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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Osternacht und Ostersonntag, 12.04.2009

Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Bernd Giehl

Szenische Predigt über Matthäus 28,1-10 in der Osternacht 2009

Vorbemerkung: Vermutlich erwarten die Leserinnen und Leser an dieser Stelle eine Predigt. Aber der Gottesdienst in der Osternacht ist einer der emotionalsten Gottesdienste, die ich mir vorstellen kann. Jedenfalls habe ich diese Gottesdienste so erlebt. Es geht um ein Geschehen, das (auch) unser Leben so stark verwandeln soll wie nichts anderes. Von daher habe ich in den Osternachtsgottesdiensten, die ich selbst gestaltet habe, die traditionelle Form immer durchbrochen. Zum Beispiel dadurch, dass mehrere Sprecher auftraten. Das möchte ich auch hier so halten.
Natürlich kann man diesen Entwurf so übernehmen, wie er dasteht. Man kann ihn aber auch verändern oder ergänzen.  

Nacht
Stimme 1:
Diese Nacht nimmt kein Ende. Jeder Dunkelheit folgt ein Sonnenaufgang, heißt es, und ich habe es geglaubt. Ich wollte es glauben. Bisher war es immer so. Irgendwann wurde es wieder heller. Aber gestern ist Gott selbst gestorben. Die Sonne ist verloschen.

Stimme 2: Das Leben geht weiter. Das haben sie mir gesagt, als meine Eltern starben, beide am gleichen Tag, und ich war gerade 13. Sie hatten Recht. An dem Tag glaubte ich, die Welt ginge unter. Wer würde für mich sorgen? Wer würde mich in den Arm nehmen, wenn ich traurig wäre? Wer würde meine Freude mit mir teilen? Seither hat mich niemand mehr in den Arm genommen. Seither gehe ich allein durch die Welt. Ich bin vorsichtig geworden. Ich habe Bekannte aber keine Freunde. Das Leben geht weiter. Man macht seine Arbeit. Man tut, was von einem erwartet wird. Irgendwann geht auch wieder die Sonne auf.

Stimme 3: Er war mein Sohn. Ich hatte ihn lieb. Ich kann nicht sagen, dass ich ihn immer verstanden habe. Er war jemand Besonderes. Das habe ich von Anfang an gespürt. Er ging seinen eigenen Weg. Er wollte, dass ich es verstehe. Ich habe mich darum bemüht. Immer und immer wieder. Mit vielem, was er sagte und tat, war ich einverstanden. Wenn er von der Liebe Gottes erzählte, den er seinen Vater nannte, freute ich mich darüber. Gott ist uns so nahe wie ein Vater oder eine Mutter, sagte er. In solchen Momenten ging mir das Herz auf. Aber manchmal forderte er, man müsse sich zwischen Gott und den Eltern entscheiden. Das tat mir weh. Muss man wirklich Vater und Mutter verlassen, um Gott dienen zu können? Und wenn er sich mit den Führern unseres Volkes anlegte, weil er am Sabbat heilte und sagte, der Mensch sei nicht um des Sabbats willen da, sondern der Sabbat um des Menschen willen, dann versetzte er mir einen Stich ins Herz. Dann bekam ich furchtbare Angst um ihn.
Er war mein Sohn. Ich hatte ihn lieb. Diese Nacht ist finsterer als alle Nächte, die ich bisher erlebt habe.

Musik


Dämmerung
Pfarrer(in):
Eine Nacht, die nicht aufhören will; so haben es die drei, die vorhin gesprochen haben, erlebt.
Es gibt diese Nächte. Nächte, in denen wir nicht mehr weiterwissen. In denen alle Hoffnung tot und begraben scheint. Nächte, in denen ein Morgen so weit weg scheint wie Australien. In denen die Erde kalt scheint und unbewohnbar wie der Mond. Ein Mensch ist gestorben und alles Leben scheint verdorrt.
Diese Nacht ist anders als alle anderen Nächte. So glauben wir, und es ist wahr. Nur dass es anders ist, als wir es uns vorstellen können. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Sie ist anders, als die drei Frauen, die sich da zum Grab aufmachen, es sich vorstellen konnten. Sie sind unterwegs, um Abschied zu nehmen von dem, den sie liebten. Womöglich mehr als ihr eigenes Leben. Mit ihm ist auch ihre Hoffnung gestorben. Ein großes Stück ihres Lebens ist mit ihm ins Grab gelegt worden. Unvorstellbar, dass es noch Zukunft geben soll. Dass es ein Leben geben soll, jenseits des Todes.
Aber manchmal täuschen wir uns. Wo die Möglichkeiten der Menschen am Ende sind, da ist Gott noch lange nicht am Ende.

