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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 05.04.2009

Predigt zu Matthäus 21:1-9, verfasst von Morten Fester Thaysen

Jesus verbirgt nichts, als er in Jerusalem einzieht. In Lumpen sitzt er auf einem erbärmlichen Esel - das ist alles. Von Größe ist da nichts zu sehen. Und es ist auch die Frage, ob die Leute, die ihn mit Palmenzweigen begrüßten, es wirklich ernst meinten - oder ob es der reine Hohn war ­- das, was man heute ein Event nennt - der Spott von Straßenjungen über den, der etwas sonderbar aussieht?

            Unter allen Umständen - es ist nichts Flottes an Jesus, als er in Jerusalem einzieht.

            Aber genau auf diese Weise kann er es sagen: Jetzt ergebe ich mich in eure Hände. Ich nehme euch nicht mit Macht. Ich weiß genau, es gibt einige Leute, die sind schon dabei, die Lederstriemen für die Peitschen zu flechten, mit denen ich ausgepeitscht werden soll. Ich weiß genau, es gibt einige Leute, die sind schon dabei, den Erdboden auf dem Galgenberg zu untersuchen, um die Stelle zu finden, wo mein Kreuz stehen soll. Ich weiß genau, dass sich die Priester und höchsten kirchlichen Beamten beraten, wie sie mich loswerden - und sich danach fortgesetzt den Anschein von Gerechtigkeit geben können.

            Ich weiß auch, wenn ich einen Einzug halten würde, wie Könige ihn zu halten pflegen mit Pomp und Pracht, mit schallenden Fanfaren, mit wehenden Fahnen und furchterregenden Leibwachen um mich, und wenn ich dabei selbst auf einem prächtigen Reitpferd in noch prächtigerer Kleidung reiten würde, wenn ich so auftreten würde, dann würde mir wirklich gehuldigt, dann würde ich bewundert, angebetet und gefürchtet. Und die Priester würden an der heiligsten Stelle des Tempels Platz für mich schaffen, und sie würden Lieder für mich dichten.

            Aber so soll es nicht sein! Ich weiß, dass mich viele in den Tagen, die jetzt kommen, ablehnen werden. Aber ich bin ja auch gar nicht als Arzt für Gesunde gekommen, sondern für die Kranken.

            Und wir werden einander finden!

            Jerusalem - diese merkwürdige Stadt. Sie hat alles. Den Tempel mit all seiner Pracht - für die Juden das vornehmste religiöse Monument der Welt. Die Priesterschule mit ihrem lebhaften Betrieb - mit Lernenden, die die Regeln des Alten Testaments und die Kommentare der Theologen dazu eingetrichtert bekommen sollten.

            Vornehme Stadtviertel, in denen die Menschen in prachtvollen Häusern und in Saus und Braus lebten - weit weg von den Problemen der Stadt und der Gesellschaft ­- nur damit beschäftigt, die nächste Geselligkeit zu planen - die nächste Party - und das Menu dazu.

            Jerusalem mit Armenvierteln - mit abgemagerten Menschen, die verbittert sind und die Gesellschaft hassen - eine Hackordnung der Unmenschlichkeit, die es mit sich brachte, dass z.B. eine Mutter jedesmal ihr Kind nicht zur Taufe tragen konnte, sondern es zu einem offenen Grab bringen musste, weil es für das Kind nichts zu essen gab. Armenviertel mit Menschen, die ihre Träume hatten - viele Träume davon, dass irgendwann einmal alles besser werden würde. Und dann Menschen, die aufgegeben hatten und jetzt nur noch auf den Tod warteten, weil sie hofften, dass nach dem Tode etwas viel Besseres auf sie wartete.

            Das Königsschloss gehört auch dazu. Das Königsschloss mit dem kalten und zynischen Herodes, der seine Mitmenschen als Ungeziefer betrachtete, denen man den Garaus machen müsse. Herodes, der der Meinung ist, die Blumen seien am schönsten im Schlosgarten, der bewässert ist - nicht mit Wasser, sondern mit Blut, das vom Henker geliefert ist.

            Jerusalem, diese verwirrte Stadt. Die Stadt der Gegensätze. Die Stadt der Freude. Die Stadt der Trauer. Die Stadt des Hasses. Die Stadt der Großmut. Die Stadt des Glaubens. Die Stadt des Zweifels. Die Stadt des Lachens. Die Stadt der Tränen.

            Dahin zieht Jesus. In Lumpen und auf einem Esel.

