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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Osternacht und Ostersonntag, 12.04.2009

Predigt zu Markus 16:1-8, verfasst von Jochen Riepe

 I

Nun komm, laß uns gehen ! Du hast das Fürchten gelernt , nun lerne den Glauben. Du hast nichts zu sagen ... nun komm : aus der Stummheit wird Schweigen , Schweigen , das IHM Raum gibt : ‚Er ist auferstanden. Er ist nicht hier'.

 II

Warum ? so fragte , liebe Gemeinde, ein ganzes Land nach dem Amoklauf von Winnenden. Während die Betroffenen , Eltern , Freunde und Mitschüler der Opfer , sich vor den Fragen und Nachstellungen der Medien  schützen mussten, stürzten sich die großen Erklärer auf das furchtbare Ereignis.  ‚Warum?'  - ‚Darum!'.  Nein ! In einer Fernsehsendung* sprach der Leiter der Nachbarschule der Albertville-Realschule es aus : Unser ‚Warum' hat kein Fragezeichen , sondern gleichsam als Schutz  ein Ausrufezeichen : Warum! Es gibt Fragen , auf die darf es keine Antworten geben.  Sie wären eine Beleidigung der Opfer. ‚Warum!' -  Der Tod dieser Kinder, der Freunde,  der Mitschüler  wird eine offene Wunde bleiben.

 III

‚Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten  niemandem etwas; denn sie fürchteten sich'. Dies, liebe Gemeinde, ist der letzte Satz des markinischen Osterevangeliums , und Sie werden vielleicht eine ähnliche Frage haben  wie ich : Wird hier unsere Ostererwartung nicht gründlich enttäuscht?   . Er ist auferstanden. Er ist nicht hier' : Sollte diese Botschaft des Engels  nicht ein  freudiges Halleluja oder zumindest  eine stille, aber doch gehaltene Freude zur Folge haben? Die Frauen waren gekommen , den Leib Jesu zu salben , ganz in der Ordnung ihrer Trauer , und es ist , als sei diese Trauerordnung , das Gerüst der Schmerzen, wie mit einem weiteren unbarmherzigen Schlag umgestoßen worden : ‚Er ist nicht hier.'  Der  lebendige Jesus war ihnen genommen , und nun war ihnen soz. auch der Leichnam entzogen :  ortlose Trauer.

 IV

Man hat sich immer wieder gefragt , warum das älteste Evangelium seinen Osterbericht und darin das ganze Buch auf diese Weise beschließt : Entsetzte, sprachlose , gehemmte Zeuginnen des leeren Grabes. Auch Markus hätte wohl mehr  von Ostern zu erzählen gehabt , und spätere Zeiten ergänzten  sein Buch um andere Berichte . Das kann man verstehen : Wir als Leser , die wir die Passionserzählung durchschritten haben, freuen uns  auf die Ostereignisse, auf den Sieg des Gekreuzigten , auf die ‚Lösung' ;aber diese  kommt gleichsam als ‚Leerstelle', als Sprachlosigkeit  zu uns, und der Neunmalkluge  denkt : Ja, wenn die Frauen niemandem etwas sagten, wie ist dann die Osterbotschaft überhaupt in die Welt gekommen ?

Ich denke, man muß zunächst  dem Markus folgen , diese Leere aushalten  und  ebenso mit einem Ausrufezeichen , einem Schutzzeichen, versehen : Ostern ist kein demonstrierbares Mirakel, das die einen vehement verteidigen und die anderen bestreiten könnten. Es ist und bleibt ein unverrechenbares , schockierendes , ja: verwundendes  Geheimnis , was Gott an dem Gekreuzigten getan hat. Es ist das Geheimnis seiner Schöpferkraft , die Macht der Liebe des Vaters zum Sohne , die vor uns und unabhängig von uns  da ist :'. Er ist  auferstanden.Er ist nicht hier'. Dieser Engelssatz formuliert eine gewaltige , furchtbare Trennung . Er läßt etwas zerspringen , um doch im gleichen Augenblick eine große Hoffnung freizugeben.

Aber das verstehe einer .

