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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 08.03.2009

Predigt zu Matthäus 15:21-28, verfasst von Erik Fonsbøl

Wer ist sie, diese Frau, die im heutigen Text so leidenschaftlich engagiert und sympathisch geschildert ist?

             Ja, ich glaube, sie vertritt einen sehr großen Teil der Weltbevölkerung. Wenn wir uns die Geschichte Israels ein wenig anschauen, dann machten die Kanaanäer, jedenfalls nach dem Zeugnis des Alten Testaments, die Bevölkerung Palästinas aus, als das auserwählte Volk nach der Wüstenwanderung zurückkehrte. Das war nicht gut, da Josua und seine Sturmtruppen ja der Auffassung waren, habe Gott dieses Land für Israel bestimmt und sie seien deshalb nicht nur berechtigt, sondern hätten sogar die göttliche Pflicht, die Kanaanäer auszurotten, die im Übrigen ja den abscheulichen Baal verehrten - einen Fruchtbarkeitsgott, den Israels Gott von ganzem Herzen hasste. 

             Die Kanaanäer nahmen also im Bewusstsein der guten Juden eine - sagen wir einmal: Pariastellung ein. Sie waren gewissermaßen kastenlos, und man konnte sie als solche behandeln.

             Dieselbe Anschauung ist wohl auch heute im Verhältnis zwischen den orthodoxen Juden und Zionisten einerseits und den so furchtbaren Palästinensern auf der anderen Seite zu beobachten, den Palästinensern, die sich erlaubt haben, Israel in ein paar Jahrtausenden zu bewohnen - natürlich unrechtmässig, da Gott selbst doch dieses Land an Israel gegeben hat. Und dann sind diese Palästinenser auch noch Terroristen, die man nach gültigem amerikanischen - und deshalb auch israelischen - Gesetz ganz nach eigenem Gutdünken behandeln kann. Man stelle sich das einmal vor, sie erlauben sich, dagegen zu protestieren, dass ein fremdes Volk ihr Land jetzt schon 60 Jahre lang besetzt hält.

             Oder was sagen wir zu dem Verhältnis zwischen den schwarzen Südafrikanern und der weißen Einwandererbevölkerung, die sich so massiv des Landes bemächtigt und die ursprüngliche Bevölkerung zu Sklaven gemacht hat?

             Oder die europäischen Einwanderer in Nord- und Südamerika oder Australien, die die Urbevölkerung ganz einfach ausgerottet oder auf malerische Erinnerungen an sie reduziert haben.

             Ganz zu schweigen von dem weltweiten, religiös bedingten Hass gegen "die Anderen": die verschiedenen Götter der Menschen gebieten, "die Anderen" als Untermenschen zu behandeln, und noch Schlimmeres, und zwar mit gutem Gewissen. Ich kann eigentlich verstehen, dass der Atheismus in unserem Land zunimmt, und in diesem Zusammenhang betrachtet ist das ja nur gut so! Wir können doch nicht zulassen, dass die Religionen in unserer Welt wüten. Im Namen des Lebens muss Unrecht fallen! (Kim Larsen)

             Ich glaube, es ist diese große unterdrückte Gruppe der Bevölkerung, für die die kanaanäische Frau in unserer Erzählung steht, und man sollte sich im Klaren sein, dass selbst Jesus dem Evangelium zufolge anscheinend die Weltordnung akzeptiert, die Unterdrückung auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe gleichsam zulässt. Jedenfalls am Anfang. Er lässt die Frau in ihrer Not schreien, ohne dass er mit einem einzigen Wort reagierte.

             Mit gewohntem Einfühlungsvermögen raten die Jünger Jesu ihm, sie wegzuschicken, damit sie nicht dauernd hinter ihnen her schreit. Ganz wie bei der Gelegenheit, als die Mütter mit ihren Kleinkindern kamen.

             Jesus ist also nicht der Meinung, seine Mission könne Anderen als den Juden - seinem eigenen Volk - gelten.

