Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Epiphanias, 06.01.2009

Predigt zu Matthäus 2:1-12, verfasst von Peter Nejsum

Wie soll man Gott erkennen? Wie erscheint Gott? Das ist die wesentliche Frage, die sich hier in der Epiphaniaszeit stellt, in der Zeit nach dem sog. Epiphaniasfest, d.h. nach dem Fest der Erscheinung des Herrn. Dass Gottes Sohn in die Welt kommt, bedeutet, dass Gott erscheint. Das tiefste menschliche Verlangen wird gestillt, das Verlangen, das sich nicht gewandelt hat, ja, in unserer modernen Welt vielleicht sogar gewachsen ist. Wie erscheint Gott? Und wie können wir ihn gewahr werden?

             Und das ist ein wichtiges Thema in Matthäus' herrlicher Erzählung von den weisen Männern. Ihm liegt daran, zu erzählen, wer die ersten Zeugen sind, genau wie bei Lukas, der seinerseits die Hirten wählt. Und wer sind sie? Und warum werden sie gewählt? Ja, "einige weise Männer aus einem Land im Osten", erzählt Matthäus. Nur dies. Wer es war, welchem Milieu sie entstammten, ob sie Astrologen waren oder worin überhaupt ihre Weisheit bestand, darüber verliert er kein Wort. Ja, er erzählt nicht einmal, wie viele es sind; dass es sich um drei Männer handelt, hat spätere Tradition hinzugedichtet. Und, so muss man hinzufügen, alles Mögliche darüber hinaus: dass sie Könige gewesen sein sollen, wie sie hießen, welche Hautfarbe sie hatten. Wir erfahren nur, dass sie weise Männer aus einem östlichen Land sind. Dass es Fremde sind, die als Erste sehen, was geschehen ist, das erfahren wir. Und das ist dann auch das Entscheidende. Denn sie, die Fremden, sehen doch, was die Juden selbst nicht sehen können.

             Dies ist das einzig Wichtige, und deshalb brauchen wir auch nicht mehr über sie und ihre Weisheit zu wissen. Sie kommen aus der Ferne und verschwinden genauso schnell, wie sie gekommen sind. Man kann der Faszination nicht widerstehen, dass sie von zu Hause aufbrechen, ihre Kamele beladen und sich auf die mühsame Reise in ein fremdes Land begeben, bloß weil sie einen Stern gesehen haben und weil sie sich danach sehnen, das Kind zu sehen, auf das der leuchtende Stern hinweist. Man stelle sich vor, auf dieser Grundlage so einfach davonzuziehen und sich auf den Weg zu machen. Und die Juden, sie sehen nichts. Die weisen Männer müssen sich gewundert haben, als sie nach Jerusalem kamen und alles so wie immer war, dass alle unangefochten weiterlebten, dass die hektische Geschäftigkeit im Basar die gleiche war wie eh und je und dass alle mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt waren. Sie erkundigten sich nach diesem neuen König, aber man antwortete ihnen nur mit Kopfschütteln. Es zeigt sich ein gewaltiger Kontrast zwischen den weisen Männern und den Juden, zwischen der Offenheit gegenüber dem Neuen, das geschehen ist, und denen, die dem Ereignis am allernächsten sind, es aber nicht sehen können, ja, die sich selbst genug sind und die dem Neuen genau wie Herodes selbst mit Argwohn und Furcht begegnen.

             Die Ersten, die erkennen, dass Gott in die Welt gekommen ist, sind einige Fremde mit ganz anderen Voraussetzungen. Sie können sehen, was die Anderen nicht sehen können. Das ist die Pointe. Von Anfang an kommt das Göttliche in unsere Welt mit einer Fremdheit, einer Andersartigkeit, die nur zu Kopfschütteln oder Widerstand führt. Es lässt sich nicht erkennen, wenn man sich allein auf das verlässt, was man sich selbst sagen kann. Das Göttliche kommt also als etwas Fremdes in die Welt, als etwas, das mit unseren gewohnten Vorstellungen von uns selbst und der Welt um uns bricht. Und deshalb sind es die Fremden, die zuerst sehen, was der Stern über uns bedeutet.

