Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 01.02.2009

Predigt zu Matthäus 17:1-9, verfasst von Gerhard Scheidhauer

Wir leben von schrecklich schönen Augenblicken

1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Liebe Gemeinde!

Als alttestamentliche Lesung haben wir die Geschichte vom brennenden Dornbusch gehört: ein Busch im Feuer, der nicht verbrennt. Und in der feurigen Flamme des sich nicht verzehrenden Busches erscheint Mose der Engel des Herrn. Und dann ruft Gott aus dem brennenden Dornbusch heraus Moses bei seinem Namen und erklärt den Ort der Erscheinung zum heiligen Ort: „Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land." Mose zieht es, wie man umgangssprachlich sagen würde, förmlich die Schuhe aus.

Genauso unglaublich ist die Geschichte von der Verklärung Jesu auf dem Berge. Die Parallelen liegen auf der Hand. Wie der Engel in der Flamme Mose erscheint, so Jesus seinen drei Erzjüngern Petrus, Jakobus und Johannes in einer verklärten Gestalt. Wie Mose die Stimme Gottes hört, so hören auch sie die Stimme Gottes: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."

In beiden Geschichten gibt es eine Erscheinung: In der Dornbuschgeschichte erscheint der Engel des Herrn in der Flamme, in der Verklärungsgeschichte leuchtet Jesu Angesicht wie die Sonne und seine Kleider werden weiß wie das Licht. In beiden Geschichten wird hervorgehoben, dass Gott selbst nicht zu sehen ist, sondern nur seine Stimme zu hören ist: In der Dornbuschgeschichte nennt er Mose beim Namen und gibt ihm einen Auftrag, in der Verklärungsgeschichte bekräftigt er noch einmal die bereits in der Taufe ausgesprochene Gottessohnschaft.

Mancher - auch mancher aus dem psychologischen Fachgebiet - wird sagen: „So eine Erscheinung gibt es in Wirklichkeit nicht! Solche Visionen und Auditionen haben nur Verrückte!" Oder wir denken an das Wort des hochbeliebten Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!" Und da haben die Psychologen und Helmut Schmidt ja recht, wenn wir die Visionen von Heiligen und die Halluzinationen von Psychopathen auf eine Stufe stellen und die Heiligen zu Psychopathen erklären.

Viktor Frankl hat hier eine hilfreiche Unterscheidung eingeführt. Die Halluzinationen von Psychopathen hätten ihre Ursache im Physio-Psychologischen, die Visionen von Heiligen im Noologischen oder Geistigen. Gerade die Dimension des Geistigen ist es nach Frankl, die den Raum des Menschen konstituiert und den Menschen zum Menschen macht.

Lassen wir das, was hier erzählt wird, erst einmal so dastehen, wie es dasteht: als ein Geheimnis. Ein Geheimnis ist etwas anderes als ein Rätsel: Rätsel kann man lösen wie Mathematikaufgaben. Geheimnisse wollen bestaunt sein. Man kann und man soll von ihnen ergriffen werden. Wir tun gut daran, uns dieser Geschichte zu nähern wie Mose sich dem brennenden Dornbusch genähert hat und die Jünger dem verklärten Jesus: in Zittern und Staunen.

Erhart Kästner hat uns - wie ich meine - einige der gelehrtesten Reiseaufzeichnungen hinterlassen. In seinen Aufzeichnungen „Stundentrommel vom heiligen Berg Athos" vermittelt er uns etwas von diesem Zittern und Staunen, das die Jünger ergriffen hatte. Über einen Besuch in der kleinen Zwölf-Apostel-Kirche in Saloniki beschreibt er sein Entzücken über ein Gewölbemosaik der Verklärungsgeschichte: „Der Verklärte, von Lichtausbrüchen umzuckt, stand auf äußerster Bergspitze in Ruhe, während alles um ihn in größter Unruhe war. Moses rechts und Elias links wie hergebogene Monde. Die Szene war in grünen und silbernen Meerfarben, auch Goldschimmern überirdisch gehalten. Die drei Jünger verrückt. Den einen, den Liebling Johannes, hatte es gleich nach rückwärts geworfen, er lag bergab mit den Füßen nach oben. Auch den Petros fällte es hin, er fiel in den eigenen Mantel, der ihn umzackte, und den Jakobus hatte es vornüber geworfen, so dass er auf allen Vieren dalag, betäubt von dem Ausbruch des schrecklichen Schönen."

