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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 13.04.2009

Predigt zu Lukas 24:13-35, verfasst von Jürgen Jüngling

1. Emmaus  -  das ist ein Ortsname, den manche von uns kennen gelernt haben lange, bevor sie die Emmaus-Geschichte zum ersten Mal gehört haben. Da gibt es in vielen diakonischen Einrichtungen ein „Haus Emmaus", einen Wohn- oder Lebensort für Menschen, die anderswo nur schwer oder überhaupt nicht klarkommen würden. Emmaus also als Stätte von Gastlichkeit, von Lebensdienlichkeit und von Angenommensein!

Oder da war es in manchen Gegenden der abgelegene Bauernhof, vielleicht auch das Ausflugslokal weit vor den Toren der kleinen Stadt, zu dem Familien an Ostern pilgerten. „Lasst uns nach Emmaus gehen", so verabredete man sich und machte sich gemeinsam auf den Weg, erging sich in alten Geschichten und besprach natürlich auch die Neuigkeiten des Tages. Emmaus, das in Wirklichkeit einen ganz anderen Namen hatte, also als Ziel eines Weges, als Ort des Austauschs und der Einkehr!

Was bei diesem ersten Eindruck bereits deutlich wird: Die Emmaus-Geschichte nach Lukas erfreute sich schon immer einer großen Beliebtheit, hatte einen hohen Bekanntheitsgrad und bot ihrerseits den Anlass für eine bemerkenswerte Wirkungsgeschichte. Wen könnte das auch wundern, denn diesem Bericht folgt man nicht nur mühelos, sondern richtig gern. Er ist so voller Spannung, voller Überraschungsmomente und dazu ausgesprochen einfühlsam. Ein Theologieprofessor hat ihn deshalb einmal als „eine der schönsten und eindrucksvollsten Ostergeschichten" bezeichnet (Hans Graß).

2. Wir können uns sicherlich gut in die Situation jener Emmaus-Jünger hineinversetzen: Was hatten sie doch in und mit ihrem Leben nicht alles investiert auf das Wort ihres Meisters  hin? Was stand an Erwartungen und Ängsten, an Wünschen und Entbehrungen hinter ihrem Entschluss, diesem Mann aus Nazareth zu folgen? Und nun - nach dem Karfreitag? Alles umsonst, nur für die Katz`, aus und Schluss und vorbei - nichts anderes als ohnmächtige Leere in ihren Köpfen und Herzen? Es bleibt in der Tat nichts mehr übrig als zerschlagene Hoffnungen, nutzlos verbrachte Jahre, eine auswegslose Zukunft. Doch dabei soll es für diese Menschen nicht bleiben. Denn niemand anders als der Christus selbst belässt sie da gerade nicht, sondern er geht ihnen nach, schließt zu ihnen auf, tritt auf sie zu, geht mit ihnen - genau wie vorher bei dem Blinden am Wegesrand oder dem Gehörlosen. Das Moment des Nachgehens, des Aufsuchens, des Mitgehens, der Wegbegleitung - das ist das Kennzeichen Jesu, das ist das Merkmal des Christus, und das ist deshalb auch ein zutiefst christliches Anliegen. Es kommt wahrlich nicht von ungefähr, dass diese Geschichte einen so großen Nachhall hatte, denn Emmaus ist längst nicht nur in Emmaus, sondern es kann und möchte überall und immer wieder aufs Neue sein.

3. Es ist alles andere als ein Zufall, dass ganz im Mittelpunkt unserer Geschichte ausgerechnet ein Weg steht. Das ist ja auch sonst  im Leben so, denn es sind nun einmal ganz bestimmte Wege und Etappen, die jedes Leben erst ausmachen; und wir sprechen nicht ohne guten Grund von unserem Lebensweg.   

                     Zu einem Weg - und erst recht zu  einem so langen wie nach Emmaus - braucht man Kraft und Zeit. Wir können förmlich nachempfinden, wie sich auf diesem Weg etwas entwickelt. Denn `unter-wegs` wird man offen und empfänglich. Wer `unter-wegs` ist, verschließt sich nicht, hört genauer zu und sieht genauer hin. Das weiß schon der Wanderer im Wald, darum wissen die beiden Jünger und hoffentlich auch alle die, die bewusst ihren Lebensweg gehen.

Heute hört man oft, der Weg sei das Ziel. Das mag wohl zutreffen für einen Spaziergang oder eine Rundwanderung, aber wirklich auch für einen richtigen Weg? Muss dabei nicht wirklich sein Ziel das Ziel bleiben und der Weg ein - durchaus wichtiger - Durchgang, ein Mittel zum Zweck?

