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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 08.02.2009

Predigt zu Matthäus 20:1-16, verfasst von Peter Lind

Wenn man dieses berühmte Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg hört und zu ergründen versucht, worum es da geht, und dann, wozu man es gebrauchen kann, dann steht man unwillkürlich zwei Problemen gegenüber.

             Das erste Problem ist in Wirklichkeit, dass es so unmittelbar zu verstehen ist. Jesus sagt es ja selbst: "Das Himmelreich gleicht..." Es ist also ein Gleichnis - ein Vergleich - zwischen dem Himmelreich und diesem Weinberg und seinem Besitzer, "der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen". Und es ist doch nicht schwer zu verstehen, dass der Weinbergbesitzer ein Bild für Gott oder evt. Jesus ist - was doch im Prinzip auf dasselbe hinauslaufen kann - und dass die Arbeiter, die im Laufe des Tages eingestellt werden, natürlich Menschen sind, die Gottes Evangelium von der Vergebung der Sünden, der Auferstehung des Fleisches und dem ewiges Leben annehmen. Und da uns das Evangelium durch das Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi von unserer Geburt an voll und ganz geschenkt wird - und nicht in aufgeteilten Portionen, je nach dem wann man zum Glauben an Gott kommen mag, so ist die unvermeidliche Schlussfolgerung aus diesem Gleichnis, dass alle Menschen Gottes Gnade erhalten; das alle Menschen erlöst werden und dass alle Menschen in den Himmel kommen.

             "Amen" - könnte man insoweit wohl schon hier sagen, denn in Wirklichkeit ist das Gleichnis doch an sich eine Predigt. Eine Predigt, die unser Herr für uns hält. Sehr oft handeln die Texte im Neuen Testamen von Jesus; davon, was er sagt und tut, und was um ihn und mit ihm geschieht. Hier aber - wie überhaupt in den Gleichnissen - spricht er direkt zu uns, und zwar, wie gesagt, auf sehr verständliche und genaue Art und Weise.

             Als Prediger an diesem Sonntag Septuagesimä hat man deshalb ein wenig das Gefühl, dass alles, was man sonst noch über dieses Gleichnis sagen könnte, seine im Übrigen so klare und deutliche Freudenbotschaft nur trüben könnte.

             Wenn ich mir nun erlaube, dies ein Problem zu nennen, so hat das seinen Grund eigentlich nicht darin, dass ich doch ein bisschen mehr über den Text sollte sagen können als das, was ich bis jetzt gesagt habe. Sondern ich nenne es ein Problem, weil diese Klarheit und Vollkommenheit, die das Gleichnis ausstrahlt, weiteren Auslegungen des Textes geradzu im Wege steht. Also, wenn wir es gehört und angenommen haben - was lässt sich darüberhinaus noch darüber sagen?

             Jesus verkündet durch das Gleichnis eine frohe Botschaft von Gott und vom Reich Gottes. Es ist fast wie ein Turistenführer, der von einem bestimmten Land und seinen Bewohnern erzählt. Etwa nach der Reiseführermelodie "Reise in das Himmelreich". Aber im Unterschied zu den gewöhnlichen Reiseführern, bei denen man ja selbst dorthin reisen und ohne Weiteres ein ganz anderes Erlebnis des Landes und der Menschen haben kann als der betreffende Autor des Führers, so ist diese Beschreibung des Himmelreichs mit einer Autorität erzählt, die nicht zu diskutieren ist. Auch mit allen möglichen theologisch-wissenschaftlichen Vorbehalten gegenüber dem Text, ist es also Gottes eigener Sohn, der uns hier von diesem verheißenen Land erzählt, vom Himmelreich, und seinem souveränen und absoluten Herrscher, nämlich Gott Vater. Glauben wir daran, dass Jesus Christus Gottes eingeborener Sohn ist, dann sind wir natürlich auch gezwungen, darauf zu vertrauen, dass das, was er vom Himmelreich erzählt und Gott dem Vater erzählt, wahr ist.

