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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahr / Jahreslosung, 01.01.2009

Predigt zu Lukas 18:27, verfasst von Matthias Wolfes

Predigt zur Jahreslosung 2009

Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich."

Liebe Gemeinde,
aus den Weihnachtstagen nehmen wir das Leuchten auf, mit dem der Stern der Hoffnung unseren Weg erhellt. Für Augenblicke gönnen wir uns Atempausen im ruhelosen Strom des Lebens. Wir lassen uns zur stillen Einkehr einladen, um jenen Segen zu empfangen, der wahren Frieden schenkt.

Jesu Worte aus dem Lukasevangelium „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich" geben den Kern unseres Glaubens wieder. In ihnen ist zusammengefaßt, worauf wir bauen. Es geht um den Grund unserer Hoffnung und den Ausgang unseres Vertrauens auf Gott.

Aber was ist es, worauf wir hoffen? Was erwarten wir, wenn wir sagen, daß wir Gott vertrauen? Und welche „Möglichkeiten" schreiben wir ihm zu, die wir für uns selbst als „unmöglich" unterstellen?

Eine Richtung weist das folgende Gedicht:

„Ich möchte Glauben haben, der über Zweifel siegt, /
der Antworten weiß auf Fragen und Halt im Leben gibt.
Ich möchte Hoffnung haben für mich und meine Welt, /
die auch in dunklen Tagen die Zukunft offenhält.
Ich möchte Liebe haben, die mir die Freiheit gibt, /
zum andern Ja zu sagen, die vorbehaltlos liebt.
Herr, du kannst alles geben: daß Glauben in mir reift, /
daß Hoffnung wächst zum Leben und Liebe mich ergreift."

Von den unendlichen Möglichkeiten Gottes sprechen wir, weil wir darauf vertrauen, daß bei Gott alle Dinge möglich sind. Es geht also genau genommen weniger um Gott selbst als um unsere Sicht auf ihn, unseren Glauben, unsere Erwartung an sein Tun. Dem entspricht auch der neutestamentliche Zusammenhang, in dem dieser Satz Jesu steht. Der Ausspruch ist einem Gespräch entnommen, das er mit einem „Oberen" (dem reichen Jüngling) führt. Dieser hatte ihn gefragt, was er tun müsse, damit er das ewige Leben ererbe. Die Forderung, allen Besitz hinzugeben, macht den Fragenden traurig und mutlos, woraufhin Jesus erklärt, wie schwer es die Reichen haben, in das Reich Gottes zu kommen, nämlich schwerer als daß ein Kamel durch ein Nadelöhr komme. Die Umstehenden erschrecken: „Wer kann dann selig werden?", und Jesus antwortet: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich."

Dieser Satz ist ein Zeugnis für das unbedingte, absolute Gottvertrauen Jesu. Das von ihm verwendete Bild macht überdies deutlich, wie wir von Gott und unserer Hoffnung auf ihn sprechen sollen. Es geht also um den Glauben, der von uns erwartet wird. Er entnimmt seine Maßstäbe nicht dem Offensichtlichen. Er stellt sich nicht auf den Boden des auf den ersten Blick Erkennbaren. Der Glaube markiert eine Haltung des Trotzdem. Er blickt hinter Dinge, Ereignisse und Menschen.

Vieles in unserem Dasein ist nicht umstandslos erkennbar. Um Zusammenhänge zu begreifen, ist oft ein langer Atem und ein erhebliches Maß an Geduld nötig. Nur allzu selten sind wir dazu bereit. Die Begierde nach schnellen Erklärungen verhindert häufig ein tieferes Eingehen. Wir versperren uns selbst den Zugang, indem wir mit oberflächlichen Eindrücken und Erklärungen zufrieden sind.

Die Haltung des Glaubens ist anders: Er bringt die erforderliche Ausdauer auf, denn er hat Zeit und verfügt über die nötige Geduld. Jene teuflische Eile, von der die Welt ergriffen ist, steht im Widerspruch zur Weile des Glaubens.

Erst in der Fülle der Zeit gibt Gott sich zu erkennen. Das wahre Gebet ist deshalb immer auch eine Form der Meditation, der Versenkung und inneren Einkehr. Die Besinnung auf Gott ist zugleich Selbstbesinnung, und es ist auch gar nicht anders denkbar, da ich mir doch Gottes immer nur bewußt werden kann, indem ich mir zugleich meiner selbst bewußt werde. Gott erkennen, heißt immer auch, sich selbst erkennen. Sprechen wir von Gott, so wandern wir eben auch durch die Naturtäler der Selbsterkenntnis und auf den Feldwegen der Hoffnung.

