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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 08.02.2009

Predigt zu Matthäus 20:1-16, verfasst von Wolfgang Vögele

 „Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg. Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen. Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin? So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein."

 

Liebe Gemeinde,

Heute geht`s ums Geld, in der Bibel wie in der Gegenwart: Wir stellen statistische und stochastische Überlegungen zu Lebensglück und Arbeitseifer an. Am seligen Ende hoffen wir auf eine ausreichende Dividende des Glaubens.

Ich weiß nicht, ob Sie auch Ihre sechs Kreuzchen gemacht haben. Über die vergangenen Wochen bis zum letzten Samstag ist ein riesiger Lotto-Jackpot aufgelaufen. Ganz Deutschland hatte das Spielfieber gepackt. Ungefähr ein Drittel mehr Spielscheine verkaufen die Annahmestellen, wenn der Lotto-Jackpot auf hohe und höchste Beträge im zweistelligen Millionenbereich klettert. Die schwierige wirtschaftliche Lage wirkt sich dabei nicht in besonderer Weise aus. Weil die Bundesrepublik in eine gravierende Wirtschaftskrise geschlittert ist, spielen nicht mehr Menschen Lotto.

35 Millionen Euro Gewinnversprechen - das ist eine Zahl mit acht Stellen am Rande der finanziellen Vorstellungskraft. Nur damit wir einen Vergleich haben: Für 35 Millionen Euro könnte man zwölfmal die gegenwärtig laufende Renovierung der Christuskirche bezahlen. Für 35 Millionen Euro könnten wir zweihundertdreissig Friedensglocken bestellen. Für 35 Millionen Euro könnten wir sechsundzwanzigmal eine neue „Symphonische Groß-Orgel" in der Christuskirche aufbauen. Für 35 Millionen Euro könnte man 223 Jahre lang das Bedürftigenessen der Nordgemeinde am Donnerstagmittag finanzieren. Oder wir könnten das Geld nutzen, um 2333 Jahre lang den Betrag zu verdoppeln, den wir jährlich an Kollekten und Opfern in den Gottesdiensten einsammeln.

Sie merken, ich habe mich auf diese Predigt nicht nur pastoral, sondern auch mathematisch gut vorbereitet.

Eigentlich ist das alles ganz einfach: sechs Zahlen ankreuzen (plus die Superzahl), für jede richtige Zahl fünf Millionen Euro kassieren und der Rest des Lebens scheint sich dann als eine bequeme und angenehme Sache darzustellen. Aber bei so viel Glück kommt bei den anderen, bei den Nichtgewinnern auch leicht Schadenfreude auf: Alle bunten Blätter mit großen Buchstaben und größeren Bildern wiederholen gern die Berichte über Lottomillionäre, die ihren Gewinn innerhalb von einer Woche durchgebracht haben. Am Ende steht dann Alkohol statt Aktien und Obdachlosigkeit statt Millionärsvilla.

Wenn unverhofftes Glück später unverhofftes Unglück nach sich zieht, dann scheint das ja nur gerecht zu sein. Und es ist ja auch schön, wenn die leise Trauer darüber, nicht gewonnen zu haben, durch ein wenig Schadenfreude abgemildert wird. Diesen ollen Spaß will ich jedem gerne lassen. Für alle übrigen, besonders die Konfirmanden, spreche ich hier die Warnung aus: Glücksspiel kann süchtig machen. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Seelsorger. Allgemeine Informationen gebe ich Ihnen aber gerne jetzt schon.

Lotto ist ein sehr ungerechtes Spiel, denn es konzentriert den großen Super-Hauptgewinn auf eine oder sehr wenige Personen, während die große Masse völlig leer ausgeht. Eben diese Ungerechtigkeit macht das Lotto so attraktiv, denn verlockend ist ja die Aussicht, daß einer von uns gerade dieser eine auserwählte Glückspilz sein könnte. Kurzum: Die Attraktivität des Lottospiels lebt von der eigenen Selbstüberschätzung und fehlender Aufmerksamkeit im Mathematikunterricht. Die Selbstüberschätzung ergibt sich aus einem Fehlschluß: Ich habe den Geldsegen eher verdient als andere. Deswegen ist meine Chance dann angeblich größer als die der anderen. Im Mathematikunterricht hätte man lernen können: Die Chancen auf sechs Richtige plus Zusatzzahl liegen stets gleich, ungeachtet der Gewinnhöhe, bei 1 : 139.838.160. Das steht übrigens auch auf der Internetseite der Lottogesellschaften, nicht ganz vorne zwar, aber man kann den Link finden.