            Er kommt nicht als irgendein Wunderautomat, der im Handumdrehen alle Widersprüche ausgleichen und alles für jedemann leicht und behaglich machen kann. Er kommt nicht, um das Geld der Leute zu retten oder ihre Position oder Ehre oder Eitelkeit oder ihren Appetit. Er kommt nicht, um Mühe und Kampf aus dem Leben zu entfernen.

            Er kommt wegen etwas völlig Anderem! In Jerusalem zieht Jesus ein. In die Stadt der Widersprüche. Er will keine Huldigung. Keine Verehrung. Keine Bewunderung. Das macht er gleich am Anfang klar durch die Art und Weise, wie er in die Stadt einzieht. Er will etwas Anderes. Er will geliebt sein!

            Der grundtvigsche Pastor Peter Rördam - einer der engsten Freunde Grundtvigs -, sagt das direkt in einigen Briefen, die er an Verwandte und Freunde geschrieben hat: "Ich will geliebt sein! Ich will als Pastor geliebt sein." Sonst würde das alles ja nichts taugen. Das klingt eitel, nicht wahr? Es klingt affektiert. Dieses "Ich will geliebt sein!" Man pflegt doch sonst etwas darüber zu sagen, dass man gern lieben möchte. Man pflegt doch nicht zu sagen: "Ich will geliebt sein!"

            Aber Jesus sagt es also auch. Vielleicht mit etwas anderen Worten. Aber es ist der Inhalt im größten Teil dessen, was er im Neuen Testament sagt. "Ich will geliebt sein!" Und als er in Jerusalem einzieht, will er geliebt sein. Darum dieser ganze Aufzug!

            Denn nur wenn wir Menschen in denjenigen, die uns etwas bedeuten, Liebe hervorgerufen haben, nur dann ist die Tür geöffnet zum Innersten des Herzens - zu der Stelle, wo alles Andere als Echtheit - echte Gefühle, echte Zährtlichkeit, echte Liebe, echte Versprechen - im Innersten des Herzens, wo alles Andere als das verwelken und vergehen muss. Und nur wenn wir geliebt sind, können wir in tiefe innerliche Verbindung miteinander kommen.

            Deshalb muss Jesus sagen: "Ich will geliebt sein!" Damit er Güte und Glauben und Munterkeit zu vermitteln vermag. "Ich will geliebt sein!" Das möchstest du und ich eigentlich auch gern in unserem Leben und unserem Tun und Lassen: Geliebt sein! Akzeptiert sein, und zwar so wie wir nun einmal sind. Geschätzt sein. Nicht nur im Wege sein. Nicht bloß jemand sein, der in seiner Umgebung harte Gefühle auslöst. Nicht bloß jemand sein, der genauso gut wegsein könnte - nicht bloß jemand sein, bei dem die Leute sich Mühe geben müssen, ihre Gesichtsmuskeln zu kontrollieren, um ihren Überdruss und ihre Abscheu nicht zum Vorschein kommen zu lassen. Wenn wir auf so etwas treffen, erreichen wir nichts beieinander in unseren Herzen.

            "Ich will geliebt sein!" Das sagt Jesus zwischen den Linien in unserem Text. Er kommt dahergeritten in dieser widersprichsvollen Stadt, die vor allem deinem und meinem Herzen gleicht.

            Hier ist der, der dich mit seiner Liebe umarmen will. "Hier ist der, der dir nützen will mit seinem blutigen Schweiß" (Zitat aus einem Lied Kingos, Den Danske Salmebog, Nr. 176). Arm und schutzlos zieht er in die widerspruchsvolle Stadt deines und meines Herzens ein. Wir haben doch alles in uns. Die Sicherheit! Die große und starke Selbstsicherheit - wir sind unseres Einflusses und unserer Macht sicher - unserer Fähigkeiten und unseres Glaubens. Wir, die wir hin und wieder so reich sein können. Und im Herzen wogt es vor Erfolg - vor dem Lob von Seiten Anderer - vor der Nennung unseres Namens, wo wir reich an Einfluss, reich an Mitmenschen sind, die uns auf die Schulter klopfen, um an dem Einfluss teilzuhaben.

            Wir haben alles in uns - du und ich. Eigentlich auch die Armenviertel, sie haben wir auch. Wo es keine Freude mehr gibt. Wo alles Enttäuschung ist. Kampf ums Durchhalten. Wo man verzweifelte Träume hat, um zu vergessen. Wo wir uns fast schämen, dass wir noch nicht tot sind.

