Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Okuli, 15.03.2009

Predigt zu Lukas 11:14-28, verfasst von Jens Arendt

Vor einigen Jahren sahen meine Frau und ich mehrere Pilgerprozessionen auf der Azoreninsel Sao Miguel. Es waren die sog. "Romeiros", die in der Fastenzeit zu Fuß auf der Insel umherziehen und in den verschiedenen Kirchen an den Marienaltären beten. Sie tragen Pilgerstäbe und sind in graue Gewänder gekleidet. Ihnen voran wird ein Kruzifix getragen. Ursprünglich geschah es nach einem Erdbeben mit einem Vulkanausbruch im 16. Jahrhundert, der die Bevölkerung der Insel fast völlig auslöschte. Hin und wieder sangen die Pilger Lieder in einer uralten Tonart mit kräftigen ungeschulten Stimmen. Ihre Frauen standen auf Rastplätzen mit Kaffee und Erfrischungen bereit, wie die Frauen, die Jesus und seinen Jüngern nach Jerusalem folgten. Manchmal kamen wir auch an Gruppen von Romeiros vorbei, die sich am Wegesrand lagerten, rauchten und ihre Handys benutzten.

            Diese Männer, unrasierte Männer, Bauern und Hirten und Fischer, ähnelten den Jüngern Jesu sehr viel mehr als Thorvaldsens weiße Apostel in Übergröße, die wir im Dom von Kopenhagen sehen. Auch die Männer in Sao Miguel folgten Christus in der Fastenzeit, wie die Jünger seinerzeit Jesus auf dem Weg nach Jerusalem folgten.

            Sie sind ein Heer, das unterwegs ist, um den Bösen zu bekämpfen, den Feind, der sich seines Eigentums sicher ist und der sich seiner Waffen sicher ist, den Starken, der seinen Hof bewacht. Die Jünger haben nur ihre Wanderstäbe.

            Ihre Waffen sind keineswegs übernatürlich. Sie sind von menschlicher Feigheit gezeichnet, von Opportunismus und Fanatismus, von Gruppenzwang, Furcht und Angst.

            Dennoch sind sie unterwegs, um den Frieden zu brechen; obgleich der starke Mann seinen Hof bewacht, so dass er und sein Eigentum ihren Frieden haben.

            Aber in Frieden sein ist nicht dasselbe wie, dass Friede herrscht.

            Aber man darf den Bösen nicht in Frieden lassen, bloß um selbst Frieden haben zu können; ebensowenig wie man Streit um des Streites willen suchen soll, soll man um jeden Preis den Frieden suchen.

            Sie gehen mit einem Herrn, der ihnen ein Entweder-Oder gibt:

            "Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und der, der nicht mit mir eint, spaltet." Es ist Fülle oder Leere. Es ist Gott oder Satan. Andere Möglichkeiten gibt es nicht.

            Man kann nicht einfach auf Abstand gehen oder neutral sein.

            Jesus gegenüber gibt es keinen Platz für Neutralität.

            Die Dänen haben im Übrigen mit Erfolg vermocht, Neutralität zu bewahren. Ich bekam vor kurzem einen Zeitungsausschnitt aus dem Nachlass eines Verwandten. Der Ausschnitt stammte aus der Zeitung Politiken vom März 1945. In dem Monat kämpfte man am Rhein, und die Rote Armee eroberte Stettin. In Dänemark gab es die Eisenbahnsabotage und Liquidierungen. Aber was verrät der Zeitungsausschnitt, der mehr als 60 Jahre lang aufbewahrt worden war? Dass der Frühling nach Dänemark gekommen war. Man sieht zwei Gelegenheitsfotos. Ein Bauer pflügt mit seinem Pferdegespann, und ein Fischer hat sich in die Märzsonne begeben, um sein Netz zu flicken.

            Ein Reich kann nicht mit sich selbst uneins sein. Dem Bösen gegenüber ist Neutralität unmöglich. Da gibt es kein Sowohl-als-auch. Da gibt es keine Möglichkeit, in Frieden zu leben, obwohl es keinen Frieden gibt. Es gibt nur das Entweder-Oder. Entweder man ist dafür, oder man ist dagegen.

            Die Fastenzeit ist vielleicht die Zeit, in der uns dieses Entweder-Oder klar wird. Entweder folgst du Jesus auf seinen Wegen nach, oder du gehst deinen eigenen Weg.

            Die Fastenzeit bedeutet, je näher wir Jerusalem kommen, desto näher kommen wir dem Kreuz.

            Glaube ist nicht bloß eine Frage des sich selbst Findens, wie auf modernen Pilgerwanderungen; es ist die Frage, ob man willens ist, den Kampf gegen das Böse aufzunehmen; dem nachzufolgen, der der Gute ist.

