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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Osternacht und Ostersonntag, 12.04.2009

Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Stefan Knobloch

In der Dämmerung glauben
Predigt zur Osternacht

Die Morgendämmerung oder gar noch das Dunkel der Nacht liegt über dieser Stunde. Wir dürfen das als Bild jener Morgendämmerung ansehen, die über der Osterbotschaft insgesamt liegt. Die Morgendämmerung des ersten Tages nach dem Paschafest stellt nämlich mehr dar als eine beiläufige Tageszeitangabe, als die Zeit, in der die Nacht, in der das Dunkel vor dem Licht des neuen Tages zurückweicht. Sie steht als Sinnbild des Halbdunkels und der Undurchdringlichkeit, die für uns die Osterbotschaft an sich hat.

Maria von Magdala und eine zweite Frau namens Maria sind an diesem Morgen eingesponnen in das ihnen Unbegreifliche: in die schmähliche Hinrichtung ihres geliebten Herrn. Sie wollen an sein Grab, ans frische Grab, um zu trauern. Ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Tränen, ihre Trauer sind beim Toten. Sie kommen, um nach dem Toten zu sehen.

Plötzlich aber wird ihre Blickrichtung aus der Bahn geworfen, sie werden gewaltig abgelenkt. Sehend geraten sie in eine kosmische Erschütterung, in ein lokal begrenztes Beben. Ein Engel nähert sich vom Himmel her, er befreit das Grab vom Stein und setzt sich auf diesen Stein - wie auf eine Kathedra. Denn er hat von dieser Kathedra herab Unglaubliches, ja, etwas alle Vorstellungen und Erwartungen der Frauen Sprengendes zu verkünden. Unterstrichen wird das noch durch seine Lichtgestalt. Im selben Augenblick werden die Grabwächter zu lächerlichen Figuren. Sie wirken wie Relikte von Vergangenem. Sie sind wie tot. Sie zählen nicht mehr. Hier gibt es keinen Toten mehr zu bewachen. Sie sind out. Sie spielen keine Rolle mehr.

Dafür um so mehr die Frauen. Fürchtet euch nicht. Ihr sucht den Gekreuzigten, den hingerichteten Toten. Ihr müsst euch umorientieren. Den Toten gibt es nicht mehr als Toten! Nicht bloß hier nicht mehr, sondern ganz prinzipiell. Er ist nicht mehr tot. Er wurde auferweckt, er ist auferstanden, wie er gesagt hat.

Eine grundstürzende Botschaft

Über dieser grundstürzenden Botschaft des Engels liegt für die Frauen in diesem Augenblick so etwas wie der Schleier der Dämmerung. Ja, über dieser Botschaft liegt ein Schleier, der der Auferstehung des Herrn bleibend eigen ist. Denn sie gehört, so knapp und unaufgeregt sie der Engel überbracht hat - er ist auferweckt worden, er ist auferstanden, - einer Wirklichkeit an, die sich dem menschlichen Zugriff, der menschlichen Wirklichkeitserfassung als solche und in sich nicht gänzlich erschließt. Da hilft auch der erinnernde Verweis darauf nicht, Jesus habe doch selbst von seiner Auferstehung gesprochen. Erinnert ihr euch nicht? Da hilft auch der topographische Hinweis nicht wirklich weiter: Bitte, hier ist der Platz, wo er gelegen hat.

Botschaft, nicht nur Erzählung

Wenn wir an der Stelle innehalten, kann uns ahnend aufgehen, womit wir es mit unserer Ostererzählung zu tun haben, und womit nicht. Sie bildet nicht gewissermaßen eins zu eins maßstabgetreu das göttliche Wunder der Auferstehung des Gekreuzigten ab. Keine der Ostererzählungen tut das. Sie sind alle nur der Versuch, etwas sprachlich zu vermitteln, in menschliche Sprache umzusetzen, was sich ihr eigentlich grundsätzlich (als göttliches Ereignis) entzieht. Um dieses menschlich nicht mehr adäquat Greifbare und Aussagbare kreisen alle Ostererzählungen, auch die Ostererzählung dieses Morgens. Es ist weniger eine Ostererzählung als vielmehr eine Osterbotschaft, die den Glauben an den Auferstandenen bezeugen und diesen Glauben in anderen hervorbringen bzw. neu bestärken will.

Geht schnell, sagt der Engel, geht schnell zu den Jüngern und sagt ihnen, dass der Herr von den Toten auferstanden ist. Und es schließt sich ein Gedanke an, den wir, gemessen an der Wucht der Ansage der Auferstehung, für ungleich nebensächlicher, ja, gar für vernachlässigbar halten könnten, nämlich der Hinweis darauf, dass der Auferstandene den Jüngern nach Galiläa vorausgehen werde. Dort würden sie ihn sehen. So, das war mein Auftrag. Ich habe ihn ausgeführt. Ich habe es euch gesagt.

