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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 29.03.2009

Predigt zu 0 1:26-38, verfasst von Margrehte Dahlerup Koch

Judika (in Dänemark: Mariä Verkündigung)

Heute beginnt eine Zeit der Schwangerschaft bis Weihnachten. In neun Monaten wird ein Kind in Bethlehem geboren werden. Von einer Jungfrau in einem Stall. Und auch dann wird es, ganz wie heute, Lukas sein, der die Geschichte erzählen wird. Und er beginnt die Geschichte, wie auch unsere eigene Geschichte seinerzeit begonnen hat: Es war einmal ein Mädchen oder eine Frau, die schwanger wurde.

Das ist wichtig. Die Geschichte Jesu beginnt genauso wie unsere Geschichte. Wenn Lukas überhaupt von Empfängnis und Geburt spricht, will er vor allem betonen, dass Jesus ein richtiger Mensch ist. Lukas will sagen, das Jesus auf die Welt gekommen ist wie wir alle auch. In der griechischen Götterwelt z.B. ist Pallas Athene fix und fertig aus dem Haupt des Zeus entsprungen ohne jegliche Berührung durch Menschenhand. Aber was Lukas verkündet, ist keine solche übernatürliche Göttergeburt. Jesus ist kein verkleideter Gott. Nein, Jesus ist von Anfang an ein Mensch, genau wie wir. Er hat in der Gebärmutter einer Frau gelegen und ist geboren, gestillt und gewickelt worden, genau wie wir. In dem Lied "Nun kam Botschaft vom Chor der Engel" hatte Thomas Kingo ursprünglich einmal geschrieben: "Gottes Sohn hat sie (Maria) unter dem Herzen getragen, der an ihrer Brust trinken wird. Da liegt Gott, ein kleiner Wurm, der langsam wächst." Gott als eine menschliche Leibesfrucht und im eigentlichsten Sinne des Wortes als ein Säugling. So dichtet Kingo über Gott. Drastischer kann man die christliche Verkündigung, dass Gott selbst in Jesus Mensch geworden ist, wohl kaum darstellen.

Das ist die eine Pointe bei Lukas: Gott wurde voll und ganz Mensch, genau wie wir, als Jesus von einer Frau empfangen und geboren wurde.

Aber diese Frau war also eine Jungfrau. Die ganz gewöhnliche Geburt ist also dennoch anders. Es ist eine Jungfrauengeburt. Und damit betont Lukas seine zweite Pointe: Nämlich, dass mit dem Kommen Gottes in die Welt in dem Menschen Jesus das Alte vergangen ist - es ist neu geworden.

Jede Kindergeburt ist ein neuer Anfang. Kluge Großmütter wissen das - und sie verstehen auch, dass man eben deshalb Töchtern und Schwiegertöchtern, die erst vor Kurzem Mütter geworden sind, nur mit der größten Zurückhaltung gute Ratschläge zur Säuglingspflege geben darf. Denn wenn die richtige Stimmung herrscht, dann endet so eine gutgemeinte Beratung blitzschnell in einem frontalen Gegenangriff, dessen wesentlicher Inhalt all das Falsche und Irritierende ist, das die Großmütter und -väter an ihren eigenen Kindern getan haben - jetzt ist endlich der richtige Zeitpunkt gekommen, um das alles auszubreiten und ihnen vorzuhalten. Denn "so werden wir jedenfalls unser Kind nicht erziehen".

Als neugebackene Eltern hat man eine Vorstellung davon, dass man von vorn anfangen will. Wir würden nicht im Traum daran denken, die Art und Weise des Elternseins von der vorangehenden Generation zu übernehmen. Und deshalb kann das große, ultimative Werk "Das Buch über das Kind" immer wieder neu geschrieben werden mit völlig neuen Ratschlägen und Theorien und ewigen Wahrheiten darüber, wie Kinder in Wirklichkeit zu behandeln sind.

Jede Kindergeburt ist ein neuer Anfang. Aber die Kindergeburt, die von dem Engel Gabriel heute verkündet wird, diese Kindergeburt ist der ganz neue Anfang aller Dinge, aller Zeiten und des ganzen Menschengeschlechts.

Und Lukas hat gemeint, dass man seinen Zuhörern das am besten klarmachen kann, wenn man ihnen erzählt, Maria sei Jungfrau gewesen. Das Neue - das ganz Neue - beginnt mit einer Junfrauengeburt.

 

In der Kultur, in die Lukas hineinschreibt, hat der Vater allein das Recht, über das Kind zu bestimmen. Das Kind gehört in die väterliche Familie. Und das Kind gehört der Familie des Vaters. Ein Kind ist mit anderen Worten nicht nur der Anfang einer neuen Welt. Es ist auch die Fortsetzung einer alten Welt. Das Kind trägt die Geschichte des Geschlechts mit sich, seinen Namen und sein Erbe - all das Alte vom ersten Anfang an.

Und obgleich unsere Kultur sich gewandelt hat und Väter und Männer nicht mehr dieselbe Macht besitzen wie früher, so sind dies doch noch immer die Bedingungen, unter denen wir leben. Als neugebackene Eltern erkennen wir die Enttäuschung und das Ärgerliche, wenn wir nach einiger Zeit des Elternseins entdecken, dass wir - trotz der guten Intentionen, dass wir alles auf unsere eigene Weise machen wollten, - dass wir selbst oder natürlich vor allem unser Ehepartner - trotzdem eine ganze Menge an altem Gepäck aus unserer Kindheit mit uns herumschleppen, Gepäck, das über unsere Art bestimmt, Mutter oder Vater zu sein.