             Aber die Frau hörte nicht auf zu schreien, diese leidenschaftliche Mutter. Sie setzt sich über alle Scham hinweg und wirft sich vor Jesus nieder und bittet um Hilfe, wie wohl nur eine Mutter für ihr Kind bitten kann.

             Aber Jesus bleibt ungerührt: Es ist nicht recht, der Kinder Brot zu nehmen und es den Hunden vorzuwerfen. Damit ist sie dann wohl zurechtgewiesen, wenn man daran denkt, wie man im Osten Hunde auffasst.

             Aber selbst jetzt gibt sie nicht auf, sondern sie argumentiert von der Tatsache aus, dass Hunde ja gerade von den Brosamen fressen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Gib mir nur einen einzigen Krümel von dem Brot, das du für dein eigenes Volk hast. Das wäre doch genug, mein kleines Mädchen zu retten. 

             Und jetzt verstehen wir auch Jesus' Reaktion oder richtiger Umkehr. Sie ist dieselbe wie die, die zum Vorschein kommt, als ein Offizier der römischen Besatzungsmacht, die ja auch nicht gerade zu den populärsten Leuten in Israel gehörte, zu Jesus kam und für das Leben seines Knechts bat: Du brauchst dich nicht einmal herabzuwürdigen und unter mein Dach zu gehen, sondern sage nur ein Wort - es bedeutet so viel, wenn du es bist, der es sagt! Mehr als genug, um meinen Knecht zu retten. Sprich nur ein Wort.

             Und Jesus sagt: Man denke, wenn es einen so großen Glauben - ein so großes Vertrauen zu mir in meinem eigenen Volk gäbe, wie es offenbar bei diesen Parias der Fall ist, die von allen sogenannt rechtgläubigen Juden als unwürdig betrachtet werden! Und der Knecht wurde gesund zu derselben Stunde. Und im selben Augenblick war ihre Tochter gesund.

             Es geht um Glauben, einen der vielleicht am meisten missverstandenen Begriffe in der Welt. In erster Linie, weil Glaube zum Kode für den Zugang zur feinen religiösen Gesellschaft gworden ist. Wenn du nicht glaubst, kannst du nicht zu unserer Gemeinschaft gehören - oder wie Gott der Herr zum Volk Israel durch den Propheten sagte: Wenn ihr nicht glaubt, könnt ihr nicht wohnen bleiben. So ist das ganz einfach. Und in vielen kirchlichen Kreisen ist heutzutage der Glaube selbst zu einem Glauben an das Übernatürliche pervertiert. Du musst an die Erzählungen der Bibel buchstäblich glauben - sonst kannst nicht mit in der Kirche sein!

             Aber Glaube in der ursprünglichen christlichen Bedeutung des Wortes handelt in meinen Augen von etwas viel Tieferem und Kostbarerem als so eine Eintrittskarte für die richtigen Kreise. Und das ist es wohl auch, was die Erzählung eigentlich sagen will.

             Glaube hat mit Gegenwärtigkeit zu tun - Gegenwart und Aufmerksamkeit. Gegenwärtigkeit durch und durch. So wie der Offizier und die kanaanäische Frau es waren. Dieser Augenblick fasste das ganze Leben in sich - dieses heilige Jetzt, wo du vor deinem Mitmenschen stehst, was dasselbe ist wie vor Jesus zu stehen, was dasselbe ist wie vor Gott zu stehen.

             Diese göttliche Gegenwart bedeutet der Glaube. Für die Juden, also für sein eigenes Volk, stand die Religion im Wege - die religiöse Überlegung, die z.B. Juden gebot, Römern und Kanaanäern und Samaritern und Aussätzigen und Unreinen und der ganzen Reihe von Unberührbaren und Namenlosen, mit denen Jesus unumwunden zusammenlebt und die er unablässig berührt, den Rücken zu kehren. Und es waren gerade die Juden, die sich selbst als die einzig wahrhaft Gläubigen betrachteten. Aber sie waren nie in ihrem Leben gegenwärtig. Bildlich gesprochen saßen sie ihr ganzes Leben lang in der Synagoge und dachten über das Leben nach, dem sie nie nahekamen.

