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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 09.04.2009

Predigt zu Matthäus 26:17-30, verfasst von Peter Nejsum

Neulich sah ich im Fernsehen die Stand-up-Komikerin Mette Lisby, die sich über die Behauptung lustig machte, dass der Gottesdienst ein Fest sei. Aber womit kann man uns vergleichen, wenn wir zum Abendmahl gehen? Sehen wir aus wie festlich gestimmte Menschen, die mit einem "ich bitte zu Tisch" eingeladen sind, sich an einen reich gedeckten zu Tisch setzen? Sehen wir so aus? Warum reden wir dann nicht miteinander? Warum lachen wir nicht? Wo ist die Freude in unseren Gesichtern? Wenn man gesagt hätte, wir glichen eher jemandem, der auf dem Wege zu seinem Zahnarzt ist, wäre das wohl zutreffender gewesen. Wir haben gehört, dass das Abendmahl eine Mahlzeit der Gemeinschaft ist. Wir haben vielleicht Geschichten im Kopf, wie die ersten Christen gemeinsam gegessen und ihre Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit gefeiert haben. Aber erleben wir das Abendmahl als etwas Gemeinsames?  Erleben wir es nicht eher als etwas, was wir jeder für sich und allein tun? Empfinden wir Verbundenheit miteinander, wenn wir Schulter an Schulter vor dem Altar knien? Neben wem hast du letztes Mal, als du zum Abendmahl warst, gekniet? Kannst du dich erinnern? Wenn ich eine Verbundenheit mit meinem Nebenmann fühle, dann deshalb, weil ich sowieso schon mit diesem Menschen verbunden bin. Und wie kann man eigentlich von Gemeinschaft reden, wenn das Abendmahl das Einzige im Gottesdienst ist, das wir nicht gemeinsam mit allen Anderen tun, sondern das man selbst wählt oder eben nicht wählt und das die Gemeinde in Teilnehmer und Zuschauer aufteilt? Das Abendmahl macht uns eher zu Einzelmenschen. Es ähnelt eher Kindern, die nebeneinander spielen: sie spielen ja gerade nicht zusammen, nicht miteinander, auch wenn sie dasselbe Spiel spielen, sondern sie spielen nebeneinander. Die Gemeinschaftsmahlzeit, das Abendmahl, zieht eher unsere Einsamkeit ans Licht. Hier ist es der Einzelne vor Gott, mit all seinem Zweifel und all seiner Unsicherheit. Deshalb kann es auch geschehen, dass man sich überwinden muss, an den Altar zu treten.

         Diese Beobachtungen sind nicht gemacht, weil wir von jetzt an anders sein oder uns anders fühlen  oder mehr Gemeinschaft fühlen sollen, als es jetzt der Fall ist. Ganz im Gegenteil. In Wirklichkeit ist das gerade der Sinn der Sache. So soll es sein. Es bringt etwas sehr Wichtiges über das Abendmahl zum Ausdruck. Die Jünger, von denen wir hören, glauben auch, dass sie zu einem gemütlichen und festlichen österlichen Essen zusammen mit ihrem guten Freund kommen sollen. Aber die Mahlzeit entwickelt sich in eine Richtung, mit der sie nicht gerechnet haben. Jesus lässt ein Bombe losgehen, wenn er sagt, dass ihn einer von ihnen verraten wird. Ihr könnt mir glauben, das verfehlt nicht seine Wirkung auf die Gemütlichkeit! Und es bewirkt etwas am Gemeinschaftsgefühl. Jeder zeigt auf sich selbst: ich bin es doch wohl nicht? und erforscht seine Seele.

         Es ist genau dasselbe, wie wenn sich die Familie zu Weihnachten am Esstisch versammelt hat, die Kinder voller Erwartung sind und blanke Augen haben, und der Vater dann aufsteht und sagt: Ja, liebe Kinder. Ich möchte etwas sagen. Mutter und ich werden uns scheiden lassen und von jetzt an getrennt leben. Deshalb ist es heute das letzte Mal, dass wir zusammen Weihnachten feiern. - Man stelle sich vor, was wäre, wenn das geschähe. Es würde nicht nur mit einem Schlag alle Gemütlichkeit und Weihnachtsstimmung wie wegblasen sein. Es würde auch jeden Einzelnen mit seinen Gedanken isolieren: Was wird jetzt? Was wird aus mir? Es ist doch nicht meine Schuld? Plötzlich ist jeder allein. Und wird nicht auch jedes Gespräch verstummen?

