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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 22.02.2009

Predigt zu Matthäus 3:13-17, verfasst von Else Hviid

(dänische Perikopenordnung)

Religion ist tagtäglich im Fernsehen. Religion ist in Büchern, in Zeitungen und in der Politik. Und da ist Religionskritik, allmählich auch sie tagtäglich und an denselben Stellen in den Medien, auf Konferenzen und auf Theaterbühnen.

            Der amerikanische Philosoph und Religionskritiker und Schriftsteller Sam Harris schreibt in seinem Buch "The End of Faith" (deutsch: Das Ende des Glaubens: Religion, Terror und das Licht der Vernunft. Winterthur: Edition Spuren. 2007):

- Wir müssen Religion als das nehmen, was sie ist. Eine gescheiterte Wissenschaft, die sich in der Beschreibung der Welt geirrt hat, eine Predigt, die uns überliefert ist von unseren Vorvätern, die keine Beweise und guten Argumente verlangt haben.

            Diese Grundauffassung teilt Harris mit den meisten dänischen Religionskritikern, und sie bildet den Hintergrund ihrer Kritik daran,

             1. dass religiöse Menschen, also natürlich auch Christen, ihre Religion, diese gescheiterten, überlieferten und undokumentierten Predigten, als Begründung für ihre Haltungen und Handlungen z.B. im Bereich der Politik benutzen, und dann

            2. dass man anscheinend solche Menschen ernst nehmen müsse, die sich auf eine derartige gescheiterte Wissenschaft stützen.

            Religionskritik ist eine wichtige Disziplin. Ebenso wie ich den Glauben gleichsam mit der Muttermilch in mich aufgenommen habe, ebenso habe ich de facto auch die Religionskritik, in ihrer allerbanalsten - und westjütländischen - Form mitbekommen: "Kann das nun auch stimmen?". Und als Theologe bin ich in Wirklichkeit auch mit Religionskritik als wissenschaftlicher Disziplin erzogen worden. Und ich bin dankbar dafür.

            Ich teile denn auch die Besorgnis der Religionskritiker, dass wir uns auch hier in unserem Teil der Welt der Forderung ausgesetzt sehen, sich zu politischen Themen aus religiöser Sicht zu verhalten.

            Aber dass man einen anderen Menschen nicht achten will oder kann, weil er seine wesentliche Quelle für Glauben, Hoffen, Lieben und Leben von woanders her nimmt als von der Wissenschaft, nämlich von Gott, ja, das ist mir ein Rätsel.

            Es geht mir auf die Nerven, wenn ich höre, wie aggressive Religionskritiker fehlgehen.

Wenn ich ihrem Fundamentalismus begegne, der sich vom religiösen Fundamentalismus nicht unterscheidet und der Religion und Wissenschaft nicht auseinanderhalten will. Aber Religion ist keine Wissenschaft, die sich nur in der Beschreibung der Welt irrt. Religion ist nicht Wissenschaft und macht sich nicht anheischig, die Welt zu beschreiben oder zu beweisen, sondern sie will die Welt deuten.

            Das ist selbstverständlich eine furchtbar schwierige Aufgabe. Am leichtesten wäre es doch, objektive Wahrheitskriterien aufstellen zu können für alles, was wir denken und meinen sollen und wonach wir leben sollen. Aber so einfach ist es eben nicht.

            Man denke nur an den heutigen Tag. Wenn wir uns objektiv zu den drei Texten, die wir heute hören, verhalten sollten, ja, wenn wir der Meinung wären, sie seien selbst Ausdruck objektiver Beschreibungen der Welt und der Wahrheit, dann könnten wir sehr leicht weiterkommen. Denn dann könnten wir sie einfach ablehnen.