Das, was Erhard Kästner hier das schrecklich Schöne in der Begegnung des Heiligen nennt, heißt der wohl größte Religionswissenschaftler des letzten Jahrhunderts, Rudolf Otto, das Tremendum und Fascinans, das Schauervolle und Wundervolle. Da geht es nicht nur ums Staunen, mit dem bekanntlich alle Philosophie, alles wirkliche Denken beginnt. Da geht es auch ums Erschrecken. Im Evangelium fallen die Jünger auf ihr Angesicht und erschrecken sehr. Und Mose verhüllt sein Angesicht, denn er fürchtete sich Gott anzuschauen.

Ich möchte diese beiden Geschichten verstehen als die Spiegelungen von großen und kostbaren Augenblicken in unserem Leben, in denen wir immer auch etwas erschrecken und vor Glück erschaudern. In einem hohen Maße leben wir ja von diesen Augenblicken, von dem Licht und Glanz, den sie um sich verbreiten, auch von dem Schrecken, ob das denn wirklich wahr sein kann, was wir da erleben, weil doch in der Regel unser Leben viel banaler, farbloser und eintöniger ist.

Wir wissen natürlich auch: Große Augenblicke sind nicht beständig. Sie sind flüchtig und vergehen schnell. Petrus hatte denn auch keinen Erfolg mit seinem Vorschlag, Hütten auf dem Gipfel des Berges zu bauen. Doch wir brauchen große Augenblicke. Wir leben und wir zehren von solchen großen Augenblicken.

Erhart Kästner hat sehr schön geschildert, dass gerade die Verklärungsgeschichte auf diesen kostbaren und einzigartigen Moment in jedem Leben, auf diesen göttlichen Augenblick abhebt: „Später, auf dem bilderseligen Athos, fand ich oft die Verklärungsgeschichte, und nachdem ich einmal aufmerksam war, merkte ich: die Verklärung wird hierzulande mit großen Freuden gemalt. Die Griechen lieben diese Geschichte besonders. Viel öfter als die Auferstehung wird sie geschildert, die man kaum antrifft und die ihr doch so verwandt ist, dass man es wagen kann, die Verklärung eine vorweggenommene Auferstehung zu nennen, denn beides sind Augenblicke, in welchen Christus in seinem Eigentlichen erscheint... Der Auferstandene wird aus der Verklärung verstanden... Dann ist die Auferstehung ja eigentlich überhaupt nicht mehr nicht zu verstehen. Denn was Verklärung, ganz allgemein, ist, kann in seinen kleinen Verhältnissen Aller und Jeder erfahren. Und erfährt es. Wenn anders Verklärung der Durchbruch des Eigentlichen durchs Schemenhafte, des Lebendigen durch die Schatten, des Geliebten durchs Ungeliebte und die Ankunft des Langerwarteten ist, so weiß jeder, dass solche Momente es sind, um derentwillen wir leben.Verklärung ist Durchschein des Urbilds. Das wird von jedem Geborenen erhofft. Wir leben auf Verklärung zu, worauf sollten wir sonst, es ist unsere angeborene Hoffnung. Mag es auch nur ein Handgeld, mag es auch nur ein erster, niederer Grad sein, was wir mit unseren beschränkten Organen erfahren: was es heißt, wenn sich uns ein Mensch, eine Heimat, ein Wort, ein im Vertrauen gesprochener Satz, wenn sich uns eine Stunde verklärt, das können wir immerhin wissen. Wo sonst auch knüpften wir an?

Wenn also die Griechen die Verklärungsgeschichte so lieben, so ist das ein lebensvertrauender Zug. Verklärung gehört zu unserer Erfahrung, sie gehört zu unserem Leben. Mit ihr beginnt erst das Leben. Und das weiß auch Jeder, dass nur die Liebesblicke es sind, die die Kraft der Verklärung besitzen. Nur dem Auge, das nicht liebt und nie geliebt hat, ist Verklärung nie widerfahren. Und selbst wenn es sich wieder entzog, was dem Liebesblick aufschien: da darf man sich nicht irre machen lassen, dass es das Eigentliche, dass es das Wirkliche war."

Insofern ist die Erscheinung, die Mose im brennenden Dornbusch und die die Jünger auf dem Berge der Verklärung haben, das Eigentliche und Wirkliche, das, worauf es im Leben ankommt und was das Leben ausmacht: das Leben als ewiges Leben, und das heißt: als schon in dieser Zeit erfülltes Leben.



Dr. Gerhard Scheidhauer

E-Mail: dr.gerhard-scheidhauer@o2online.de

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