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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 01.03.2009

Predigt zu Matthäus 4:1-11, verfasst von J.-Stephan Lorenz

(Weil das Evangelium auch Predigttext ist, lasse ich den alttestamentlichen als erst und die Epistel als zweite Lesung lesen. In dem Gottesdienst wird das Heilige Abendmahl gefeiert. Als Psalmlied lasse ich den Psalm 91 singen. Text  im Anhang)

„Invokavit" heißt unser heutiger Sonntag, liebe Gemeinde -, nach der lateinischen Übersetzung eines Verses des 91. Psalm, den wir zu Anfang gesungen haben: „Er (der Mensch) ruft mich an, deshalb will ICH ihn erhören..."

Am Mittwoch hat die Fasten- (und Passions)zeit begonnen, nach altem christlichem Brauch dauert sie bis zum Osterfest. Ich bin ein Mensch, der nicht so gerne fastet, das kostet mich Überwindung. Mein erstes Erlebnis war auch nicht gerade ermutigend. Nach etwa einer Woche kam ich an einem griechischen Restaurant vorbei, und - ach - da roch es so wunderschön. Ich bin der Versuchung erlegen, stürmte hinein und bestellte mir eine große Portion Gyros. Wenn sie sich also entschlossen haben, in der Fastenzeit auf etwas zu verzichten, dann tun sie es, ohne sich zu überfordern.

Dieses eigene Erlebnis hat mit dem Thema des heutigen Sonntages zu tun, sie haben es sicherlich schon bemerkt: es geht um die Versuchung. Nicht um die süßeste, seitdem es Schokolade gibt, sondern um Versuchung in einem tieferen Sinne: es geht nämlich um existentielle Konfliktsituationen und deren Bewältigung. Es geht letztlich um die Frage, welche Schritte der Lebensbewältigung schädlich und welche sind angemessen sind?   

Könnten wir diese Frage beantworten, wären wir fehlerfrei, würden wir immer und zu jedem Zeitpunkt das für uns Angemessene tun. Nun ist es aber so nicht in unserem Leben. Keiner von uns weiß im voraus, ob der nächste Schritt, den wir tun, für uns gut ist oder schädlich. Wir müssen im wortwörtlichen Sinne bei jedem Schritt „ver-suchen" herauszufinden, was gut ist und was schlecht ist. Und wir überblicken immer nur den nächst weiteren Schritt, vom Ende her jedenfalls können wir niemals denken. Es geht uns als so wie dem Adam und der Eva im Paradies. Ihre Geschichte haben wir gehört.

Die „Versuchung" für die beiden bestand ja darin, dass sie sich vor folgende Entscheidung gestellt sahen: wenn ihr von dem Baum der Erkenntnis esst, dann wird eure Fähigkeit euer Leben zu bewältigen auf das höchste gesteigert. Das meint die Schlange, wenn sie sagt: „Eure Augen werden geöffnet und ihr werdet sein wie Gott, nämlich wissen, was dem Leben nützt und was schädlich ist." 

Welcher Mensch würde den vermeintlich besseren Teil, die auf höchste gesteigerte Fähigkeit sein Leben angemessen und gut  zu gestalten, verzichten? Adam und Eva tun es jedenfalls nicht. Und es geschieht tatsächlich das, was die Schlange versprochen hatte: ihnen wurden „die Augen aufgetan", d.h. ihre Wahrnehmung wurde erweitert. Aber dieser Zugewinn an Fähigkeiten und Möglichkeiten der Lebensbewältigung hatte seinen Preis. Die biblische Geschichte drückt das so aus: die Erkenntnis, die sie haben, ist für sie mit tiefen Angst- und Schamgefühlen begleitet. Sie be-decken sich und sie ver-stecken sich !

Wie kommt das?  Den beiden sind die Augen aufgetan, sie haben mehr Wissen und mehr Möglichkeiten als vorher und trotzdem haben sie Angst und Schamgefühle?

Deshalb nämlich, weil ihre neue Erkenntnis sie bloßstellt, weil sie erfahren: was vorher für sie richtig war, kommt ihnen jetzt falsch vor. Solche Situationen kennt jeder von uns, denke ich, wenn man plötzlich erkennt, wie irregeleitet, eingeschränkt wahrnehmungsfähig, ja blind man die ganze Zeit  war. Alle haben es bemerkt, nur man selbst hat es nicht bemerkt. Keine schönen Momente im Leben!

Aber es geht noch tiefer!

