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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 01.03.2009

Predigt zu Matthäus 4:1-11, verfasst von Stefan Kläs

Liebe Gemeinde!

Was könnte besser als Schokolade sein? Diese Frage stellt sich schon, heute am ersten Sonntag der Fastenzeit. Wenn heutzutage vom Fasten die Rede ist, dann meistens im Zusammenhang mit den Themen Übergewicht und Abnehmen. So wie viele Menschen heute Sünde nur noch mit zuviel Schokolade in Verbindung bringen, so wird das Fasten dann eben als Verzicht auf Schokolade, Wein, Kaffee, Tabak oder andere Genussmittel verstanden. Die Regeln über das Fasten stellt heute meistens der Arzt auf, der sagt: Bei dir sind diese oder jene Werte aus dem Lot geraten. Per sofort musst du weniger von diesem oder jenem essen oder trinken, dann geht es dir wieder gut. Fasten verbindet sich immer mit einem Heilsversprechen. Das ist nie anders gewesen. Auch in Zeiten, als noch nicht der Arzt, sondern die Priester darüber zu befinden hatten. Wer auf etwas verzichtet, tut dies, um etwas anderes, etwas Besseres zu erreichen. Am Anfang des Fastens steht also diese Frage: Was könnte so gut sein, dass sich der Verzicht lohnt?

Die klassische Antwort auf diese Frage - zumindest im Judentum, Christentum und Islam - lautet: Noch besser als Schokolade oder alles andere, worauf Menschen verzichten können, ist Gott. In dieser Perspektive dient das Fasten nämlich nicht dem Abnehmen, sondern der Vorbereitung auf die Begegnung mit Gott. Menschen fasten, um sich für Gott zu öffnen. Damit das gelingt, suchen Menschen besondere Orte auf. Feine Restaurants in der Grossstadt sind ebenso wenig zum Fasten geeignet wie eine Dorfmetzgete. Da kann man einfach nicht fasten, wenn einem das Wasser im Munde zusammenläuft. Das wäre ja wahrhaft übermenschlich. Darum ziehen Menschen sich zum Fasten an besondere Orte zurück. Ein solcher Ort ist die Wüste. Die Wüste ermöglicht Rückzug. Den Rückzug von allem, was zuviel ist: von zuviel Lärm, zuviel Hektik, zuviel Arbeit, zuviel Genuss, zu vielen Menschen. In der Wüste ist man auf sich selbst zurückgeworfen, mit sich selbst allein in der kargen Landschaft. Eine Erfahrung machen Menschen immer wieder in der Wüste: Die Einsamkeit ist einerseits eine Wohltat, andererseits kommen Gefühle und Gedanken hoch, die in Gesellschaft anderer Menschen oder im Alltag unter Lärm und Hektik, Arbeit und Genuss verborgen waren. Die Wüste ist der Ort des Fastens, der Ort des Rückzugs und der Versuchung. Das hat auch Jesus so erlebt.

Ich lese aus dem Matthäusevangelium im 4. Kapitel die Geschichte von der Versuchung Jesu. Dort wird erzählt:

Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Vierzig Tage und vierzig Nächte fastete er, danach hungerte ihn. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag diesen Steinen da, sie sollen zu Brot werden. Er entgegnete: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Dann nahm ihn der Teufel mit in die heilige Stadt, und er stellte ihn auf die Zinne des Tempels. Und er sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürze dich hinab. Denn es steht geschrieben:
Seine Engel ruft er für dich herbei,
und sie werden dich auf Händen tragen,
damit dein Fuss nicht an einen Stein stosse.
Da sagte Jesus zu ihm: Wiederum steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen. Wieder nimmt ihn der Teufel mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Königreiche der Welt und ihre Pracht. Und er sagt zu ihm: Dies alles werde ich dir geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest. Da sagt Jesus zu ihm: Fort mit dir, Satan. Denn es steht geschrieben: Zum Herrn, deinem Gott, sollst du beten und ihm allein dienen. Da lässt der Teufel von ihm ab. Und es kamen Engel und dienten ihm. (Zürcher Bibel)

