Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Osternacht und Ostersonntag, 12.04.2009

Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Reiner Kalmbach

Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

In den letzten Jahren beschäftigt mich immer wieder die selbe Frage: wie können, wie sollen wir die Osterbotschaft glaubwürdig verkündigen? Schliesslich steht und fällt mit ihr die Essenz unseres Glaubens, denn: was bliebe von ihm ohne die Gewissheit der Auferstehung von den Toten..?!

Hören wir eine der vier Versionen des selben Geschehens: sie steht im Matthäusevangelium, Kapitel 28, die Verse 1 bis 10:

„Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.

Und siehe, es geschah ein grosses Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.

Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand wie der Schnee.

Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.

Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiss, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten sucht.

Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat;

und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.

Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und grosser Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.

Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüsst! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füsse und fielen vor ihm nieder.

Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Gehet hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: dort werden sie mich sehen."

Frauen, es sind die Frauen die nach dem Grab sehen wollten, während die Männer, die Jünger, irgendwo in einem Hinterzimmer berieten, was sie denn nun tun sollten, wie sie am besten - ohne grosse Gefahr - aus dieser Situation herauskommen könnten. Sie wollten so schnell wie möglich zurück in die „Normalität".

Ja, es wäre naheliegend die Frauen ins Zentrum der Predigt zu rücken und da könnte ich viel erzählen...Wie z.B. die krisenerprobten Frauen bei uns in Argentinien ihre Familien über Wasser halten, während sich ihre Männer aus dem Staub machen, oder sich im Alkohol ertränken, wie diese Frauen niemals aufgeben..., so als ob die Zukunft Teil ihres Wesens wäre. Frauen die nie zurück schauen und für die das „jetzt" immer schon der Vergangenheit angehört.

Nein, nicht die Frauen sollen im Mittelpunkt der Predigt stehen, es wäre damit weder ihnen, noch der Osterbotschaft geholfen. ER soll im Mittelpunkt stehen, ER der uns vorangeht, ER der die Begegnung mit uns sucht, dort, weit voraus in Galiläa.

...weg vom Grab(esdenken): Eine neue Zeit ist angebrochen..., nicht ein neues Jahr, auch kein neues Kapitel des selben Buches, nein: eine ganz andere, eine neue Zeit! Matthäus lässt diese Zeit mit Blitz und Donner und sogar mit einem Erdbeben anbrechen.

Wir leben und arbeiten in Patagonien, etwas östlich der Anden, eine Gebirgskette gespickt mit hohen Vulkanen, viele von ihnen noch aktiv. In manchen Gegenden wackelt die Erde fast täglich. Wer einmal ein richtiges Erdbeben erlebt (und überlebt) hat, der weiss, was Angst und Panik bedeuten. Da kommt man schnell in eine Weltuntergangsstimmung, für Gedanken an die Zukunft ist da kein Platz.

Ganz in der Nähe, auf der chilenischen Seite, wurde vor einem Jahr der Ort Chaitén von Vulkanasche und Schlamm regelrecht zugedeckt. Die Bewohner wurden zwangsevakuiert und nun fühlen sie sich entwurzelt, ohne Zukunft..., alles was sie besassen, ihre Höfe, ihr Vieh, Häuser, Schulen, Bäume..., ihr Friedhof, alles ist weg, unwiederbringlich..., was bleibt ist die Erinnerung...Grabesdenken.

Etwas von diesem Schrecken, von dieser Furcht, dem Gefühl der Panik spüren wir auch bei den Frauen, ganz zu schweigen von den Wächtern, die vor Schreck wie tot umfallen. Aber das ist nicht alles: Furcht und Freude werden in einem Satz ausgesprochen! Irgendwie erinnert mich das an die Geburt unseres ersten Sohnes..., womit wir schon wieder bei den Frauen wären. Als werdender Vater stand ich Todesängste aus und gleichzeitig breitete sich in mir eine nie dagewesene Freude über das ankommende neue Leben aus..."Es ist alles ganz neu, ganz anders..., doch fürchtet euch nicht!"

