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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Okuli, 15.03.2009

Predigt zu Lukas 9:57-62 / Notiz zu Winnenden, verfasst von Heinz Janssen

Wo ist dein Zuhause?

Predigttext: Lukas 9,57-62 (Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Fassung 1984)

57 Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.
58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
59 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
60 Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
61 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.
62 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Notiz nach den furchtbaren Ereignissen vom 11.März 2009 in Winnenden

Kurz nachdem ich mein Predigtmanuskript abgeschlossen hatte, hörte ich die Nachricht von dem Amokläufer in Winnenden. Entsetzen packt mich wie Millionen von Menschen, die diese Nachricht gehört haben. Ich kann es nicht fassen, was dort passiert ist, junge Menschen und Erwachsene werden Todesopfer eines 17järigen Amokläufers. Ich denke an die Schüler/innen, an die Lehrer/innen und Passanten, die die Opfer eines Gewalttätigen wurden, und ich stelle mir die Eltern, die Familien und Angehörigen der Opfer vor, in ihrem unsagbaren Leid. Ich muss meine Predigt nach diesem furchtbaren Geschehen nocheinmal überdenken, ich kann nicht stillschweigend übergehen, was geschehen ist. Ich muss in der Predigt, im Gottesdienst, dafür Raum geben. Raum für die aufgewühlten Gefühle, für Mitfühlen, für Anteilnehmen. Die Angehörigen der Opfer sollen spüren, dass ganz viele Menschen an sie denken, für sie beten, ihnen beistehen. Was ist angebracht? Ich zünde zu Beginn des Gottesdienstes eine Kerze auf dem Altar an, über dessen eine Seite ein schwarzes Tuch hängt, weise kurz auf das Geschehene hin, lade zur Stille ein und zum Gebet („Erschüttert und fassungslos bringen wir das furchtbare Geschehen vom 11.März in Winnenden und Wendlingen vor Dich, Gott der Hoffnung und allen Trostes. Im Namen Jesu rufen wir zu Dir: Kyrie eleison..."). In der Fürbitte will ich mit der Gemeinde für die Opfer und ihre Angehörigen beten und aller gedenken, die durch die furchtbare Tat mit betroffen sind. Zum Gedenken an die Opfer lasse ich die Totenglocke läuten.   

Zur Predigt

Zur Exegese weise ich empfehlend auf E. Schweizer hin, der Jesu Geborgenheit in Gott hervorhebt und die Zukunft Gottes als sein Zuhause. „Nur von einem für Kommendes offenen Menschen kann das Gottesreich ausgerufen werden. So wird Jesu Wandern in seinen Jüngern weiterleben...Daß Gott auch das Versagen des Jüngers heilen und sein Saatgut in sehr krumm geratene Ackerfurchen legen kann..., hebt die Radikalität der Forderung nicht auf, bewahrt sie sogar davor, als unerfüllbares Ideal verehrt und damit abgeschrieben zu werden" (Das Evangelium nach Lukas, NTD 3, Göttingen 1982, S. 112f.).

Predigt

Liebe Gemeinde!

Erinnern Sie sich an Ihren Konfirmandenspruch? Mein Spruch steht in unserem heutigen Bibeltext: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Möglicherweise bin ich gar nicht die einzige Person hier im Gottesdienst, die diese Bibelworte zugesprochen bekam. Als Jugendlicher habe ich mit diesem Bibelspruch gar nichts anfangen können. Ich war enttäuscht, denn meinen Konfirmandenspruch hatte ich mir mehr mit einer ermutigenden Zusage für mein Leben vorgestellt, zB mit einem Hinweis auf Gottes Liebe. Was ich bekam, empfand ich wie eine Ermahnung für mich, fast schon wie eine Abweisung. Du bist also für das Reich Gottes unfähig, Gott kann dich nicht gebrauchen, so kam es bei mir an. Ich war doch ein glühender Verehrer Jesu, hatte begeistert in der Kinder- und Jugendarbeit meiner Kirchengemeinde mitgearbeitet, und es war schon früh mein Wunsch, Pfarrer zu werden. Erst viel später, als ich in meinem Berufsleben den Spuren Jesu zu folgen versuchte, lernte ich,  die Aussage meines Konfirmandenspruchs als Aussage für mein Leben zu verstehen. „Wer seine Hand an den Pflug legt..."