            Psalm 2 ist einer der kriegerischsten und nationalistischsten Königspsalmen im Alten Testament, die wir besitzen, und er ist anlässlich der Thronbesteigung eines Königs entstanden - vor dreitausend Jahren in einer orientalischen Kultur. Er drückt den Traum von der Weltherrschaft aus, und zwar in einer rauen und aggressiven Sprache über einen König, der andere Völker zerschlägt: "Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Bitte mich, so will ich dir Völker zum Erbe geben und der Welt Enden zum Eigentum. Du sollst sie mit einem eisernen Szepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen." (Ps. 2,7-9)

            Was hat dieser alte Psalm in einem Gottesdienst zu suchen? Ja, wir ziehen nicht in den Krieg um der Idee von dieser Weltherrschaft willen. Die Idee von der Weltherrschaft Gottes oder Christi kennen wir natürlich, denn sie findet sich im Neuen Testament: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Aber Jesus spricht ganz anders von der Macht, und wir hören es schon heute im Evangelium, über die Taufe Jesu.

            Aber zuvor habt ihr eine Epistel gehört, einen Brief des Apostels Petrus, der in seinem ersten Brief ebenfalls über die Sache mit der Herrschaft Gottes nachdenkt.

            Nun weiß ich als Theologe, und weil Religionskritik Teil meiner Ausbildung gewesen ist, sehr wohl, dass es kaum Petrus war, der diesen gut formulierten Brief verfasst hat, ein Brief, der obendrein auf formvollendetem Griechisch überliefert ist. Um nur einige Anzeichen zu nennen, die darauf hindeuten, dass der Brief nicht von einem hitzigen und jähzornigen Fischer geschrieben ist, der zweifellos mehr Zeit in einem Fischerboot auf dem See Genezareth zugebracht hat als in der Schule. So wie wir es nach der Tradition gelernt haben, uns Petrus vorzustellen.

            Aber der Brief ist, daran kann man eigentlich nicht zweifeln, am Ende des 1. Jahrhunderts an eine Gemeinde in Kleinasien geschrieben worden, und er ist eine Hilfe bei dem Versuch, für diese jüngst bekehrten Menschen zu formulieren, was für ein Glaube es eigentlich ist, dem sie nun anhängen, und wie sie in der Welt mit Gott und miteinander zu leben versuchen sollen.

            Und was die Herrschaft betrifft, die gewiss von Interesse sein konnte in einer Bevölkerung, die der römischen Kaiser und nicht zuletzt der Christenverfolgungen müde war, von denen ihnen ihr Jahrhundert ein paar geboten hatte. Über die Herrschaft, darüber versucht der Verfasser des Briefes nach bestem Vermögen auch etwas zu sagen. Und wie findet man Worte für den Glauben, dass Gottes Sohn, der lebte und die Hoffnung in Menschen entfachte, dass eine neue Zeit angebrochen war, wenn dieser Sohn Gottes auch gekreuzigt und gestorben war, und man nur das Wort einiger eingeschüchterter Frauen hatte, dass er und seine Botschaft nicht im Grab verblieben waren, sondern dass er auferstanden und die Botschaft deshalb immer noch lebendig war. Wie findet man Worte dafür, dass es dies ist, woran wir glauben?

            Der Briefschreiber versucht sich mit dieser Beschreibung von Jesus Christus, ja, er versucht vielleicht zu erklären, warum wir denken, dass Jesus keine Vergangenheit ist, dass er fortgesetzt lebt und ist: er, der gen Himmel gefahren ist und zur Rechten Gottes sitzt, nachdem Engel und Gewalten und Mächte ihm unterworfen worden sind.

            Als man es ein paar Jahrhunderte später unternahm, die wesentlichsten Glaubensaussagen in einem Glaubensbekenntnis in kurzer Form zu sammeln, da benutzte man die Formulierungen aus dem 1. Petrusbrief, um den Gedanken der Herrschaft auszudrücken. Zuerst niedergefahren zur Hölle, um von da auferstehen und gen Himmel auffahren zu können. Sitzend bis auf den heutigen Tag an einem Ort, nicht hier, wo wir ihn sehen können, sondern sitzend an einem Ort ... zur Rechten Gottes.