             In Wirklichkeit ist das vielleicht gar nicht so merkwürdig. Denn es gibt vieles, was wir erst in der Begegnung mit dem erkennen, was anders, was fremd ist. Indem wir uns in dem, was von uns verschieden ist, spiegeln, können wir sehen, was wir selbst tun. Dass die Art und Weise, wie wir die Dinge tun oder die Welt auffassen, keinem Naturgesetz entspricht. Die Begegnung mit dem Fremden kann uns in unseren eigenen Vorstellungen bestätigen. Aber sie kann uns auch öffnen. Sie kann dazu führen, dass wir plötzlich unsere Handlungsweise in einem neuen Licht sehen, ja, es kann eine Offenbarung sein, zu erleben, dass es andere Möglichkeiten gibt als die, die wir jedesmal mehr oder weniger zwanghaft selbst wählen. Es kann sich um eine überraschende Perspektive handeln, die alles in einem neuen Licht erscheinen lässt.

             Neulich kam ich zu Fuß von Slangerup nach Hause. An dem Abend waren nicht viele Menschen unterwegs. Ich war allein. Bis ein Mädchen am Horizont auftaucht, und unbewusst fange ich an, passende Regeln des sozialen Zusammenseins zu finden. Ich sehe sie aus der Ferne an: Kenne ich sie? Nein. Dann gilt die Regel: man tut so, als bemerke man einander nicht. Eigentlich ein bisschen bizarr, wenn man bedenkt, dass sie und ich die einzigen lebendigen Wesen auf der Straße sind. Ich weiß, dass sie da ist. Sie weiß, dass ich da bin. Aber wir tun so, als wäre nichts, sehen zur Seite, besonders in dem schwierigen Augenblick, als wir aneinander vorbeigehen. Es ist eigentlich merkwürdig. Wären wir Beduinen gewesen und wären wir uns in der Wüste begegnet, dann hätten wir eine lange und wortreiche Begrüßungszeremonie veranstaltet, ja, wir hätten vielleicht sogar zusammen gegessen. Dies ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie das, was anders ist, etwas beleuchten kann, von dem ich glaubte, es sei eine ganz selbstverständliche Sache.

             Diese Form der Erkenntnis ist in den Gleichnissen Jesu enthalten. Denn worum geht es da eigentlich? Es sind kleine Geschichten aus dem Alltag: Von einem Vater und seinem Sohn, von einem Mann, der Korn sät, von einem Mann, der Geld schuldet, von einem Schaf, das verschwunden ist. Es sind Situationen, die man ohne Weiteres wiedererkennt. Kleine Geschichten, die an und für sich vielleicht gar nicht besonders überraschend wären, wenn sie nicht von etwas ganz Anderem handelten: Vom Reich Gottes, von Vergebung, Gerechtigkeit, vom Verhältnis zu Gott. Es ist ja nicht so merkwürdig, dass ein Vater seinem Sohn entgegenläuft und ihn umarmt, wenn der Vater geglaubt hat, dass sein Sohn sei tot, und der Sohn jetzt wohlbehalten nach Hause gekommen ist. Da ist es dann auch völlig gleichgültig, ob der Sohn Dummheiten begangen oder auf andere Weise versagt hat und mit welchen Entschuldigungen er kommen mag. Wichtig ist, dass er nach Hause gekommen ist. Welcher Vater würde nicht so reagieren wie er? Das Überraschende an dieser Geschichte liegt in der Behauptung Jesu, so handle Gott natürlich auch. Und auf diese Weise fordert Jesus eine bestimmte Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes heraus. Als würde man nach Verdienst belohnt. Er fordert alle diejenigen heraus, die gekränkt danebenstehen wie der andere Sohn, der immer seine Pflicht getan hat und ein guter Junge gewesen ist, - und hat man jemals für ihn ein Fest veranstaltet?