Jesus erlebt die Wüste, den Ort des Rückzugs, als Ort der Versuchung. Die Bibel erzählt: Jesus wurde vom Geist Gottes in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Es ging also um eine bewusste Erprobung Jesu, um eine Bewährungsprobe, die Jesus zu bestehen hatte. Vierzig Tage und Nächte fastete er. Und als der Hunger gross war am Ende dieser langen Zeit, da trat der Teufel an ihn heran. Die Wüste, vierzig Tage und Nächte, der Teufel - die Geschichte ist voller Sinnbilder und Andeutungen. Lange vor Jesus verbrachte das Volk Israel vierzig Jahre in der Wüste. Die Zahl Vierzig steht in der Bibel für eine Zeit der Vorbereitung und der Reifung: vierzig Jahre bereitete sich das Volk Israel auf seinen Einzug ins verheissene Land vor, vierzig Tage bereitet Jesus sich auf eine entscheidende Begegnung vor. Auf eine Begegnung, bei der für ihn alles auf dem Spiel steht: seine Sendung, seine Mission, sein Wirken als Sohn Gottes. Bei seiner Taufe wurde Jesus als Sohn Gottes bekannt gemacht, jetzt muss er zeigen, dass er es auch tatsächlich ist.

Wie auch immer wir uns den Teufel in der Geschichte vorzustellen haben, er ist jedenfalls nicht so harmlos wie all die kleinen und grossen Teufel, die in diesen Tagen bei der Fasnacht unterwegs sind. Als „Versucher" wird der Teufel in der Geschichte bezeichnet und so redet er auch. Er verschwendet keine Zeit mit Nebensächlichkeiten, sondern kommt gleich zur Sache: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag diesen Steinen da, sie sollen zu Brot werden." Dieser einfache Satz hat es in sich. Ohne Umschweife zieht der Teufel Jesu Erwählung zum Sohn Gottes in Zweifel, und das auf wahrhaft teuflische Weise: Er attackiert Jesus gar nicht offensiv, sondern eher indirekt. Er sagt ja nicht geradeheraus: Du bist nicht der Sohn Gottes. Nein, er fordert Jesus vielmehr auf, etwas zu tun. Er versucht, Jesus in einen Machtkampf zu verstricken, fordert ihn heraus: Beweis mir doch, dass du der Sohn Gottes bist. Es müsste doch ein leichtes sein für dich, diese Steine in Brot zu verwandeln - es sei denn, du bist gar nicht der Sohn Gottes. Aber wenn du es bist, dann stell es auch unter Beweis. Unausgesprochen schwingt darin mit: Wenn Jesus sich auf diesen Machtkampf einlässt, wenn er sich vom Teufel aus der Reserve locken lässt, dann spielt er nach den Spielregeln des Versuchers, dann spielt er das teuflische Spiel mit und hat eigentlich schon verloren.

Doch Jesus lässt sich auf keinen Machtkampf nicht. Er spielt das Spiel des Teufels nicht mit. Er lässt sich nicht dazu verleiten, seine Gottessohnschaft unter Beweis zu stellen. Jesus tut etwas, was auf den ersten Blick erstaunlich scheinen mag, er antwortet mit einem Zitat aus der Bibel: „Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt." Diese Antwort Jesu scheint auf den ersten Blick mit der Aufforderung des Teufels wenig zu tun haben. Und doch ist sie die einzige richtige, denn Jesus lenkt den Blick von sich weg auf Gott selbst. Jesus sucht die Entscheidung nicht im Streit um seine eigene Person, sondern er verweist auf Gott, von dessen Wort er lebt - und erweist sich gerade so wahrhaft als Gottes Sohn.

Allzu optimistisch wäre, wer nun dächte, der Teufel würde sich auf Anhieb mit dieser Antwort zufrieden geben. Hartnäckigkeit gehört zu den Tugenden des Teufels. Der lässt nicht so einfach locker und sagt sich: Was Jesus kann, kann ich schon lange. Ich kann auch aus der Bibel zitieren. Es gehört zweifellos zu den wichtigen Einsichten aus dieser Geschichte, dass noch lange nicht auf der Seite Gottes steht, wer die Bibel im Munde führt. So auch der Teufel. Er hat seine Lektion gelernt, führt Jesus auf die Mauer des Tempels in Jerusalem und fordert ihn auf: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürze dich hinab." Und um seiner Forderung besonderes Nachdruck zu verleihen, zitiert er aus Psalm 91, den auch wir eingangs gesprochen haben: „Seine Engel ruft er für dich herbei, und sie werden dich auf Händen tragen, damit dein Fuss nicht an einen Stein stosse." Der Teufel versucht Jesus mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Jesus hat Zuflucht im Wort Gottes gesucht. Doch der Teufel macht aus dem lebendigen Wort Gottes ein Druckmittel in dem Machtkampf, den er Jesus aufzwingen will. Wie ein Ass aus dem Ärmel zieht er diesen Psalmvers hervor und sagt zu Jesus: Du stehst doch unter Gottes Schutz. Komm, probier es doch aus, ob dieser Schutz tatsächlich funktioniert. Das wäre doch etwas, das wäre doch ein Spektakel mehr noch als die Verwandlung von Steinen in Brot. Hier in Jerusalem, überleg mal! Vor all den Leuten könntest du zeigen, wer du bist.