            Und als sich die ersten Christen aus unseren eigenen Himmelsstrichen dieselbe Aufgabe stellten - denn es war noch immer ein Kreuz für das Denken und eine Anfechtung, dass man glauben sollte, Jesus sei niedergefahren zur Hölle und von da aufgefahren gen Himmel -, da lautete es wie in dem Lied, das wir nicht so oft singen und das wir heute in zwei Teilen gesungen haben (I kväld blev der banket paa Helvedes port, DDS 213). Hier dichtet Grundtvig eines der allerältesten altenglischen christlichen Gedichte nach (von vor 680), nämlich Kædmons Lied von der Höllenfahrt.

            Wissenschaft ist das nicht, das bilden wir uns nicht ein, und es ist nicht sicher, dass "Petrus", das Glaubensbekenntnis, Kædmon oder Grundtvig eine endgültige, überzeugende oder bloß einigermaßen brauchbare Antwort auf die Frage gegeben hätte, was es nun mit dieser Weltherrschaft auf sich hat. Aber sie haben versucht, eine Antwort zu geben.

            Die Religionskritiker, von denen wir in den Medien so viel sehen und hören, wissen es nicht, aber in der christlichen Kirche sind wir uns im Klaren darüber, dass wir jeden Sonntag einen Glauben bekennen - und das ist wohlgemerkt etwas Anderes als sich einer wissenschaftlichen Wahrheit anzuschließen - einen Glauben also, dessen Textgrundlage obendrein - soweit es die Herrschaft betrifft - ein "peripherer" Text ist - die Epistel.

            Und wir sind uns doch auch völlig im Klaren, jedenfalls viele von uns, dass es für die Sache mit der Herrschaft und der Macht vielleicht von Vorteil wäre, wenn wir uns mit anderen Formulierungen versuchten.

            Mit Formulierungen, die das ganz Wesentliche ausdrücken könnten, dass die Herrschaft Christi erstens nicht Vergangenheit ist, sondern Gegenwart, ja, Gegenwart und Zukunft. Und zweitens, dass über die Herrschaft Christi anders zu denken ist, als es der 2. Psalm nahelegt, wenn er Herrschaft und Macht zu zwei Seiten ein und derselben Sache macht.

 

Aber nun sind wir hier ja keine Fundamentalisten, wir dürfen sehr wohl den Texten kritisch begegnen und sagen, dass sie nicht alle gleich wichtig, gleich wesentlich sind. Es gibt da Unterschiede. Etwas vom Allerwichtigsten im Christentum ist das, was wir heute aus dem Matthäusevangelium hören. Über Jesus, der von einem Menschen Johannes die Taufe empfing. Als etwas vom Allerersten, das wir über Jesus hören, lässt er sich machtlos taufen und beim Namen nennen, so dass Macht von da an auch mit Ohnmacht zusammen gedacht werden kann. Er tritt nicht selbst auf und schafft, proklamiert oder realisiert nicht sich selbst und seine Herrschaft. Er wird von Gott beim Namen genannt: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Er schafft sich nicht selbst, er bekommt Identität - und er wird schon am kommenden Sonntag auf die Probe gestellt (Invokavit), ob er nun auch zu seiner Identität steht.

            Als wir getauft wurden, erhielten wir dieselbe Identität. Wir brauchen nicht alles selbst zu erfinden, wir bekamen Namen und Identität, wir wurden Sohn Gottes oder Tochter Gottes: Wir werden mit Wohlgefallen angesehen, wir sind geliebte Menschen, in denen Gott sich selbst sieht. Das verleiht dem einzelnen Menschen sowohl Würde als auch Status, woran sich niemand vergreifen kann, ohne dass er sich zugleich an Gott vergriffe.

            Wir erhalten unsere Identität von Gott, das ewige Zentrum unserer Lebensgeschichte liegt außerhalb von uns selbst, und wir nennen es Erlösung. Christus bewirkt sie, damals sowie heute und in Ewigkeit, und in dem Sinne können wir wohl sagen, dass die Taufe auch Worte seiner ewigen Herrschaft sind.

Amen



Pastorin Else Hviid
London
E-Mail: ehviid@googlemail.com

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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