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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach dem Christfest, 04.01.2009

Predigt zu Lukas 2:41-52, verfasst von Rainer Stahl

Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Leserin, lieber Leser,

wer mag sich an diesem Sonntag dem kirchlichen Angebot aussetzen? Zuerst sind es gewiss diejenigen, die hauptberuflich in der Kirche angestellt sind und auf Grund ihrer beruflichen Pflichten auf diesen Sonntag und seine Texte gestoßen werden - Kolleginnen und Kollegen als Pfarrerinnen und Pfarrer, als Prädikantinnen und Prädikanten, als Lektorinnen und Lektoren. Sodann sind es gewiss diejenigen, die während der Weihnachtstage und dem Jahreswechsel familiär oder beruflich so eingespannt waren, dass sie sich bewusst heute Zeit und Freiraum nehmen, um ganz neu dem Thema des Weihnachtsfestes nachzusinnen - Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Mitarbeitende der Bahn, Piloten und Stewardessen, Polizistinnen und Polizisten, Eltern, die ein krankes Kind rund um die Uhr zu pflegen haben.

Für Sie alle, liebe Leserinnen und Leser, stelle ich das Thema der Weihnacht in den Mittelpunkt, wie es das Bibelwort der mit diesem Sonntag beginnenden Woche aufgibt:

„Wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit" (Johannes 1,14).

Was haben wir gesehen?
Was ist Herrlichkeit?
Wieso Gnade und Wahrheit?
Was heißt „eingeborener Sohn"?
Wir haben Weihnachten erlebt und gefeiert; aber scheinbar alles ist unklar! Oder wüssten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, verständliche Antworten?

Wir sollen heute diese Wahrheit mit Hilfe der Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel begreifen, die uns vom Evangelisten Lukas verkündigt wird.
Ein Kind, ein Jugendlicher,
Jesus als Kind und Jugendlicher,
in besonderer Herausforderung: Das ist kein Erziehungsroman.
Dieses mögliche moderne Missverständnis sei sogleich abgewiesen. Die Geschichte ist gerahmt von zwei Feststellungen, nach denen Jesus an Weisheit und Gnade zunahm. Aber dieses Wachsen und Zunehmen ist nicht als Ergebnis des Erziehungseinsatzes der Eltern vorgestellt sondern als Ergebnis des Wirkens Gottes. Und eingebettet in dieses sich Durchsetzen Gottes in dem Jesus aus Nazaret ist unsere Geschichte eine Geschichte der Offenbarung.

Eine Geschichte, die schlaglichtartig das Wesen dieses Jesus deutlich werden lässt.
Eine Geschichte, die aufleuchtend zeigt, wer Jesus wirklich ist.
Ähnlich, wie bei der Taufe deutlich werden wird, in welcher Beziehung Jesus zu Gott steht (Lukas 3).
Oder, wie bei der Sturmstillung deutlich werden wird, welche Kräfte Jesus mobilisieren kann (Lukas 8).
Oder, wie bei der Verklärung bewusst werden wird, wer und was Jesus in Wahrheit ist (Lukas 9).
Eine Predigt- und Verkündigungsgeschichte solcher Art haben wir heute vor uns und eben gehört oder gelesen.

Sie deckt uns die Wahrheit und die Gnade Jesu auf,
derer er teilhaftig ist (wohlgemerkt: ist, nicht war!),
und die er für uns eröffnet.
Lässt sich das auf einen Begriff bringen?
Lässt sich aus dieser Geschichte ein Extrakt erheben?

Das ist immer gefährlich. Erzählungen und Geschichten - das wissen wir z.B. aus dem Alten Testament - enthalten ihre Wahrheit in sich und können nur bei Gefährdung ihrer Lebendigkeit und ihrer Wahrheit zu einer Formel komprimiert oder ausgedünnt werden. Trotzdem darf ich dies versuchen:

Jesus sitzt in der Mitte der theologischen Lehrer Judas im Tempel in Jerusalem,
hört auf sie,
befragt sie (Vers 46)
und antwortet,
gibt selber Kommentare,
führt das Gespräch weiter - in einer Weise, dass alle, die ihn hören, „erstaunt waren über seinen Verstand" (Vers 47).
Nicht nur rezeptiv sondern aktiv gestaltet Jesus das Glaubensgespräch mit.
Er wird darin als der gerechte Thora-Lehrer,
der gerecht Verkündigende und Lehrende
und der Gerechtes Verkündigende und Lehrende deutlich.