Hier berühren sich nun die Interessen der gewinnorientierten Lottospieler mit denen der Arbeiter im Weinberg aus dem Matthäusevangelium. Ihre Verbindung zwischen Gerechtigkeit und Lohnmathematik sieht so aus: einfache Arbeitszeit - einfacher Lohn, doppelte Arbeitszeit - doppelter Lohn, dreifache Arbeitszeit - dreifacher Arbeitslohn. Die Mathematik des Reiches Gottes jedoch kommt zu ganz anderen Gleichungen und Ergbnissen: Arbeiter mit einfacher, zweifacher, dreifacher Arbeitszeit erhalten alle den gleichen Lohn.

Die Logik des Lottospiels folgt dem Programm: Wenn Leben und Zufall ungerecht sind, dann könnte ja gerade ich es sein, der durch einen Gewinn von dieser Ungerechtigkeit profitiert.

Die Logik der Leistungsgesellschaft folgt dem Programm: Arbeit soll sich wieder lohnen. Wer viel und ausdauernd arbeitet, soll auch gutes Geld verdienen, in jedem Fall mehr als derjenige, der weniger arbeitet. Diese Logik der Leistungsgesellschaft findet eine obere und eine untere Grenze. Die Grenze nach unten: Die bereitgestellte Hartz-IV-Hilfe soll in jedem Fall niedriger liegen als die geringsten Löhne, damit Anreize zur Lohntätigkeit geschaffen werden. Die Höhe der Gehälter soll aber auch nicht so hoch sein, daß sie zur geleisteten Arbeitszeit in keinem Verhältnis mehr steht - wie das der Fall ist bei einigen Vorstandschefs von Großunternehmen, die jährlich Beträge in zweistelliger Millionenhöhe einstreichen. Andererseits toleriert die Leistungsgesellschaft ohne weiteres Gagen, Honorare und Gehälter von Filmstars, Fußballern und Formel - 1- Fahrern, allesamt in astronomischer Höhe.

Davon unterscheidet sich die Logik des Reiches Gottes, die sagt: Viel oder wenig, längere oder kürzere Arbeit wird in gleicher Weise entlohnt. Mathematisch verstrickt man sich damit in Widersprüche, aber unter dem Aspekt der Gerechtigkeit Gottes betrachtet, kommt man nur so zu einer für alle befriedigenden Lösung. Wie kann das sein?  Und wie kann man die Logik der Leistungsgesellschaft und die Logik des Reichs Gottes voneinander unterscheiden? Und wie kommt man dann von der eiskalten Logik zur wärmeren Glaubensgewißheit?

Reden wir also nicht mehr über Mathematik, reden wir lieber über Gerechtigkeit. Die Arbeiter im Weinberg lassen sich alle von vornherein für dasselbe Lohnversprechen anheuern. Dieses Lohnversprechen scheint vergessen, als es an das Auszahlen geht. Der Weinbergbesitzer, der jedem den gleichen Lohn auszahlt, muß sich harte Kritik gefallen lassen. Aber der Weinbergbesitzer kann diese Kritik kontern, denn er hat mit seinen Arbeitern einen Vertrag abgeschlossen, als er sie einstellte.