         Jesus tut doch dasselbe. Und dann tut er noch mehr. Aber genau in dieser Stimmung setzt er das Abendmahl ein. Er hätte warten und das Ungemütliche erst danach sagen können. Warum handelt er so? Warum ist es notwendig, die Gemütlichkeit und ein mehr oder weniger echtes Gefühl der Gemeinschaft zu zerstören? Was hat er gegen Gemütlichkeit und Gemeinschaftsgefühl? Ja, sicherlich nichts. Aber er hat wichtige Gründe. Wenn wir uns in einer gemütlichen Situation befinden, wenn wir Zusammengehörigkeit mit denen empfinden, die wir hochschätzen, dann haben wir nicht auf dieselbe Weise Gott nötig. Aber jetzt kommt es darauf an, jetzt wird es heikel. Deshalb will er hinter die äußere Schale gelangen, will er mit dem Menschen reden, der mit seinem Zweifel und seiner Schuld alleingelassen ist. Deshalb ruft Jesus das Gefühl der Isolation hervor. Denn das ist die Grundsituation, in die hinein er spricht, wenn er das Abendmahl einsetzt.

         Aber wenn wir unseren Blick noch einmal auf des Abendmahl, das heute ausgeteilt wird, lenken, dann springt uns etwas Anderes ins Auge. Man bekommt de facto etwas. Man wird erhoben. Man erlebt de facto Gottesgegenwart. Man empfindet de facto eine Gemeinschaft, nicht  miteinander oder mit einem Nebenmann, sondern eine Gemeinschaft mit Gott. Es geschieht etwas. Nicht jedes Mal. Und nicht immer. Aber viele, so glaube ich, können hier etwas wiedererkennen. Man wird in eine Gemeinschaft hineingenommen. Es geschieht etwas. Aber die Grundlage ist nicht eine besondere Feststimmung oder ein besonderes Gemeinschaftsgefühl oder ein starker Glaube; denn wäre man in einer solchen Stimmung, dann würde man aus ihr herausgerissen, genauso wie Jesus die Jünger aus ihrer Stimmung herausreißt. Denn Jesus will so zu uns sprechen: Als zu Menschen in Einsamkeit, in innerer Gespaltenheit, in Gespaltensein zwischen Verrat und Treue, zwischem dem, der ich bin, und dem, der ich gern sein möchte, zwischen dem, der bich bin, und dem, der ich sein sollte.

         Die Erzählung von Adams und Evas Vertreibung aus dem Paradies ist ein Versuch, das Gespaltensein als eine für alle Menschen gültige Grundtatsache des Lebens anschaulich zu machen. Adam und Eva nehmen auch eine Mahlzeit ein; sie essen von dem Baum der Erkenntnis, d.h. sie bekommen ein Bewusstsein. Ein Bewusstsein davon, was sie sind - und was sie nicht sind. Von der Gespaltenheit zwischen dem, was sie sind - und was sie sein könnten. Mit diesem Gespaltensein müssen sie leben auf der anderen Seite der Tore zum Paradies, die hinter ihnen hermetisch verschlossen werden. Sie sehnen sich nach dem Paradies, nach der Einheit, die verloren gegangen ist, nach der Harmonie, die es nicht mehr gibt. Dass sie sich jetzt ihrer Nacktheit schämen, bringt die daraus folgende Isolation zum Ausdruck. Von jetzt an haben wir eine Fassade gegenüber den Anderen, so dass sie nicht sehen können, wie wir wirklich sind.

         Die Sehnsucht nach dem Paradies gibt es noch immer. Wir geben ihr einen anderen Namen, haben andere Worte für sie. Aber es ist dasselbe. Man sehnt sich nach der Einfachkeit der Kindheit. Oder nach der Freiheit der Jugend. Man sehnt sich auch nach Gemeinschaft mit Anderen, nach einer echten Verbundenheit mit Anderen, und deshalb pflegt man alle möglichen künstlichen Gemeinschaften, und eigentlich gibt es keinen Ort, an dem man so einsam sein kann wie gerade in solchen Gemeinschaften.