Liebe Gemeinde! Schnurgerade Furchen sind für den sinnvollen Anbau von Feldfrüchten erforderlich, Konzentration bei der Arbeit ist nötig. Es ist wahr: Die Hand an den Pflug legen und dabei zurücksehen ergibt keine gerade Furche, ermöglicht kein sinnvolles Arbeitsergebnis und kein gutes Weiterarbeiten. Übertragen auf meine Lebenswirklichkeit bedeutet dies: Ich habe ein Ziel im Leben, auf das ich hinarbeite. Für Christinnen und Christen verstehe ich dieses Ziel heute so: Mein Leben bis zu seinem Ende in Einklang mit dem Willen Gottes, seiner Botschaft und seinem Anspruch, zu leben. Der Pflug ist mein Herz, mein Verstand, meine Hände und Füße, meine Augen und Ohren, alle eine Sinne. Damit ziehe ich auf der Erde mit dem Blick nach vorne meine Lebensfurche(n), meine Spur(en).
 
Der Blick zurück hat seine Zeit in der Pause, in der Besinnung, dann kann er sogar Kraftquelle sein. Aber Achtung beim Pflügen, beim Zugehen auf das Ziel! Schaust du zurück, veränderst du unbemerkt die Richtung und verfehlst das Ziel. Du siehst die Steine nicht und beschädigst den Pflug, du kommst so nicht weiter. Du kannst mit dem Blick zurück wie mit blinder Fahrt nach vorn zur Gefahr für andere Menschen werden, sogar zur Lebensgefahr mit tödlichem Ausgang, wie es am vorigen Mittwoch so furchtbar und schrecklich geschah. (Stille)

Liebe Gemeinde! Wir haben das Predigtwort gleichsam vom Schluss her zu hören versucht. Hören wir jetzt, in welchem Zusammenhang Jesus diese Worte spricht. Da sind drei Menschen, die Jesus begegnen. Der erste sagt: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Welch eine Begeisterung! Dieser Mensch erlebte wahrscheinlich etwas an Jesus, das ihn anzog, und will sich ihm anschließen: Ich gehe mit dir, ich folge dir. Jesu Antwort überrascht. Kein „Schön, sei willkommen!", sondern ein „Vorsicht", bekommt der Verehrer Jesu zu hören: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Eine ernüchternde Antwort. Im Normalfall, sagt Jesus damit, hat es die Natur  so eingerichtet, dass es für die auf dieser Erde Lebenden ein Zuhause gibt, eine Grube, eine Höhle, ein Nest, ein Zelt, ein Haus - ich, Jesus, habe das nicht, und ich kann es auch dir nicht bieten. Ich freue mich, wenn du mit mir gehst. Aber rechne nicht mit Bequemlichkeit und Ruhe. Sei bereit, unterwegs zu sein, Tag und Nacht, bei Sonne und Regen, in der Hitze und der Kälte. Sei bereit, durch Licht und Finsternis des Lebens zu gehen, durch Freude und Traurigkeit, durch glühende Liebe und eisige Gefühle. Handle, wie ich es dir zeigen werde. Liebe Gemeinde, ich höre in Jesu Ruf noch etwas: Jesus weist unausgesprochen auf sein Zuhause bei Gott, in Gott allein weiß Jesus sich geborgen, dorthin will Jesus uns führen und begleiten. Um mit uns dorthin unterwegs zu sein, braucht Jesus so etwas wie ein Zuhause bei uns. Es ist, als ob er sagen würde: Trage mich in deinem Herzen auf deinem Lebensweg. Nimm, mit mir im Herzen, deine Verantwortung wahr für die Menschen, die dich brauchen, in deiner Familie, deinem Beruf, in Gesellschaft und Kirche...  