Stimme 1: Es war die Nacht aller Nächte. Nur, woher hätten wir das wissen sollen? In der Nacht, in der er verhaftet wurde, hatten wir mit ihm gemeinsam das Osterlamm gegessen. Gemeinsam hatten wir auf die Fragen des Jüngsten, warum diese Nacht anders sei als all die anderen Nächte geantwortet, dass wir Sklaven des Pharao in Ägypten gewesen seien, aber Gott habe uns herausgeführt mit mächtiger Hand und mit ausgestrecktem Arm. Wir hatten gespürt, dass dieses Passahfest anders sein würde als alle, die wir bis dahin mit ihm gefeiert hatten. Und als er dann das Brot brach und es uns mit den Worten reichte: „Dieses Brot ist mein Leib, der für euch gebrochen wird", da ist es uns allen kalt über den Rücken gelaufen. Wir haben uns angesehen, und jeder sah an den Augen der Anderen, dass er es auch nicht verstanden hatte. Wollte er damit sagen, dass sein Tod uns befreite?

Stimme 2: Es war die Nacht, die unser Leben veränderte. Keiner, der es nicht gespürt hätte. Selbst wenn wir es nicht verstanden. Und als wir dann hinausgingen in die Dunkelheit, als wir im Garten Gethsemane waren und er verhaftet wurde, da dachten wir, jetzt sei alles zu Ende.

Stimme 3: Ich war nicht dabei, als es passierte. Ein, zwei Stunden später haben sie mich an meine Tür geklopft und mich aus dem Schlaf gerissen. Ich glaubte, mein Herz bliebe stehen. Woher ich den Mut nahm, ihn nach Golgatha zu begleiten, weiß ich nicht. Und auch nicht, woher die Kraft kam, dass ich heute zu seinem Grab gehen konnte. Wer gibt uns die Kraft, in das Grab des eigenen Sohnes zu blicken?

Stimme 1: Wir haben dich begleitet.

Stimme 3: Du hast Recht. Das hat mir die Kraft gegeben.

Stimme 2: Aber kannst du es glauben? Verstehst du, was wir gesehen haben?

Stimme 3: Wie sollte ich. Aber mein Herz ist froh.

Musik

Sonnenaufgang
Pfarrer(in):
Ob wir es jemals verstehen können, was die Bibel von diesem Morgen erzählt? Die Geschichte klingt wie auch andere Geschichten aus dem Neuen Testament. Keine Spur von Verwunderung. „Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot." Scheint so, als wäre das alles für den Erzähler völlig klar, und nur wir fragen uns, wie um alles in der Welt so etwas passieren kann.
War es so? An dieser Stelle kommen wir mit unserem Verstand nicht mehr weiter. Natürlich können wir sagen: So kann es nicht gewesen sein. Ein solches Wunder, wie es hier berichtet wird, durchbricht alle Grenzen unserer Erfahrung. Engel kommen nicht vom Himmel. Tote stehen nicht wieder auf. Wenn wir es so sagen, dann ist die Geschichte an dieser Stelle am Ende. Aber müssen wir es so sagen? Was hier erzählt wird ist doch nur eine Annäherung an ein Geschehen, das zwar erfahren werden kann, was aber letztendlich kaum noch in Worte zu fassen ist.
Wie es wirklich war? „Ein Mensch hat eine Erfahrung gemacht, und nun sucht er die Geschichte zu seiner Erfahrung", sagt der Autor Max Frisch in seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein". Nein, man muss dieses Zitat noch einmal abwandeln, dann passt es besser: „Ein Mensch hat eine Erfahrung gemacht, und nun versucht er, von dieser Erfahrung zu erzählen." Was Max Frisch sagen will, dass das, was wir von unseren Erfahrungen erzählen, immer nur Geschichten sind, aber nie die Erfahrung selbst, das ist ein wichtiger Schlüssel zu dieser und allen anderen Geschichten von der Auferstehung Jesu. Will heißen: Wir können uns dieser Erfahrung immer nur behutsam annähern. Jedenfalls dann, wenn wir sie verstehen wollen.
Nur so ist die Geschichte des christlichen Glaubens ja überhaupt begreifbar. Nur weil Menschen aus Jesu engster Umgebung dem auferstandenen Jesus begegnet sind - auf welche Weise auch immer - nur darum konnte der christliche Glaube ja überhaupt erst entstehen. Hätten sie diese Erfahrung nicht gemacht, dann gäbe es uns nicht. Jedenfalls nicht als Christen. So aber haben sie begriffen, dass selbst die Kreuzigung Jesu Sache, Person und Botschaft nicht vernichtet hat. Was immer da auch an Ostern passiert ist - es muss so überwältigend gewesen sein, dass es die tiefe Verzweiflung der Jüngerinnen und Jünger mit einem Schlag in überschäumende Freude verwandelte. Für sie jedenfalls war es sonnenklar: Gott hat die furchtbare Niederlage in einen Sieg verwandelt.
Wenn man das begreift, dann sind Fragen wie die, ob das Grab Jesu wirklich leer war oder wie er nach seiner Auferstehung ausgesehen hat, nicht mehr so wichtig. Denn dann geht es darum, dass wir selbst aus der Auferstehung Kraft schöpfen. Das Neue Testament sagt nämlich, dass die Auferstehung Jesu auch die Christen verwandelt. Dass auch sie neue Schöpfung sind. Weil sie nämlich an der Hoffnung Gottes für diese Welt teilhaben. Und weil sie darauf hoffen dürfen, dass Gott eines Tages das vollendet, was mit der Auferstehung begonnen hat, nämlich ein neuer Himmel und eine neue Erde.

