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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 08.02.2009

Predigt zu Matthäus 20:1-16, verfasst von Sven Evers

Vorbemerkungen:

Textgrundlage der Predigt ist die Zürcher Bibelübersetzung, die insbesondere in der Einleitung mit dem „Mit dem Himmelreich verhält es sich wie..." verständlicher scheint als die Gleichsetzung in der Lutherübersetzung (Das Himmelreich gleicht einem...)

Das Gleichnis provoziert durch die offenkundige „Ungerechtigkeit" des Großgrundbesitzers. Ich habe in der Predigt verschiedene fiktive Personen zu Wort kommen lassen, um etwaige (Vor)urteile gegenüber dem Text aufzunehmen.

Großes Thema des Textes ist die Gerechtigkeit Gottes. Allerdings, so scheint mir, nicht im lutherischen-soteriologischen, sondern in konkret ekklesiologischem Sinne. Wie soll die matthäische Gemeinde umgehen mit jenen, die im Laufe der Jahr hinzugekommen sind und die die geschaffenen Strukturen und (Macht)verhältnisse in Frage stellen - Antwort: sie soll sich freuen über jeden, der am Weinberg des Herrn mitarbeitet und nicht auf durch lange Gemeindezugehörigkeit vermeintlich erworbenen Rechten bestehen.

Für die Liedauswahl: es bieten sich, zumindest für die Rahmung der Predigt, m. E. insbesondere Lieder an, die den Gemeinschaftscharakter und das gegenseitige Aufeinander-angewiesen-Sein betonen.


Mt 20, 1 Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsherrn, der am frühen Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. 2 Nachdem er sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag geeinigt hatte, schickte er sie in seinen Weinberg. 3 Und als er um die dritte Stunde ausging, sah er andere ohne Arbeit auf dem Marktplatz stehen, 4 und er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg, und was recht ist, will ich euch geben. 5 Sie gingen hin. Wiederum ging er aus um die sechste und neunte Stunde und tat dasselbe. 6 Als er um die elfte Stunde ausging, fand er andere dastehen, und er sagte zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag hier, ohne zu arbeiten? 7 Sie sagten zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg! 8 Es wurde Abend und der Herr des Weinbergs sagte zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten bis zu den Ersten. 9 Und als die von der elften Stunde kamen, erhielten sie jeder einen Denar. 10 Und als die Ersten kamen, meinten sie, dass sie mehr erhalten würden; und auch sie erhielten jeder einen Denar. 11 Als sie ihn erhalten hatten, beschwerten sie sich beim Gutsherrn 12 und sagten: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt, die wir die Last des Tages und die Hitze ertragen haben. 13 Er aber entgegnete einem von ihnen: Freund, ich tue dir nicht unrecht. Hast du dich nicht mit mir auf einen Denar geeinigt? 14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten gleich viel geben wie dir. 15 Oder ist es mir etwa nicht erlaubt, mit dem, was mein ist, zu tun, was ich will? Machst du ein böses Gesicht, weil ich gütig bin? 16 So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.

Liebe Gemeinde,
ungerecht! Das ist das erste Wort, das mir beim Hören dieser Geschichte in den Sinn kommt. Die einen stehen früh auf und schuften den ganzen Tag in der heißen Sonne - die anderen stehen den ganzen Tag herum und so pseudomäßig arbeiten sie dann kurz vor Feierabend auch noch ein bißchen mit - und alle bekommen das gleiche. Ungerecht - oder?

„Ja, das ist total ungerecht" - sagt Martin, 14 Jahre, Konfirmand. Gut, nicht einer der fleißigsten Konfis, aber einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hat er schon. Da paßt er auf, daß bloß nicht irgendjemand anders mehr kriegt als er; daß der Pastor auch ja beim Nachzählen keinen einzigen Gottesdienst vergißt, und daß vor allem doch bitte der da, der einmal weniger gekommen ist als er selber, nicht am Ende konfirmiert wird, ohne die Regeln auch ganz genau eingehalten zu haben. Hören wir Martin noch ein bißchen weiter zu bei seiner Reaktion auf diese Geschichte:
„Ungerecht, sag ich. Das kann ja wohl gar nicht sein, daß die alle gleich viel kriegen. Wenn ich mir das einfach mal vorstelle. Da mühe ich mich zwei Jahre lang ab für diese blöde Konfirmation, und am Ende sollen der da auch konfirmiert werden, obwohl er erst vor zwei Monaten nach Großenmeer gezogen ist? Ich hab mich gestern in der Schule schon so geärgert, als die doofe Kuh, die hinter mir sitzt, auch ne 3 gekriegt hat für ihren Aufsatz. Den hat sie ne halbe Stunde vorher von mir abgeschrieben. Und ich schlag mir den ganzen Nachmittag damit um die Ohren...Wer mehr arbeitet, der hat auch mehr zu kriegen, das ist doch wohl klar. Ich hätte nie gedacht, daß es im Himmelreich so ungerecht zugeht!"