Dazu eine persönliches Beispiel: als mein Sohn so etwa 16 Jahre alt war, also in einem Alter, in dem der Körper und die Seele von Jungen oder Mädchen ganz stark verändert und zunimmt an Kraft, Stärke und Schönheit. Diese Veränderungen sind dann auch sichtbar. Der Zuwachs an Kraft, Stärke und Schönheit macht auch Spaß und ist durchaus lustvoll. Gleichzeitig mit diesen Veränderungen merken die Jungen und Mädchen aber auch, welch komplizierte Gebilde sie selber sind, dass sie auch viel anfälliger sind für Beschädigungen und Verletzungen. Die Zunahme an Kraft, Stärke, Schönheit, an Möglichkeiten und Fähigkeiten der Lebensbewältigung, die sie erleben ist, also gleichzeitig verbunden mit erhöhter Angst, erhöhter Scham und damit erhöhter seelischer Verletzlichkeit.

Die „Versuchungssituation" , d.h. der Konflikt, der bewältigt werden muß, liegt darin, weder der anwachsender Kraft und Stärke oder Schönheit - sozusagen - zu verfallen, also in Größenphantasien abzuschwirren: ich bin der größte, stärkste, und schönste und keiner kann mich..., noch der anderen Seite zu erliegen, die sich in den Gefühlen von Angst, Scham und Verletzlichkeit äußeren, also depressiv oder aggressiv zu werden. Sie müssen für sich eine angemessene und gute Balance finden. Die Lösung dieser konfliktreichen Zeit wird  wesentlich die Lebensmöglichkeiten als erwachsene Menschen bestimmen.

II.

 Keiner von uns kann der „Versuchung", d.h. solchen existentiellen Konfliktsituationen im Leben je entgehen. Selbst von Jesus werden solche Versuchungssituationen berichtet. Davon erzählt unser heutiger Predigttext, den wir bei Matthäus lesen können:

    Da wurde ER vom Heiligen Geist in die Wüste geführt. Der Teufel sollte IHN auf die Probe stellen. Vierzig Tage nahm ER keinerlei Speise zu sich, so dass IHN gegen Ende ein großer Hunger überfiel. Da trat der Teufel  auf IHN zu und sagte, um IHN auf die Probe zu stellen. „Wenn DU Gottes Sohn bist, kannst DU doch die Steine durch ein einziges Wort zu Brot machen!" - Doch JESUS erwiderte: „Es steht geschrieben, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern vielmehr von allem, was GOTT sagt."  Dann nahm IHN der Teufel in die heilige Stadt Jerusalem mit bis auf die höchste Zinne des Tempels und forderte IHN auf: „ Bist DU Gottes Sohn, spring herunter. Denn es steht doch geschrieben: ‚Seine Engel werden dich ins einem Auftrag behüten, sie werden dich auf Händen tragen, damit du dich an keinem Stein stößt.'"  - JESUS aber entgegnete: „Es steht auch geschrieben: ‚Du sollst den Herrn, deinen GOTT, nicht auf die Probe stellen.'"   Daraufhin führte IHN der Teufel auf einen sehr hohen Berg, zeigte IHM alle Reiche der Erde und ihre Herrlichkeit und sagte zu IHM: „Dies gebe ich DIR , wenn DU mich anbetest!" - JESUS jedoch entgegnete: „Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: ‚Du sollst GOTT, deinen Herrn, anbeten und IHM allein dienen!'" 

Da ließ der Teufel davon ab.
(Übersetzung nach Berger/Nord Das Neue Testament)

Ein wahrhaft dramatische Geschichte, finde ich. Jesus wird aufgefordert aus Steinen Brot zu machen. Trotz größtem Hunger und Mangel weist er daraufhin, wovon wir Menschen wirklich leben können. Welches „Brot" unserer Seele wahrhaft ernährt. Aber der Teufel ist schlau. Deshalb versucht der Teufel ihn mit Hilfe des Wortes Gottes selbst in die Irre zu führen. Er wird auf die Zinne des Tempels gestellt und gefragt, ob er sich hinabstürzen möchte, Gott würde ihn doch, wie verheißen, nicht abstürzen lassen. Aber Jesus durchschaut die List des Teufels.  Am Ende wird offenbar, worum es dem Teufel eigentlich geht. Er verspricht Jesus alle Macht der Welt, wenn er vor dem Teufel in die Knie geht und ihn anbetet.

Jesus besteht alle Versuchungen als Sohn Gottes seine Macht und Würde zu missbrauchen, er zeigt mit seinem Verhalten, dass ihn wirklich der Geist Gottes treibt. 