 V

‚Nein !' mitten in der Fernsehsendung sprach der Schulleiter es aus : Unser ‚Warum' hat ein Ausrufezeichen. Es gibt Fragen , auf die gibt es nicht nur keine Antwort , auf die darf  es keine Antworten geben. Gewiß , liebe Gemeinde , der Verstand will sein Recht und Distanz gewinnen; er fragt, sucht Gründe , will zu - und einordnen :'Darum ist das so' . Die Trauernden von Winnenden tragen miteinander ein anderes ‚Warum' aus . Jenes nach Scgutz suchende Warum , in dem der ganzen Sinnlosigkeit , ja : widergöttlichen Dämonie dessen, was geschehen ist , Raum gegeben werden kann. ‚Es ist nichts mehr so ,wie es einmal war', wie der Bundespräsident  anlässlich der Trauerfeier sagte . Wir Außenstehenden  haben   mit dem Fernsehen , mit  öffentlichen Reden und Gebeten  sozusagen konventionell, betroffen und ratlos, solidarisch, Abschied genommen. Für die aber  , die wirklich betroffen sind, wird jetzt die Trauer erst richtig kommen. ‚Er ist nicht hier', sagt der Engel. ‚Ich will , dass du anrufst und sagst : Hallo, mir geht es gut. Aber das wird nicht mehr sein', so hieß es in einer der geschriebenen Botschaften vor der Albertville -Schule . ‚Aber das wird nicht mehr sein' - ‚nicht', ‚nicht mehr' - wer kann den Raum dieser Worte durchschreiten?

 VI

Nun komm, laß uns gehen... du hast das Fürchten gelernt , das echte, das furchtbare Fürchten , du hast auf den ‚Grund des Todes'** gesehen  - nun lerne den Glauben. Aus der Stummheit wird Schweigen. Schweigen, das IHM Raum gibt , das IHN ankommen , ja: wiederkommen lässt.

VII

Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich'. Der Evangelist mutet uns als seinen Lesern , uns , die wir doch auf der Suche nach unserem Halleluja sind, es zu : den Raum dieser Furcht wenigstens aus der Ferne mit zu durchschreiten  und darin etwas zu lernen , was zum Glauben dazu gehört : Das Osterereignis  ,Gottes Handeln an dem Gekreuzigten, die Tat seiner Liebe, gibt uns Jesus nicht einfach zurück und machte damit die Trauer überflüssig. Es nimmt ihn uns gleichsam ein zweites Mal und das Ent-setzende dieses Gotteshandelns  , dieses  Zerspringen  unserer Erwartungen und Wünsche , stellt uns erst vor  die Frage , die wohl jeder Trauernde kennt : Wird aus meiner Stummheit ein Schweigen , in dem ich hören und im Hören wieder sprechen lerne?  Es gibt Menschen , die haben das Gefühl, es niemals zu schaffen, deren Trauer tief  und tiefer wird, und die sich selbst den Tod wünschen .Und dann gibt es solche , deren Leben  jetzt , da alles verloren ist, doch   einer neuen Hoffnung inne wird ; Menschen,  deren Verwundung  und Erstarrung   verwandelt wird  zu einem neuen Aufbruch : Im Trennenden zeigt sich zugleich ein Verbindendes.

VIII

 Auch das gehört ja zur Nachricht des Engels  : ‚Er wird vor euch hingehen nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen'. Das österliche Halleluja kommt verzögert oder nachträglich, ‚wie ein Fest nach langer Trauer', ‚wie eine Klage, die in einen Reigen verwandelt wurde'. Darf   ich  sagen : Wer sich  in der Trauer um den Gekreuzigten  ein   zweites Mal entsetzen lässt, wer diesen Entzug  des Christusleibes annimmt, dem schenkt Gott einen Weg , der zum Anfang zurückführt  , zu einem wirklichen Anfang  ? ‚Galiläa' wäre gleichsam der geographische Name  für jenes Wunder   , jenes Ausrufe- oder Schutzzeichen : Im Zerspringen entsteht etwas  Neues. Geht zurück an den Anfang , dorthin, wo ER einst begann. Geht  in die Dörfer und Städte , geht zu den Menschen am See, sucht die Einsamkeit ; brecht das Brot , heilt die Kranken und die Sprachlosen. In der Bewegung wird die Osterangst abgelaufen oder besser gesagt : SEINE Stimme wird für dich hörbar, und dann ist aus deiner Sprachlosigkeit - Glauben  geworden.

 IX

Warum!  Es gibt Fragen , auf die darf es keine Antworten geben. ER selbst , Christus Jesus, wäre , nein : ist die Antwort.   Halleluja. ‚Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.' Halleluja.

*  ‚Anne Will'(ARD) , Sendung vom 15.März O9

** Lothar Steiger , Erzählter Glaube. Die Evangelien, 1978  , S. 59



Pfarrer Jochen Riepe
Dortmund
E-Mail: Jochen Riepe@gmx.net

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