Galiläa - eine doppelte Chiffre

Diese scheinbare Verkoppelung völlig ungleicher Gewichte stellt sich nur für uns als Ungleichgewicht dar. In Wirklichkeit geht es bei dem Hinweis auf Galiläa, dort würden die Jünger den Auferstandenen sehen, um viel mehr als um einen launischen Ortswechsel. Um viel mehr auch als um ein angekündigtes Sehen im allerwörtlichsten Sinn. Denn ein Sehen im allerwörtlichsten Sinn würde möglicherweise bei den Jüngern zu einem fatalen Missverständnis führen, nämlich dazu: Ach, siehe da, da ist der Meister wieder. Er lebt wieder! Der Verweis auf Galiläa verfolgt eine ganz andere Spur. Nach dem Matthäusevangelium hatte Jesus in Galiläa, rund um das Gebiet des Sees von Galiläa, mit seinem öffentlichen Wirken begonnen. Dort hatte er seine Jünger gerufen, die ihm gefolgt waren. Dort war er mit ihnen öffentlich aufgetreten und hatte den Menschen „das Reich Gottes" verkündet. In unsere Sprache übersetzt, hatte er den Menschen die verlässliche Nähe und Liebe Gottes zu ihrem Leben nahe zu bringen versucht. Er hatte sie dafür gewinnen wollen, sich auf diese Nähe und Liebe Gottes als dem tragenden Grund ihres Lebens einzulassen. All das, was mit Jesus in Galiläa begonnen hatte, sollten die Jünger jetzt nach dem Tod des Herrn, der zu Gott erhöht worden war -oder wie man das und in welcher Weise das die Glaubensbekenntnisse auch immer in Worte fassten -, all das sollten die Jünger jetzt weiter tragen, als Boten der Botschaft Jesu.

Dabei aber soll sich jetzt - das ist ein wichtiger Impuls der Osterbotschaft - der Adressatenkreis erweitern. Zu Lebzeiten hatte Jesus den Jüngern geboten, sich in Galiläa nur an die, wie es in Mt 10,6 heißt, verlorenen Schafe des Hauses Israel zu wenden, ihre Aufmerksamkeit also nicht auch noch an die nicht zum auserwählten Volk Zählenden, sprich, an die Heiden, zu verschwenden. Galiläa war aufgrund verschiedener ethnischer Wanderungsbewegungen ein bunt durchmischtes Gebiet aus Juden und Heiden. Jesus hatte sein Wirken systematisch auf die Angehörigen des auserwählten Volkes beschränkt, im Galiläa der Heiden (vgl. Mt 4,15). Jetzt aber, nach seiner Auferstehung, sollen die Jünger nicht nur wieder in Galiläa die Verkündigung des Reiches Gottes aufnehmen, sondern sie sollen dies dort exakt in der Zielrichtung tun, jetzt ihre Botschaft über die Angehörigen des jüdischen Volkes hinaus auch an die Heiden zu richten. Geht zu allen Völkern, heißt es am Ende des Gesamtwerks der Matthäusevangeliums, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern.

Das will darauf aufmerksam machen, dass Jesu Auferstehung nicht bloß - wenn man so sagen darf - etwas ist, was ihn nur ganz persönlich betraf, und das war's dann. Sondern seine Auferstehung löst unter dem Beistand des Heiligen Geistes eine Dynamik aus, die die ganze Welt betrifft, die in ihr Platz greift und sie in der Kraft des lebendigen Gottes verwandelt.

Die notwendige Verstärkung

Es könnte uns stören, dass die Osterbotschaft dieser Nacht, dieses Morgens, an einer inneren Inkonsequenz zu leiden scheint. In Galiläa sei der Auferstandene „zu sehen", und dann erscheint er den beiden Frauen doch unmittelbar schon hier, bevor sie noch überhaupt eine Chance hatten, zu den Jüngern Kontakt aufzunehmen. Vielleicht darf man darin ein erzählerisches Moment der Verstärkung erblicken. Denn so ganz geheuer war den Frauen die Botschaft der Auferstehung nicht. Sie waren - eine bizarre Gefühlslage - voller Furcht und voller Freude. Da tritt ihnen der Auferstandene mit der ausdrücklichen Aufmunterung entgegen: Seid fröhlich! Seid voller Freude! Den Kopf hängen zu lassen, dazu besteht kein Anlass! Fürchtet euch nicht! Seid nicht in Sorge!  Und er wiederholt die Aufforderung, die Jünger sollten nach Galiläa gehen, dort würden sie ihn „sehen". Hier ist in eine sprachliche Kurzform gebracht, worüber immer noch die Dämmerung des Ostermorgens liegt. Die Jünger werden den Auferstandenen „sehen", indem sie wieder in seine Botschaft eintreten und sie weiter tragen. So werden sie die Glaubenserfahrung der Auferstehung des Gekreuzigten machen und sie anderen bezeugen können . Ich bin bei euch, bis ans Ende der Welt.

Die Botschaft an uns

Was sagt uns dieses Osterevangelium? Was sagt uns dieser Ostermorgen? Er sagt uns, dass der Auferstandene, bei aller Glaubensgewissheit, nicht mit Händen zu greifen ist. Er sagt uns, dass die Dämmerung, der Zweifel, ob an der Osterbotschaft tatsächlich etwas dran ist, uns immer wieder beschleichen können. Er sagt uns vor allem - und das lügen wir uns nicht in die Tasche -, dass der Auferstandene mit uns durch unsere Geschichte, durch unsere Zeit, durch die Ereignisse des Jahres 2009 geht. Er sagt uns, dass wir selbst immer wieder aufstehen sollen, aufstehen können, auch wenn noch so viel schief läuft. Dort, wo Menschen und Situationen uns brauchen. Dort,wo strukturelle Ungerechtigkeiten Menschen in ihren Lebensrechten und Lebensansprüchen beschneiden. Dort, wo die bedrohte Umwelt unter unserer Gedankenlosigkeit leidet.

Vor allem aber sagt uns dieser Ostermorgen, dass wir uns freuen dürfen. Dass wir heute feiern dürfen, ja, auch gut essen und trinken sollen. Dass unser Herz sich leicht fühlen darf - weil der Auferstandene lebt, und wir mit und aus ihm leben können.



Prof. Dr. Stefan Knobloch

E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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