Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Epiphanias, 25.01.2009

Predigt zu Matthäus 8:5-13, verfasst von Bernd Vogel

5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn
6 und sprach: Herr, mein Junge liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen.
7 Jesus sprach zu ihm: Ich soll kommen und ihn gesund machen?
8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht gut genug, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Junge gesund.
9 Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's.
10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!
11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen;
12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Junge wurde gesund zu derselben Stunde.
(Matthäus 8, 5-13)

Eine Männergeschichte im Dreieck. Und eine Heilungsgeschichte; denn einer ist schwer krank. Nichts geht mehr bei ihm. Der andere kann nicht helfen, ist ohnmächtig. Er lernt die Bitte. Er wagt das Vertrauen. Der Dritte, der dazu kommt, sieht und respektiert die Grenzen. Dann spürt er das Vertrauen und überschreitet die Grenzen im Namen seines Gottes. So wird er zum Heiland der Heiden. Er sagt dem Vater zu: Da geschieht Neues zwischen dir und deinem Jungen, deinem Sohn. Wo nichts mehr ging, beginnt das Leben neu. Heilung und Heil.

Ein römischer Centurio, ein „Hauptmann". Mittlere Lebensjahre, Befehlshaber über eine Hundertschaft Soldaten, selber vielfach Untergebener von höheren Dienstgraden sie alle wahrscheinlich im Dienst des jüdischen Rom-Vasallen Herodes Antipas. Was auch immer sonst diesen Mann und sein Leben bestimmt und auszeichnet: Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch: Wer hat hier eigentlich das Sagen? Wer hat hier die Macht? Wo ist oben und wo ist unten? Wo sind die Grenzen, die unbedingt eingehalten werden müssen? Befehl und Gehorchen ist Trumpf. Nun hat er ein ernsthaftes Problem, das ihm über den Kopf wächst und an sein Herz geht. Sein Sohn, sein „Junge" ist krank. Er rührt sich nicht mehr. Mit Macht ist da nichts zu machen. Der Vater ist ohnmächtig. Er hat Angst um sein Kind. Was tun? Da reift in ihm ein Entschluss ...

Jesus von Nazareth, zeitweilig zuhause in Kafarnaum am See Genezareth. Kafarnaum ist Grenzstädtchen in Galiläa, dem Herrschaftsgebiet des Herodes Antipas. Das Leben ist relativ ruhig und sicher hier, solange sich alle an die Spielregeln des Königs und der Römer halten. Die Landschaft rund um den See ist grün. Es gibt etwas zu tun, etwas zu essen. Man kann sich einrichten in Kafarnaum am See Genezareth. Auch Jesus konnte sich einrichten hier. Der Zimmermannssohn aus Nazareth ist nur das letzte Jahr seines Lebens ein Wanderer zwischen den Welten. Davor lebte er „wie du und ich" irgendwo in oder bei Nazareth und in Kafarnaum. Wahrscheinlich ging er auf den Bau, verdiente sich sein Geld im Dienst des Fürsten, der sich Paläste und Städte bauen ließ. Eines Tages geht Jesus zu Johannes an den unteren Jordan und lässt sich taufen. In einer Wüstenzeit bildet sich ihm seine Vision aus. Er findet zu sich selbst. Er besteht die „Versuchungen" des „Teufels", kehrt zurück in die Zivilisation und spricht vom großen „CHANGE": „KEHRT UM (ändert euer Leben) und GLAUBT an das Evangelium; denn das GOTTESREICH ist nahe" lautet seine Botschaft. Jesus hat begeisterte Zuhörer und schnell solche, die ihn für gefährlich halten. Viele vertrauen ihm ihre Sorgen an. Sie erwarten Wunder von ihm. Und manche geschehen auch. Ganz bestimmt hat der Centurio von seinem prominenten Stadtnachbarn gehört. Ob der etwas machen kann?