             Ich meine, es ist eine der wichtigen Pointen in den Evangelien, dass alle die Filter und Schleier und Mauern und Zäune, die zwischen uns und unserem Leben aus irgendeinem Grunde bestehen - vielleicht religiös, vielleicht politisch-national bedingt, oder vielleicht, weil wir von uns selbst gefangen sind, von unserem eigenen Ego, das unablässig Befriedigung verlangt und das Gerechtigkeit und Sinn im Dasein und Auskommen und was-weiß-ich fordert -, dass all dies, was uns vom Leben selbst fernhält, genau diejenigen Verhinderungen sind, die Jesus mit seinem Leben beseitigt, in dem er an allen sowohl physisch als auch geistig und religiös verbotenen Orten herumläuft - und die er mit seinem Tod beseitigt, der ein Teil seiner Lebenshaltung ist: Was kann mir der Tod in Wirklichkeit anhaben? Wie kann mir die Ungerechtigkeit Schaden zufügen? Und seine Auferstehung, die das Symbol über allen Symbolen ist für die tiefste und innerste Wirklichkeit des Lebens. Weil das Leben grundlegend ein Frühjahrsleben ist - ein Auferstehungsleben.

 

Ich glaube an dieses Leben! An das Leben, das das Evangelium von Jesus mir zeigt und das ich im Grunde als mein eigenes wirkliches Leben hier drinnen hinter all den Verhinderungen, Masken und Verdrängungen wiedererkennen kann. Ich glaube daran, das jeder Mensch eine Göttlichkeit ist, die in der Regel von allen diesen eigentümlichen Sperenzchen unterdrückt ist, die uns dem Leben den Rücken kehren lassen. Und ich glaube, dass es diese Göttlichkeit war, die Jesus in der heutigen Erzählung entdeckte, so dass er von neuem erkennen musste, dass wirklicher Glaube selten unter den Gläubigen vorkommt, sondern draußen, in den Grenzbereichen, dort, wo kein Rechtgläubiger zu finden ist.

             Oft sagt Jesus zu Menschen, die er geheilt hat: dein Glaube hat dich gesund gemacht. Heute hätte er wohl genauso gut sagen können: Weib, dein Glaube hat mich gesund gemacht! Dein Glaube hat mir gezeigt, was es in einem jeden Menschen gibt - wer immer es ist. Du hast mir gezeigt, was das Leben wert ist. Du hast mir Gott gezeigt!

             Die Fastenzeit gilt als die Zeit der Enthaltsamkeit und des Nachdenkens, und das mag sicher gut sein. Aber vielleicht sollten wir die Fastenzeit lieber zu einer stillen und Zeit des Zuhörens machen, wo wir uns von dem mirakulösen Wiedererwachen der Natur hinreißen lassen. Gerade in dieser Zeit kann der Aufmerksame alle die kleinen Zeichen des Frühlings sehen und sich darüber freuen - gerade jetzt, bevor alles aufbricht und sich voll entfaltet.

             In aller Stille können wir mitten in der Auferstehung der Natur zur Stelle, d.h. gegenwärtig sein - und vielleicht sogar selbst ein Teil von ihr werden - selbst Anteil bekommen an dem Auferstehungsleben und der trotzigen Frühlingsfreude, von der die Dichter so schön künden - von den kleinen Zeichen des keimenden Frühlings, die uns Glauben an das Leben schenken.

             Und mit der Aufmerksamkeit und der Stille nimmt die Hellhörigkeit von selbst zu, und in deinem eigenen Innern begegnest du plötzlich einem Leben, von dem du nie geträumt hast. Dem Frieden Gottes und der wirklichen Unbefangenheit, die daraus entstehen, dass man ohne Umschweife gegenwärtig ist. Und dann - ja, dann wirst du leben. Amen.



Propst Erik Fonsbøl
Nørre Åby (Dänemark)
E-Mail: ebf(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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