Man kann diese Geschichte auch mit menschlichen, d.h. mit psychologischen Augen lesen und bemerken, dass Jesus in dieser Geschichte drei wichtige menschliche Grundkonflikte, bzw. Versuchungssituationen besteht.

Im ersten Teil geht es um den Hunger, der ja für unsere triebhafte Seite stehen könnte. Jesus antwortet dem Versucher: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern vom jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht." Man könnte diese Antwort dann so verstehen: Das unterschiedslose  Nachgeben und grenzenlose  Ausleben unserer triebhaften Seite ist keine angemessene Lebensbewältigung.

In der zweiten Situation als Jesus auf die Zinne des Tempels gestellt wird, geht es im weitesten Sinne um unser Selbstwertgefühl und unsere Selbsteinschätzung. Und dann würde diese Situation bedeuten: Wer sich selbst und seine Kräfte beständig überschätzt, lebt ziemlich gefährlich, ist die ebenso kurze wie knappe Antwort Jesu. So leben, nennt die Bibel den Ver-such, mit Gott Experimente zu machen.

In der letzten Situation schließlich geht es darum, dass kein Mensch ohne Normen und ethische Entscheidungen sein Leben führen kann. Die Geschichte bringt das auf den Punkt, indem der Teufel Jesus fragt, wen er eigentlich „anbeten", d.h. wessen Normen und Wertentscheidungen er eigentlich folgen will.

Jesus entscheidet sich für die Gebote und Werte Gottes, für seine Liebe und das grenzenlose Vertrauen allein zu ihm.

III.

Wenn uns diese Geschichte erzählt wird von unseren Vorfahren im Glauben, den ersten Christen, dann wussten sie, dass wir Menschen zwar versuchen  können in ähnlichen Konfliktlagen Jesu Bewältigungs- und Lösungsver-suche nach zu leben, dass wir aber dennoch aus dem Dilemma, von dem die Geschichte von Adam und Eva berichtete niemals herauskommen. Wir lösen einen Konflikt und haben fünf neue, deren Konfliktmenge im günstigen Fall weniger ist, als der erste Konflikt, den wir gelöst haben.  Deshalb haben wir als den letzten Text einen Abschnitt aus dem Hebräerbrief gelesen (Hebräer   4, 14 - 16) :

...wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde. Lasst uns deshalb mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.

„ sondern der in gleicher Weise versucht worden ist wie wir" ... und der deshalb unser menschliches Dilemma, unsere „Schwachheit",  kennt.

Das ist uns zugesagt und darauf können wir uns verlassen in allen Versuchungssituationen, die uns in unserem Leben begegnen:

 

Weil Gott in Jesus Christus weiß, dass wir  Menschen unsere existentiellen Versuchungs- und Konfliktsiuationen nicht immer so lösen werden, dass sich das Leben sowohl für uns wie auch für andere danach angemessener leben lässt, sondern öfter eben auch schlechter, müssen wir nicht verzweifeln, sondern können freimütig auf seine Gnade hoffen, wissend, dass wir Barmherzigkeit, d.h. Verständnis und vergebende Liebe empfangen und Gnade, d.h. Kraft zu rechtzeitiger Hilfe finden werden.  So lassen sich Versuchungs- und Konfliktsituationen und die Folgen der Lösungen, die wir versuchen, getrost ertragen.

Noch einen letzten Einfall zu diesem Thema habe ich: in der Paradiesgeschichte wird erzählt, dass die Menschen vom Baum der Erkenntnis und das dies den Menschen zwar die Augen öffnet, aber ihre Sehnsucht ihre Konfliktsituationen wie Gott lösen zu können nicht erfüllt wird. Wenn wir jetzt das Abendmahl feiern, dann gibt sich Gott in Jesus Christus darin selbst zum Essen und Trinken hin. Und das könnte ja ein Hinwies darauf sein, dass Gott am Ende sogar unsere Sehnsucht, so sein und leben zu können wir ER,  nicht nur versteht,  sondern auch erfüllen will, dann nämlich wenn seine Herrschaft sich endgültig durchgesetzt hat und ER am Ende der Tage erscheint und uns erlöst aus aller Not unserer menschlichen Existenz, die uns in unserem Leben immer wieder einholen wird.

Gottes Heiliger Geist befestige diese Wort in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf dass euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen



Pastor J.-Stephan Lorenz
Beauftragter für den Pastoralpsychologischen Dienst, Krankenhausseelsorger
Rinteln
E-Mail: johannstephanlorenz@t-online.de

Zusätzliche Medien:
psalm91.pdf


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