             Oder anders gesagt: Es gibt niemanden sonst als Jesus, der so glaubwürdig erzählen kann, wie das Himmelreich und Gott der Vater ist. Es gibt eigentlich viele Andere, die versucht haben, ihre persönliche "Reisebeschreibung" zu geben, von einigen Personen in der Bibel wie etwa Enoch im Alten Testament, und Johannes von Patmos, der ungeheuer detailliert über das Himmelreich und auch über die Endzeit in seiner Offenbarung erzählt, die ja am Ende unserer Bibel steht, bis hin zu allen möglichen anderen Offenbarungen und Berichten z.B. über Todeserlebnisse und über Kontakt mit Geistern usw. Man muss sicher in jedem einzelnen Fall beurteilen, ob man derlei Berichte und ihre Urheber Vertrauen erweckend und wahrhaftig findet; hier aber, wo Jesus erzählt, hat man es so gesehen nur zur Kenntnis zu nehmen und daran zu glauben, wie wir an ihn glauben.

             Ehe es allzu bombastisch klingt, ist es wichtig zu bemerken, dass gerade Jesus - im Gegensatz zu vielen anderen Beschreibungen des Himmelreichs, von denen ich vorhin einige genannt habe - dass also Jesus selbst von Gott und dem Himmelreich in einem Gleichnis erzählt. Die Offenbarung des Johannes z.B. erzählt so viele phantastische Dinge über das Himmelreich, dass es fast wie ein ganzer Lichtbildervortrag wirkt - aber nur in Worten, und damit verliert es auch sehr viel seiner Glaubwürdigkeit.

             Jesus erzählt überhaupt nichts darüber, wie das Himmelreich oder Gott aussieht; er erzählt ausschließlich von den Prinzipien, die im Reich Gottes gelten - hundert Prozent Gnade und Liebe. Das sollen wir wissen, und dann wird sich uns eigentlich alles Andere offenbaren; wenn die Zeit gekommen ist. Das wird übrigens recht spannend sein!

             Zunächst einmal sollen wir dieses Gleichnis vom Himmelreich dazu benutzen, einen kurzen Blick in das Himmelreich zu werfen, als wäre das Gleichnis gleichsam das Tor zum Himmelreich, das Jesus hier einen Spalt weit geöffnet hat, so dass wir eine vage Ahnung davon bekommen konnten, wie es dort ist. Ein Blick, der auf uns alle äußerst beruhigend und tröstend wirkt - auf die Letzten ebenso wie auf die Ersten. Es bedeutet nämlich nicht, dass im Himmelreich alles nur auf den Kopf gestellt wird und die Ersten jetzt in ihrer Selbstgerechtigkeit schön ganz am Ende der Schlange stehen und warten. "Die Letzten werden die Ersten sein, und die Ersten werden die Letzten sein" - dieser Satz bedeutet, dass alle auf einmal in das Reich Gottes kommen. Mit Jesus Christus wird das Tor zum Himmelreich bildlich gesprochen weit geöffnet, so dass alle Menschen hineinkommen können. Niemand wird der Letzte sein, niemand wird der Erste sein - alle kommen zur selben Zeit hinein, nämlich in dem epochemachenden Augenblick am Ostermorgen, als Christus aus dem Grab auferstand - d.h. vor fast 2000 Jahren!

             Das Himmelreich ist also sowohl "etwas" Zukünftiges als auch "etwas" Gegenwärtiges.

             Das Himmelreich ist etwas Zukünftiges für uns - dass wir alle dereinst kraft der Gnade und Liebe Gottes dort versammelt werden; Jesu Wiederkunft, der jüngste Tag - dereinst. Davon spricht Jesus ganz konkret mit diesem Gleichnis; dazu können wir zunächst das Gleichnis gebrauchen, wenn wir es wörtlich nehmen. Als eine Hoffnung für die Zukunft. Als ein Leuchtturm, nach dem wir uns richten können im Glauben und im Vertrauen darauf, dass wir dann dereinst einen sicheren Hafen erreichen.

             Aber das Himmelreich ist auch ein Teil unserer Wirklichkeit jetzt und hier und ist es gewesen, seitdem Jesus das Totenreich stürmte, die Macht des Todes überwand und am Ostermorgen aus dem Grab auferstand. Gott allein weiß, welche Uhrzeit wir jetzt haben - in welcher Stunde des Tages wir uns jetzt befinden, ob wir in der dritten oder der elften Stunde sind - aber der Tag ist angebrochen, und wir müssen uns an die Arbeit machen - aber was sollen wir tun? Was erzählt uns das Gleichnis darüber? Können wir es überhaupt auch dazu gebrauchen?