Sehen wir die Sache so an, dann eröffnet sich auch noch eine zweite Perspektive; - dann macht der Ausspruch tatsächlich eine zentrale Einsicht über Gott frei. Jeder weiß, daß es nicht so einfach ist, von Gott zu sprechen. Die Skeptiker und Gottesfeinde haben zu allen Zeiten die Versuche, von Gott zu sprechen, damit attackiert, daß unsere Worte stets unangemessen bleiben und Gott selbst nie in Sprache gefaßt werden kann. „Wo ist denn nun dein Gott?", heißt es schon in Psalm 42. Tatsächlich ist Gott Geist. Gottes Wirklichkeit ist ein geistiges Sein, ein Sein des Geistes, wie uns die Heiligen Schriften immer aufs neue einschärfen. Wollten wir von Gott sprechen, wie er an und für sich ist, so stünde uns dafür keine Sprache der Welt zur Verfügung. Diese unmittelbare Art der Rede von Gott ist uns unmöglich, und auch der Bezug auf biblische oder theologische Aussagen hilft da nicht weiter.

Der Glaube steht neben Liebe und Treue, neben Mut und Hoffnung, neben der Freundschaft. Er gehört, wie diese, zu den größten Gaben der Menschheit. Gleichwohl ist er kein Besitz und kein Können. Er hat, ähnlich wie die Liebe, die Freundschaft und die Treue, eine ganz eigene Sprache entwickelt: Bekanntlich können wir die schönsten, tiefsten und würdigsten Dinge sagen allein aus Liebe, allein aus Freundschaft, allein aus Treue. Aber verloren sind sie, wenn man beginnt, Liebe, Treue und Freundschaft beweisen zu wollen. Ebenso steht es mit dem Glauben. Er ist der Einspruch gegen die Behauptung, nur das Berechenbare sei wirkliches Wissen. Wovon der Glaube Zeugnis gibt, davon spricht er anders: Er spricht in Bildern und Vergleichen, in Geschichten und Symbolen. Wie in den Erzählungen des Alten Testaments spricht auch Jesus vom Gottesreich überwiegend in Gleichnissen, Bildworten und Beispielgeschichten. Die frühen Christen haben ihren Glauben an Gott und Christus in Liedern und Hymnen, in Bildern und Bekenntnissen entfaltet. Sie haben dies getan, weil sie wußten: Menschen können von Gott niemals direkt sprechen, sondern immer nur in menschlicher Weise.

Bei all unseren Bemühungen geht es darum, Gottes Wirklichkeit, seine Nähe, seine reale und gegenwärtige Anwesenheit in der Welt auszusagen. Diese Welt ist seine und zugleich die unsere. Wäre es nicht unsere Welt, so könnte es auch nicht die Welt Gottes sein; und wäre es nicht die seine, so auch nicht die unsere. Die Offenbarung, wie sie der christliche Glaube bekennt, ist nicht eine notgedrungene Maßnahme Gottes, um eine fremd gewordene Welt auf den rechten Weg zurückzubringen. Sie kann nicht nach dem Muster etwa der Sintfluterzählung gedeutet werden, weil Gott angeblich mit allem irdischen Tun unzufrieden gewesen wäre. Davon kann keine Rede sein, und das Neue Testament kennt diesen Gedanken auch nicht!

Gott läßt sich suchen, aber er verbirgt sich nicht. Die Rede vom verborgenen Gott ist von Theologen und Predigern mißbraucht worden, um Menschen zu ängstigen und gefügig zu machen. Uns ist vielmehr aufgetragen, seinen Geist und seine Weisheit aller Welt vor Augen zu stellen.

Das können wir tun, indem wir uns der Worte der Jahreslosung für 2009 versichern: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich." Zugleich sollen wir klar sehen, daß es eben Jesus ist, der sie spricht. Er selbst ist ja für uns Ausdruck größter Nähe und Anwesenheit Gottes in seiner Welt. So fassen wir Gott nach unserem Glauben auf; so denken wir uns ihn, wenn wir ihn als Geist begreifen.

An Jesus, an seinem Dasein, dem Umgang mit den Menschen, der Liebe und Treue bis in den Tod, an seinem Leben, das stärker war als der Tod, erkennen wir Gottes wahres Wesen. Wir erkennen einen Gott, der Liebe ist. Wir begegnen in Jesus dem Bild eines Gottes, der uns liebt, der Unheiles heilt, der Schuld verzeiht, der Neuanfänge ermöglicht, der in seiner Liebe treu ist bis in den Tod, und der stärker ist als der Tod, weil er das Leben selbst ist.

Amen.


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Hinweis:
Das zitierte Gedicht stammt von Eberhard Borrmann (1977); abgedruckt in: Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen, München o.J. [1994], Nr. 622.



Pfr. Dr. Dr. Matthias Wolfes
Institut für Evangelische Theologie der Freien Universität Berlin
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

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