            Wir haben es in uns: Das Schloss des Königs. Die Lust, uns von Anderen bedienen zu lassen. Die Lust, Macht zu zeigen, so dass Andere vor uns kriechen müssen. Die Lust, unseren Lebensüberdruss und unseren Hohn Anderen ins Gesicht zu lachen.

            Wir haben es in uns - all das, was es in Jerusalem gab. Den Zöllner. Den Krämer. Die Hure. Den Herrscher. Den Pharisäer - und die Sehnsucht danach, dass jemand kommt, der Anderes und mehr sehen möchte als die flotte und prahlende Architektur - und mehr als die wilde Verwirrung. Denn wir haben ja auch die Sehnsucht nach einem, den wir lieben können. Nach jemanden, der etwas Gutes von uns haben will. Jemand, der uns aushalten kann. Unfertig. Unreif. Zerrissen im Herzen, wie wir doch sind. Da kommt Jesus und will geliebt sein. Er gibt sich in unsere Hände und will geliebt sein. In unsere Hände, die gewohnt sind, Böses zu tun, und die auch ein Kreuz zusammenzimmern können, aber die auch liebkosen können.

            Vorbehaltlos gibt er sich in unsere Hände und will geliebt sein. Und deshalb muss der Weg am Kreuz enden. So verwirrt ist die Stadt unseres Herzens: Wir wollen lieben und ergehen uns doch bald in Hass. Aber Jesus will fortgesetzt geliebt sein - und als er am Kreuz hängt, unschuldig, aber voller Liebe - da kann man nicht anders als lieben.

            Und zum Schluss. Der schwedische Dichter Per Lagerkvist (1891-1974) erzählt in dem Roman "Das Heilige Land" von einem Mann, der sich auf einer Pilgerreise nach Jerusalem befindet. Einer Reise, die ihn fast durch die ganze Welt führt.

            Plötzlich sieht er auf einer Zinne drei Kreuze. Drei leere Kreuze. Er ging dorthin. Warum drei? Warum nicht nur ein Kreuz? Für wen das Kreuz in der Mitte war, wusste doch jeder. Aber die beiden anderen, was hatten die dort zu suchen? Was hatten sie mit dem zu tun, was dereinst geschehen war. Verbrecher, zwei gewöhnliche Verbrecher. Zwei Mörder. Zwei gewöhnliche Mörder der Menschheit. Warum hang er zusammen mit ihnen? Warum hang er nicht zusammen mit zwei anständigen Menschen, zwei Unschuldigen? Oder allein? Aber das tat er nicht. Warum nicht?

            Der Mann ging näher heran.

            Verbrecher. Das war er ja selbst. Mörder, das war er ja selbst. Pilger und Verbrecher. Pilger auf dem Banditenschiff der Menschheit. Mit allem möglichen Auswurf an Bord, und er selbst hatte dazugehört. So war es, so war sein Leben von Anfang bis Ende gewesen. Drei Kreuze, und nicht eines.

            Er blieb bei dem Kreuz in der Mitte stehen. Dies ist sein Kreuz. Das Kreuz des Unschuldigen. Es ist nichts für mich. Ich wage nicht, es mit meiner von Blut besudelten Hand zu berühren.

            Aber dieses hier, sagte er, und ging hin und berührte es. Dies hier ist das Kreuz des Verbrechers. Mein Kreuz. Dies Kreuz wage ich zu berühren. Denn es ist nicht rein. Ich hätte selbst daran hängen können.

            Er schwieg. Und dennoch. Die drei Kreuze standen doch hier beieinander. Es war nicht nur ein einsames Kreuz, nicht nur sein Kreuz. Und auch nicht nur das Kreuz des Verbrechers. Nein, an ihrer Seite hatten sie eines, das Gottes Sohn gehörte und das das Kreuz des Unschuldigen war. Immer standen die drei Kreuze beieinander.

            Jesus will geliebt sein. Daher immer sein Kreuz neben den Kreuzen der beiden Verbrecher. Nie allein, sondern immer zusammen. So muss es sein. Er will geliebt sein - und so reitet er in dein und mein verwirrtes und widerspsruchsvolles Herz. Das Kreuz zeigt, wie weit er hineinreitet. Und dort sagt er zu uns ­- siehe, heute wirst du mit mir im Paradiese sein. Amen



Pastor Morten Fester Thaysen
Varde (Dänemark)
E-Mail: mht(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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