Musik

Morgen
Stimme 3:
Ich habe ihn gesehen. Er lebt. Mein Sohn lebt.
Stimme 2: Bist du sicher?
Stimme 3: Ich sah ihn und sah ihn doch nicht.
Stimme 1: Mir ging es auch so. Ich sah ihn nicht wie ich euch sehe. Es war ...
Stimme 2: ... anders.
Stimme 1: Woran hast du ihn erkannt?
Stimme 3: Daran, wie er „Mutter" zu mir sagte. Und an ... seinen ...
Stimme 1: Du meinst, an seinen Wunden? Die habe ich auch gesehen.
Stimme 2: Er war es und er war es doch nicht.
Stimme 1: Aber er hatte die Wunden der Nägel. Und der Dornen.
Stimme 3: Er ist mein Sohn. Nehmt ihn mir nicht noch einmal.
Stimme 1: Er ist dein Sohn und er wird es für immer bleiben. Und doch ist er jetzt mehr.
Stimme 3: Wie meinst du das?
Stimme 1: Hast du das Licht auch gesehen, das um ihn war? Da waren nicht nur die Wunden. Da war auch das Licht. Ein solches Licht habe ich noch nie gesehen.
Stimme 2: Ein überirdischer Glanz umgab ihn. Niemals vorher habe ich ihn so gesehen.
Stimme 1: Mir ging es genauso wie dir. Er war nicht mehr der, der mit uns im Land umherzog und Wunder tat. Er war selbst ein Wunder.
Stimme 3: Er ist Sieger über den Tod. Und er ist mein Sohn.
Stimme 1: Und er trug noch seine Wunden.
Stimme 2: Warum sagst du das?
Stimme 1: Weil seine Wunden ihn mit uns verbinden. Wie könnte er sonst noch mit uns in Verbindung treten?
Stimme 2: Du meinst, weil um uns immer noch so viel Dunkelheit ist?
Stimme 1: Wie sollten wir ihn sonst verstehen? Wie sollten wir ihm glauben, dass er es wirklich ist?
Stimme 3: Aber er bleibt Sieger über den Tod.  Und er nimmt uns mit ins Leben.
Stimme 2: Ich wollte, es wäre schon so weit. Dann könnte ich wieder lachen. Und weinen. Und mich umarmen lassen.
Stimme 1: Du wirst es wieder lernen. Du wirst wieder neue Hoffnung haben.
Stimme 2: Aber womöglich wird es mich zerreißen.
Stimme 3: Es wird dich nicht zerreißen. Zuerst dachte ich auch, es würde mich in Stücke reißen. Aber ich lebe noch. Und es geht mir jetzt gut. Hab Vertrauen. Er ist bei uns. Und hilft uns.



Pfarrer Bernd Giehl
Hünstetten
E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

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