            Jesus auf seiner Wanderung nachfolgen heißt, immer wieder Halt machen, wie er es tat, weil da immer ein Nächster ist, der uns aufhält. Die Jünger wollen auf der Wanderung immerzu weitereilen.

            Gott selbst kann schwer zu finden sein; denn Gott ist verborgen; aber nicht die guten Taten, die er für uns bereitet hat; oder die guten Taten, die er täglich an uns tut.

            Und das Böse? Ja, das Böse ist das, was wir nicht benennen können.

            Die Heilung heute (im heutigen Text) geschieht von einem bösen Geist, der stumm ist. Bei anderen Gelegenheiten herrscht der Eindruck vor, dass das / der Böse  eine Sprache spricht, die nur Jesus klar versteht. Aber es ist immer schwer, das Böse zu benennen, weil das Böse das ist, was sich nicht benennen lassen will.

            Im Paradies, als es nur das Gute gab, war es die Aufgabe des Menschen, alles zu benennen. Das Böse war das, was wir nicht benennen; wenn wir das Böse mit Worten benennen, dann deuten wir es oft weg.

            Das Böse - wir treiben nicht die bösen Geister aus; wir deuten sie weg. Wir sind immer bereit, das Böse wegzupsychologisieren und zu entschuldigen. Hier ist ein Dämon, der stumm ist. Eine Geisteskrankheit heilen bedeutet, dass man sie benennt. Aber oft ist es doch so, dass wir, wenn wir das Böse benennen, es stattdessen wegdeuten. Oder dass wir den Namen an eine zufällige Stelle setzen. Das Böse wird zu den großen Schurken Hitler und Stalin. Oder Busch und bin Laden. Es ist immer etwas, das weit von uns weg ist. Die psychologische List des Bösen, des Teufels ist, dass er uns dazu bringt, dass wir ein falsches Etikett anbringen oder ein richtiges Etikett an verkehrter Stelle.

            Das Böse ist nicht zu erklären; der Geist ist stumm. Oder der Böse will sich selbst wegdeuten. Er ist nie zufriedener, als wenn wir nicht mit seiner Existenz rechnen. Er ist immer zum Verhandeln bereit.

            Der böse Geist ist stumm; er ist das Schweigen, der Geisteskranke ist in sich selbst eingeschlossen.

 

(Anm.: Das Böse schließt sich sein, vgl. den Teufel in Dantes Hölle; eingeschlossen in einen Kern aus Eis; die dämonischse Eingeschlossenheit; will sich nicht verraten, sucht tiefer in sich selbst, die Neurose. Aber Jesus nimmt uns in eine Gemeinschaft; die Gemeinschaft der Heiligen mit einem alten Ausdruck.)

 

            Der Geisteskranke ist nicht imstande, ernsthaft zu kommunizieren. Die Sprache ist ein Heilmittel, er beginnt zu sprechen; d.h. er kommt in Kontakt mit Anderen. Kommunizieren bedeutet, dass man etwas gemeinsam tut.

            Das Böse ist auch manchmal das, wovon man sprechen sollte. Deshalb gehen die Frauen immer noch jeden Donnerstag auf die Plaza di Mayo in Argentinien. Damit die Ungeheuerlichkeit unter der Militärdiktatur nicht totgeschwiegen wird. Das Schweigen verschließt die Vergangenheit, so dass sie nie wiederkommt und es niemals zu einer Begegnung, nicht einmal zu einer rätselvollen Begegnung, zwischen Vergangenheit und Zukunft kommt. Weder die Vergangenheit, noch die Gegenwart, noch die Zukunft wird jemals benannt. Es gibt m.a.W. niemals die Möglichkeit der Buße und Besserung und Vorbereitung eines neuen Lebens.

            Auch in unserer Zeit haben wir das Böse, das nicht weggedeutet oder belehrt werden darf, sondern bekämpft werden muss.

            Christus ist unterwegs gegen den Feind; gegen den Feind, dem er heute begegnet; in denen, die sagen, er treibe den bösen Geist mit Hilfe des Bösen, mit Beelzebul, aus.

            Die Fastenzeit bedeutet für uns Nachfolge. Mit dem Blick auf IHN gerichtet nehmen wir jetzt die Forderung der Nachfolge auf. Es geht, wie in der ganzen Fastenzeit, um Buße und Besserung, auch verstanden als Vorbereitung auf den Tod und die Auferstehung, die das Leben vollendet.

Amen



Dompropst Jens Arendt
Roskilde (Dänemark)
E-Mail: jea@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


(zurück zum Seitenanfang)