Hören wir nun auch, was Rolf zu dieser Geschichte sagt. Rolf ist Ende 40 und arbeitslos. Er wird wohl keine Arbeit mehr kriegen, schließlich ist man mit Ende 40 ja schon fast zu alt. Vielleicht hast Du ihn schon mal getroffen - nicht hier in der Kirche, hier traut er sich nicht hin, weil er Angst hat, ausgegrenzt zu werden. Aber vielleicht draußen, auf der Straße, wenn er traurig mit seinem Hund spazieren geht.
„Die Geschichte ist ja zu schön, um wahr zu sein. Wenn ich mir vorstelle, daß es im richtigen Leben auch so zuginge...Aber ach, da geht's ja nicht danach, was einem mal versprochen wurde, sondern da sucht jeder nur einen eigenen Vorteil. Da wird sekundengenau abgerechnet. Und dabei würde ich doch so gerne arbeiten. Glaubt mir, ich wäre bestimmt bei denen dabei, die gleich morgens früh aufstehen und sich auf die Suche nach Arbeit machen. Aber es will mich ja keiner. Und das bei dem, was ich alles kann und alles an Zusatzqualifikationen gemacht habe. Ich kann mir vorstellen, wie groß die Freude gewesen sein muß bei denen, die kurz vor Feierabend eingestellt wurden. Was man dann verdient, ist eigentlich ganz egal - gebraucht werden, das ist wichtig. Wenn die Sonne schon fast wieder untergeht, wenn man die Hoffnung schon wieder aufgegeben hat und an den Heimweg denkt - dann noch gesagt zu bekommen: Du bist wichtig; komm, arbeite mit. Und dann auch noch Lohn dafür bekommen - das ist wirklich zu schön um wahr zu sein.
Ob es gerecht ist wie sich der Großgrundbesitzer verhält? Ich weiß nicht. Vielleicht ist es nicht gerecht. Aber ist es denn gerecht, daß ich zu Hause sitzen muß und nicht arbeiten darf? Nein, vielleicht nicht gerecht, aber großzügig ist es auf jeden Fall. Oder barmherzig, wie es in der Bibel immer heißt. Aber eben: in der Bibel. Das gibt's doch nicht im richtigen Leben, oder?

Auch Mirjam hat diese Geschichte gelesen. Mirjam ist Mitte 30, zur Zeit Hausfrau und gerade zum zweiten Mal Mutter geworden.
„Eine tolle Geschichte. Naja, auf den ersten Blick ist es ja vielleicht wirklich ein bißchen merkwürdig, wie der Großgrundbesitzer sich verhält. Eigentlich haben die Letzten ja viel weniger gearbeitet als die, die seit dem frühen Morgen dabei sind. Ich kann‘s schon irgendwie verstehen, daß sie sauer sind.
Aber andererseits - ich bin gerade zum zweiten Mal Mutter geworden. Natürlich haben wir uns überlegt, ob wir uns ein zweites Kind leisten können. Schade, daß man sich so etwas überlegen muß. Und wie das klingt: sich ein Kind leisten. Eigentlich ist das schlimm. Kevin, unser erstes Kind, hat sich im Vorfeld auch so seine Gedanken gemacht. Ob wir ihn denn noch genauso lieb haben würden, wenn ein weiteres Kind im Haus sei, wollte er wissen; und ob wir noch mit ihm spielen würden und ins Schwimmbad gehen. Natürlich werden wir das tun, haben mein Mann und ich gesagt. Und natürlich meinen wir es auch so. Aber für Kevin war das gar nicht so leicht zu verstehen, daß wir ihn nicht weniger lieb haben würden, wenn wir ein zweites Kind auch lieb haben. Inzwischen versteht er das ganz gut. Und er fühlt sich sogar richtig toll so als großer Bruder - und ich bin mir ganz sicher, daß er meinen Mann und mich nicht weniger lieb hat, seit er eine kleine Schwester hat. Ob Jesus vielleicht von Liebe gesprochen hat in dieser merkwürdigen Geschichte?