             Und das ist nur ein Beispiel. Etwas Fremdartiges, Andersartiges, dringt in das gewohnte Bild ein, das wir uns machen, und verändert es völlig. Wenn die Gleichnisse so überzeugend wirken und einen strahlenden Zug an Jesus ausmachen, der weit über seine Bedeutung für das Christentum hinausreicht, dann hat das seinen Grund darin, dass es ihm gelingt, einen Funken zwischen dem Wohlbekannten und Alltäglichen einerseits und dem Unerwarteten und Göttlichen andererseits springen zu lssen. Einen Funken, der das Göttliche zum Vorschein kommen lässt - als etwas Fremdartiges.

             Es bedeutet auch etwas für die Kirche. Kirche zu sein heißt, eine Wahrheit angeboten zu bekommen, das angeboten zu bekommen, was man sich nicht selbst sagen kann, eine Wahrheit über sich selbst angeboten zu bekommen, auf die man vielleicht am liebsten verzichten würde. Und das angeboten zu bekommen, woran man vielleicht nicht zu glauben wagt, weil es nur allzu gut wirkt, um wahr zu sein.

             Es gelingt sicher nicht immer, ja, so ist es garantiert. Aber das ändert nichts daran, dass das der Sinn ist. Und oft denkt man vielleicht, dies gilt nicht für mich, oder: ich glaube trotzdem, dass es so ist, wie ich immer gemeint habe, oder: wenn man es doch nur glauben könnte! An all dem ist nichts Merkwürdiges, denn oft gehört viel dazu, fest verwurzelte Denkweisen zu ändern. Aber genau dies versuchen wir immer wieder im Gottesdienst, mit mehr oder weniger Erfolg natürlich.

             Deshalb ist es auch ein Missverständnis, wenn Leute sagen, man könne ohne Weiteres Christ sein, ohne in die Kirche zu gehen. Wer soll einem denn dann die Wahrheit anbieten, die man sucht? Wer soll dann das Kind ausmachen, über dem der Stern aufgegangen ist? Dann würde es niemanden geben, der einem widerspräche, niemanden, der das Göttliche in seiner Fremdartigkeit und Andersgeartetheit zeigen würde. Wir alle bemühen uns doch, unsere eigene Wahrheit auf der Grundlage unserer Weltauffassung zu konstruieren. Das gehört zum Menschsein dazu, nicht zuletzt in einer modernen Welt. Aber das Göttliche erscheint nun einmal als etwas Fremdartiges, als etwas, was ich mir nicht selbst sagen kann, als etwas, was mir widerspricht. Und das mir deshalb gesagt werden muss.

             Die Wahrheit des Evangeliums über den Menschen und über Gott kann auch nicht festgeschrieben werden. Das liegt auch darin. Sobald sie zu gewohnten und sicheren Vorstellungen wird, muss Alarm einsetzen. Denn dann besteht die Gefahr, dass etwas Wesentliches verloren geht. Das Evangelium ist nämlich in der Auseinandersetzung mit den Vorstellungen, die uns Sicherheit geben und alles in ordentliche Schubladen packen sollen, so fromm und richtig sie auch erscheinen mögen. Das Evangelium ist daher ein bestimmter Prozess, etwas, was immer wieder stattfindet.

             Jedes Mal, wenn wir glauben, wir wüssten, was ein Mensch ist, oder ihn mit einer bestimmten Bezeichnung versehen, erfahren wir: Ein Mensch ist immer mehr als das. - Und jedes Mal, wenn wir glauben, wir hätten begriffen, was Gott ist und uns damit begnügen, erfahren wir: Gott ist immer mehr als das.

             Als das Göttliche in dieser Welt erschien, geschah es auf eine solche Art und Weise, dass es für diejenigen, die unmittelbar daneben standen, unsichtbar war. Allein die Fremden hatten einen Blick dafür. Wir feiern, dass es auch für uns erscheint - immer aber als etwas Unerwartetes, Fremdes, als etwas, das uns dargeboten wird. Amen


 

 



Pastor Peter Nejsum
Slangerup (Dänemark)
E-Mail: pene@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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