Der „Junge". In der Geschichte namenlos wie sein Vater. Von seiner Mutter ist nicht die Rede. Von Brüdern und Schwestern wissen wir nichts. Ist er der einzige Sohn seines Vaters? Ist die Mutter gestorben? Hat der Vater eine Haushälterin oder eine Geliebte? Wohnen die beiden allein im Haus. Ist es „Männerwirtschaft"? Wie alt ist er? Ein Kind noch oder schon ein Jugendlicher? Ist es sein „Job", für seinen Vater der „Bursche" zu sein, der Leibdiener und Adjudant, zugleich Soldatenlehrling? Steht er unter dem „Befehl" seines „Herrn"? Der Junge ist jedenfalls krank. Er leidet unter Lähmungen und Fieber. Nichts geht mehr. Sein Vertrauen in den Vater zerbricht, vielleicht jetzt spürbarer als je zuvor. Worauf vertrauen, wenn die Eltern, der eigene Vater nichts mehr machen kann?

Matthäus hat die Geschichte auch erzählt, weil der Hauptmann der erste „Heide" ist, der mehr „glaubt", fester vertraut auf das Göttliche in dem Menschen Jesus, in dem Mann aus Nazareth als viele der jüdischen Volksgenossen? Darum auch die erstaunte Frage Jesu:
D u (ein Heide) willst, dass  i c h (ein Jude) zu dir in dein Haus komme? Darum die respektvolle Antwort dieses „Heiden": Nicht nötig, „HERR", sprich nur ein Wort, so wird mein Junge gesund! Doch ‚Heiden und Juden' - das ist nicht unser Problem heute. Eher dies: Wie kann es geschehen, dass tatsächlich Jesus Christus sich auswirkt nach Westen und Osten, nach Norden und Süden? Wie von Ihm sprechen in Wort und Tat und mit unserem alltäglichen Leben, dass Menschen kommen und fragen: Kannst du Heilsames mir geben für mein Leben?

Um Heilung geht es ja in der Geschichte: Und  D u  willst, dass  i c h  zu dir in dein Haus komme? Damit ist der Anfang der Heilung schon geschehen. Aber Schritt für Schritt muss es gehen.

Erster Schritt der Heilung: Ich gehe aus mir heraus ...

D u   w i l l s t, dass ich  z u  dir komme. Was ist in dem Vater bereits alles geschehen, bis es so weit ist? Wie viele Versuche mit Ärzten und Therapeuten. Wie viele Informationen eingeholt. Wie viel gewünscht, gebetet vielleicht. Wie viel still gelitten ... und nun ist es so weit: Ich gehe aus meinem Haus heraus, aus meinen Sicherungen auch ... und gehe hin zu dem Fremden, dem Anderen. Und ich  b i t t e  ihn, mir zu helfen.

Zweiter Schritt der Heilung: Den Widerstand spüren und zulassen ...

Du willst, dass ich zu dir komme? ist - entgegen der üblichen Übersetzung dieses Textes - kein pathetisches „Ich komme, um ihn gesund zu machen" - Ihr Auftritt, Herr Jesus ... - sondern umgekehrt: Willst du das wirklich? Kennst du nicht den Unterschied zwischen uns: Du, ein heidnischer Soldat im Dienste Roms - ich ein jüdischer Zimmermann und Prediger? Willst du die Grenze, die zwischen uns ist, tatsächlich übersteigen? - Einfach ist es oft nicht, zum Anderen zu gehen. Da ist der Vorbehalt, der Widerstand. Grenzen haben ihren Sinn. Hat es mehr Sinn, diese Grenze zu überschreiten? Oder soll lieber jeder bei Seinem bleiben. Da heißt es: Abwägen und dann sich entscheiden, etwas riskieren und so oder so den Schritt selbst verantworten. Entweder: Gut, ich halte die Grenze ein: Du und ich - das wird nichts mehr. Dann dies verantworten als e i g e n e Tat. Ich will es dann so. Ich akzeptiere die Grenze. Es liegt wesentlich an  m i r. 
Oder aber ...

