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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Okuli, 15.03.2009

Predigt zu Lukas 9:57-62, verfasst von Henning Kiene

Text:

Als Jesus und seine Jünger auf dem Wege nach Jerusalem waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und er sprach zu einem anderen: Folge mir nach! Der aber sprach: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein anderer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Lukas 9, 57-62

I.

Mit acht Oskars hat sich der Film „Slumdog Millionaire" an die Spitze gesetzt. Es geht um einen Jungen aus den Slums von Mumbai in Indien. Der tritt als Kandidat in der indischen Ausgabe von „Wer wird Millionär?" auf. Obwohl er nie eine Schule besucht hat gewinnt er Raterunde um Raterunde. Mal verbissen, dann wieder ganz locker kämpft er gegen seine Armut und bemüht sich um eine Zukunft. Frage um Frage nimmt er selbst die schwersten Ratehürden. Doch während er sich an die Millionen heranarbeitet ist noch eine andere Sehnsucht im Spiel. Es geht um die Liebe. Sein Mädchen will er wiederfinden. Der Fernsehauftritt soll helfen. Das Paar hatte sich im Dickicht des Slum Elends verloren.

Am nächsten Donnerstag kommt dieser Film auch in unsere Kinos. Die ganze Handlung ist, so sagen die Kritiken, von einer inneren Bewegung getragen: Man sieht das Elend, ungefiltert, muss sogar mit ansehen, wie das Kind gefoltert wird. Man wird kompromisslos in die Aussichtslosigkeit hineingezogen. Und gemeinsam mit dem Jungen will man da auch wieder raus. Raterunde um Raterunde entfernt man sich mit dem Jungen aus dem Elend. Denn: Der Slum ist nicht der Bestimmungsort eines Menschenlebens. Genauso wenig wie der Platz vor dem Screen des Computers für die jungen Männer, die Counterstrike spielen und mit sogenannten Softair Waffen herumballern am Abzug des Gewehres ihren Bestimmungsort gefunden haben. Gewalt zählt nicht.

Eine Szene auf der Eisenbahn gehört zu den Schlüsselszenen des Filmes. Auf dem fahrenden Zug wird die Grundbewegung dieses Filmes sichtbar. Raus aus dem, was nicht sein soll, hin zu dem wozu der Mensch bestimmt ist. In vielen Menschen und in vielen Religionen ist diese Dynamik verborgen angelegt. Die ist mit dem, was ist, was man Tag für Tag erlebt, nicht zufrieden!

Wer auf den Zug einer Religion steigt sucht in der Regel mehr als die Umstände, in denen man lebt, einem bieten können. Die täglich wachsenden Slums unserer Welt, die Armut in Indien, in Afrika, die Müllhaldenkinder von Papua Neuguinea, nicht hinnehmbar.

Es muss sich vieles verändern! Auch was und wie wir leben. Seit dem Amoklauf in Winnenden wird es wieder spürbar: das alltägliche Mobben, das Nichtreden miteinander, dass Menschen und ganzen Familien eine gemeinsame Mitte fehlt, das „Schleimen" und Lästern in der Schule, das ist der Alltag schon vieler unserer Kinder. Daran sollte man sich nicht gewöhnen wollen. Denn Schweigen, Mobben, Lästern, das Schweigen, sind die Slums in unserer Wohlstandsgesellschaft. Der Gedanke, dass das Leben zwangsläufig so bleibt, wie es heute ist sollte sich in uns nicht festsetzen.

Unsere Welt kann unglaublich unwohnlich sein. Überall. Das Leben überhaupt. Menschen machen es sich schwer, sie versagen sich gegenseitig die Humanität, sorgen nur für sich selber, verlieren den Überblick, verlieren sich, verlieren andere. Wir sind alle gefährdet. Der Slum in „Slumdog Millionaire" steht für eine Welt, die sich überlebt hat. Das Spiel des Kindes bei „Wer wird Millionär?" steht für den Kampf der Menschheit gegen die Armut. Jede Raterunde, jede richtige Antwort markiert einen Abschied vom niedrigen Niveau und den Neuanfang auf einem höheren Level.

Was man für unabwendbares Schicksal halten könnte, wird von dem Jungen mit jeder richtigen Antwort als abwendbar bezeichnet. Und wir sind auch in so einem Ratespiel: Was war in Winnenden los? Was ist geschehen? Viele fragen: Warum? Keine Antwort wird passen. Was passen wird ist diese Botschaft: Gewöhn dich nicht daran! Gewöhn dich nicht daran, dass da einer verstummt ist, der früher mal ein guter Kumpel war! Gewöhn dich nicht an irgendwelche Waffen und seien es die virtuellen Waffen der Computerspiele! Gewöhn dich nicht an deine eigene Ratlosigkeit, suche dir Rat.