Noch für eine zweite Person kommt es zu einer Begegnung mit Jesus. Zu ihr spricht Jesus selbst: Folge mir nach. Aber seitens des Gerufenen kommt kein „Gut, ich komme gern mit, danke für die Einladung", sondern ein „Ja, aber": Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus spricht zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Liebe Gemeinde, an dieser Stelle sind wir vielleicht alle gestolpert. Kann das Jesus wirklich gemeint haben? Da stirbt der Vater, und Jesus verwehrt es dem Sohn oder der Tochter, bei der Beerdigung des Vaters teilzunehmen? Das würde doch der ganzen Verkündigung Jesu widersprechen! Jesus ging zu den Kranken, er tröstete die Trauernden. Unmöglich, dass Jesus die Angehörigen daran hindern wollte, dem Vater oder der Mutter die letzte Ehre zu erweisen. Dass er das nicht gemeint haben kann, zeigt seine Antwort: „Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes". Die Toten können nicht Tote begraben, das geht nicht. Nicht die leibliche Verwandtschaft ist hier gemeint, sondern die geistige. Wir sprechen ja auch heute davon, wessen Geistes Kinder wir sind. Den lebensspendenden, schöpferischen Gott, den wir mit vielfältigen Bildern umschreiben, können und brauchen wir nicht begraben. Gott ist das Leben, die Lebendigkeit, die Quelle der Schöpfung. Die anderen Geister dagegen, die Besitz von uns ergreifen können, sind Totengeister. Sie breiten sich aus, verbunden mit Machtgier, Lüge, Terror, Krieg, Egozentrik. Sie lassen die Lebendigkeit Gottes in den Menschen sterben, machen sie gleichsam zu todbringenden oder lebendigen Toten. Verlass ihr Haus, weine und trauere nicht um sie, sondern gehe hin und verkündige das Reich Gottes,  denn in diesem Reich sind jene Kräfte zu Hause, die helfen, Todbringendes zu überwinden. Lasst die Toten ihre Toten begraben und verkündigt das Reich Gottes! Ähnlich antwortet Jesu der dritten Person, die ihm nachfolgen will, sich aber zuvor von seiner Familie verabschieden möchte: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Jesus macht die Menschen, die mit ihm gehen, auf den Ernst und das ganze Leben Umfassende eines solchen Weges, der „Nachfolge", aufmerksam. Jesus sucht bei uns nicht ein halbe, sondern die ungeteilte Hingabe an Gott, bei Ihm ist unser wahres Zuhause. Jesus will, dass wir uns selbst nicht betrügen - in unserer Begeisterung ebensowenig wie in unserer Zurückhaltung. Meine Begeisterung soll kein Strohfeuer sein und meine Zurückhaltung kein Sich-Verschließen. Haben wir nicht manchmal die besten Entschuldigungen, um dem, was wirklich nötig ist, auszuweichen und unsere Lebensfurchen mit dem richtigen Blick zu ziehen? Mit Jesus gehen, ihm nachfolgen heißt: Die Augen auf Gott und sein Reich zu richten, wozu uns der heutige Sonntag Oculi („Meine Augen sehen stets auf den HERRN...") besonders einladen möchte. Jesus ging uns auf diesem Weg beispielhaft voraus. Legen wir, indem wir uns von ihm führen und leiten lassen, Hand an den „Lebenspflug" und verkündigen wir in Wort und Tat das Reich Gottes. Wir stehen damit nicht vor einem unerfüllbaren Ideal. Gott kann sein Saatgut auch in sehr krumm geratene Ackerfurchen legen. Dies ermutigt uns, mit Jesus im Herzen das Ziel im Blick zu halten, gegen alle Widrigkeiten an uns selbst und für diese Welt zu arbeiten, damit sie so wird, wie Gott sie gewollt hat - voll Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe und Frieden. Jesus, der uns auch heute, Dich und mich, in seiner ungewöhnlichen Art und Weise, aufruft, ihm nachzufolgen, lässt uns nicht allein. Jesus spricht uns auch heute, wenn wir „Hand an den Pflug" legen, zu: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Amen.



Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen
Karlsruhe
E-Mail: Heinz.Janssen@ekiba.de

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