         Man spricht z.B. vom "ganzen Menschen". Wir sollen "ganze Menschen" sein. Visionäre Industriebetriebe suchen nach "ganzen Menschen". Und unsere Kinder sollen am liebsten auch "ganze Menschen" werden. Es ist ein Modewort, aber es bezeichnet eine Sehnsucht nach Überwindung des Gespaltenseins in uns. Aber wir sind doch halbe Menschen in dem Sinne, dass wir sehr wohl wissen, dass wir anders sein könnten. Dass wir nicht diejenigen sind, die wir sein sollten. Und wir sehnen uns danach, das in uns aufzunehmen, was wir nicht sind. "Selbstentwicklungskurse" und Ähnliches sind doch nur Versuche, die Spaltung zu überwinden, die eine Grundtatsache für uns ist. Und deshalb kann sie auch gar nicht überwunden werden.

         Aber die Pointe ist, dass man so kommen soll: gespalten, einsam, zweifelnd. So begegnet uns das Wort Jesu im Abendmahl. So empfangen die Jünger das Abendmahl, während sie fortgesetzt darüber nachdenken, ob sie derjenige hätten sein können, der ihn verriet.

         Was bewirkt dann das Abendmahl? Es bewirkt die Vergebung der Sünden. Es ist nicht Bekehrung. Aber wir verwandeln uns nicht auf diese Weise und werden nicht zu denen, die wir sein sollten. Unsere Sehnsucht wird auch nicht erfüllt, wir werden nicht "ganze Menschen". Und wir bekommen auch nicht die Harmonie, die Abgeklärtheit, die Autorität, die man vermisst und nach der man verlangt. Man wird auch nicht besser oder stärker, und man kommt auch nicht dem näher, was man sein möchte.

         Nein, hier geschieht keine Verwandlung, sondern eine Wiedereinsetzung. Eine Wiedereinsetzung in das Leben. Du wirst wieder eingesetzt als derjenige, der Leben geben und nähren soll unter den Bedingungen, die jetzt die deinigen sind: dass du der bist, der du bist. Mit all den Begrenzungen, die du hast, mit all dem, was du nicht bist. Und du kannst es, weil du hier erfährst, dass du immer mehr bist als deine Taten. Du bist mehr als die Summe dessen, was du tust.

         Das Brot, das gebrochen wird, und der Wein, der fließt, haben eine doppelte Bedeutung: Sie sollen sowohl Jesus vorstellen, der sich selbst hingibt, seinen Leib, der zerrissen wird, und sein Blut, das fließen wird. Hier waren nicht einmal die Jünger ohne Schuld, ganz im Gegenteil. Und schließlich sollen Brot und Wein vorstellen, wie sie Anteil bekommen an dem, was er ist, davon genährt werden, das, was Treue ihnen gegenüber ausdrückt, die Tatsache, dass er mit ihnen zusammenbleibt bis zum letzten Augenblick und sie nicht verlässt, obwohl der Verrat ganz in der Nähe lauert.

         Ich höre gelegentlich als Begründung dafür, dass man nicht zum Abendmahl geht, dass es "nicht als richtig empfunden" werde. Man möchte gern, dass man eins ist mit dem, was man tut. Dann meint man, dass man nicht genug glaubt oder dass man nicht auf die richtige Weise glaubt, und dann bleibt man sitzen. Aber es ist umgekehrt: Empfände man es wirklich als richtig, hätte man wirklich die Authentizität in allem, was man tut, dann wäre es ja gar nicht nötig, das Abendmahl zu empfangen.

         Deshalb zieht Jesus unsere Einsamkeit und innere Spaltung ans Licht. Darum geht es. Und deshalb werden wir gestärkt und erbaut zurückgesandt, denn das, wovon wir glaubten, wir vermissten es, das, wonach wir uns sehnten, das erwies sich als ganz und gar nicht notwendig. Wir werden zurückgesandt, wieder eingesetzt in das Leben, um es zu nähren als diejenigen, die wir sind.

Amen



Pastor Peter Nejsum
Slangerup (Dänemark)
E-Mail: pene(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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