...denn das Leben ist stärker! Das erste was die ankommenden Frauen tun ist „hören", sie hören das Wort des Gesandten: die Ostererfahrung der Frauen beginnt mit dem Hören des Wortes. Und dieses Wort will sagen: „...angesichts dessen, was ihr hier seht - oder nicht seht -, habt keine Angst!" Jetzt bemerken wir, dass die Leere des Grabes eigentlich nur der Hintergrund ist für das, worauf es in Wirklichkeit ankommt. Die Feststellung, dass das Grab leer ist, macht noch keinen Osterglauben. Der Schreck und die Furcht verwandeln sich nicht in Freude, weil sie das „...er ist nicht hier..." hören, sondern es ist die Botschaft des Engels: „Er ist auferstanden!" In diesem Satz bündelt sich unsere ganze irdische Vergangenheit und Gegenwart, - meine Vergangenheit und Gegenwart -; in diesem Satz wird, wirklich zum ersten Mal, die Umklammerung unserer menschlichen Existenz durch die Macht des Todes aufgesprengt. In das Unwiderrufliche des Todes ist eine Bresche gebrochen. Mit diesem Satz beginnt die neue Zeit: „Er ist auferstanden!" Wer ist auferstanden? Nicht irgendeiner, sondern Jesus Christus, der Gekreuzigte: darin zeigt sich die grosse Wende in der Geschichte zwischen Gott und uns. Gott gibt dem Leben Raum, er nimmt das Joch des Todes von unseren Schultern. Und er tut dies, weil er uns liebt! Liebe zielt immer auf das Leben, Liebe schafft, Liebe vergibt, Liebe hat immer die Zukunft vor Augen...Liebe hat immer mit dem Leben zu tun!

Ach, könnten wir doch unser Grabesdenken hinter uns lassen!, um diesen Satz, diesen Zuruf wirklich hören zu können: „ER ist auferstanden!" Das wäre der Glaube der Berge versetzt...Und was könnte ein solche Glaube alles bewirken...!

„...denn er ist nicht hier (wo ihr ihn vermutet hattet)..., er ist euch vorausgegangen..., dort werdet ihr ihm begegnen." Es ist als ob Matthäus unseren Blick weg vom Grab (dem naheliegenden), neu ausrichtet, nach vorne, in die Zukunft: „...er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen.."

Ein sehr bekannter argentinischer Soziologe schreibt: „In unseren Medien, in den Reden unserer Politiker, geht es immer nur um die Vergangenheit, in den Schulen lehren wir was in der Vergangenheit passiert ist..., und diese Geschichte ist angefüllt mit Helden und mit Toten..., über die Gegenwart gibt es eigentlich nichts zu sagen, weil diese Gesellschaft, dieses System den Gegenwärtigen nichts zu bieten hat...Und die Zukunft?, sie kommt nur in unseren Träumen vor, nicht als ein konkretes Projekt auf das man zugehen könnte..."

Der Auferstandene geht den Seinen voraus, um sich mit ihnen zu treffen, ganz konkret, ganz persönlich!

Irgendwann einmal habe ich in meinem Leben erkannt, dass ohne diese konkrete Begegnung Jesu mit den Jüngern - nach seiner Auferstehung! -, die Weltgeschichte eine ganz andere wäre. Diese neue Zeit, die ganz andere Zukunft, die mit der Predigt des Engels beginnt, wird, nach der Begegnung Jesu mit den Seinen in die ganze Welt hinausgetragen..., bis zu uns in den hintersten Winkel Patagoniens. Ohne diese Begegnung wären die Jünger nach Hause gegangen, zurück in die „Normalität", leeres Grab hin oder her, so als ob die Zeit an der Seite des Meisters ein einmaliger Ausflug gewesen wäre. Zurück bleibt nur die Erinnerung...an einen Traum der zeigt, wie es hätte sein können...

Aber Jesus geht voran, Jesus will sich mit mir treffen, gleich da vorne...., ER, der mich „Bruder" nennt, will sich mit mir treffen. „Bruder", obwohl ich so schwer an ihm und meinen Mitmenschen schuldig geworden bin...Und meine Augen richten sich, - weg vom Grab und dem was sich, nach allen Regeln und Gesetzen der Natur, darin befinden sollte -, hinaus in die Zukunft, denn von dort kommt das Licht!

Amen.



Pfarrer Reiner Kalmbach
Allen - Patagonien, Argentina
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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