Ich kann das noch genauer zuspitzen:
Es wird hier nicht über Weltprobleme diskutiert. Sondern es wird das Gespräch mit dem Offenbarungswort Gottes geführt. D.h., Jesus wird als derjenige bewusst gemacht, der den Willen, die Intention, die Absicht Gottes gültig zur Sprache bringt.
Noch genauer:
In den Worten des Jesus ist Gott selbst zu hören!

Das ist die Quintessenz von Weihnachten:
Nicht nur Gefühl - das aber eben doch.
Nicht nur Musik - die gewiss ja.
Nicht nur Licht - das auf alle Fälle auch.
Aber vor allem:
Die klare Konfrontation mit dem, was Gott will. Das eindeutige Benennen dessen, als was Gott uns will - mich will.

Leider geht unsere Geschichte hierzu nun nicht in Einzelheiten. Die Inhalte des Gesprächs mit den Lehrern bleiben völlig offen. Es wird nur betont, dass ihn die Beteiligten - vor allem die Eltern - nicht verstehen,
Maria aber doch versucht, die Dimensionen des Erlebten zu verarbeiten.
Wie sie schon das Erlebnis mit den Hirten verarbeitete (Vers 19),
so nun die Begegnung mit ihrem Sohn im Kreis der theologischen Gelehrten und seine Zuordnung Gottes als seines Vaters zu sich selbst (Vers 51b).

Das ist unsere Situation. Das ist unser Interesse - Weihnachten neu zu verstehen.
Mein Interesse.
Ihr Interesse, liebe Schwestern und Brüder.
Hier wird die Herrlichkeit deutlich.
Da sind die Dimensionen von Gnade und Wahrheit greifbar, die sich zu Weihnachten erschließen:
die Liebe und die Barmherzigkeit.

„Liebt eure Feinde. Tut Gutes denen, die euch hassen" (Lukas 6,27).
„Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist" (Lukas 6,36).

Diese beiden Verhaltensweisen predigt Christus später im Lukasevangelium. Wir können uns gut vorstellen, dass sie auch vom zwölfjährigen Jesus schon in den Mittelpunkt gerückt worden sind:

Gott ist da gegenwärtig, wo wir Liebe und Barmherzigkeit leben.
Gott handelt an uns, wenn wir Liebe und Barmherzigkeit erleben.
Weihnachten wird, wenn Liebe und Barmherzigkeit in unser Leben hineinleuchten.
Dann ist es Christus, der an unsere Seite getreten ist und uns unseren Weg führt.

An dieser Stelle erinnere ich an die Erzählung Leo Tolstojs „Wo Liebe ist, da ist Gott", in der einem Schuster Christus seinen Besuch angesagt hatte und dann in der Gestalt eines Straßenkehrers, einer armen Mutter mit Kind und einem hungrigen Jungen gekommen war. Diese Geschichte betont das aktive Handeln an Menschen in Not, die dann für uns zu einer Begegnung mit Christus werden können. Ich denke aber auch, dass wir erwarten dürfen, dass andere an uns handeln, auf uns zugehen, unsere Sorgen wahrnehmen. Und so kommt Christus ebenfalls zu uns.

So wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dass so für Sie Weihnachten wird:
Dass Ihnen Barmherzigkeit zuteil wird, wo Sie Fehler gemacht und andere verletzt haben.
Dass Sie Barmherzigkeit anbieten können, wo andere Sie verletzt haben und an Ihnen schuldig geworden sind.
Dass Ihnen Liebe zuteil wird, wo Sie einsam und auf sich gestellt sind.
Dass Sie Liebe gewähren können, wo andere neben Ihnen orientierungslos und verunsichert sind.
Dann wird Christus zwischen uns treten und mit uns sein.
Dann wird Weihnachten werden.
Amen.




Pfarrer Dr. Rainer Stahl
Generalsekretär des Martin-Luther-Bundes
Erlangen
E-Mail: rs@martin-luther-bund.de

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