Dritter Schritt der Heilung: Sich gegen die Grenze entscheiden, noch ein Mal entscheiden für Grenzüberschreitung: Ja, doch, ich will, dass du zu mir kommst. Ich will es wirklich. Ich öffne mein Haus und damit meine Seele, meine Sicherheit auch für dich. Du bekommst Einblick. Du darfst hineingehen und sehen, was da ist. Ich traue dir zu, dass du es gut mit mir meinst.

Den vierten Schritt der Heilung macht der Hauptmann auch für Jesus überraschend: Ich bin nicht gut genug, dass du in mein Haus kommst; aber sprich nur ein Wort, so wird mein Junge gesund." Solchen Glauben, sagt Jesus hinterher denen, die ihm nachfolgen wollen, fand er bisher in ganz Israel nicht. Was ist gemeint?

Der vierte Schritt des Hauptmanns ist erstens ein Eingeständnis und zweitens ein grenzenloses Vertrauen. Beides zusammen ist das, was Jesus erstaunt. Das Eingeständnis: Ich bin nicht gut genug ... in diesem Augenblick bricht alle Fassade des Hauptmanns zusammen. Vieles, was ihm wichtig war, erweist sich für ihn selbst als „nicht gut genug". Das ganze Gerüst von Macht und Machtspielen und Machtgehabe gehört dazu. Die Frage, wer wem was zu sagen hat, wer ein Recht hat gegen den anderen. Der ganze Komplex der künstlich hoch gezogenen Grenzen ... fällt alles dahin. Hier spricht nur noch das  H e r z  des Vaters. Der Soldat, die Berufsrolle, verschwindet, wird bedeutungslos. In diesem Augenblick bekennt der Vater indirekt auch seine Schuld ein gegenüber seinem Sohn. Der Junge ist gelähmt. Nicht zuletzt, weil der Vater so wenig durchgehen ließ. Nicht zuletzt, weil ihm wohl die Mutter fehlt, das Herz, das Wärmende und Bergende. Der Junge ist krank, weil die Verhältnisse zwischen Vater und Sohn vorher lange Zeit schon krank waren. Das alles und mehr schwingt mit in diesen unscheinbaren Worten „Ich bin nicht gut genug ...". Und dann dazu das Vertraue ohne Grenzen: Du wirst meinen Sohn heil machen können, ohne dass du in unser Haus kommen musst. Du wirst auch diese Grenze zwischen uns auf deine Art übersteigen. Du musst nicht in unsere gute Stube kommen, um helfen zu können. Du musst nicht in Augenschein nehmen, was da alles unordentlich herumliegt in dieser Männerwirtschaft. Du wirst für möglich halten, dass es für meinen Sohn und für mich Heilung gibt ohne weitere Inspektion. Mein Bekenntnis wird dir reichen. Du wirst längst erkannt haben, dass ich Reue trage und Trauer trage, dass ich eine harte Schale vielleicht zur Schau trage, darin aber ein weicher Kern steckt, ein Herz, das dich bittet.

Und weil das wahr ist und Jesus sich vom Hauptmann richtig erkannt fühlt, darum bewundert er seinen „Glauben". Und darum gelingt die Heilung - fünftens - auch über Entfernung hinweg. Weniger im Sinne eines unerklärbaren Wunders über die natürlichen Zusammenhänge hinaus, sondern  i n  allem, was bisher geschehen ist, steckt das Wunder schon ‚drin'. Das  i s t  schon der Heilungsprozess, dessen Atmosphäre nun auch  den Leib des Jungen erfasst.

Eine Heilungsgeschichte nicht nur für Männer.

Amen.



Pastor Bernd Vogel

E-Mail: Bernd.Vogel@evlka.de

(zurück zum Seitenanfang)