             Gegenwärtig diskutiert man in der ganzen westlichen Welt heftig das Für und Wider der Rolle der Religion in der Gesellschaft. Ist die Religion eine Privatangelegenheit des Einzelnen, die sich dann bitteschön auf sich selbst beschränken und andere nicht belästigen soll, oder ist sie ein unvermeidlicher und notwendiger Teil der öffentlichen gesellschaftlichen Diskussion? In den USA haben wir sehen können, wie Präsident Bush sehr offen biblische Begriffe benutzte, wie auch in einigen Staaten eine sehr stark religiöse Entwicklung stattgefunden hat, wo man z.B. in den Schulen den Unterricht in Darwins Evolutionslehre verboten hat. Hier in Europa haben wir in der Begegnung mit der extremen Version des Islam erlebt, wie einige Menschen ihre Religion zur einzig gültigen Wahrheit erklären und damit unsere demokratische Gesellschaft bedrohen können. Die sogenannte Mohammedkrise war doch mit ihrer Diskussion über die Redefreiheit in einer demokratischen Gesellschaft ein Beispiel dafür, wie demokratische und religiöse Prinzipien heftig zusammenprallen können. Manche Menschen meinen daher, die Dinge seien ganz und gar voneinander zu trennen; dass man sozusagen in zwei verschiedenen Welten leben müsse, die überhaupt nichts miteinander zu tun hätten.

             Es ist sicherlich sehr vernünftig, sich dessen bewusst zu sein, dass die verschiedenen Räume, in denen wir uns aufhalten, eben verschieden sind, aber trotzdem ist es völlig unrealistisch, auf diese Weise gläubige Menschen zu zwingen, in zwei verschiedene Personen gespalten zu sein. Es ist also ein grundlegendes Prinzip des Christentums, dass es ein Teil der Welt ist. Darüber sollten wir uns sehr freuen, denn sonst hätten wir heute nicht so manche von den fundamentalen Werten in unserer Wohlfahrtsgesellschaft, die wir tatsächlich haben. Gleichzeitig haben wir auch sehr dankbar dafür zu sein, dass Matin Luther vor fast 500 Jahren eine klare Trennungslinie zwischen Religion und Politik gezogen hat, aber selbstverständlich hielt Luther auch daran fest, dass ein Mensch seinen Glauben immer in sich trägt.

             Wenn wir deshalb dieses Gleichnis hören von einem "Weinbergbesitzer, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen", und dann denken, wozu wir das gebrauchen sollen, dann gibt es darauf zwei Antworten, wie immer, wenn wir das Evangelium hören. Es ist selbstverständlich eine Antwort - ein und dieselbe frohe Botschaft, aber sie ist auf verschiedene Weise zu gebrauchen, jenachdem, wo man sich befindet.

             Dieses Gleichnis erzählt z.B.vom Himmelreich und von Gott, und obwohl es durch Jesus Christus zu einem Teil unserer Welt geworden ist, so ist unsere Welt nicht das Himmelreich und das Himmelreich ist nicht die Welt. Wir können daher nicht einfach die Prinzipien dieses Gleichnisses bezüglich der Ersten und Letzen gedankenlos auf unsere Welt übertragen. Dann würde es nicht so viel geben, worum man konkurrieren könnte, etwa bei Europa- oder Weltmeisterschaften, bei den Olympischen Spielen u.ä. oder bei dem Versuch, über einen höheren Lohn für seine Arbeit zu verhandeln.

             Aber die Hoffnung auf Gottes Gnade und Liebe, die uns das Gleichnis verkündet, ist ein Teil von uns und damit ein Teil unserer Welt. Diese Hoffnung macht uns zu anderen Menschen als denjenigen, die wir sein würden, wenn wir das Gleichnis nicht gehört hätten. Es ist eine Hoffnung, die uns verändert, und deshalb sollen wir unsere Welt verändern.

Amen



Pastor Peter Lind
Middelfart (Dänemark)
E-Mail: pli@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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