Musikalisches Zwischenspiel

Mit dem Himmelreich verhält es sich wie .... Habt Ihr den Anfang der Geschichte noch im Ohr, liebe Gemeinde? Ich spreche nicht von Eurer Gerechtigkeit. Ich spreche von Gottes Gerechtigkeit. Für Euch mag es gerecht erscheinen, den einen mehr und den anderen weniger zu geben. Wirtschaft funktioniert so, das mag ja sogar sein. Aber funktioniert der Rest des Lebens auch so? Geht es immer nur um die Frage, was Du verdient hast, was Dir zusteht? Hast Du es verdient, in einem der reichsten Länder dieser Erde geboren zu sein während anderswo die Menschen nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überleben sollen? Hast Du es verdient, daß Du eine Arbeit hast und ein Zuhause, während der Mensch neben Dir (nein, nicht hier in der Kirche neben Dir, hier traut er sich wahrscheinlich nicht hin...aber warum eigentlich nicht? Könnte das etwas mit uns zu tun haben?), sondern der, der in der Bibel immer der „Nächste" heißt, mit genau den gleichen Zeugnissen und genau der gleichen Ausbildung von Arbeitslosengeld leben muß? Hast Du das verdient?
Vielleicht täte es uns ja gut, an der ein oder anderen Stelle dankbar dafür zu sein, daß wir nicht alles bekommen, was wir verdienen. Nur so ein Gedanke...
Und warum kannst Du Dich so oft nicht freuen an dem, was Du hast, ohne immerzu auf den anderen zu schauen. Warum hast Du das Gefühl, Dir würde etwas genommen, nur, weil dem anderen etwas gegeben wird. Ist Deine Arbeit weniger wert, nur weil Dein Nächster nun auch welche hat? Ist Dein Haus kleiner geworden, nur weil Dein Nachbar sich auch eines gebaut hat; oder Dein Auto wertlos, nur weil die Frau von gegenüber sich diesen schicken Flitzer gekauft hat?

Vor allem aber noch einmal: Mit dem Himmelreich verhält es sich wie.... Hier geht's nicht um dieses oder jenes; hier geht's um alles. Bei Gott geht es immer um alles. Bei Gott geht's um Leben und Tod - nein, um Leben vor allem.
Gott - das heißt: da ist einer, der mit Dir geht auf allen Deinen Wegen.
Gott - das heißt: da ist einer, zu dem Du Deinen Dank und Deine Not hinausrufen darfst und der hört.
Gott - das heißt: da ist einer, der JA sagt zu Dir, auch wenn andere, auch wenn Du selbst manchmal vielleicht kaum Ja zu Dir sagen magst.
Und sagt er etwa weniger JA zu Dir, nur weil er zu dem Menschen neben Dir auch JA sagt?

Mit dem Himmelreich verhält es sich wie....hier geht's um Alles. Und alles ist noch immer Alles, auch und vielleicht gerade wenn es geteilt wird.
Hier geht's nicht um Engstirnigkeit und die Angst, etwas verlieren zu können, wenn die andere etwas bekommt.
Hier geht's um Freude über jeden, der mitarbeitet am Weinberg des Herrn um jeden der mitfeiert, der mitsingt, der mitbetet - der sich mit uns freut und mit uns klagt.
Hier geht's - leider nicht um Kirche, denn Kirche ist wohl manchmal doch sehr menschlich, allzu menschlich
Hier geht's ums Himmelreich - um die Freude über jeden und jede, der oder die mit dabei sein will, egal ob früh oder spät, egal, ob arm oder reich, egal ob vermeintlich verdient oder unverdient.
Nicht das Wann zählt, sondern das Daß; nicht die Frage ob Alter Hase oder frisch getauft; nicht unsere Gerechtigkeit, sondern Gottes Gerechtigkeit.
Also, kein Grund, böse drein zu schauen, weil Gott so gütig ist. So ist Gott eben. Gott sei Dank.
Amen.



Pfr. Dr. Sven Evers
Kirchengemeinden Großenmeer&Strückhausen
E-Mail: kg.gmeer@ae-web.com

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