Nachfolge Jesu Christi ist so eine Bewegung die aus dem, was man als schicksalhaft deuten kann, heraus führen will. Sie entlarvt die faulen Kompromisse, an denen das Leben häufig krankt.

Jesus hat eine Dynamik freigesetzt. Er setzt im Inneren eines Menschen etwas in die Bewegung, das einen fast wie in einem Ratespiel, von Stufe zu Stufe aufsteigen lässt, das Leben auf einen anderen Level hebt. Fast schlafwandlerisch wählt man zwischen A, B, C oder D. Wer Jesus folgt hat richtig gewählt. Der bringt einen in die Nähe zu dem, was sein wird.

II.

Man könnte es sich auch wohnlich in den Missständen einrichten. Sollte man aber nicht! Diese Woche hat wieder mal gezeigt: Es kann nur wenig so bleiben wie es ist! Warum? Weil der Amoklauf nach Veränderung verlangt. Die aber findet in einem selber statt, auch in unseren Familien, auch in unseren Schulen. Es braucht mehr Zeit für das ganz menschliche Gespräch. Und ein Junge sagte, es sei am Donnerstag gut gewesen, eine Schweigeminute in der Schule einzulegen: Für die Toten Schülerinnen und Schülerkollegen. Es braucht nicht nur Gesetze, es muss auch etwas in uns selber geschehen.

„Business as usual" ist bei uns vorbei. Wegsehen, nicht hinhören, Schweigen, ist vorbei. Dieses Niveau liegt hinter uns. Es wird zu niedrig gewesen sein. Wer weiterkommen will muss es anders machen als früher.

Die Realität verlangt den Wandel. Das wissen wir auch ohne den Glauben. Das merken die Bankerinnen und Banker, die in der Krise nicht mehr wissen wo sie stehen. Das wissen auch die Arbeiterinnen und Arbeiter die ihre Arbeitsplätze bangen. Da stimmt bei uns im ganzen Land etwas nicht. Es muss sich was ändern. Moral braucht einen höheren Level und die Bewegung, die vom Glauben ausgeht, benötigt eine konsequente Umsetzung.

Der Junge in „Slumdog Millionair!" macht's vor, er will in ein anderes Leben hinein. Es geht ihm doch nicht nur um die Millionen. Die Liebe seines Lebens, das Treffen mit dem Mädchen, zählt im Leben mehr als das Geld. Es gibt andere Qualitäten als das Geld.

III.

Eine Bewegung geht von Jesus aus, die einen nicht in Ruhe lässt. Wer die einmal gespürt hat, ist wie bei einer Zugfahrt in eine unumkehrbare Bewegung hineingenommen. „Nein! Nein, wir sind nicht zufrieden, und wir werden nicht zufrieden sein, bis die Gerechtigkeit wie ein Gewässer und Rechtschaffenheit wie ein mächtiger Strom herunterquellen."[1] Sagte Martin Luther King 1963. Das war ein Traum. So ein Traum wächst aus der Nachfolge Jesu hervor.

Der Satz von Jesus Christus heißt: „Folge mir nach!" Dieser Satz wirkt. Er setzt einen in Bewegung. Der Schmerz der Mütter und Väter, der Schule und der Menschen in Winnenden, vor allem auch die äußeren und inneren Wunden der Kinder und Jugendlichen, werden nur schwer verheilen. Auch der Glaube macht das Verletzte nicht schnell wieder heil. Aber wenn man nach der Frage „Warum?" dann auch die Frage „wo wollen wir hin?" gestellt wird, dann sind wir schon eine Runde weiter. Wenn wir nicht nur nach neuen Gesetzten fragen, sondern auch nach unserer inneren Lebenshaltung, dann sind wir einen Schritt weiter gekommen. Und es ist manchmal wie bei „wer wird Millionär?". Man wird sich zwischen Alternativen entscheiden müssen. Zwischen A und B und C und D. Was ist richtig? Es sind keine Millionen. Es ist vielleicht die alte, vertraute Liebe, die es neu zu entdecken gilt, die Kinder oder die Eltern, den Nachbarn, eine Schweigsame, es ist eine Ruhe in der Seele, die sich ausbreiten will. Es ist aber auch ein Moment in dem sich die eigene Moral auf einem neuen, höheren Level wieder findet.

Es ist so etwas wie diese Suche dem Slum zu entkommen dabei. Es wird gelacht, gesungen, gebetet und Kerzen angezündet und Leid wird auch überwunden. Das macht Jesus. Eins ist sicher: Geschickt fürs Reich Gottes, das sind wir. Darum sind wir in dieser Dynamik mit drin.



[1] Martin Luther King, Ich habe einen Traum. Ansprache während des Marsches auf Washington für Arbeitsplätze und Freiheit, 28. August 1963, Washington, D.C. http://usa.usembassy.de/etexts/soc/traum.htm

 



Propst Henning Kiene
Meldorf
E-Mail: propst.kiene.kksd@nordelbien.de

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