Das erzielte Ergebnis, jeder Arbeiter erhält den vertraglich vereinbarten Lohn, unabhängig von der Arbeitszeit, mag nicht jeden Gewerkschaftsfunktionär befriedigen. Aber das Gleichnis enthält auch keine Leitlinien für Tarifvereinbarungen. Es beantwortet nicht die Frage: Wie erzielen Gewerkschafter möglichst hohe Lohnabschlüsse? Die Frage lautet vielmehr: Wie wird eine Gesellschaft aussehen, die im Reich Gottes lebt? Welche Gerechtigkeit können die Menschen dort erwarten? Was wird ihnen Gott zuteilen? Wie wird Gott sich gegenüber den Menschen verhalten?

Nach den bisherigen Überlegungen können wir zwei Antworten ausschließen: Gott verteilt Lohn und Gerechtigkeit nicht zufällig und willkürlich wie einen Lottogewinn. Der eine zieht dann eben einen Sechser und der andere nur einen Dreier und die große Masse gar nichts. So ist es nicht. Und Gott verteilt Lohn und Gerechtigkeit nicht wie der Geschäftsführer des Arbeitsgeberverbandes nach nächtelangen Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften und Betriebsräten.

Bei Gott, so die Botschaft des Gleichnisses, erhalten alle ihren Lohn, gleich ob sie viel oder wenig gearbeitet haben. „Das Himmelreich gleicht einem Hausherrn..." Nicht jedes einzelne Element der Gleichnisgeschichte darf einem Element des Reiches Gottes gleichgesetzt werden. Es kommt vielmehr auf die Pointe an, und die lautet: Die Gerechtigkeit im Reich Gottes ist so beschaffen, daß sie nicht aus den Stundenleistungen der Mitarbeiter berechnet wird. Die Gerechtigkeit Gottes lebt vielmehr von demjenigen, der diese Gerechtigkeit vergibt und weiter verteilt. Und danach hoffen wir darauf, daß jeder den gleichen Anteil am Reich Gottes erhält.

Nun tut sich hier aber eine vertrackte Falle auf. Man kann sagen: Es spielt keine Rolle, wie lange ich arbeite, denn meinen himmlischen Lohn erhalte ich in jedem Fall. Warte ich also noch ein Weilchen, bis ich anfange, weil ich das göttliche Arbeitgeberspiel durchschaut habe. Aber so ist es nicht. Das Reich Gottes verlangt den Einsatz der Menschen, in jedem Fall. Aber die Dauer ist nicht so wichtig. Die Falle besteht in der kleinen Frage: Was muß ich mindestens tun, um in Gottes Reich zu gelangen? Welchen Einsatz muß ich mindestens bringen, um Gott zu gefallen und so etwas wie „Lohn" zu erhalten? In der Perspektive dieser Frage wird Gottes Reich zur lästigen Pflicht, um die man sich im Angesicht des nahenden Endes vielleicht kümmern sollte.

Die richtig gestellte Frage lautet: Wieso läßt Gott auch denjenigen Menschen Lohn zukommen, die nur für kurze Zeit im Weinberg gearbeitet haben? Gott ist nicht nur gerecht, so kann die Antwort darauf lauten, Gott ist auch barmherzig. Er ist kein Arbeitgeber, der seine Personalkosten möglichst niedrig halten muß. Und er ist kein unnahbares Schicksal, das aus Zufall oder Willkür manchen Menschen sechs Richtige im Lotto zuteilt. Gott sind die Menschen, für die er die Welt geschaffen hat, nicht gleichgültig. Er läßt keinen Menschen allein, begleitet jeden, Mann und Frau, Kind, Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen mit seinem Segen und mit seiner Liebe und mit seiner Barmherzigkeit. Das ist der - sagen wir geistliche - Lottogewinn, den wir viel zu oft gar nicht bemerken und der Lohn, der sich nicht in einer Geldsumme auszahlt. Wir spüren ihn sehr wohl: nicht als Geldsumme, aber als Gnade und Barmherzigkeit. Und er zahlt sich aus in Vertrauen und Gewißheit. Gott, der Weinbergbesitzer, läßt uns teilhaben an seinem Reich und er kommt uns in Gnade entgegen. Amen.



PD Dr. Wolfgang Vögele
Christuskirche Karlsruhe
www.Christuskirche-Karlsruhe.de
E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

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