Für den aber braucht es nicht nur Kondition, sondern in aller Regel auch Begleitung, Weggemeinschaft. Denn isoliert von anderen kann man irren, ganz alleine sich sogar verirren. Wie uns die Geschichte zeigt, geht es dabei nicht ohne Fragen und Auskunft, ohne gegenseitigen Austausch und damit um Hilfestellung untereinander und füreinander. So brauchen die Jünger nicht mehr nur zu zweit weiter zu gehen, sondern ein Anderer gesellt sich  zu ihnen und erschließt ihnen neue, bis eben noch verborgene Perspektiven. Ihre Augen werden geöffnet für bislang Verschüttetes und Unvorstellbares. Hier gilt ausdrücklich nicht „Ich bin dann mal weg" (Hape Kerkeling), sondern „Ich bin bei euch" - heute auf dem Weg nach Emmaus und auf dem ganzen langen Weg bis ans Ende der Welt.

4. Und mit dieser Zusage können sie neu ins Leben gehen. Mit dieser Zusage können auch wir unseren Lebensweg getrost fortsetzen, den Weg, der so voll ist an Stolpersteinen und auch so reich an Spannung und Hoffnung. Sicher: „Dieser Weg wird kein leichter sein. / Dieser Weg wird steinig und schwer. / Nicht mit vielen wirst du dir einig sein. / Doch dieses Leben bietet so viel mehr." (Xavier Naidoo) So heißt es treffend  im Liedtext, und so verläuft nun einmal der weithin verschlungene und sehr abwechslungsreiche Weg, der uns durchs Leben führt.

Welche Rolle spielen in unserem Alltag beispielsweise Schuld und Verhängnis! Und mitten drin wir selbst, die da helfen, ordnen, weiterbringen sollen oder wollen. Kein Wunder, dass dabei elementare Fragen aufbrechen, vor allem die nach der eigenen Rolle, die nach der eigenen Fähigkeit und der Gerechtigkeit insgesamt. Und dann noch viel gravierender die Situation, wo man selbst in Schuld und Verhängnis verstrickt ist - sei es als Verursacher oder als Opfer. An schlimmen Nachrichten hat es da gerade in der letzten Zeit - weiß Gott! - nicht gemangelt. Wie wichtig ist es dann, einen Wegbegleiter zur Seite zu haben, einen ganz ohne persönliche Interessen, allein seinem Gewissen, seinem Nächsten und seinem Gott verpflichtet?

Oder: Stark sollen wir sein und sicher möchten wir wirken auf unserem Lebensweg - vor uns selbst und vor den Menschen. Aber wie sieht es manchmal tief drinnen in uns aus? Ähnlich verunsichert wie die Beiden vor Emmaus? Denn nicht jeder Tag ist unser Tag und nicht jede Aktion eine Ruhmestat. Stärke und Sicherheit kann sich nun einmal keiner selbst geben. Wie gut, wenn dann jemand an unserer Seite uns den Blick öffnet: Die können wir nur zugesprochen bekommen, und zwar von einem ganz Anderen.

Noch ein Hinweis: Niemand weiß es besser als wir selbst, dass wir in einer ´gefallenen Welt` leben. Die Welt ist nicht das, was sie ursprünglich einmal sein sollte oder was sie sein könnte. Nein, sie ist genau so, wie sie nun einmal ist. Und darin geht es nicht ohne Schmerzen und ohne Verwundungen zu - an Leib und an Seele gleichermaßen. Da ist es wichtig, wenn jemand auf Augenhöhe neben einem ist, der mitgeht und Halt gibt. „Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben." Wer mitgeht, wer begleitet, wer hinführt, der wird von ganz allein aufmerksam und vor allem: Der macht aufmerksam - auf Dinge, auf Sachverhalte und besonders auf ganz bestimmte Menschen. Vielleicht ist das sogar die wichtigste Aufgabe des Wegbegleiters: Mit wachem Auge, mit unverstelltem Blick, mit warmem Herzen dabei zu sein und auf dieses oder auf jenen aufmerksam zu machen.

Ein letztes Stichwort zum Weg durchs Leben wie zur Strecke nach Emmaus: Zum rechten Weggeleit gehört natürlich auch die Freude, genauer: die Mitfreude. Denn auch dazu haben wir Anlass, und zwar mehr, als wir oft meinen. An Ostern werden wir geradezu darauf gestoßen. Die Osterbotschaft ist pure Freudenbotschaft. Sie steckt an - ganz von selbst und wortwörtlich: „Brannte nicht unser Herz in uns?", so fragten sich die Zwei und sie wussten nun auch warum:„Der Herr ist wahrhaftig auferstanden." Geteilte Freude ist bekanntlich doppelte Freude. Die wird in Emmaus auch nicht dadurch gemindert, dass er im nächsten Augenblick schon wieder weg ist. Denn ihn haben, über ihn verfügen oder gar sich seiner bemächtigen, das können wir nicht und das sollen wir auch nicht - Gott sei Dank.

Damit ist das Ziel des langen Weges erreicht. Die Worte des Begleiters, dazu sein vertrauter Umgang mit Brot und Wein haben ihrerseits mitten ins Ziel getroffen. Denn erst da - gewissermaßen im doppelten Ziel - waren ihnen die Augen geöffnet worden, „und sie erkannten ihn". Zeit um endlich miteinander und mit allen  -  Ostern zu feiern! Amen



Oberlandeskirchenrat i.R. Jürgen Jüngling
Kassel
E-Mail: jj@webgum.de

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