Wiederum lässt Jesus sich auf das Spiel des Teufels nicht ein. Wiederum nimmt er Zuflucht zu einem Wort Gottes: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen." Jesus lässt sich nicht darauf ein, Gott und seine Zusage auf die Probe zu stellen. Er sagt nicht: Stimmt, jetzt will ich's aber auch mal wissen, ob Gott sein Wort hält. Jetzt mach ich mal die Probe aufs Exempel. Nein, Jesus wehrt sich dagegen, Gott auf die Probe zu stellen, er will ihn nicht manipulieren. Jesus macht Gott nicht zum Erfüllungsgehilfen seines eigenen Wunschs oder auch eines fremden Wunschs nach Grösse und Macht.

Da holt der Teufel zu einem letzten Schlag aus. Er zieht jetzt wirklich alle Register, setzt alles auf eine Karte. Er lässt seine Maske fallen und verspricht Jesus etwas, was alles Bisherige in den Schatten stellt: Ich werde dir alle Königreiche der Welt geben, ich gebe dir die Weltherrschaft, „wenn du dich niederwirfst und mich anbetest." Darum ging es also die ganze Zeit! Wie in allen Machtkämpfen, in denen es immer auch darum geht, wer vor wem auf die Knie zu gehen hat, geht es hier um die letzte und höchste Autorität: Wer ist wahrhaft Gott, wer darf sich anbeten lassen? Das ist die Frage, die auf dem Spiel steht!

Angesichts dieser Frage tut Jesus etwas, was vielen wohlwollenden Menschen Mühe bereitet: Er bricht das Gespräch ab. Es gibt Situationen, in denen es keinen Zweck hat, einfach immer weiter zu reden. Und diese Situation ist in dem Moment da, wo der Teufel versucht, Jesus zu kaufen. Anbetung gegen Weltmacht. Das ist mehr als ein unmoralisches Angebot, das wäre ein teuflischer Handel, bei dem Jesus das Gespräch abbricht: „Fort mit dir, Satan. ... Zum Herrn, deinem Gott, sollst du beten und ihm allein dienen." Niemand darf sich anbeten lassen als Gott allein, und wäre der Gewinn noch so gross!

Liebe Gemeinde!

Nicht jedes Fasten führt uns in derart dramatische Erfahrungen, wie Jesus sie in der Wüste machen musste. Trotzdem bleiben auch wir von Krisen nicht verschont, wenn wir die Frage an uns heran lassen:
Leben wir eigentlich als Gemeinde tatsächlich vom Wort Gottes, und ist die Anbetung Gottes tatsächlich unsere Motivation in der Kirche? Oder gibt es unter der Hand andere Ziele und Zwecke, die wir als Kirchgemeinde verfolgen?
Der Wunsch, Wunder vollbringen zu können, kann ja verschiedene Formen annehmen. Wer Steine in Brot verwandeln kann oder von der Tempelzinne springen kann, sorgt jedenfalls für ein tolles Spektakel. Von den Menschen gemocht zu werden, weil sie sich königlich amüsieren, weil sie von uns unterhalten werden, das könnte eine Versuchung sein, der wir heute als Gemeinde nicht erliegen dürfen.
Und auch gegen das Spiel mit der Macht sind wir nicht immun. Im Laufe ihrer langen Geschichte hat die Kirche oft nach der Macht gegriffen und dabei vor allzu weltlichen Methoden nicht zurückgeschreckt: Druck, Zwang und Gewalt waren ihr und sind ihr nicht fremd. Doch im Spiel der Macht sind allenfalls scheinbare Siege zu erringen. Als Kirche sind wir nicht die Herren im Leben der Menschen.
Herr ist vielmehr nur einer: Gott, zu dem wir beten und dem allein wir dienen sollen. Jesus hat uns diesen Weg gezeigt, der durch manche Krisen, durch manche Wüste führt. Und doch ist es ein guter Weg, auf den er uns ruft, weil es am Ende ein Weg in die Freiheit ist. Wir werden frei von dem verführerischen Wunsch, jederzeit gemocht zu werden. Wir werden frei von dem Wunsch, die Menschen beherrschen zu müssen. Wir ziehen unsere Stärke aus dem Hören auf Gottes Wort und gewinnen Festigkeit im Dienst an den Menschen.

Amen.



Pfarrer Stefan Kläs
Bürglen (Schweiz)
E-Mail: stefan.klaes@ev-kirche-buerglen.ch

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