Paulus sehr oft verwendet, ist Versöhnung. In der kirchlichen Tradition kommt der Ausdruck normalerweise auf der Grundlage einer dogmatischen Überlegung vor, und dann ist die Versöhnung eine Art göttlicher Gestus - ausgeführt in der Christus-Gestalt - gegenüber den menschlichen Unzulänglichkeiten, und dazu gehören alle die Sünden, die der Mensch dem Gesetz zufolge begangen haben mag. Dann werden uns alle unsere Fehler, Verbrechen und Seitentriebe der eingebildeten Perfektion vergeben. Wir bewegen uns absolut innerhalb des Bereichs von Bagatellen.

             Vielleicht ist die Versöhnung etwas Anderes.

             Dass die göttliche Macht nach innen erkennt, dass sie selbst für das Leben der Welt und für das Leben von Menschen eine Mitverantwortung tragen muss.

             Dann nimmt Christus nicht die Schuld des Menschen auf sich, wie wenn Er sie im metaphorischen Sinne mit Hilfe eines Fleckenentferners entfernen könnte, sondern Er ist der Mitschuldige, und die Gestalt lebt Seite an Seite mit dem Menschen i allem, was dem Menschen zustößt.

             Vielleicht kann man es so sagen. Wir müssen alles einbeziehen. Und Er bezieht alles ein. Und für dies Letztere haben wir jedenfalls Seine Geschichte als Garantie.

             Um den Text abzurunden. Er wurde beschnitten. Wir brauchen nicht beschnitten zu werden. Denn das Zeitalter der Verpflichtung ist längst von der Kunst der Vergebung abgelöst worden, und die ist durchaus gegenseitig.

Wenn wir das verinnerlichen, gehen wir "in Jesu Namen" in das neue Jahr,
Amen und ein gutes neues Jahr!



Pastor Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col(at)km.dk

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