Wer immer wir sind, wir schleppen alle eine Vergangenheit und ein Erbe mit uns herum. Im Guten wie im Schlechten. Wir können versuchen, das Erbe zu verleugnen, darüber zu lügen oder es zu verdrängen; es ist trotzdem da. Wir können uns nicht zu Jungfrauen machen, die von den Sünden und der Schuld und der Schande und dem Müll der Vergangenheit unberührt wären. Wir können uns nicht geschichtslos machen.

Aber wir können eine neue Geschichte bekommen, wenn Tod und Leid und Sünde und Bitterkeit sich in der alten breit gemacht haben. Um dies zu hören, halten wir unsere sonntäglichen Gottesdienste.

Und diese neue Geschichte, sagt Lukas, handelt davon, dass in dem Alten und Toten nichts zu holen ist. Deshalb sind männliche Samenzellen und damit Vergangenheit und unaufgebbares Erbe nicht mit ihr zu vermischen. Deshalb erzählt Lukas, dass Jesus keinen biologischen, irdischen Vater hat. Denn mit der Empfängnis und der Geburt Jesu beginnt die Geschichte über ihn, der die Bindung an die Vergangenheit gebrochen hat.

Um das Jahr 0 entschloss sich Gott, von Neuem zu beginnen und auf ganz neue Weise einen Menschen geboren werden zu lassen, über den das Alte, die Sünde und Schande der Vergangenheit keinerlei Macht haben würde.

Und das zeigt Gott, so sagt Lukas, indem er den Menschen von einer Jungfrau geboren sein lässt.

Dieser Mensch, Jesus, ist von nichts Anderem bestimmt als von Gott. Er ist nicht aus dem Willen eines Mannes geboren, sondern aus dem Willen Gottes. Jesus ist nicht in den Netzen gefangen und nicht von dem Erbe bestimmt, von denen sich Menschen sonst fangen, binden und bestimmen lassen. Jesus ist der, der er in den Augen Gottes ist. Und er will nichts Anderes sein.

Und Jesus sieht Menschen auf dieselbe Weise: als diejenigen, die wir in Gottes Augen sind und nicht als diejenigen, die wir in unseren Augen sind. Wenn Jesus einem Menschen begegnet, fragt er nie, wer der Betreffende ist oder warum es ihm so und so ergangen ist. Die Vergangenheit eines Menschen ist ohne jeden Einfluss. "Ihr habt gehört, dass zu den Alten so und so gesagt ist," sagt Jesus in seiner großen Berpredigt, "ich aber sage euch..." Die Macht der Vergangenheit wird gebrochen. Es gibt nur das jungfräuliche Jetzt, in dem Jesus und der Mensch, dem er gegenübersteht, einander begegnen. Und dieser Augenblick ist entscheidend. Dies liegt in Jesu Worten an die, denen er begegnet, die er sieht und heilt: "Deine Sünden sind dir vergeben." Dein Wert als Mensch gerade jetzt und deine Möglichkeiten in Zukunft, all das hängt von deiner Vergangenheit ab. Gott und dein Nächster haben eine Anspruch auf dich, hier und jetzt. Und nur dies ist wesentlich.

Jesus schenkt einen neuen Anfang. Für Menschen damals. Für uns heute. Es öffnet sich eine neue Welt und eine neue Geschichte, in der das Alte keine Macht hat weder über das, was jetzt ist, noch über das, was kommen wird.

Mariä Verkündigung liegt am Ende der Fastenzeit, derjenigen Zeit im Kirchenjahr, in der wir uns auf Ostern vorbereiten - um in das leere Grab zu sehen und zu verstehen, dass das leere Loch bedeutet, dass wir umkehren sollen - uns umkehren und in die andere Richtung sehen sollen. "Geht weg von hier!" sagt der Engel am Grab zu den Frauen am Ostermorgen. "Wendet euch stattdessen jetzt dem Lebendigen zu. Es ist dort, ihr werdet den Auferstandenen sehen, wie er euch gesagt hat."

Heute, an Mariä Verkündigung, bereiten wir uns auf den Osterbescheid vor, indem wir hören, dass die Geschichte von ihm, der das Grab von innen aufbrach - dass seine Geschichte in der Welt schon von Anfang an eine Geschichte war, in der Festgefahrenheit und ein für allemal festgelegte Gesetze und Regeln nichts galten.

An dieser Geschichte haben wir teil. Diese Geschichte dürfen wir die unsrige nennen. Ungeachtet, als wie festgefahren und handlungsunfähig wir uns selbst sehen mögen, ungeachtet, wie sehr unser Leben zum Scheitern verurteilt sein mag, so sind wir in eine andere Geschichte hineinerzählt worden - in die große Geschichte Gottes. Und in der Geschichte ist nichts todsicher, nicht einmal der Tod. In der Geschichte ist jeder Morgen jungfräulich neu und gnadenvoll, und wir von den Toten Auferstandene. Amen.



Pastorin Margrehte Dahlerup Koch
Tim (Dänemark)
E-Mail: mdk(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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